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Famous” von der amerikanischen Autorin Jilly Gagnon ist ein Roman über ein verhängnisvolles Foto, das plötzlich um die Welt geht. Eine Geschichte über unerwartete Berühmtheit, Mobbing und die Liebe in Zeiten von Social Media. Eine turbulente, unterhaltsame Lektüre. Für Mädchen ab 12 Jahren und interessierte Erwachsene.
Schon seit Ewigkeiten schwärmt die junge Rachel für den 18-jährigen Kyle aus der 12.Klasse. Es gibt nur eine einzige Überschneidung ihrer beider Leben: der Kurs “Kreatives Schreiben”, den sie beide besuchen. Umso überraschter ist Rachel, als sie Kyle eines Tages im Einkaufszentrum entdeckt — als Mitarbeiter eines Fastfoodrestaurants: “Und dann sah ich ihn. Kyle Bonham. Instinktiv senkte ich den Kopf, drehte mich zur Seite und tat so, als sei ich voll und ganz in mein Handy vertieft, damit nur ja nicht der Eindruck entstand, ich würde ihn anstarren. In Wahrheit tat ich genau das — Kyle musste man einfach anstarren.” (Zitat aus “
Famous” S.10) Heimlich macht Rachel ein Foto von ihm, um es ihrer besten Freundin Monique zu schicken. Und zwar über die Plattform Flit, auf der sie ihr sonst auch ihre Bilder schickt. Darunter schreibt sie: “Echt lecker, was die bei Burger Barn heute im Angebot haben.
DAZUhätteichgernPommes”. (Zitat S.20) Doch dann bekommt sie schlagartig Panik: “Was, wenn er es sah? Er würde sofort wissen, dass es von mir kam. Aber das würde nicht passieren. Ich hatte vielleicht zehn Follower — und Kyle war nicht darunter. Seit Monaten schickte ich Monique Bilder, und bis jetzt schien das niemand großartig bemerkt zu haben.” (Zitat S.19) Doch dann passiert genau das, womit Rachel niemals gerechnet hätte, ihr Foto wird geteilt. Und wieder geteilt. “Dann ging die Sache richtig durch die Decke. Es sah aus, als würde die gesamte Schule das Foto reflitten. Erst die Mädchen, die mit Erin im Tanzteam waren, dann ein paar von den Leichtathleten und dann lauter Namen, die ich noch nie im Leben gehört hatte.” (Zitat S.37) Stunde um Stunde wird es heftiger: “1.385 Benachrichtigungen. Beinahe hätte ich mich an meiner Kirschtomate verschluckt. Das waren mehr Leute, als es Schüler an der Apple Prairie High gab. Ohne nachzudenken klickte ich auf “Öffnen”. Ich musste einfach wissen, was über mich geschrieben wurde.” (Zitat S.42) Und es sind nicht wirklich positive Dinge, die über Rachel geschrieben werden. Sie wird beschimpft, als fett und hässlich bezeichnet und das sogar von wildfremden Menschen. Auch Kyle wundert sich, was da während seiner Schicht im Fastfoodrestaurant abgeht: “Ich hatte in meinen Leben noch nie so viele Mädchen Pommes bestellen sehen. […] Normalerweise war während meiner gesamten Schicht tote Hose. Doch heute waren bereits um Viertel vor sechs alle Pommes ausverkauft. Das war uns noch nie passiert.” (Zitat S.23) Und jedes Mädchen, in der endlosen Schlange, die seltsamerweise auch ein Foto von ihm machen wollen, bestellt ihre Pommes mit dem Spruch: “Dazu hätte ich gerne Pommes.” Als er schließlich sein Handy in die Hand bekommt und seine Benachrichtigungen entdeckt, wird ihm endlich klar, warum. “Ich spürte, wie mein Herz zu rasen begann. Es hämmerte regelrecht gegen meinen Brustkorb. Was war hier los? Warum teilte plötzlich die halbe Welt ein Foto von mir?” (Zitat S.29) Doch während Rachel immer mehr Opfer gemeiner Mobbingattacken wird, wird Kyle über Nacht zum gefeierten Star. Bis eines Tages sogar das Fernsehen vor seiner Türe steht und er in einer Show auftreten soll. Das verändert alles. Denn auf einmal soll auch Rachel dabei eine Rolle spielen…
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Famous” wird abwechselnd aus Kyles und Rachels Sicht in der Ich-Perspektive erzählt. Die Sprache ist locker und teilweise jugendsprachlich, aber passend. Der Roman enthält einige interessante Thematiken: Wie gehe ich mit unerwarteter Berühmtheit um? Was für Vorteile kann ich daraus ziehen? Das Buch zeigt aber auch die Schattenseiten des Ruhms: ungewollte Bekanntheit und Mobbing. Gerade Rachel macht dies sehr zu schaffen: “Beim Aufwachen hatte ich 23.208 weitere Benachrichtigungen gehabt (zusätzlich zu den vielen Loves und Reflits), und die meisten davon waren extrem gemein. Demnach war ich fett, hässlich, armselig und größenwahnsinnig. Nicht, dass ich so was nicht schon ab und zu selbst gedacht hätte, aber es von so vielen Leuten lesen zu müssen, war doch mal etwas ganz anderes. So, als würde es dadurch irgendwie wahr werden. Mir wurde richtig schlecht davon.” (Zitat S. 62) Es ist sehr bewegend zu lesen, wie der Alltag des jungen Mädchens sich verändert, wie sie, die eigentlich eher immer im Hintergrund bleiben wollte, plötzlich mitten auf den Präsentierteller gerät. Wie alte, peinliche Fotos von ihr auf einmal herausgekramt und veröffentlicht werden; wie ihr Spint verunstaltet wird; wie ihre Autoscheibe über und über mit Pommes dekoriert wird. Wie das Mobbing überhand nimmt: “Ich hatte immer gedacht, wenn ich mich mit einer Handvoll Künstlerfreunden umgab und am Rand aufhielt, könnte so etwas nicht mehr passieren. Aber Jessies Follower standen bereits in den Startlöchern. Möglichst unsichtbar zu sein, war mein persönlicher Schutzwall. Doch sie rollten wie ein Flutwelle darüber hinweg und ließen mich wehrlos zurück…” (Zitat S.40) Zur Verdeutlichung der Entwicklung in den sozialen Medien werden immer wieder Auszüge aus Flit zitiert oder Textnachrichten abgebildet, die Rachel verfasst oder bekommt. Das liest sich zwischendrin immer ganz angenehm, auch wenn die Bezeichnung der Nachrichten (“Von Mo” und “An Mo”) manchmal etwas verwirrend ist und eine schlichte Bezeichnung des Urhebers in beiden Fällen wohl einfacher gewesen wäre. Gut gefallen hat mir hingegen die Zeichnung mancher Charaktere — auch wenn diese in dem Buch natürlich eher etwas oberflächlicher sind — wie zum Beispiel den hippiehaften Eltern von Rachel, die von ihren Kindern nach einem Tag einfach mal Folgendes wissen wollen: “Jonathan, erzählt doch mal, wie du heute deine Persönlichkeit zum Ausdruck gebracht hast.” (Zitat S.42) Nach der Hälfte des Buches wird sich nach dem Mobbing-Schwerpunkt auf die entstehende Liebesgeschichte zwischen Rachel und Kyle konzentriert, was die romantische und zugleich ein wenig märchenhafte Facette des Romans hervorhebt. Denn wenn die unsichere Rachel, die sich nicht für schön hält, von Kyle gesagt bekommt, dass sie eben genau das ist, da kommen schon ein paar “vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan”- Sentimentalitäten auf. Besonders als Kyle sie schließlich im Auftrag des Fernsehsenders auf den Homecoming-Ball einladen soll, dort aber eigentlich seine On-Off-Freundin Emma mit ihm hingehen wollte, die plötzlich wieder Interesse an ihm zeigt… Zum Schluß hätte ich gerne noch etwas mehr über die (medialen/gesellschaftlichen) Auswirkungen der Liebesgeschichte gehört, da war das Buch leider etwas zu schnell zu Ende.
Fazit: Ein schöner Lesespaß für die Generation “Social Media” und die, die märchenhafte Liebesgeschichten mögen.