Big Brother 4.0
Die HochhausspringerinWas für eine zutiefst verstörende Zukunftsvision. Wenn das die schöne neue Welt ist von der Alle träumen, dann möchte ich nicht in ihr leben.
Als vor Jahren die erste Folge von Big Brother lief ging ein ...
Was für eine zutiefst verstörende Zukunftsvision. Wenn das die schöne neue Welt ist von der Alle träumen, dann möchte ich nicht in ihr leben.
Als vor Jahren die erste Folge von Big Brother lief ging ein Aufschrei durch die Massen. Der Großteil der Leute war begeistert, der Voyeur im Menschen kam zum Vorschein und Datenschützer liefen Sturm gegen das Format der 24 Stunden Überwachung. Die Möglichkeit zu beobachten und an jeder Minute im Leben anderer Personen teilhaben zu können fasziniert. Aber möchte ich das?
Die Figuren im Buch leben unter ständiger Beobachtung, ja eigentlich Überwachung. Alles wird aufgezeichnet, gespeichert und analysiert. Der Arbeitgeber kann nicht nur auf Daten den Job betreffend zugreifen, sondern hat auch Einblick in den allgegenwärtigen Fitness Tracker, oder persönliche digitale Daten. Alles ist einsehbar, vom Schlafpensum, über den Alkoholkonsum, bis hin zu den besuchten Seiten im Internet und dem Finanzscore. Der gläserne Mensch ist hier schon lange Realität, und sollte dem Chef nicht gefallen was er sieht, drohen Konsequenzen.
Die Autorin beschreibt in ihrem Buch eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die Einen leben in Randgebieten, den sogenannten Peripherien, unter schlechten klimatischen Bedingungen, schmutzig, heruntergekommen, ohne Perspektiven. Den Bewohnern ist der Weg in die "besseren" Bezirke versperrt, ausser für bestimmte Arbeiten, oder durch besondere Talente, die in sogenannten Castings mit viel Tam Tam gesucht werden. Über die genauen Verhältnisse an diesen Orten erfährt der Leser nicht viel. Generell gibt die Autorin keinen Einblick in die Entwicklungen, die zu dieser Gesellschaftsform geführt haben. Sie konzentriert sich mit der Geschichte ganz auf die direkten Geschehnisse um die Hauptfiguren.
Das Gefühlschaos der Hauptfigur wird sehr klar dargestellt, man kann den steigenden Druck spüren, ebenso die Verzweiflung und den Wunsch allen Anforderungen gerecht zu werden.
Die Zukunftsvision der Autorin ist sehr kalt, emotionslos, technisiert, standardisiert. Was für die Figuren im Buch das Ideal darstellt, ist für den Leser der blanke Psychoterror. Die totale Kontrolle.
Der unaufgeregte, klare Stil der Autorin trägt ganz maßgeblich dazu bei, die Atmosphäre des Buches auf den Leser zu übertragen und unterstreicht die Wirkung der Charaktere. Er passt zur Sterilität der Lebensumstände die beschrieben werden, zur Perfektion, die der Mensch glaubt erreicht zu haben.
Starke Parallelen zeigt das Buch zu "1884" und "Qualityland". Anders als in viele bekannten Dystopische kommt es in diesem Buch nicht zu einer Auflehnung gegen das System, eher im Gegenteil. Die Hauptfigur ergeht sich am Ende in Resignation, zu festgefahren ist sie in den Zwängen der Gesellschaft.
Das Buch erzählt vom Drang des Menschen nach Optimierung, dem Wunsch ein Ideal zu erreichen, Teil einer funktionierenden Gemeinschaft zu sein. Es erzählt aber auch vom Verlust der Individualität, der Eigenständigkeit, der Selbstbestimmung und natürlich der Privatsphäre. Ein Buch das nachdenklich macht, sprachlos, teilweise wütend und am Ende fassungslos .
Wenn das die angestrebte Perfektion ist, dann bin ich aus Überzeugung und vollstem Herzen unperfekt.