Altklug und charmant
Eine Therapie für AristotelesSie glauben vielleicht, es wäre ganz einfach, sich daran zu erinnern, warum man einen Roman schreibt, aber das ist es nicht. Diane sagt, es sei so ähnlich, wie sich daran zu erinnern, warum man seinen ...
Sie glauben vielleicht, es wäre ganz einfach, sich daran zu erinnern, warum man einen Roman schreibt, aber das ist es nicht. Diane sagt, es sei so ähnlich, wie sich daran zu erinnern, warum man seinen Partner geheiratet hat.
Zettel 1: Ich schreibe diesen Roman, um eine lästige und teure Therapie zu vermeiden.
Zettel 2: Ich schreibe diesen Roman, damit Diane in Rente gehen, Max ins Ferienlager fahren und ich chillen kann.
Zettel 3: Ich schreibe diesen Roman für den Fall, dass es mit Diane und Penn nicht klappt - vielleicht fällt sie einem anderen Mann auf.
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INHALT:
Die zwölfjährige Aristoteles, genannt Aris, hat es nicht einfach: Ihr Vater ist tot, ihre Mutter völlig überfordert mit der Erziehung von ihr und ihrem hyperaktiven jüngeren Bruder Max und Freund Billy meldet sich nach seinem Umzug nicht mehr - Aris fühlt sich ziemlich allein und bräuchte dringend eine Therapie. Da diese aber teuer ist, beschließt sie stattdessen, mithilfe eines Ratgebers in 30 Tagen ein Buch zu schreiben. Denn sollte sie einen Bestseller landen, wären alle Probleme auf einen Schlag gelöst...
MEINE MEINUNG:
Romane mit einem Kind als Erzähler scheinen seit einigen Jahren immer mehr im Trend zu liegen - sind sie in ihrer altklugen Art doch charmant und der naive Blick auf die Geschehnisse herrlich unverstellt. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit Melanie Sumners "Eine Therapie für Aristoteles", in dem die Hauptfigur durch ein selbst geschriebenes Buch ihre Geschichte erzählt. Der Stil ist dafür sehr erwachsen und daher teilweise durchaus ein wenig überzogen, nimmt durch die intelligente und unterhaltsame Stimme des jungen Mädchens aber dennoch mit.
Aris ist selbstverständlich, wie sich das für einen solchen Roman gehört, etwas sehr Besonderes: Reif für ihr Alter und schnell erwachsen geworden, weiß sie ziemlich genau, was sie will und was sie braucht: Einen neuen Vater und Ruhe, um sich endlich entfalten zu können. Das strebt sie mit ihrem eigenen Buch an, stiftet damit aber selbst wieder Chaos, was sie sehr sympathisch macht. Doch auch die anderen Figuren sind toll angelegt: Der arbeitslose und ein wenig scheue Penn, der die PMB (Positive männliche Bezugsperson) darstellt und den Aris mit ihrer Mutter verkuppeln will; Mutter Diane mit ihrer Überforderung und ihrer Aufmüpfigkeit gegenüber den Eltern, aber auch einer liebevollen Sorge um ihre Lieben; oder auch Dianes Student Charles, unaufdringlich religiös und in der Gefahr, zu Unrecht ins Gefängnis zu müssen. Am unterhaltsamsten sind aber wahrscheinlich die Großeltern mit ihrer skurrilen, komplett unterschiedlichen Art, die immer wieder für Lacher sorgen.
Keine Frage, das Werk lebt von dem Situationswitz und Aris' übertrieben klugen Aussagen und Gedankengängen. Dafür ist das Ganze aber ansonsten auch ziemlich ruhig. Das Familienleben ist chaotisch, aber ansonsten passiert nicht viel, was leider für die ein oder andere Länge sorgt. Und immer wieder eingeschobene Aufsätze oder Kurzgeschichten, die andere Figuren geschrieben haben, erscheinen manchmal wenig zielführend und wirken eher wie Lückenfüller. Zum Glück wird das aber durch teilweise sehr berührende Gespräche, einige Lebensweisheiten und wunderbar absurde Situationen oft wieder wett gemacht. Nur das Ende wirkt dann gehetzt: Wenig, für meinen Geschmack zu wenig, wird aufgelöst, sodass man als Leser ziemlich in der Luft hängen gelassen wird. Natürlich spielt das Leben nicht immer, wie man sich das wünscht, aber trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass der Schluss hier irgendwie noch mehr hätte sein können.
FAZIT:
"Eine Therapie für Aristoteles" besitzt durch die altkluge Erzählstimme einen eigenen Charme und überzeugt mit den vielen besondere Figuren, die man gern begleitet. Es geschieht allerdings auch nicht viel und teilweise übertreibt Melanie Sumner es ein wenig mit der Gewitztheit der doch sehr jungen Protagonistin. Insgesamt gibt es von mir dafür 3,5 Punkte, abgerundet auf 3.