Vox von Christina Dalcher, erschienen im S. Fischer Verlag am 15. August 2018.
Dr. Jean McClellan ist Wissenschaftlerin und forschte daran die Wernicke-Aphasie rückgängig zu machen. Jemand mit dieser Sprachstörung spricht als würde er eine Buchstabensuppe von sich geben. Dann kommt eine religiös geprägte Gruppierung an die Macht in den USA und beschneidet die Rechte der Frauen so weit, dass sich die USA vom Rest der Welt abschneidet. Fortan dürfen weibliche Menschen nur noch 100 Worte pro Tag sprechen. Dieses Kontingent wird von einem Wortzähler überwacht, der bei Überschreitung einen Stromschlag zu Strafe erteilt. Als der Bruder des Präsidenten an der Wernicke-Aphasie erkrankt zwingt man Jean und ihre Kollegen zurück an ihre Forschung zu gehen und hebt für die Frauen im Team für die Länge des Projekts die Beschränkung auf 100 Worte auf.
Der Autorin ist ein leicht zu lesender Apell an die Unpolitischen gelungen besser hin zu sehen was in der Welt geschieht und Anteil daran zu nehmen wohin die Politik steuert. Jean wohnt in einer WG mit einer feministischen, homosexuellen jungen Frau zusammen, die immer wieder auf Jean einredet, sich aktiv an dem Protest gegen den Wertewandel ein zu bringen. Jean ist unpolitisch und heiratet Patrick der eigentlich ein Langweiler ist aber mit dem das Leben so schön bequem vor sich hinplätschert. In Rückblenden erzählt uns die Autorin wie es zu den augenblicklichen Machtverhältnissen kommen konnte und wie sich die Gesellschaft dort hinbewegt hat. Steve, der älteste Sohn von Jean, lernte schon Jahre vor der Einführung der Wortzähler, dass Frauen die eine Meinung haben und diese auch vertreten, hysterisch sind. Dieses Phänomen brauchte die Autorin gar nicht zu erfinden. Das ist etwas was uns jeden Tag begegnet. Sobald jemand Frauenrechte einfordert gibt es duzende Männer und Frauen, die diese Personen als „hysterisch“ bezeichnen. Man hat in unserer Gesellschaft sogar das Gefühl, dass die Medien gezielt Falschinformationen veröffentlichen wo dann z.B. die Prozentzahl der Ungleichbezahlung zu Diskussionen führt, nicht jedoch die Tatsache, dass Frauen noch immer schlechter bezahlt werden, wenn sie den absolut gleichen Job wie ein Mann ausführen.
Zum Beginn der Geschichte fand ich dieses Verstummen der Frauen überzogen, aber wenn man bedenkt wie bei dem Roman „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq gar nicht erst die neue Rolle der Frau angezweifelt wurde, auch nicht bei denen, die den Roman gelesen haben ist die kulturelle Bereitschaft Frauen Rechte ein zu räumen auch heute noch gering, in manchen Gesellschaftsgruppen nicht mal vorhanden. Im Laufe von Vox wird man sensibler dafür darüber nach zu denken, wie es eigentlich mit Frauenrechten und Gesetzen um diese ein zu schränken bestellt ist. Ist schon seltsam, dass wir im 21. Jahrhundert einen Gesundheitsminister haben, der einführen möchte, dass die HIV-Vorsorge für Risikogruppen künftig auf Kosten der Krankenkassen gehen, Schwangerschaftsverhütung und Abtreibung aber von den Patienten selbst getragen werden müssen.
Eigentlich ist schon auf der ersten Seite des Romans klar wohin die Reise gehen wird, aber es ist der Autorin sehr eindringlich gelungen die Stationen eines politischen Umbruchs zu erläutern ohne dass man sich langweilt. Die Protagonistin ist eine Frau die ich nicht durchgehend sympathisch fand, deren Beweggründe ich aber versanden und akzeptiert habe. Für mich ist es ein Buch gewesen, welches ich nicht gerne aus der Hand legen wollte und ich hoffe, dass die Autorin noch weitere Bücher schreiben wird.