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Veröffentlicht am 11.02.2019

12 fesselnde Kurzgeschichten rund um die Herausforderungen zwischenmenschlicher Beziehungen

Cat Person
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Die Titelgeschichte "Cat Person" habe auch ich mit Begeisterung gelesen, als sie auf der Website des New Yorker erschien. In dieser Kurzgeschichten-Sammlung ist sie für mich immer noch der Höhepunkt. Kristen ...

Die Titelgeschichte "Cat Person" habe auch ich mit Begeisterung gelesen, als sie auf der Website des New Yorker erschien. In dieser Kurzgeschichten-Sammlung ist sie für mich immer noch der Höhepunkt. Kristen Roupenian fasst hier einige der Herausforderungen des modernen Datings äußerst treffend zusammen: In der Geschichte um Margot und Robert, die ein gemeinsames Date auf ganz unterschiedliche Weise erleben, drückt sie Unsicherheiten, die unbegründeten Annahmen, die man über gerade kennengelernte Menschen trifft, und Ängste sehr lebensnah und nachvollziehbar aus.

Weitere Storys gehen ähnlich wie die Titelgeschichte kritisch mit der Dynamik zwischen den Geschlechtern um. "Look at Your Game, Girl" erzählt beispielsweise auf wirklich gruslige, aber nachvollziehbare Weise, wie sich ein älterer Mann an eine Jugendliche heranmacht und mit welchen inneren Gefühlen sie dabei kämpft. In "Ein netter Typ" beschreibt Roupenian hingegen den klassischen selbsternannten "nice guy", der alles andere als nett ist, sondern sich selbst in eine Opferrolle drängt und damit sein schlechtes Verhalten sich selbst gegenüber rechtfertigt. Diese Persönlichkeitstypen beschreibt die Autorin unglaublich genau und lebensecht.

Einige der weiteren Kurzgeschichten dieser Sammlung sind für mein Empfinden zum Teil etwas abgehobener. Da geht es unter anderem um eine Frau mit Beißfetisch und es gibt eine Allegorie über eine extrem selbstverliebte Prinzessin, die im Märchen-Stil verfasst wurde.

Alle Erzählungen drehen sich im weitesten Sinne um zwischenmenschliche Beziehungen und ihre besonderen Herausforderungen. Dieses Thema beleuchtet die Autorin auf unglaublich vielfältige und tiefsinnige Weise. Manchmal konnte ich die Gedankengänge und Handlungen der Protagonisten nachvollziehen, manchmal nicht. Zum Nachdenken angeregt hat das Buch aber allemal. Ein kurzweiliges, aber sehr intensives Leseerlebnis!

Veröffentlicht am 16.01.2019

Wenig Handlung, viel Gefühl

Der Wald
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Fasziniert hat mich an diesem Roman vor allem der Stil. Besonders der kleine Pawel, dessen Gedanken ziemlich authentisch wirken, hat eine lebendige Fantasie. Er fühlt alles Erlebte äußerst intensiv, was ...

Fasziniert hat mich an diesem Roman vor allem der Stil. Besonders der kleine Pawel, dessen Gedanken ziemlich authentisch wirken, hat eine lebendige Fantasie. Er fühlt alles Erlebte äußerst intensiv, was sich hervorragend in der poetischen Sprache widerspiegelt. Hier hat die Autorin wirklich Schönes geschrieben.

Die Geschichte gliedert sich in drei ziemlich unterschiedliche Phasen:
Zunächst erzählt die Autorin von dem Leben von Pawels Familie in Polen während des Zweiten Weltkriegs. Die Angst des Jungen, der Verlust der Angestellten, die ständig ins Haus eindringenden Kriegsgeräusche oder die Nahrungsmittelknappheit: Das wirkt oftmals eindringlich und äußerst packend. Viele Details lassen die Szenen lebendig werden. Gleichzeitig hätte dieser Teil von mir aus ruhig etwas gekürzt werden können. Die Handlung bewegt sich nur schleppend vorwärts, da vor allem Pawel das Haus natürlich selten verlassen darf. So lässt sich für den Jungen (und damit auch für den Leser) nur erahnen, was draußen gerade passiert.

Im zweiten Teil haben sich Pawel und seine Mutter Zofia vor den Nazis in einer Scheune im Wald versteckt. Sie bestechen die Besitzerin Baba, um hier mehr schlecht als recht versteckt leben zu können. Der Abstieg von der wohlsituierten Familie mit Angestellten zu einem Leben mit dem absolut Nötigsten beeinflusst auch die Mutter-Sohn-Beziehung sehr. Einerseits sind sich beide durch das fehlende Kindermädchen näher. Gleichzeitig weiß gerade die Mutter oft nicht richtig mit der Nähe umzugehen. Pawel wendet sich daher verstärkt Baba zu, die ihm vom Farbenmischen bis zum Gemüseanbau viel beibringt.

Im dritten Teil begegnen wir nun dem erwachsenen Pawel, der sich in seiner neuen Heimat England Paul nennt. Hierher ist er mit seiner Mutter geflohen. Durch den riesigen Zeitsprung wirkt der letzte Teil beinahe wie ein neues Buch. Nach und nach wird jedoch klar, wie die Kriegserlebnisse die beiden Protagonisten auch Jahrzehnte später noch beeinflussen. Vor allem Babas Einfluss merkt man Pauls Lebensgeschichte an.

Da die Handlung eher dünn ist, spielt sich vieles in den Köpfen der Charaktere ab. Die Autorin gibt vor allem Pawel/Paul ein reiches Innenleben. Manchmal hätte ich mir trotzdem ein bisschen mehr Handlung gewünscht, aber im Großen und Ganzen hat mich der Roman sehr bewegt.

Veröffentlicht am 26.12.2018

Gefühlvoll geschrieben und gut recherchiert

Im Traum höre ich dich spielen
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Richard genießt eine internationale Karriere als Pianist, bis er an ALS erkrankt und nicht mehr spielen kann. Seine Ex-Frau Karina übernimmt trotz der Scheidung die Pflege. Keine leichte Situation für ...

Richard genießt eine internationale Karriere als Pianist, bis er an ALS erkrankt und nicht mehr spielen kann. Seine Ex-Frau Karina übernimmt trotz der Scheidung die Pflege. Keine leichte Situation für beide.

Die Stärke des Romans liegt eindeutig in den detailreichen Beschreibungen der Krankheit und deren Auswirkungen auf den Betroffenen und die Menschen in seinem Umfeld. Hier hat Lisa Genovesa intensiv recherchiert und die Fakten zu ALS und dem Krankheitsverlauf geschickt in die Handlung eingewoben. Ich finde es wichtig, dass die Autorin nichts beschönigt. Allerdings verlangsamen die teils seitenlangen Beschreibungen die Handlung für meinen Geschmack manchmal zu stark.

Neben dem Fortschreiten der Krankheit und den daraus resultierenden Ereignissen gibt es immer wieder Rückblenden, in denen die Autorin nicht nur den Verlauf der Beziehung, sondern auch die individuellen musikalischen Biografien der beiden Partner gefühlvoll beleuchtet. So entsteht im Laufe des Buches ein plastisches Bild von Richard und Karina.

Veröffentlicht am 24.10.2018

Klappentext nimmt fast die ganze Handlung vorweg

Verrat
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Der Verlag hat seinem Autor überhaupt keinen Gefallen getan: Auf der Innenseite des Buchumschlags von „Verrat“ wird fast die komplette Handlung nacherzählt. Das vernichtet leider einen Großteil der Spannung. ...

Der Verlag hat seinem Autor überhaupt keinen Gefallen getan: Auf der Innenseite des Buchumschlags von „Verrat“ wird fast die komplette Handlung nacherzählt. Das vernichtet leider einen Großteil der Spannung. Dabei ist die Geschichte rund um den IRA-Soldaten Francis gerade jetzt wichtig, wo die Brexit-Verhandlungen vieles aus der Zeit der Troubles und des Good-Friday-Abkommens wieder aufwirbeln. Und wer schon mal in Nordirland war, merkt gerade in Städten wie Belfast und Derry sofort, dass die Folgen des Nordirlandkonflikts bis heute spürbar sind und die Probleme keinesfalls komplett der Vergangenheit angehören. Nicholas Searle greift in seinem Thriller viele interessante moralische und zwischenmenschliche Aspekte dieser Zeit auf, ohne sich eindeutig auf eine Seite zu stellen. Dadurch schafft er eine eigentlich fesselnde Geschichte mit komplexen Figuren.

Der Klappentext endet damit, dass Francis aus der Haft entlassen wird und sich an seinem Verräter, den er nicht kennt, rächen will. Ich habe erwartet, dass der Großteil des Buches danach spielt. Aber weit gefehlt. Francis wird auf Seite 297 entlassen – das Buch hat aber nur 342 Seiten. Die wichtigsten Wendepunkte (was passiert mit Francis‘ Bruder Liam, verrät Bridget ihren Mann etc.) werden alle auf dem Umschlag vorweggenommen. Das empfand ich als extrem frustrierend. Der Autor beschreibt beispielsweise höchst intelligent, wie die britische Spionin Sarah schrittweise das Vertrauen von Francis‘ Ehefrau Bridget gewinnt und sie für ihre Seite anwirbt. Da der Klappentext aber direkt bekannt gibt, dass Bridget zur Verräterin wird, baut dieser wichtige Handlungsstrang null Spannung auf. Dabei liest es sich faszinierend, wie aus der lebenshungrigen jungen Bridget eine resignierte Hausfrau wird, die sich zunächst alles von ihrem Mann gefallen lässt und sich plötzlich gegen ihn stellt.

Natürlich kann der Autor nichts dafür – aber mein Lesevergnügen hat das trotzdem stark eingeschränkt. Wirklich schade. Wer „Verrat“ genießen möchte, sollte nur den Klappentext auf der Buchrückseite lesen, aber nicht die lange Zusammenfassung im Inneren des Umschlags. Dann sollte ein spannendes Leseerlebnis möglich sein.

Veröffentlicht am 09.09.2018

Feministische Heldin

Manhattan Beach
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Mit Anna, die während des Zweiten Weltkriegs in NYC als Taucherin arbeitet, hat Jennifer Egan eine äußerst spannende Protagonistin geschaffen. In einer patriarchisch-sexistischen Welt setzt sie sich mit ...

Mit Anna, die während des Zweiten Weltkriegs in NYC als Taucherin arbeitet, hat Jennifer Egan eine äußerst spannende Protagonistin geschaffen. In einer patriarchisch-sexistischen Welt setzt sie sich mit Entschlossenheit, Hartnäckigkeit und stiller Stärke durch, ohne dabei je übertrieben oder aggressiv zu agieren. Um ihren Traum vom Tauchen zu erfüllen, muss sie ein Vielfaches mehr leisten, als ihre männlichen Kollegen. Selbst als sie besser als alle anderen ist, muss sie weiter für ihre Position kämpfen – das sind alle Themen, die bis heute noch aktuell sind. Gleichzeitig balanciert sie ihr schwieriges Privatleben, denn der Vater hat die Familie verlassen. Anna kümmert sich liebevoll um ihre behinderte Schwester und hilft nach Feierabend ihrer Mutter bei deren Arbeit als Näherin. Dabei sucht sie in ihrer knappen Freizeit Anschluss an andere und stolpert dabei in einige unvorteilhafte Bekanntschaften hinein. Anna ist eine komplexe Protagonistin, deren Geschichte mich gefesselt hat.

Der Klappentext suggeriert, dass Anna im Mittelpunkt des Romans steht, doch eigentlich gibt es drei Protagonisten. Neben Anna sind auch ihr Vater Eddie sowie der Clubbesitzer und Gangster Dexter Styles Protagonisten in „Manhattan Beach“. Die Wege der Drei kreuzen sich immer wieder auf interessante Weise.

Man merkt, dass die Autorin für diesen Roman intensiv über das Tauchen und die Marine in den 1930er und 1940er Jahren recherchiert hat. Ihre Beschreibungen sind plastisch und lebendig – beim Lesen kann man den schweren Tauchanzug oder den starken Wellengang förmlich spüren. Die Weltkriegsjahre in den USA lässt Egan vor dem inneren Auge authentisch auferstehen. Auch wenn ihr Wissen beeindruckt, empfand ich die Szenen von Eddies Alltag an Bord eines Schiffes als am wenigsten interessant. Die Geschichte rund um Anna macht dies jedoch wett.