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Veröffentlicht am 18.10.2018

Ein kleines Meisterwerk

Adressat unbekannt
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Den Juden Max Eisenstein und den Deutschen Martin Schulse verbindet innige Freundschaft. Die beiden Männer sind auch Geschäftspartner: Zusammen leiten sie eine Kunstgalerie in San Francisco. Doch im Jahr ...

Den Juden Max Eisenstein und den Deutschen Martin Schulse verbindet innige Freundschaft. Die beiden Männer sind auch Geschäftspartner: Zusammen leiten sie eine Kunstgalerie in San Francisco. Doch im Jahr 1932 kommt es zur Trennung: Martin kehrt mit seiner Frau und Kindern nach Deutschland zurück, Max bleibt in Amerika und kümmert sich weiter mit Erfolg um gemeinsame Geschäfte. Die Freunde schreiben sich zuerst gefühlvolle Briefe, die von der Zuneigung und Sehnsucht geprägt sind. Schon bald schleicht sich aber ein anderer Ton in ihre Korrespondenz ein. Max ist entsetzt und zutiefst verunsichert, als er von den beunruhigenden Ereignissen in Deutschland hört, wo gerade Nationalsozialisten an die Macht kommen. Martin äußert zwar zunächst Bedenken, fragt sich, ob Hitler „richtig im Kopf ist“ und bezeichnet seine Verfechter als Pöbel, doch dann wird er nach und nach selbst zum glühenden Anhänger der neuen Regierung. Er distanziert sich auch zunehmend von seinem jüdischen Freund und hält schließlich einen weiteren Umgang mit ihm für unangebracht, ja gefährlich. Die Lage spitzt sich zu, als Max Martin um Hilfe für seine Schwester bittet, mit der der Letztere früher eine Beziehung hatte...

Der fiktive Briefwechsel stammt von Kathrine Kressmann Taylor, einer amerikanischen Werbetexterin und wurde bereits 1938 in der New Yorker Zeitschrift "Story Magazine" veröffentlicht. Das Werk sorgte sofort für großes Aufsehen. Heute kennen es aber offenbar nur wenige – zu unrecht, finde ich. Der Autorin gelingt es hier Erstaunliches: Auf nur wenigen Seiten Text berichtet sie mit ungeheurer Intensität von dramatischen Ereignissen in Deutschland zu Beginn der Hitler-Diktatur, erzeugt wirkungsvoll die bedrohliche Stimmung, die im Land herrscht und vermag es sehr deutlich aufzuzeigen, wie gefährlich die Ideologie des Nationalsozialismus ist. Der Protagonist Martin Schulse ist ein Beispiel dafür, was passiert, wenn man sich von ihr leiten lässt: Er wird kaltherzig, überheblich und verrät seine früheren Ideale, selbst die ihm einst so wichtige Freundschaft zu Max tritt er mit den Füßen. Er verliert nach und nach seine Menschlichkeit und seine Würde. Man kann nicht anders als ihn zu verurteilen und zu verachten. Und Max? Er reagiert auf eine ganz spezielle, den Leser verblüffende Art auf den Verrat. Seine Antwort ist ein kleiner Geniestreich und auch wenn sie in moralischer Hinsicht nicht lobenswert ist, so verschafft sie vermutlich den meisten Lesern eine gewisse Genugtuung...

Fazit: Ein kleines Meisterwerk mit einer wichtigen Botschaft und einem frappierendem Ende, absolut lesenswert!

Veröffentlicht am 10.10.2018

Unsere hochmoderne Welt: Schrecklich schön oder ganz schön erschreckend?

NSA - Nationales Sicherheits-Amt
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Wir schreiben das Jahr 1942. Deutschland befindet sich in einem Krieg, den es selbst angezettelt hat. Die Lage spitzt sich zu, denn die Nachrichten von der Ostfront sind alles andere als erfreulich. In ...

Wir schreiben das Jahr 1942. Deutschland befindet sich in einem Krieg, den es selbst angezettelt hat. Die Lage spitzt sich zu, denn die Nachrichten von der Ostfront sind alles andere als erfreulich. In Weimar versuchen Mitarbeiter des mit moderner Technik ausgestatteten Nationalen Sicherheitsamtes ihre Arbeitsplätze zu sichern bzw. dem Dienst an der Front zu entgehen, indem sie die außerordentlich wichtige Rolle des NSA für das Dritte Reich unter Beweis stellen. Mit Hilfe von Computern und speziell dafür geschriebenen Programmen sind sie in der Lage, das deutsche Volk zu überwachen, Gegner des Nazi-Regimes aufzuspüren und sogar internationale Spionage zu betreiben. Als es der jungen Programmiererin Helene bewusst wird, welche Konsequenzen ihre Arbeit in der Praxis hat, bekommt sie Zweifel, ob sie das Richtige tut. Damit ist sie nicht alleine. Doch ist es noch möglich, das ausgeklügelte System zu überlisten und dem Wahnsinn ein Ende zu setzen?

In seinem neuesten Roman „NSA – Nationales Sicherheits-Amt“ nimmt uns Andreas Eschbach auf eine Reise in die deutsche Vergangenheit. In einer faszinierenden Mischung aus geschichtlichen Fakten und Phantasie schildert der Autor bewegende Schicksale seiner Protagonisten vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse in Deutschland und in Europa der 30er und 40er Jahre. Fassungslos verfolgt der Leser, wie das totalitäre Regime immer mehr an Macht gewinnt, um irgendwann Alles und Jeden unter Kontrolle zu haben. Das Verblüffende dabei: Hitlers Erfolg wird maßgeblich durch den Einsatz moderner Technik unserer Zeit ermöglicht. Diese gewagte Idee, Nazis mit Computern auszustatten und ihnen Zugang zu persönlichen Daten der Bürger zu gewähren, setzt der Autor konsequent und sehr überzeugend um. Ähnlich wie er das bereits in seinem Bestseller „Das Jesus Video“ erfolgreich getan hat – ich sage nur: eine Videokamera in einem uralten Grab - so schafft es Eschbach auch hier, den Leser so mit seiner Geschichte zu fesseln, dass dieser schnell vergisst, wie absurd der Gedanke eigentlich ist. Statt dessen taucht er in die Handlung ein und fiebert mit. Sehr hilfreich dabei ist die lebendige Schilderung der handelnden Personen, besonders von Helene und ihrem Arbeitskollegen Eugen. Es sind interessante, komplexe Charaktere, die man sich gut vorstellen und in die man sich zuweilen auch einfühlen kann. Sie lassen den Leser nicht unbeteiligt, vielmehr lösen sie bei ihm die unterschiedlichsten Emotionen aus – die Palette reicht von Bewunderung bis Abscheu. Der flüssige, abwechslungsreiche Schreibstil, überraschende Wendungen und die kontinuierlich steigende Spannung tragen dazu bei, dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann, auch wenn einem bei der Lektüre fast durchgehend der Schreck im Nacken sitzt. Das Beunruhigende: Dieser Schreck lässt nach der letzten Seite nicht wirklich nach. Denn mit Beklemmung wird es dem Leser immer wieder bewusst, dass das grauenhafte Szenario keineswegs nur Fiktion ist. Vieles davon, was der Autor mit der Kraft seiner Phantasie in der Zeit des Nazi-Diktatur geschehen lässt – die Abschaffung des Bargelds, Manipulierung und Überwachung durch Medien, internationale Spionage im Netz, von der zunehmenden Transparenz jedes Einzelnen ganz zu schweigen - ist bereits heute Realität. Es reicht ein Blick nach China, wo gegenwärtig die permanente Überwachung der Gesellschaft erprobt wird. Und dies ist mit großer Wahrscheinlichkeit nur der Gipfel des Eisberges. Droht uns allen am Ende digitaler Totalitarismus? Man fragt sich, was sich die Menschheit da einbrockt und wie das Ganze enden wird...

Mit seinem neuesten Roman beweist Eschbach erneut, dass er nicht nur gut unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anregen kann – in diesem Fall zum Nachdenken über den Segen und den Fluch unserer modernen Technik, die uns einerseits nützliche Dienste leistet, uns aber andererseits nach und nach abhängig und zu Marionetten macht – Marionetten in Händen derer, die unser Verhalten steuern wollen, unsere Privatsphäre nicht achten und zuweilen unsere Naivität auf die böseste Art ausnutzen. „NSA“ zeigt so deutlich auf, was passieren kann, wenn die moderne Technologie in die falschen Hände gerät, dass man bei der Lektüre eine Gänsehaut bekommt. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Menschen wachgerüttelt und zumindest zu einem vorsichtigeren Umgang mit ihren Privatdaten bewegt werden – das wäre schon mal ein Anfang!

Fazit: Ein hochspannender Thriller, der mit seinem brisanten Thema perfekt den Nerv unserer Zeit trifft. Unbedingt lesen!



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Veröffentlicht am 14.09.2018

Das Grauen wohnt nebenan

Mitten in der Stadt
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Es ist nach "Trümmerkind", das mich restlos begeistert hat, mein zweiter Roman von Mechtild Borrmann und ich muss gestehen, dass ich erneut sehr beeindruckt bin.

Das Cover - eine einsame Bank in einem ...

Es ist nach "Trümmerkind", das mich restlos begeistert hat, mein zweiter Roman von Mechtild Borrmann und ich muss gestehen, dass ich erneut sehr beeindruckt bin.

Das Cover - eine einsame Bank in einem menschenleeren Park - sieht auf den ersten Blick nicht besonders nach Spannung aus. Auch das Ereignis, das die Handlung einleitet - ein Einbruch bei einem Juwelierladen - ist verglichen mit den meisten Krimis und Thrillers, die auf dem Markt sind, nicht besonders spektakulär. Und doch ist die Story, die uns die Autorin hier erzählt, fesselnd und von einer seltenen Intensität. Abwechselnd schildert sie die Versuche der Polizei, den Fall zu lösen und die Geschichte eines italienischen Restaurantbesitzers, der zufällig Zeuge des Überfalls wurde und dessen Leben von da an aus den Fugen gerät. Der dritte Handlungsstrang handelt von der Frau eines Alkoholikers und Verbrechers, der an dem Raub beteiligt war. Besonders ihr trauriges und bewegendes Schicksal ist eine exzellente psychologische Studie; Mechtild Borrmann schildert die Personen - allen voran die Gestalt von Martina Koller - und ihre Handlungen so plastisch und realistisch, dass man sie quasi vor Augen hat, sich mit ihnen identifizieren und – in dem Fall – leiden muss. Dabei bleibt ihr Schreibstil ruhig, schlicht und lapidar. Man findet keine überflüssigen Beschreibungen oder Kommentare, kaum kräftige Ausdrücke. Vieles bleibt ungesagt, zwischen den Zeilen und wirkt dadurch umso stärker. Die Autorin ist für mich eine absolute Meisterin der leisen Töne, die aber einen aufmerksamen Leser berühren und erschüttern. Denn es ist nicht eine fremde, exotische Welt, in der sich ihre Geschichten zutragen – es könnte auch um die Ecke passiert sein. Und die handelnden Personen sind Leute von nebenan – zum Beispiel eine stille Frau und Mutter, die man vielleicht auf der Straße kaum wahrnimmt, die aber ein schreckliches Geheimnis mit sich herumträgt... Genau das macht das Buch so besonders – man kann nach der Lektüre nicht einfach ausatmen und sagen: „Gott sei dank alles nur Fiktion“, wie man das nach dem Anschauen eines Holywood - Streifens macht; nein, es rüttelt uns wach, denn solche Geschichten passieren wirklich und manchmal könnten wir vielleicht durch mehr Interesse für unsere Mitmenschen und mehr Sensibilität dazu beitragen, dass sie nicht in Katastrophe enden...

Mein Fazit: Ein sehr interessantes, bewegendes und toll geschriebenes Buch, sehr zu empfehlen!

Veröffentlicht am 21.08.2018

ein wichtiges Stück deutscher Zeitgeschichte, fesselnd und bewegend erzählt

Trümmerkind
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Wir schreiben da Jahr 1947. Wie viele deutsche Städte liegt auch Hamburg in Schutt und Asche. Die Einwohner leiden unter Kälte und Hunger. Auf der Suche nach Gegenständen, die er auf dem Schwarzmarkt tauschen ...

Wir schreiben da Jahr 1947. Wie viele deutsche Städte liegt auch Hamburg in Schutt und Asche. Die Einwohner leiden unter Kälte und Hunger. Auf der Suche nach Gegenständen, die er auf dem Schwarzmarkt tauschen kann, findet der 14-jährige Hanno Dietz in den Ruinen die erfrorene Leiche einer fremden Frau. In der Nähe der Toten steht ein kleiner Junge. Hannos Schwester Wiebke besteht darauf, ihn mitzunehmen. Der Kleine wird von Agnes Dietz, der Mutter der beiden, liebevoll aufgenommen und großgezogen. Es vergehen viele Jahre bis er durch Zufall – oder doch eher eine Schicksalsfügung?- seine eigene Identität zu klären vermag. Parallel kommt ein erschütterndes Verbrechen ans Licht, das damals, 1947, in Hamburg begangen wurde...

Was für ein Buch! Es ist mein erster Roman von Mechtild Borrmann und ich muss gestehen, dass er mich ziemlich umgehauen hat. In schlichter Sprache und doch mit unglaublicher Intensität schildert die Autorin die harte Wirklichkeit der Nachkriegsjahre und vor diesem Hintergrund eine bewegende Familiengeschichte, die mir als Leserin so richtig unter die Haut ging. Sie erschafft lebendige Charaktere, die einen nicht kalt lassen. Manche muss man einfach verachten , andere, wie Agnes Dietz oder Clara, bewundert man und schließt sie so richtig ins Herz. Man fühlt und leidet mit ihnen und man möchte fast weinen angesichts der menschlichen Grausamkeit und Ungerechtigkeit, die ihnen begegnen.

Sehr gelungen finde ich die Konstruktion des Romans: Durch den Einsatz von mehreren Handlungssträngen und verschiedenen Zeitebenen wird die Vergangenheit Stück für Stück aufgerollt und die Spannung nach und nach erhöht, bis sich alle Puzzleteile der Geschichte zusammenfügen.

Fazit: Ein toll geschriebenes, spannendes und berührendes Buch und ein wichtiges Stück deutscher Geschichte obendrauf – kann ich nur empfehlen!

Veröffentlicht am 16.08.2018

Die schönste Liebesgeschichte seit der „Titanic“!

Ein ganzes halbes Jahr
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Will Traynor hatte mal alles: gutes Aussehen, einen gesunden, sportlichen Körper, schöne Freundin, einen lukrativen Job, glänzende Zukunftsaussichten und Geld, viel Geld. Dies hat er zwar immer noch, aber ...

Will Traynor hatte mal alles: gutes Aussehen, einen gesunden, sportlichen Körper, schöne Freundin, einen lukrativen Job, glänzende Zukunftsaussichten und Geld, viel Geld. Dies hat er zwar immer noch, aber seit seinem Motorradunfall sitzt er körperlich schwerstbehindert im Rollstuhl und hat vor, seinem Leben ein Ende zu setzen.
Louisa Clark ist 26, wohnt bei ihrer von Geldsorgen geplagten Familie, hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, hat einen etwas eigenwilligen Kleiderstil und einen Freund, der nicht wirklich zu ihr passt. Als sie sich eines Tages auf die Annonce der Mutter von Will meldet und dessen Gesellschaftsdame wird, begegnen sich diese zwei so unterschiedlichen Menschen, was deren beiden Leben verändern wird. Denn nach anfänglichen Schwierigkeiten entwickelt sich zwischen ihnen eine ganz besondere Beziehung, die weit über das Angestelltenverhältnis hinausgeht. Mit ihrer fröhlichen Unbeschwertheit, ihrem Mut und ihren unkonventionellen Ideen bringt Louisa wieder Licht und Lachen in Wills Welt, während er ihr Potenzial erkennt und sie dazu bringt, ihren geistigen Horizont zu erweitern. Die beiden verlieben sich ineinander, doch ihre Liebe scheint aussichtslos zu sein. Wills Entschluss, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, steht fest. Louisa bleiben nur sechs Monate, um ihn umzustimmen...

Jojo Moyes gelang mit „Ein ganzes halbes Jahr“ eine wunderbare Geschichte über die Kraft der Liebe. Eine Geschichte zum Weinen und zum Lachen, traurig und doch stellenweise von einer erfrischenden Heiterkeit, tragisch und doch lebensbejahend. Man kann gar nicht anders als die beiden Protagonisten ins Herz zu schließen, mit ihnen zu hoffen und zu bangen... Was kann ich noch sagen außer: Bitte unbedingt lesen!!!