Cover-Bild Nach einer wahren Geschichte
23,00
inkl. MwSt
  • Verlag: DuMont Buchverlag
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 350
  • Ersterscheinung: 24.08.2016
  • ISBN: 9783832198305
Delphine Vigan

Nach einer wahren Geschichte

Roman
Doris Heinemann (Übersetzer)

Ein raffiniertes literarisches Spiel mit Fiktion, Wirklichkeit und Identität

Zwei Frauen lernen sich auf einer Party kennen. Die zurückhaltende Delphine, die sich mit fremden Menschen meist sehr schwer tut, ist sofort fasziniert von der klugen und eleganten L., die als Ghostwriter arbeitet. Aus gelegentlichen
Treffen werden regelmäßige, man erzählt einander das eigene Leben, spricht über Familie und Freunde, vor allem über Freundinnen. Und natürlich über Bücher und Filme, die man liebt und bewundert. Delphine ist glücklich über die Gemeinsamkeiten und fühlt sich verstanden wie schon lange nicht mehr. Ganz entgegen ihrer Gewohnheit gibt sie in einem Gespräch über das Schreiben die Idee für ihr nächstes Buch preis. L. reagiert enttäuscht: Wie nur könne Delphine ihre Zeit auf eine erfundene Geschichte verschwenden? Eine Autorin ihres Formats müsse sich der Wahrheit verschreiben. Delphine ist entsetzt. L.s leidenschaftlich vorgetragene Forderung löst eine tiefe Verunsicherung in ihr aus. Bald kann sie weder Papier noch Stift in die Hand nehmen. L. scheint völlig unglücklich über das zu sein, was sie in der Freundin ausgelöst hat. Selbstlos übernimmt sie die Beantwortung von E-Mails, das Absagen von Lesungen und Interviews, das Vertrösten des Verlags, der auf einen neuen Roman wartet. Und all das in Delphines Namen. Keiner weiß davon, keiner kennt L., und so ist Delphine allein, als sie feststellt, dass L. ihr immer ähnlicher wird …
Das Hörbuch ist zeitgleich bei Random House Audio erschienen, gelesen von Martina Gedeck.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Phantombuch

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Delphine ist das geglückt, wovon jeder Schriftsteller träumen dürfte: Ihr letzter Roman wurde zu einem Bestseller und sie über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt. Nun tingelt sie zwischen Buchmessen, ...

Delphine ist das geglückt, wovon jeder Schriftsteller träumen dürfte: Ihr letzter Roman wurde zu einem Bestseller und sie über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt. Nun tingelt sie zwischen Buchmessen, Autorenlesungen und Signierstunden hin und her, und fürchtet sich schon jedes Mal vor der Frage nach dem "danach" - was wird sie danach schreiben? Sie ist der Meinung, dass ihr ein solch großer Wurf kein zweites Mal gelingen wird, kämpft mit ihren Selbstzweifeln und der neuen Prominenz.
In dieser schwierigen Gefühlslage lernt sie L. kennen. L. verdient ihr Geld ebenfalls mit dem Schreiben, sie ist jedoch Ghostwriterin und schreibt hauptsächlich Biografien berühmter Schauspieler, Models oder anderer Prominenter - sie hat sich der Wahrheit verschrieben. Die beiden freunden sich unglaublich schnell an, schon nach kurzer Zeit ist L. nicht mehr aus Delphines Leben wegzudenken. Obwohl sie so viele Gemeinsamkeiten haben, geraten sie über ein Thema immer wieder in Streit: Soll die Literatur der Wahrheit verpflichtet sein, oder darf sie sich auch der Fiktion hingeben? Mit ihrer radikalen Haltung zu diesem Thema erschüttert L. Delphine in ihren Grundfesten, und bald schon ist es für Delphine undenkbar zu schreiben, also unmöglich sich wieder an die Arbeit zu setzen, die Steuererklärung auszufüllen oder auch nur den Einkaufszettel zu notieren...

Mit dem Titel "Nach einer wahren Geschichte", einer Protagonistin mit dem Namen "Delphine" und dem immer wiederkehrenden Motiv über die Wahrheit in der Literatur, gelingt es Delphine de Vigan, dass die Überlegungen des Lesers ständig um die Frage kreisen, wie viel Wahrheit denn nun in diesem Roman steckt, oder ob er am Ende doch komplett fiktiv ist. Kann denn überhaupt ein Schriftsteller etwas verfassen und dabei seine Persönlichkeit, seine eigenen Erfahrungen, seine Sicht auf die Dinge außen vor lassen?

Der Roman ist in drei Abschnitte gegliedert, "Verführung", "Depression" und "Verrat".
Der erste Abschnitt machte es mir schwer, in die Geschichte hineinzufinden, er widmet sich dem Kennenlernen der beiden Frauen, es werden die ersten Treffen geschildert, ihre Gemeinsamkeiten, und wie schnell Delphine dadurch eine so innige Beziehung zu L. aufbaut. Man spricht viel über Filme, Bücher und Musik. Da ich selten französische Autoren lese, und mit französischen Filmen und Musik nur wenig anfangen kann, gab es für mich kaum Aha-Momente, die mich bei der Stange gehalten hätten. Lange Gespräche werden in indirekter Rede wiedergegeben, was das Lesen anstrengend machte. Dialoge in direkter Rede wirken lebendiger, fesselnder. Die indirekte Rede dagegen vermittelt das Gefühl als würde man einen Polizeibericht oder einen Zeitungsartikel lesen.
Im zweiten Abschnitt nimmt die Handlung an Tempo auf, und hier war ich endlich in der Geschichte angekommen.
Im dritten und letzten Teil kommt es tatsächlich zu einer Art Showdown, bevor dem Leser dann das "Ende" präsentiert wird.
Jeder neue Abschnitt wird mit einem Zitat aus einem Stephen-King-Buch eingeleitet, der erste und letzte mit einem aus "Sie", der mittlere mit einem aus "Stark - The Dark Half". Mir hat das sehr gut gefallen, als King-Fan kenne ich natürlich beide Bücher - in beiden ist der Protagonist ein bekannter Schriftsteller, wodurch die Zitate sich sehr gut in die Handlung einfügen, und jeweils auch einen Ausblick auf die kommenden Ereignisse liefern.

Obwohl ich auf den ersten hundert Seiten ein wenig gekämpft habe, hat sich das Durchhalten letztendlich doch gelohnt. "Nach einer wahren Geschichte" entwickelte sich zu einem sehr lesenswerten Roman, der mir nun schon seit ein paar Tagen nicht aus dem Kopf gehen will, der tatsächlich noch nachhallt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein geistreicher, lesenswerter Roman über die eigene Identität, ihre Fragilität, uvm.

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Im Wesentlichen ist es ein Stück, das von zwei Profi-Schreiberinnen Anfang-Mitte vierzig handelt, die sich ausgiebig zum Thema Schreiben und Literatur austauschen. Aber auch andere Kernthemen wie Freundschaft, ...

Im Wesentlichen ist es ein Stück, das von zwei Profi-Schreiberinnen Anfang-Mitte vierzig handelt, die sich ausgiebig zum Thema Schreiben und Literatur austauschen. Aber auch andere Kernthemen wie Freundschaft, Liebe, Familie, das Leben insg. werden recht tiefgründig wie geistreich ausdiskutiert.
Die eine, Delphine, hat es zum nennenswerten Erfolg geschafft und die andere, L. genannt, betätigt sich nach eigenen Angaben als Ghostwriterin. Die Kernfrage, zu der die Diskussionen immer wieder zurückkehren, ist, was die Leser wirklich wollen. Die Ghostwriterin vertritt vehement die Meinung, die Leser wollen das wahre Leben, Realismus, übersetzt in Literatur. Delphine sieht es anders: Fiktion ist der Weg zum Erfolg. Bloß der lässt sich nicht mehr für Delphine einstellen. Sie befindet sich in einer Schaffenskrise und schlittert immer weiter hinein, je mehr Zeit sie mit L. verbringt. Delphine ahnt nicht, was L. eigentlich vorhat und lässt sich von Ausführungen ihrer neuen Freundin mitreißen. L. spielt eine fürsorgliche Freundin, ist immer für Delphine da, hat stets ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Probleme. Als es schon zu spät ist und Delphine diese Freundschaft fast mit dem Leben bezahlt, fallen ihr Schuppen von Augen.
Die Frage der eigenen Identität ist in dieser Geschichte aktiv, anhand des eigenen Beispiels, „einer wahren Geschichte“, wie der Titel besagt, angegangen worden. Als erfolgreiche Schriftstellerin sieht sich Delphine gezwungen, sich immer neu erfinden zu müssen. In die Richtung, in die L. sie drängt, will sie aber nicht gehen, etwas Eigenes will ihr auch nicht recht gelingen, nicht zuletzt, weil L. sich dazwischen stellt und dafür sorgt, dass Delphine immer weiter in die krankhafte Schreibblockade abgleitet.
Auch das Thema der Einsamkeit in der modernen Großstadtgesellschaft schwingt aktiv mit. Paris ist voll von Menschen, Delphine ist aber einsam wie in der Wüste. Selbst ihrem Freund kann sich Delphine nicht anvertrauen und landet immer mehr in der Isolation.
Die Art der Stoffdarbietung ist etwas gewöhnungsbedürftig. Es ist, als ob die Autorin den Verlauf ihrer Krankheit vor Augen der Leser Schritt für Schritt freilegt. Sie blickt auf die Geschehnisse zurück und versucht dabei zu erklären, wie es dazu kommen konnte. Sie zeigt, wie arglos und einsam sie war, nennt aber auch die Punkte, die sie aufhorchen ließen, sie dazu brachten, Verdacht zu schöpfen. Diese vorausschauenden, auf den bekannten Ausgang der Geschichte gerichteten Kommentare nahmen leider Spannung weg, von der die Geschichte auch sonst nicht gerade strotzt.
Delphine war mir leider zu naiv. Ich konnte einfach nicht glauben, dass sich eine Frau mit Lebenserfahrung, eine gefeierte Schriftstellerin und sonst nicht auf den Kopf gefallen, so benehmen, bzw. hinters Licht führen lassen kann. Und je näher sich die Geschichte dem Schluss neigte, desto konstruierter und unglaubwürdiger kam sie mir vor: Drama auf Teufel komm raus. Ohne diese Naivität wäre diese Geschichte gar nicht möglich.
Auf der anderen Waageschale gibt es Vorzüge wie Fragestellungen zu akuten Themen des heutigen Lebens, leise Kritik der modernen Gesellschaft und eine Menge von geistreichen Sätzen. „.. ein Buch ist nichts anderes als eine Art radioaktiver, langsam zerfallender Stoff, der noch lange weiterstrahlt. Und letzten Endes werden wir immer als das betrachtet, was wir sind, menschliche Bomben mit erschreckender Zerstörungskraft, denn niemand weiß, wie wir das Material nutzen.“S. 90. „Was glaubst du, woraus Schriftsteller bestehen? … Ihr seid das Ergebnis von Scham, Schmerz, Geheimnis und Zusammenbruch. Ihr kommt aus namenlosen dunklen Gegenden oder habt sie zumindest durchquert. Überlebende, das seid ihr, jeder Einzelne und jeder auf seine Weise. Das gibt euch nicht alle Rechte. Aber glaub mir, es gibt euch das Recht zu schreiben, auch wenn es einen Aufruhr gibt.“ S. 151. „Ich bin dir nicht begegnet, ich habe dich erkannt.“ S. 278.
Es ist schon psychologisch fein, mir fehlte dennoch ein Quäntchen Raffinesse.
Die Länge der Kapitel ist sehr gut, passend ausgewählt. Es ist die Art von Stoff, der durchaus genug Zwischenraum braucht. Manchmal, nach drei-vier Seiten, ein Kapitelende zu sehen war schon eine Wohltat.
Fazit: Ein geistreicher, lesenswerter Roman, der gut unterhält und zum Nachdenken über die eigene Identität, ihre Fragilität, uvm. anregt. Interessant vor allem für Schreiberlinge und diejenigen, die es werden wollen, aber auch für passionierte LeserInnen, denn Delphine erzählt aus dem Nähkästchen, wie sich eine erfolgreiche Schriftstellerin nach einem Erfolg fühlt und wie ihre Arbeit und damit verbundenen Schwierigkeiten aussehen.

Veröffentlicht am 20.03.2017

Wahrheit oder Fiktion?

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Das neueste Buch „ Nach einer wahren Geschichte“ von Delphine de Vigan erschien im August 2016 im Dumont- Verlag und stand wochenlang auf der französischen Bestsellerliste.

Auf einer Party lernt Delphine ...

Das neueste Buch „ Nach einer wahren Geschichte“ von Delphine de Vigan erschien im August 2016 im Dumont- Verlag und stand wochenlang auf der französischen Bestsellerliste.

Auf einer Party lernt Delphine die geheimnisvolle L. kennen. Schnell freunden sich die zwei an und treffen sich regelmäßig. L. entwickelt sich zur besten Freundin von Delphine und nimmt so ein besonderen Platz in ihrem Leben ein. Insbesondere als Ihre Schreibblockade eintrat. Nach und nach raubt L. der Delphine gekonnt ihre Identität. Doch Delphine merkt es erst als es schon fast zu spät ist…

Der Klappentext und die Leseprobe des Buches sind interessant geschrieben und machen neugierig auf mehr. Während dem Lesen fragt man sich selbst des Öfteren was ist Wahrheit und was ist Fiktion? Die Autorin konnte dies geschickt verwirrend und teils undurchschaubar schreiben. Durch eine für mich vereinzelte „langatmige“ Schreibweise empfand ich den Roman teils sehr zäh und musste mich öfters durch die Seiten schieben oder 1-2 Seiten überspringen. Zum Ende hin ist die Spannung merklich gestiegen und überzeugte wieder.

Insgesamt ist dieses Buch sehr interessant aufgebaut und bietet verschiedene Facetten. Leider konnte es mich persönlich im Ganzen aber nicht überzeugen.

Veröffentlicht am 04.10.2016

„Am Boden des Zylinders ist nichts“

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„Nach einer wahren Geschichte“ hieß bei mir während der Lektüre (bis vor dem letzten Kapitel) „Delphine de Vigan“ – ein Freud'scher Fehler für das Buch aus Sicht einer Ich-Erzählerin, die sehr auf die ...

„Nach einer wahren Geschichte“ hieß bei mir während der Lektüre (bis vor dem letzten Kapitel) „Delphine de Vigan“ – ein Freud'scher Fehler für das Buch aus Sicht einer Ich-Erzählerin, die sehr auf die Autorin selbst anspielt. Sie berichtet von der großen Erschöpfung und Überforderung infolge der Veröffentlichung ihres vorangegangenen Romans (der wiederum eindeutig auf Vigans „Das Lächeln meiner Mutter“ anspielt), hervorgerufen insbesondere durch ihr Gefühl, von den Reaktionen der Öffentlichkeit darauf überrollt worden zu sein, davon, wie stark sich völlig Fremde identifizieren mit den geschilderten psychischen Problemen, allen Details nachspürten, sie auf ihren Realitätsgehalt nachprüften; sie fühlt sich wohl vereinnahmt.

Das Buch wirkte sehr „französisch“ auf mich, Lesern der Leserunde ging es ähnlich – ich kann das nicht wirklich genauer spezifizieren: Ist es die Tatsache, dass das Leben in Paris, mit den Gassen, den Bars quasi eine eigene Figur in der Handlung ist? Oder ist es dieser Stil wie auch in manchen französischen Filmen, bei denen man irgendwo einsteigt, sich nicht so ganz sicher ist, was genau die Handlung ist – aber es ist irgendwie sehr elegant und vor allem sehr eloquent – und genauso „irgendwo“ ist das Werk auch wieder vorbei. Ja, da ist durchaus ein süffisanter Unterton von mir enthalten und ja, auch ich bin wohl eher von US-Filmen oder der Überschaubarkeit der Handlungsfolge deutscher Filme geprägt. In den meisten Phasen (vom letzten Kapitel abgesehen) wirkte die „wahre Geschichte“ sehr selbstbezogen auf mich – das sollte vielleicht nicht überraschen bei einem (eventuell?) autobiographischen Werk, aber es macht für mich durchaus einen Unterschied aus, ob jemand wie Meyerhoff „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ über längere Zeiträume und verschiedene Personen schreibt – oder wie hier oft gefühlt auf der Stelle verharrt (ja, bis auf das letzte Kapitel). "Aber jedes Schreiben über sich selbst ist ein Roman. Der Bericht ist Illusion. Kein Buch dürfte diese Bezeichnung tragen." S. 76. Selbst Jan-Philipp Reemtsma schreibt in dem Bericht über seine eigene Entführung „Im Keller“ nach meinem Empfinden weniger über sich. Das Buch liest sich leicht, angenehm – aber ich brauchte mehrere Anläufe ob des „Kreisens um sich selbst“. Phasenweise wurde mir dabei langweilig, auch wenn viele Sätze im Buch „hübsch“ zu lesen sind: „Wenn du nicht die kleine Verrücktheit an jemandem erkennst, kannst du ihn nicht lieben. Wenn du seinen Funken Wahnsinn nicht erkennst, verpasst du den Menschen. Der Funke Wahnsinn in ihm ist die Quelle seines Charmes.“ S. 128

Abwechslung brachten Gedanken zu Parallelen in Buch und Film: Ist „L.“ nur imaginär wie bei „A beautiful Mind“ oder „Fight Club“ – ist sie eine Gestörte, die das Leben von Delphine übernehmen will wie in „Jung, weiblich, ledig sucht…“? Ich musste beim Lesen recht früh an einen Val McDermid Thriller namens „The Vanishing Point“ (deutsch: „Der Verrat“ – KEIN Tony Hill/Carol Jordan – Fall, sondern eigenständig) denken – es erschien mir im Anfang so, als sei „L.“ praktisch die Stephanie im Thriller, eine Ghostwriterin, die aber immer mehr ins Leben einer „Klientin“ gezogen wird, praktisch der umgekehrte Ansatz. Damit hat die Autorin wohl erreicht, was sie wollte, da sie mich in das Verzerrspiel hineingezogen hat, ob L. existiert, das alter ego ist, eine vielleicht gefährliche Fremde, die gespaltene Persönlichkeit – ob L. = elle, also „sie“ zu lesen ist. Ja, alle Gedanken kamen. Im Anfang. Im zähen Mittelteil interessierte es mich nicht mehr, ich wollte das Buch nur hinter mich bringen.

Interviews mit der Autorin deuten folgendes an: de Vigan war verstört davon, wie sehr Leser bei dem Buch über ihre Mutter die Authentizität jedes Satzes überprüften. „Nach einer wahren Geschichte“ sei die Antwort darauf, ein Spiel um Wahr und Falsch, Fiktion und Realität, Roman und Autobiographie. Aha. Ehrlich gesagt - das ist wie bei Menschen, die jedes Detail ihres Lebens ins Internet stellen und dann über Reaktionen erstaunt zu sein. Das ist nett als intellektuelles Gedankenspiel, hübsch anzusehen und mir zu viel, zu selbstbezogen. Ich lese Thriller, ohne mich zu fragen, wie der Autor auf so kranke Gedanken kommt – immerhin lese ich so kranke Gedanken ja selbst. Wenn bei einem Autor immer gerettete Tiere vorkommen, glaube ich, dass ihn das interessiert – oder aufregt, aber das ist mehr eine Randnotiz. Ich würde den Autor Scheibe gerne fragen, warum jemand bei „Kollisionen“ Asche isst – weil ich das nicht zuordnen kann; ob er das selbst tut, will ich nicht wissen. Ich würde bestimmte Schauspieler um ein Autogramm bitten, aber kein Selfie machen (ich fotografiere nicht einmal im Urlaub, ich erlebe ihn lieber) – ob sie verheiratet sind, Alkoholiker…interessiert mich nicht. Elena Ferrante ist gerade „enttarnt“ worden – und? Entschuldigung, aber: in China fällt gerade ein Sack Reis um. Einmal ehrlich: Autoren, Komponisten, Schauspieler etc. leben von – Publikum. Von meinem Bäcker will ich dagegen wissen, ob er sich generell die Hände wäscht, vernünftige Ausgangsprodukte nutzt, etc. Wo ist da der Unterschied? Der Bäcker lernt sein Handwerk während der Ausbildung von seinem Meister, der Schule, dem, was die Großmutter buk, unterwegs von anderen – der Schriftsteller begegnet Menschen, wird Bücher gelesen haben,…

Dann kam – das letzte Kapitel. Ohne das hätte ich das Buch zwar intelligent gefunden, aber zu meta, zu ich-bezogen, zu selbstmitleidig, zu sehr verloren im Diskurs über Fiktion und Wahrheit. Um in den Vergleichen mit der Filmwelt zu bleiben: das letzte Kapitel, und das erst auf den letzten Seiten, bietet so etwas wie den Moment in „Men in Black“, wenn der Blick von den Protagonisten zurückgeht und man sieht, wie die Erde zu einer Murmel im Spiel von Aliens wird. https://www.youtube.com/watch?v=OKnpPCQyUec
Ja, das war dort cool, das ist es irgendwie auch hier und ich fing an, mir wieder eine Gedankenkette zu machen wie „eine Person, die sich sich selbst ausdenkt. Eine zweite, eventuell ausgedacht von der ersten, bewusst oder unbewusst, die sich wiederum selbst erfindet aus Figuren, die sich jemand anders ausgedacht hat – und die erste Person schreibt dann über – Zusammenbruch meiner Tastatur. Nö.

Folgebuch, das die Autorin gerne hätte: „Sie“ von Stephen King (Schriftsteller wird von Frau gefangen gehalten und zum Schreiben gezwungen…). Dummerweise bekam ich während des mehrfachen Anlaufs auf die zwei ersten Kapitel dieses Buches so etwas wie eine Leseblockade, wollte den Teil „Depression“ nur schnellstmöglich hinter mir lassen…

Veröffentlicht am 15.09.2016

Mühsame Angelegenheit

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Die zurückhaltende Schriftstellerin Delphine lernt auf einer Party die elegante und kluge L. kennen. Die beiden Frauen teilen das Interesse für Literatur und Theater und aus gelegentlichen Treffen wird ...

Die zurückhaltende Schriftstellerin Delphine lernt auf einer Party die elegante und kluge L. kennen. Die beiden Frauen teilen das Interesse für Literatur und Theater und aus gelegentlichen Treffen wird eine intensive Freundschaft. Doch L. mischt sich immer mehr in Delphines Leben ein, während diese sich immer mehr verunsichern und L. über sich bestimmen lässt. Delphine gerät zunehmend in eine schriftstellerische Krise, die sich so ausweitet, dass sie nicht einmal mehr am PC arbeiten oder emails beantworten kann. L. bietet ihre Hilfe an und übernimmt nach und nach alle Aufgaben Delphines, selbst eine Lesung an einer Schule, ohne dass es jemandem auffällt.
Dies hört sich zunächst spannend an, allerdings dauert es, bis die Handlung etwas an Fahrt aufnimmt. Durch viele kleine Episoden und lange Gespräche wird die Geschichte recht langatmig erzählt. Nicht ganz glaubwürdig erscheint, dass eine erwachsene Frau wie Delphine, mit großem Erfolg als Schriftstellerin, mit zwei erwachsenen Kindern und einem interessanten Mann in ihrem Leben, sich so leicht vereinnahmen lässt.
Auch diverse Vorfälle, z.B. dass zu Ls. Geburtstagsfeier kein einziger der geladenen Gäste kommt, außer Delphine, lassen diese zwar wachsam werden, dennoch zieht sie sich nicht zurück, sondern lässt L. weiter in ihr Leben eindringen.
Als Delphine irgendwann endlich bemerkt, dass L. für sie gefährlich wird, kommt doch noch etwas Spannung auf. Und als Leser wird man genauso verunsichert, ob man nur L. nicht trauen kann oder ob Delphine sich diese Ereignisse womöglich bloß einbildet, ja sogar ob es L. überhaupt gibt.
Dieses Spiel mit Realität und Fiktion ist an sich interessant, allerdings zieht sich die Geschichte sehr in die Länge, sodass die Lektüre von ,,Nach einer wahren Geschichte“ zu einer etwas zähen und mühsamen Angelegenheit wird.