Packender Psychothriller!
Was ihr nicht sehtDas rote Cover mit den ausgeschnitten Buchstaben gefällt mir äußerst gut. Es wirkt schlicht, edel und hat etwas zum Fühlen.
Die Geschichte wird in drei Teile untergliedert. Im ersten und längsten Teil ...
Das rote Cover mit den ausgeschnitten Buchstaben gefällt mir äußerst gut. Es wirkt schlicht, edel und hat etwas zum Fühlen.
Die Geschichte wird in drei Teile untergliedert. Im ersten und längsten Teil wird abwechselnd aus der Sicht der Hauptprotagonistin Kate sowie in Form von einer polizeilichen Befragung Kates nach einer Verhaftung ihrerseits erzählt. Dieser Teil zieht sich ziemlich in die Länge, da die Vergangenheit sehr ausführlich ausgeschmückt wird. Es geht um einen Einsatz im Kriegsgebiet, wo Kate schlimme Dinge gesehen hat, die sich jetzt, nach der Rückkehr in ihre Heimat, immer stärker mit der Realität vermischen. Hier finde ich es äußerst gelungen, wie der Leser selbst auch immer mehr in Verstrickungen verwickelt wird. Bald wusste ich überhaupt nicht mehr, was zur Realität gehört. Was sind Kates Albträume? Wo hat sie Wahnvorstellungen, die ihr unterstellt werden?
Kates Schwester Sally ist ihr auch keine Hilfe, da diese als schwere Alkoholikerin verwahrlost und zurückgezogen lebt. Es werden immer wieder Ereignisse aus der Kindheit thematisiert, und Kate wurde mir schnell sehr sympatisch als eine Frau, die viel mitgemacht hat, sowohl privat als auch beruflich. Trotz allem was sie erlebt und geschafft hat, fühlt sie sich doch im Hier und Heute verloren, und diese Verlorenzeit, diese Leere, konnte ich gut nachspüren.
"Das ist das Leben, sage ich mir, als ich die Tür schließe. Nicht Krieg und Krankheiten und ausgebrannte Hotels, sondern Männer und Frauen in beengten Häusern mit ihren Babies und ihren Kaffeemaschinen und ihren Ferien, so sollte das richtige Leben aussehen. So sieht das Leben von Chris aus. Und ich bin ganz am Rand von alledem, ein Geist ohne Fundamente, ohne Wurzeln. Als ich zurück in das dunkle Haus meiner Mutter gehe und die Tür schließe, kommt es mir vor, als wäre ich der letzte Mensch auf der Erde." (S.194)
Kate ist einsam und auf der Suche nach ihrem Platz im Leben. Sie hat keinen Menschen um sich, der wirklich zu ihr steht. Wir bekommen einen tiefen Einblick in ihre seelischen Konflikte, ihre Traumatisierung und Unsicherheiten. Diese Erzählung zieht sich relativ lang, und zwischendurch wurde es mir zu zäh.
Das alles änderte sich jedoch mit Beginn von Teil 2. Hier gibt es eine grundlegende Wendung, welche ich aus Spoilergefahr nicht konkretisieren möchte. Nur so viel steht fest: Ab hier gewinnt das Buch wahnsinnig an Tempo. Es passiert einfach richtig viel. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen, weil ich einfach wissen wollte, was real und was erfunden ist, was wirklich hinter den Ereignissen steckt und wer wie in die Dinge verwickelt ist. Wir lernen außerdem Sally besser kennen sowie ihre Gefühle und Motivationen, die dadurch greifbar und spürbar werden.
Habe ich in Teil 1 noch gedacht, es handele sich nicht wirklich um einen Psychothriller, sondern eher um einen Roman, so hat das Buch ab Teil 2 alles, was ein Psychothriller braucht. Immer wenn ich dachte: "Jetzt kommt gleich Mal eine kleine Verschnaufpause zum Durchatmen!", passierte schon wieder etwas, dass ich so nicht absehen konnte. Der Spannungsbogen hielt sich bis zum Schluss auf sehr hohem Level und die Details verlangten mir beim Lesen so einiges ab, denn der Einblick in psychische Abgründe ist tief und schonungslos.
Fazit: Ein anfangs etwas lahmer Psychothriller, der aber im Verlauf so stark Fahrt aufnimmt, dass ich ihn nicht mehr weglegen konnte. Eine klare Empfehlung für Leserinnen und Leser, die den Einblick in tiefe menschliche Abgründe gut vertragen können und auch vor psychisch packenden Details nicht zurückschrecken.
(Recensio Online)