Die Festung am Rhein
Die Festung am Rhein„Im Vertrauen auf Gott und auf die Treue und den Mut meines Volkes habe ich die Rheinländer in Besitz genommen und mit der preußischen Krone vereinigt. Und so, Ihr Einwohner dieser Länder, trete ich jetzt ...
„Im Vertrauen auf Gott und auf die Treue und den Mut meines Volkes habe ich die Rheinländer in Besitz genommen und mit der preußischen Krone vereinigt. Und so, Ihr Einwohner dieser Länder, trete ich jetzt mit Vertrauen unter Euch, gebe Euch Eurem deutschen Vaterlande wieder und nenne Euch Preußen! Kommt mir mit redlicher, treuer und beharrlicher Anhänglichkeit entgegen! Ihr werdet gerechten und milden Gesetzen gehorchen.“
Nicht alle Rheinländer fühlen sich durch diese Worte, mit denen König Friedrich Wilhelm III. von Preußen nach den Befreiungskriegen seine neuen Untertanen begrüßt, in Feierstimmung. 20 Jahre französische Besatzung und auch die französische Revolution haben ihre Spuren hinterlassen. Vor allem was die moderate französische Gesetzgebung betrifft, die sich deutlich vom konservativen Allgemeine Preußischen Landrecht unterscheidet.
Einer, der die Härte der nun geltenden Gesetze zu spüren bekommen soll, ist Christian, junger Soldat in der preußischen Armee. Als 1822 beim Bau der neuen Festung Ehrenbreitstein, die hoch über der Stadt Coblenz errichtet wird, Baupläne gestohlen werden, gerät er in Verdacht, diese militärisch wichtigen Unterlagen entwendet zu haben. Für die Preußen liegt der Fall klar auf der Hand: als Sohn eines französischen Offiziers kann nur Christian zum Verräter geworden sein und die Papiere dem Feind zugespielt haben.
Verzweifelt kämpft Christians Schwester Franziska darum, die Unschuld ihres Bruders zu beweisen und zu verhindern, dass ihn das Schicksal der Todesstrafe ereilt. Hierbei ist sie auf die Hilfe von Christians unmittelbaren Vorgesetzten angewiesen: Leutnant Rudolph Harten. Der strenge Offizier entpuppt sich zwar als äußerst misstrauisch, gleichwohl nicht unempfänglich für mögliche Ungereimtheiten. Und wider Erwarten blühen zwischen Franziska und Rudolph Gefühle auf, die keinesfalls von jedermann mit Gefallen betrachtet werden...
Maria W. Peter führt uns in „Die Festung am Rhein“ nach Coblenz, das inmitten des einst heiß umkämpften Rheinlandes nach den Befreiungskriegen nunmehr zu Preußen gehört. Die Autorin kleidet ihre Geschichte in ein historisches Gewand, das einerseits außerordentliche Sachkenntnis erkennen lässt, andererseits den Leser in seiner Fülle nicht überfordert. Sie schafft ein authentisches Bild von einer mit diversen Spannungen aufgeladenen, problematischen Zeit, in dem sich die angestammten Rheinländer und die Preußen – Soldaten und Zugezogene – nicht allesamt mit Wohlwollen gegenüberstehen, und beleuchtet mit viel Realitätsnähe die Verhaltensweisen, Handlungen, Unterschiede und Empfindungen der Menschen im gesellschaftlichen Wandel. Zudem ergänzt die Autorin den Roman durch ein umfangreiches Nachwort, ein ebensolches Glossar und diverses Kartenmaterial, welche eigene Recherchen überflüssig machen.
Allerdings lebt die Geschichte nicht allein von der Historie. Vielmehr finden sich in der Handlung jede Menge Geheimnisse und Verwicklungen, Spionage und Abenteuer, Freundschaft und Liebe, und Maria W. Peters erzählt in gewohnt ansprechender und lebendiger Sprachkunst mit viel Bildkraft, Atmosphäre und Empathie.
Die Autorin hat ihr Protagonisten mit Bedacht ausgewählt und sowohl die Haupt-, als auch die Nebenrollen mit Charakteren besetzt, die aufgeschlossen und unvoreingenommen, jedoch auch skeptisch oder gar feindselig sind, und somit das Geschehen komplettieren.
Nicht nur ihre beiden Helden Franziska und Rudolph sind von ihrer Herkunft und Vergangenheit beeinflusst und damit einigen Beschränkungen unterworfen. Es gelingt Maria W. Peter exzellent, die gegensätzlichen Ansichten der beiden darzustellen.
Franziska steht als Beispiel für die mit Beharrlichkeit zu Werke gehenden Rheinländer, gepaart mit einer von ihren Eltern vermittelten liberalen Grundeinstellung sowie einer einfühlsamen Erziehung. Die liebenswürdige junge Frau ist durchflutet vom französischen Freiheitsgedanken und betrachtet deshalb die Preußen als herrschsüchtige Tyrannen, die über ein rückschrittiges Volk gebieten. Dabei handelt sie das eine oder andere Mal unüberlegt und achtet nicht darauf, was sie sagt. Aber sie hält zu ihrem Bruder Christian und glaubt unerschütterlich daran, dass er die ihm vorgeworfenen Taten nicht begangen hat.
Rudolph ist eine ambivalente Persönlichkeit. Einerseits pedantisch korrekt und distanziert, andererseits besessen von seiner Arbeit und ausgestattet mit Visionen. Als Mann aus dem Volk, Sohn einer Wäscherin und eines Feldarbeiters, hat er sich auf einem schwierigen und anstrengenden Weg aus eigener Kraft und mit etwas Glück zum Offizier hochgearbeitet und eine Laufbahn eingeschlagen, die eine Generation zuvor lediglich dem Adel vorbehalten gewesen ist. Er demonstriert, dass er trotz seiner einfachen Herkunft über Fähigkeiten verfügt, die über das erwartete Maß hinausgehen. Und da es Neider und Vorgesetzte gibt, die in ihm immer noch einen Emporkömmling sehen, muss er sich jeden Tag aufs Neue beweisen, was Verständnis und Respekt abnötigt.
Vor allem aber ist seine Entwicklung im Verlauf der Ereignisse bemerkenswert. Rudolph verändert sich nicht plötzlich und beginnt nur langsam, den seinem Wesen inne liegenden Argwohn und Zweifel abzulegen sowie seine Geradlinigkeit, Klarheit und Ehrlichkeit zu offenbaren. Er weiß die Loyalität, die Franziska ihrem Bruder als Mitglied ihrer Familie entgegenbringt und die er selbst nicht kennengelernt hat, zu schätzen und zeigt seine hinter Härte und Disziplin verborgenen anderen Seiten: Verständnis und Güte.
Überhaupt ist es der Autorin hoch anzurechnen, dass sie mit Franziska und Rudolph ein Paar geschaffen hat, das sich trotz vorhandener Sympathie und aufkeimender tieferer Gefühle sehr bedächtig annähert und nicht vorurteilsfrei miteinander agiert. Sie reiben sich aneinander, schenken sich nichts und fallen immer wieder in ihre alten gegensätzlichen Ansichten zurück. Nach und nach erarbeiten sie sich das Verständnis füreinander und setzen sich für den anderen ein. Sie begreifen, wofür der andere (ein)steht und dass es sich lohnt, über den eigenen Schatten zu springen, sich von starren Vorurteilen zu lösen, die Wertungen und Meinungen anderer zu akzeptieren und gegebenenfalls zu hinterfragen, um sich so frei zu machen für einen anderen Blick auf die Welt. Davon könnte so mancher auch heute noch lernen...