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Veröffentlicht am 11.10.2018

Eine Unterhaltungsparodie auf höchstem Niveau!

Das Känguru-Manifest (Die Känguru-Werke 2)
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Sie sind wieder da - das kommunistische Känguru und der stoische Kleinkünstler!
Marc-Uwe Kling lebt mit einem Känguru zusammen. Das Känguru ist Kommunist und steht total auf Nirvana. Die Känguru-Chroniken ...

Sie sind wieder da - das kommunistische Känguru und der stoische Kleinkünstler!
Marc-Uwe Kling lebt mit einem Känguru zusammen. Das Känguru ist Kommunist und steht total auf Nirvana. Die Känguru-Chroniken berichten von den Abenteuern und Wortgefechten des Duos. Und so bekommen wir endlich Antworten auf die drängendsten Fragen unserer Zeit: War das Känguru wirklich beim Vietcong? Und wieso ist es schnapspralinensüchtig? Könnte man die Essenz des Hegelschen Gesamtwerkes in eine SMS packen? Und wer ist besser: Bud Spencer oder Terence Hill?
Auf der Jagd nach dem höchst verdächtigen Pinguin rasen sie durch die ganze Welt. Spektakuläre Enthüllungen! Skandale! Intrigen! Ein Mord, für den sich niemand interessiert! Eine Verschwörung auf niedrigster Ebene! Ein völlig abstruser Weltbeherrschungsplan! Mit Spaß, Spannung und Schnapspralinen...


"Ein Idiot in Uniform ist immer noch ein Idiot"

Nachdem das Hören der "Känguru-Chroniken" mein Leben nachhaltig verändert hat - so ertappe ich mich manchmal zum Beispiel selbst dabei, wie ich ganz in Känguru Manier sage: "Das darf doch nicht Warzenschwein!" oder mir auch mal "Rück mal´n Stück" rausrutscht (mein persönlicher Tipp für die Geschichte also: Gleich im Doppelpack kaufen und der besten Freundin/ dem besten Freund zum Hören geben, damit man jemanden hat, mit dem man darüber reden kann und der die ständigen Anspielungen versteht, wenn sie im Alltag allfallartig aus einem herausbrechen), musste ich natürlich auch unbedingt das Manifest lesen. Und was soll ich sagen. Es bekommt auf jeden Fall den "Witzig"-Stempel des Kängurus. Auch wenn wir es hier mit eher düsterem Humor zu tun haben, immer mehr Anklänge von dystopischen Elementen zu finden sind und politisches Kabarett die Situationskomik überwiegt, steht das Manifest den Chroniken an Witzigkeit kein bisschen nach.

Die Geschichte beginnt mit einem ausführlichen Zitat aus dem "Kommunistischen Manifest", wobei zentrale Begriffe durch das Wort "Känguru" ersetzt sind. So kommt es zu dem bekannten Zitat: "Ein Känguru geht um in Europa." Und angesichts des enormen Erfolgs, den Marc-Uwe Kling mit seinem Känguru erzielt hat, ist das wohl gar nicht so aus der Luft gegriffen. In meinem Kopf geht auf jeden Fall ein Känguru um - ich wurde nachhaltig mit Insiderwitzen infiziert und konnte auch
diesmal angesichts der unglaublichen Situationen, die hier zustande kommen und des schonungslosen schwarzen Humors, nicht anders, als immer wieder aus tiefster Seele loslachen und damit äußerst skeptische Blicke meines Umfeldes auf mich zu ziehen.

Anders als bei Band 1 liegt hier der Schwerpunkt nicht auf den wirklich wichtigen Fragen des Lebens wie zum Beispiel: warum verdirbt Schmelzkäse nicht, warum ist das Gespenst des Kommunismus so schüchtern und weshalb haben Pferde eigentlich nicht die Weltherrschaft an sich gerissen? Stattdessen kümmert sich das Manifest mehr um ein mysteriöses Ministerium für Produktivität, das Ausländer in "produktiv" und "unproduktiv" einteilt, um Plakate mit Slogans wie "Ich arbeite gern - für meinen Konzern" oder "Ich schwimm bis nach Birma - für meine Firma" oder mit der Gründung einer Anti-Terror-Organisation, die Anti-Terror-Anschläge auf eben diese Plakate verübt. So übermalt "Das asoziale Netzwerk", wie es bald heißt, die Slogans mit Alternativen wie zum Beispiel: "Wollt ihr den totalen Arbeitsplatz?". Ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist auch wieder die Eckkneipe "Bei Herta", die jetzt "Tefkabh" heißt - "The eckkneipe formerly known as bei Herta". Da diese ehemalige Eckkneipe im Verlauf von "Das Känguru-Manifest" noch mehrfach den Besitzer wechseln wird - für kurze Zeit wird sie unter anderem "Hafen der digitalen Boheme" heißen -, erzählt der running gag auch etwas über Gentrifizierung und Verdrängung im Kiez.


Marc-Uwe: "Das ist doch irgendwie bemerkenswert. ... Im Realsozialismus wurden Mauern gebaut, um die Leute drinnen zu halten, im Kapitalismus werden Mauern gebaut, um die Leute draußen zu halten."
Känguru: "Aber in beiden Fällen ist es ein Armutszeugnis, das die Leute offensichtlich nicht da hin dürfen, wo sie hinwollen, und nicht da sein wollen, wo sie sind."


Ihr seht also, es geht hier eher um die großen politischen Fragen und eine knallharte und schonungslose Sozial-, Politik- und Kapitalismuskritik kommt mehr durch als in Band 1. Auch wenn Kinder dieser Geschichte bestimmt viele witzigen Stellen abgewinnen können, sind die Witze vor allem für Erwachsene geschrieben, denn gewisse Grundkenntnisse in den Bereichen Politik, Geschichte und Wirtschaft sind Voraussetzung, um einige Witze und Anspielungen zu verstehen.
Doch wir haben es hier nicht nur mit Unterhaltungsparodie auf höchstem Niveau zu tun - nein, die Geschichte ist auch voll von einfachen Lebensweisheiten, die jeden Leser oder Hörer um Welten in der kognitiven Entwicklung weiterbringt: "Es gibt Solche und Solche. Und dann noch ganz andere. Und das sind die schlimmsten" (frei übersetzt aus Berliner Mundart) Na wenn das mal nicht eine bahnbrechende Erkenntnis ist...

Aufgrund der wieder episodenartigen Handlung und der in Szenenform geschriebenen Kapiteln, bietet es sich hier wirklich an, das Hörbuch zu hören. Gerade bei längeren Autofahrten oder bei banalen Tätigkeiten wie Wäscheaufhängen oder Abwaschen ist es eine willkommene Ablenkung, einige Szenen aus dem Manifest zu hören. Auch wenn ich eigentlich kein bekennender Fan von Hörbüchern bin und immer lieber die Print-Variante bevorzuge, habe ich es hier nicht bereut, die vorgelesene Version gewählt zu haben. Autor Marc-Uwe Kling liest hier selbst vor, live vor Publikum, weshalb immer mal wieder leise Lacher im Hintergrund zu hören sind, welche aber nicht stören. Im Gegensatz zu anderen Autoren merkt man Mark-Uwe an, dass er es gewohnt ist, Texte vorzutragen. Er liest die Rollen des Ich-Erzählers und des Kängurus mit leicht verstellten Stimmen, sodass man die nasale, laute, nerv tötende Stimme des Kängurus immer schön unterscheiden kann. Mit wohlüberlegten Pausen und Betonungen lenkt er das Geschehen in eine richtige Richtung und seine angenehme Stimme konnte mich wirklich mitreißen.

»Es sagt viel über die Welt aus, mein Kind,
sagte der Vater zum Knaben,
dass die Dummen glücklich sind
und die Schlauen Depressionen haben.«
»Hast du Depressionen?«, fragt das Känguru.
»Nee«, sage ich. »Du?«
»Nee.«


Dabei kann man sich den Hörspaß ruhig Häppchenweise zuführen, zu lange Pausen sollte man aber auch nicht machen, denn auch wenn die Szenen oft sehr kurz sind und meistens nichts miteinander zu tun haben, werden immer wieder kleinere Bezüge zur vorangegangenen Handlung gestellt und viele Insiderwitze und Anspielungen setzen voraus, dass man sich noch an Vorhergegangenes erinnert. Es ist eigentlich auch egal, ob man die Chronik gehört oder gelesen hat, hilfreich zum Verständnis von Insiderwitzen ist es aber auf jeden Fall und so entsteht langsam ein zusammenhängendes Bild. Wenn man die ganzen CDs alle auf einen Rutsch hört, werden dem aufmerksamen Hörer bald Parallelen im Aufbau und Verlauf der Szenen auffallen. Natürlich ist auch auf 315 Minuten mal der ein oder andere Witz dabei, der doppelt erscheint. Dass es aber trotzdem immer spannend und witzig bleibt wird durch viele erzähltechnische Elemente garantiert, die Kling wunderbar einwebt. So wechselt er kreativ die Erzählperspektivwechsel, variiert die Erzählzeit, lässt manchmal kurze Erinnerungslücken auftauchen oder peppt die kurzen Kapitel mit Einschüben aus dem Manifest des Kängurus "Opportunismus und Repression" auf. Ein Element, das mittlerweile schon eigenständig berühmt geworden ist, sind die falschen Zitate, bei denen der Autor ein echtes Zitat einer anderen, möglichst unpassenden Person zuordnet. (Ganz unten am Ende der Rezension hab ich euch ein paar Beispiele aufgeschrieben)

Natürlich macht das Känguru die ganze skurrile Geschichte erst so richtig saukomisch. Denn man muss das vorlaute Beuteltier einfach lieben! Manchmal erscheint es wie ein störrisches Kind, dann gibt es Dinge von sich, die eher nach weisem Sensei klingen und danach ist es einfach ein verrückter, tierischer bester Freund. Es traut sich Dinge zu sagen und zu tun, die so mancher von uns schon immer mal machen wollte: Regeln beim Monopoly einfach ändern, aufdringliche Terrier quer durch den Park kicken und Nazis umboxen - das Känguru weiß ganz genau, was es will und ist dabei immer konsequent inkonsequent. Und natürlich ist es auch der absolute Antagonist zum Pinguin. Es ist süchtig nach Schnapspralinen, Bud Spencer Filmen, Nirwana, Fußnoten, Wortspielen und falschen Zitaten. So quält das Känguru ein ums andere mal den armen Marc-Uwe mit lauter fiesen Wortverdrehungen, die dessen Sinn für Sprachästhetik aufs Äußerste strapazieren.

Doch die fiesen Wortverdrehungen, die man wirklich nicht mehr aus dem Kopf bekommt (glaubt mir, ich weiß wo von ich rede, Schankedön, Marc-Uwe) ist nichts im Vergleich zu der Anzahl an kreativen Wortspielen, die Mark-Uwe Kling im Laufe der Geschichte einfallen hat mich wirklich demütig werden lassen. Bekannte Witze wie "Du denkst vielleicht du bist hart, aber ich bin Herta!" oder philosophische Lebensweisheiten wie "Habt ihr schon Mal darüber nachgedacht dass es von uninformiert kein weiter weg zu uniformiert ist..." kommen einfach und fließend in den Dialogen unter.

Jetzt bleibt mir als nächstes noch die Känguru-Offenbarung und dann kommt ja auch schon -gottseidank - ein neues Werk heraus: Die Känguru - Apokryphen.


Zum Abschluss noch mein Top Ten an falsch zugeordneten Zitate:

"Frage nicht, was dein Land für dich tun kann. Frage, was du für dein Land tun kannst.“
– Kim Jong-il

"Ich denke, also bin ich.“
– Til Schweiger

"Da hat das rote Pferd sich einfach umgekehrt und hat mit seinem Schwanz die Fliege abgewehrt.“
– Johann Wolfgang von Goethe

„Wenn man ein 0:2 kassiert, dann ist ein 1:1 nicht mehr möglich.“
– Satz des Pythagoras

„Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“
– Friedrich Schiller

„Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!“
– Benedikt XVI.

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“
– Bob der Baumeister

„Das Boot ist voll.“
– Noah, Sohn des Lamech

„Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.“
– Albert Einstein

„Alles, was wir sind, ist das Resultat von dem, was wir gedacht haben.“
– Bastian Schweinsteiger


Fazit:

Die Erfolgsformel zieht auch hier: 1 Poetry Slammer + 1 kommunistisches Känguru + viele dämlichen Ideen = Suchtpotential und Angriff auf die Lachmuskulatur.
Das Manifest steht den Chroniken in nichts nach, legt jedoch mehr Wert auf schonungslose Sozial-, Politik- und Kapitalismuskritik als auf Situationskomik.
Insgesamt eine Unterhaltungsparodie auf höchstem Niveau, die definitiv den "Witzig"-Stempel erhält!

Veröffentlicht am 11.10.2018

Eine Unterhaltungsparodie auf höchstem Niveau!

Das Känguru-Manifest (Känguru 2)
0

Sie sind wieder da - das kommunistische Känguru und der stoische Kleinkünstler!
Marc-Uwe Kling lebt mit einem Känguru zusammen. Das Känguru ist Kommunist und steht total auf Nirvana. Die Känguru-Chroniken ...

Sie sind wieder da - das kommunistische Känguru und der stoische Kleinkünstler!
Marc-Uwe Kling lebt mit einem Känguru zusammen. Das Känguru ist Kommunist und steht total auf Nirvana. Die Känguru-Chroniken berichten von den Abenteuern und Wortgefechten des Duos. Und so bekommen wir endlich Antworten auf die drängendsten Fragen unserer Zeit: War das Känguru wirklich beim Vietcong? Und wieso ist es schnapspralinensüchtig? Könnte man die Essenz des Hegelschen Gesamtwerkes in eine SMS packen? Und wer ist besser: Bud Spencer oder Terence Hill?
Auf der Jagd nach dem höchst verdächtigen Pinguin rasen sie durch die ganze Welt. Spektakuläre Enthüllungen! Skandale! Intrigen! Ein Mord, für den sich niemand interessiert! Eine Verschwörung auf niedrigster Ebene! Ein völlig abstruser Weltbeherrschungsplan! Mit Spaß, Spannung und Schnapspralinen...


"Ein Idiot in Uniform ist immer noch ein Idiot"

Nachdem das Hören der "Känguru-Chroniken" mein Leben nachhaltig verändert hat - so ertappe ich mich manchmal zum Beispiel selbst dabei, wie ich ganz in Känguru Manier sage: "Das darf doch nicht Warzenschwein!" oder mir auch mal "Rück mal´n Stück" rausrutscht (mein persönlicher Tipp für die Geschichte also: Gleich im Doppelpack kaufen und der besten Freundin/ dem besten Freund zum Hören geben, damit man jemanden hat, mit dem man darüber reden kann und der die ständigen Anspielungen versteht, wenn sie im Alltag allfallartig aus einem herausbrechen), musste ich natürlich auch unbedingt das Manifest lesen. Und was soll ich sagen. Es bekommt auf jeden Fall den "Witzig"-Stempel des Kängurus. Auch wenn wir es hier mit eher düsterem Humor zu tun haben, immer mehr Anklänge von dystopischen Elementen zu finden sind und politisches Kabarett die Situationskomik überwiegt, steht das Manifest den Chroniken an Witzigkeit kein bisschen nach.

Die Geschichte beginnt mit einem ausführlichen Zitat aus dem "Kommunistischen Manifest", wobei zentrale Begriffe durch das Wort "Känguru" ersetzt sind. So kommt es zu dem bekannten Zitat: "Ein Känguru geht um in Europa." Und angesichts des enormen Erfolgs, den Marc-Uwe Kling mit seinem Känguru erzielt hat, ist das wohl gar nicht so aus der Luft gegriffen. In meinem Kopf geht auf jeden Fall ein Känguru um - ich wurde nachhaltig mit Insiderwitzen infiziert und konnte auch
diesmal angesichts der unglaublichen Situationen, die hier zustande kommen und des schonungslosen schwarzen Humors, nicht anders, als immer wieder aus tiefster Seele loslachen und damit äußerst skeptische Blicke meines Umfeldes auf mich zu ziehen.

Anders als bei Band 1 liegt hier der Schwerpunkt nicht auf den wirklich wichtigen Fragen des Lebens wie zum Beispiel: warum verdirbt Schmelzkäse nicht, warum ist das Gespenst des Kommunismus so schüchtern und weshalb haben Pferde eigentlich nicht die Weltherrschaft an sich gerissen? Stattdessen kümmert sich das Manifest mehr um ein mysteriöses Ministerium für Produktivität, das Ausländer in "produktiv" und "unproduktiv" einteilt, um Plakate mit Slogans wie "Ich arbeite gern - für meinen Konzern" oder "Ich schwimm bis nach Birma - für meine Firma" oder mit der Gründung einer Anti-Terror-Organisation, die Anti-Terror-Anschläge auf eben diese Plakate verübt. So übermalt "Das asoziale Netzwerk", wie es bald heißt, die Slogans mit Alternativen wie zum Beispiel: "Wollt ihr den totalen Arbeitsplatz?". Ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist auch wieder die Eckkneipe "Bei Herta", die jetzt "Tefkabh" heißt - "The eckkneipe formerly known as bei Herta". Da diese ehemalige Eckkneipe im Verlauf von "Das Känguru-Manifest" noch mehrfach den Besitzer wechseln wird - für kurze Zeit wird sie unter anderem "Hafen der digitalen Boheme" heißen -, erzählt der running gag auch etwas über Gentrifizierung und Verdrängung im Kiez.


Marc-Uwe: "Das ist doch irgendwie bemerkenswert. ... Im Realsozialismus wurden Mauern gebaut, um die Leute drinnen zu halten, im Kapitalismus werden Mauern gebaut, um die Leute draußen zu halten."
Känguru: "Aber in beiden Fällen ist es ein Armutszeugnis, das die Leute offensichtlich nicht da hin dürfen, wo sie hinwollen, und nicht da sein wollen, wo sie sind."


Ihr seht also, es geht hier eher um die großen politischen Fragen und eine knallharte und schonungslose Sozial-, Politik- und Kapitalismuskritik kommt mehr durch als in Band 1. Auch wenn Kinder dieser Geschichte bestimmt viele witzigen Stellen abgewinnen können, sind die Witze vor allem für Erwachsene geschrieben, denn gewisse Grundkenntnisse in den Bereichen Politik, Geschichte und Wirtschaft sind Voraussetzung, um einige Witze und Anspielungen zu verstehen.
Doch wir haben es hier nicht nur mit Unterhaltungsparodie auf höchstem Niveau zu tun - nein, die Geschichte ist auch voll von einfachen Lebensweisheiten, die jeden Leser oder Hörer um Welten in der kognitiven Entwicklung weiterbringt: "Es gibt Solche und Solche. Und dann noch ganz andere. Und das sind die schlimmsten" (frei übersetzt aus Berliner Mundart) Na wenn das mal nicht eine bahnbrechende Erkenntnis ist...

Aufgrund der wieder episodenartigen Handlung und der in Szenenform geschriebenen Kapiteln, bietet es sich hier wirklich an, das Hörbuch zu hören. Gerade bei längeren Autofahrten oder bei banalen Tätigkeiten wie Wäscheaufhängen oder Abwaschen ist es eine willkommene Ablenkung, einige Szenen aus dem Manifest zu hören. Auch wenn ich eigentlich kein bekennender Fan von Hörbüchern bin und immer lieber die Print-Variante bevorzuge, habe ich es hier nicht bereut, die vorgelesene Version gewählt zu haben. Autor Marc-Uwe Kling liest hier selbst vor, live vor Publikum, weshalb immer mal wieder leise Lacher im Hintergrund zu hören sind, welche aber nicht stören. Im Gegensatz zu anderen Autoren merkt man Mark-Uwe an, dass er es gewohnt ist, Texte vorzutragen. Er liest die Rollen des Ich-Erzählers und des Kängurus mit leicht verstellten Stimmen, sodass man die nasale, laute, nerv tötende Stimme des Kängurus immer schön unterscheiden kann. Mit wohlüberlegten Pausen und Betonungen lenkt er das Geschehen in eine richtige Richtung und seine angenehme Stimme konnte mich wirklich mitreißen.

»Es sagt viel über die Welt aus, mein Kind,
sagte der Vater zum Knaben,
dass die Dummen glücklich sind
und die Schlauen Depressionen haben.«
»Hast du Depressionen?«, fragt das Känguru.
»Nee«, sage ich. »Du?«
»Nee.«


Dabei kann man sich den Hörspaß ruhig Häppchenweise zuführen, zu lange Pausen sollte man aber auch nicht machen, denn auch wenn die Szenen oft sehr kurz sind und meistens nichts miteinander zu tun haben, werden immer wieder kleinere Bezüge zur vorangegangenen Handlung gestellt und viele Insiderwitze und Anspielungen setzen voraus, dass man sich noch an Vorhergegangenes erinnert. Es ist eigentlich auch egal, ob man die Chronik gehört oder gelesen hat, hilfreich zum Verständnis von Insiderwitzen ist es aber auf jeden Fall und so entsteht langsam ein zusammenhängendes Bild. Wenn man die ganzen CDs alle auf einen Rutsch hört, werden dem aufmerksamen Hörer bald Parallelen im Aufbau und Verlauf der Szenen auffallen. Natürlich ist auch auf 315 Minuten mal der ein oder andere Witz dabei, der doppelt erscheint. Dass es aber trotzdem immer spannend und witzig bleibt wird durch viele erzähltechnische Elemente garantiert, die Kling wunderbar einwebt. So wechselt er kreativ die Erzählperspektivwechsel, variiert die Erzählzeit, lässt manchmal kurze Erinnerungslücken auftauchen oder peppt die kurzen Kapitel mit Einschüben aus dem Manifest des Kängurus "Opportunismus und Repression" auf. Ein Element, das mittlerweile schon eigenständig berühmt geworden ist, sind die falschen Zitate, bei denen der Autor ein echtes Zitat einer anderen, möglichst unpassenden Person zuordnet. (Ganz unten am Ende der Rezension hab ich euch ein paar Beispiele aufgeschrieben)

Natürlich macht das Känguru die ganze skurrile Geschichte erst so richtig saukomisch. Denn man muss das vorlaute Beuteltier einfach lieben! Manchmal erscheint es wie ein störrisches Kind, dann gibt es Dinge von sich, die eher nach weisem Sensei klingen und danach ist es einfach ein verrückter, tierischer bester Freund. Es traut sich Dinge zu sagen und zu tun, die so mancher von uns schon immer mal machen wollte: Regeln beim Monopoly einfach ändern, aufdringliche Terrier quer durch den Park kicken und Nazis umboxen - das Känguru weiß ganz genau, was es will und ist dabei immer konsequent inkonsequent. Und natürlich ist es auch der absolute Antagonist zum Pinguin. Es ist süchtig nach Schnapspralinen, Bud Spencer Filmen, Nirwana, Fußnoten, Wortspielen und falschen Zitaten. So quält das Känguru ein ums andere mal den armen Marc-Uwe mit lauter fiesen Wortverdrehungen, die dessen Sinn für Sprachästhetik aufs Äußerste strapazieren.

Doch die fiesen Wortverdrehungen, die man wirklich nicht mehr aus dem Kopf bekommt (glaubt mir, ich weiß wo von ich rede, Schankedön, Marc-Uwe) ist nichts im Vergleich zu der Anzahl an kreativen Wortspielen, die Mark-Uwe Kling im Laufe der Geschichte einfallen hat mich wirklich demütig werden lassen. Bekannte Witze wie "Du denkst vielleicht du bist hart, aber ich bin Herta!" oder philosophische Lebensweisheiten wie "Habt ihr schon Mal darüber nachgedacht dass es von uninformiert kein weiter weg zu uniformiert ist..." kommen einfach und fließend in den Dialogen unter.

Jetzt bleibt mir als nächstes noch die Känguru-Offenbarung und dann kommt ja auch schon -gottseidank - ein neues Werk heraus: Die Känguru - Apokryphen.


Zum Abschluss noch mein Top Ten an falsch zugeordneten Zitate:

"Frage nicht, was dein Land für dich tun kann. Frage, was du für dein Land tun kannst.“
– Kim Jong-il

"Ich denke, also bin ich.“
– Til Schweiger

"Da hat das rote Pferd sich einfach umgekehrt und hat mit seinem Schwanz die Fliege abgewehrt.“
– Johann Wolfgang von Goethe

„Wenn man ein 0:2 kassiert, dann ist ein 1:1 nicht mehr möglich.“
– Satz des Pythagoras

„Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“
– Friedrich Schiller

„Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!“
– Benedikt XVI.

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“
– Bob der Baumeister

„Das Boot ist voll.“
– Noah, Sohn des Lamech

„Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.“
– Albert Einstein

„Alles, was wir sind, ist das Resultat von dem, was wir gedacht haben.“
– Bastian Schweinsteiger


Fazit:

Die Erfolgsformel zieht auch hier: 1 Poetry Slammer + 1 kommunistisches Känguru + viele dämlichen Ideen = Suchtpotential und Angriff auf die Lachmuskulatur.
Das Manifest steht den Chroniken in nichts nach, legt jedoch mehr Wert auf schonungslose Sozial-, Politik- und Kapitalismuskritik als auf Situationskomik.
Insgesamt eine Unterhaltungsparodie auf höchstem Niveau, die definitiv den "Witzig"-Stempel erhält!

Veröffentlicht am 11.10.2018

Eine Unterhaltungsparodie auf höchstem Niveau!

Das Känguru-Manifest (Känguru 2)
0

Sie sind wieder da - das kommunistische Känguru und der stoische Kleinkünstler!
Marc-Uwe Kling lebt mit einem Känguru zusammen. Das Känguru ist Kommunist und steht total auf Nirvana. Die Känguru-Chroniken ...

Sie sind wieder da - das kommunistische Känguru und der stoische Kleinkünstler!
Marc-Uwe Kling lebt mit einem Känguru zusammen. Das Känguru ist Kommunist und steht total auf Nirvana. Die Känguru-Chroniken berichten von den Abenteuern und Wortgefechten des Duos. Und so bekommen wir endlich Antworten auf die drängendsten Fragen unserer Zeit: War das Känguru wirklich beim Vietcong? Und wieso ist es schnapspralinensüchtig? Könnte man die Essenz des Hegelschen Gesamtwerkes in eine SMS packen? Und wer ist besser: Bud Spencer oder Terence Hill?
Auf der Jagd nach dem höchst verdächtigen Pinguin rasen sie durch die ganze Welt. Spektakuläre Enthüllungen! Skandale! Intrigen! Ein Mord, für den sich niemand interessiert! Eine Verschwörung auf niedrigster Ebene! Ein völlig abstruser Weltbeherrschungsplan! Mit Spaß, Spannung und Schnapspralinen...


"Ein Idiot in Uniform ist immer noch ein Idiot"

Nachdem das Hören der "Känguru-Chroniken" mein Leben nachhaltig verändert hat - so ertappe ich mich manchmal zum Beispiel selbst dabei, wie ich ganz in Känguru Manier sage: "Das darf doch nicht Warzenschwein!" oder mir auch mal "Rück mal´n Stück" rausrutscht (mein persönlicher Tipp für die Geschichte also: Gleich im Doppelpack kaufen und der besten Freundin/ dem besten Freund zum Hören geben, damit man jemanden hat, mit dem man darüber reden kann und der die ständigen Anspielungen versteht, wenn sie im Alltag allfallartig aus einem herausbrechen), musste ich natürlich auch unbedingt das Manifest lesen. Und was soll ich sagen. Es bekommt auf jeden Fall den "Witzig"-Stempel des Kängurus. Auch wenn wir es hier mit eher düsterem Humor zu tun haben, immer mehr Anklänge von dystopischen Elementen zu finden sind und politisches Kabarett die Situationskomik überwiegt, steht das Manifest den Chroniken an Witzigkeit kein bisschen nach.

Die Geschichte beginnt mit einem ausführlichen Zitat aus dem "Kommunistischen Manifest", wobei zentrale Begriffe durch das Wort "Känguru" ersetzt sind. So kommt es zu dem bekannten Zitat: "Ein Känguru geht um in Europa." Und angesichts des enormen Erfolgs, den Marc-Uwe Kling mit seinem Känguru erzielt hat, ist das wohl gar nicht so aus der Luft gegriffen. In meinem Kopf geht auf jeden Fall ein Känguru um - ich wurde nachhaltig mit Insiderwitzen infiziert und konnte auch
diesmal angesichts der unglaublichen Situationen, die hier zustande kommen und des schonungslosen schwarzen Humors, nicht anders, als immer wieder aus tiefster Seele loslachen und damit äußerst skeptische Blicke meines Umfeldes auf mich zu ziehen.

Anders als bei Band 1 liegt hier der Schwerpunkt nicht auf den wirklich wichtigen Fragen des Lebens wie zum Beispiel: warum verdirbt Schmelzkäse nicht, warum ist das Gespenst des Kommunismus so schüchtern und weshalb haben Pferde eigentlich nicht die Weltherrschaft an sich gerissen? Stattdessen kümmert sich das Manifest mehr um ein mysteriöses Ministerium für Produktivität, das Ausländer in "produktiv" und "unproduktiv" einteilt, um Plakate mit Slogans wie "Ich arbeite gern - für meinen Konzern" oder "Ich schwimm bis nach Birma - für meine Firma" oder mit der Gründung einer Anti-Terror-Organisation, die Anti-Terror-Anschläge auf eben diese Plakate verübt. So übermalt "Das asoziale Netzwerk", wie es bald heißt, die Slogans mit Alternativen wie zum Beispiel: "Wollt ihr den totalen Arbeitsplatz?". Ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist auch wieder die Eckkneipe "Bei Herta", die jetzt "Tefkabh" heißt - "The eckkneipe formerly known as bei Herta". Da diese ehemalige Eckkneipe im Verlauf von "Das Känguru-Manifest" noch mehrfach den Besitzer wechseln wird - für kurze Zeit wird sie unter anderem "Hafen der digitalen Boheme" heißen -, erzählt der running gag auch etwas über Gentrifizierung und Verdrängung im Kiez.


Marc-Uwe: "Das ist doch irgendwie bemerkenswert. ... Im Realsozialismus wurden Mauern gebaut, um die Leute drinnen zu halten, im Kapitalismus werden Mauern gebaut, um die Leute draußen zu halten."
Känguru: "Aber in beiden Fällen ist es ein Armutszeugnis, das die Leute offensichtlich nicht da hin dürfen, wo sie hinwollen, und nicht da sein wollen, wo sie sind."


Ihr seht also, es geht hier eher um die großen politischen Fragen und eine knallharte und schonungslose Sozial-, Politik- und Kapitalismuskritik kommt mehr durch als in Band 1. Auch wenn Kinder dieser Geschichte bestimmt viele witzigen Stellen abgewinnen können, sind die Witze vor allem für Erwachsene geschrieben, denn gewisse Grundkenntnisse in den Bereichen Politik, Geschichte und Wirtschaft sind Voraussetzung, um einige Witze und Anspielungen zu verstehen.
Doch wir haben es hier nicht nur mit Unterhaltungsparodie auf höchstem Niveau zu tun - nein, die Geschichte ist auch voll von einfachen Lebensweisheiten, die jeden Leser oder Hörer um Welten in der kognitiven Entwicklung weiterbringt: "Es gibt Solche und Solche. Und dann noch ganz andere. Und das sind die schlimmsten" (frei übersetzt aus Berliner Mundart) Na wenn das mal nicht eine bahnbrechende Erkenntnis ist...

Aufgrund der wieder episodenartigen Handlung und der in Szenenform geschriebenen Kapiteln, bietet es sich hier wirklich an, das Hörbuch zu hören. Gerade bei längeren Autofahrten oder bei banalen Tätigkeiten wie Wäscheaufhängen oder Abwaschen ist es eine willkommene Ablenkung, einige Szenen aus dem Manifest zu hören. Auch wenn ich eigentlich kein bekennender Fan von Hörbüchern bin und immer lieber die Print-Variante bevorzuge, habe ich es hier nicht bereut, die vorgelesene Version gewählt zu haben. Autor Marc-Uwe Kling liest hier selbst vor, live vor Publikum, weshalb immer mal wieder leise Lacher im Hintergrund zu hören sind, welche aber nicht stören. Im Gegensatz zu anderen Autoren merkt man Mark-Uwe an, dass er es gewohnt ist, Texte vorzutragen. Er liest die Rollen des Ich-Erzählers und des Kängurus mit leicht verstellten Stimmen, sodass man die nasale, laute, nerv tötende Stimme des Kängurus immer schön unterscheiden kann. Mit wohlüberlegten Pausen und Betonungen lenkt er das Geschehen in eine richtige Richtung und seine angenehme Stimme konnte mich wirklich mitreißen.

»Es sagt viel über die Welt aus, mein Kind,
sagte der Vater zum Knaben,
dass die Dummen glücklich sind
und die Schlauen Depressionen haben.«
»Hast du Depressionen?«, fragt das Känguru.
»Nee«, sage ich. »Du?«
»Nee.«


Dabei kann man sich den Hörspaß ruhig Häppchenweise zuführen, zu lange Pausen sollte man aber auch nicht machen, denn auch wenn die Szenen oft sehr kurz sind und meistens nichts miteinander zu tun haben, werden immer wieder kleinere Bezüge zur vorangegangenen Handlung gestellt und viele Insiderwitze und Anspielungen setzen voraus, dass man sich noch an Vorhergegangenes erinnert. Es ist eigentlich auch egal, ob man die Chronik gehört oder gelesen hat, hilfreich zum Verständnis von Insiderwitzen ist es aber auf jeden Fall und so entsteht langsam ein zusammenhängendes Bild. Wenn man die ganzen CDs alle auf einen Rutsch hört, werden dem aufmerksamen Hörer bald Parallelen im Aufbau und Verlauf der Szenen auffallen. Natürlich ist auch auf 315 Minuten mal der ein oder andere Witz dabei, der doppelt erscheint. Dass es aber trotzdem immer spannend und witzig bleibt wird durch viele erzähltechnische Elemente garantiert, die Kling wunderbar einwebt. So wechselt er kreativ die Erzählperspektivwechsel, variiert die Erzählzeit, lässt manchmal kurze Erinnerungslücken auftauchen oder peppt die kurzen Kapitel mit Einschüben aus dem Manifest des Kängurus "Opportunismus und Repression" auf. Ein Element, das mittlerweile schon eigenständig berühmt geworden ist, sind die falschen Zitate, bei denen der Autor ein echtes Zitat einer anderen, möglichst unpassenden Person zuordnet. (Ganz unten am Ende der Rezension hab ich euch ein paar Beispiele aufgeschrieben)

Natürlich macht das Känguru die ganze skurrile Geschichte erst so richtig saukomisch. Denn man muss das vorlaute Beuteltier einfach lieben! Manchmal erscheint es wie ein störrisches Kind, dann gibt es Dinge von sich, die eher nach weisem Sensei klingen und danach ist es einfach ein verrückter, tierischer bester Freund. Es traut sich Dinge zu sagen und zu tun, die so mancher von uns schon immer mal machen wollte: Regeln beim Monopoly einfach ändern, aufdringliche Terrier quer durch den Park kicken und Nazis umboxen - das Känguru weiß ganz genau, was es will und ist dabei immer konsequent inkonsequent. Und natürlich ist es auch der absolute Antagonist zum Pinguin. Es ist süchtig nach Schnapspralinen, Bud Spencer Filmen, Nirwana, Fußnoten, Wortspielen und falschen Zitaten. So quält das Känguru ein ums andere mal den armen Marc-Uwe mit lauter fiesen Wortverdrehungen, die dessen Sinn für Sprachästhetik aufs Äußerste strapazieren.

Doch die fiesen Wortverdrehungen, die man wirklich nicht mehr aus dem Kopf bekommt (glaubt mir, ich weiß wo von ich rede, Schankedön, Marc-Uwe) ist nichts im Vergleich zu der Anzahl an kreativen Wortspielen, die Mark-Uwe Kling im Laufe der Geschichte einfallen hat mich wirklich demütig werden lassen. Bekannte Witze wie "Du denkst vielleicht du bist hart, aber ich bin Herta!" oder philosophische Lebensweisheiten wie "Habt ihr schon Mal darüber nachgedacht dass es von uninformiert kein weiter weg zu uniformiert ist..." kommen einfach und fließend in den Dialogen unter.

Jetzt bleibt mir als nächstes noch die Känguru-Offenbarung und dann kommt ja auch schon -gottseidank - ein neues Werk heraus: Die Känguru - Apokryphen.


Zum Abschluss noch mein Top Ten an falsch zugeordneten Zitate:

"Frage nicht, was dein Land für dich tun kann. Frage, was du für dein Land tun kannst.“
– Kim Jong-il

"Ich denke, also bin ich.“
– Til Schweiger

"Da hat das rote Pferd sich einfach umgekehrt und hat mit seinem Schwanz die Fliege abgewehrt.“
– Johann Wolfgang von Goethe

„Wenn man ein 0:2 kassiert, dann ist ein 1:1 nicht mehr möglich.“
– Satz des Pythagoras

„Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“
– Friedrich Schiller

„Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!“
– Benedikt XVI.

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“
– Bob der Baumeister

„Das Boot ist voll.“
– Noah, Sohn des Lamech

„Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.“
– Albert Einstein

„Alles, was wir sind, ist das Resultat von dem, was wir gedacht haben.“
– Bastian Schweinsteiger


Fazit:

Die Erfolgsformel zieht auch hier: 1 Poetry Slammer + 1 kommunistisches Känguru + viele dämlichen Ideen = Suchtpotential und Angriff auf die Lachmuskulatur.
Das Manifest steht den Chroniken in nichts nach, legt jedoch mehr Wert auf schonungslose Sozial-, Politik- und Kapitalismuskritik als auf Situationskomik.
Insgesamt eine Unterhaltungsparodie auf höchstem Niveau, die definitiv den "Witzig"-Stempel erhält!

Veröffentlicht am 23.09.2018

Klug, leise, bunt und mit so viel Schmerz!

Ich gebe dir die Sonne
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Erster Satz: "So fängt alles an."

So fängt sie an, die Geschichte, wie NoahundJude zu Noah und Jude wurden - eine Geschichte
voller Wirrungen, Missverständnisse, Hass und Schmerz, voller Versöhnung, ...

Erster Satz: "So fängt alles an."

So fängt sie an, die Geschichte, wie NoahundJude zu Noah und Jude wurden - eine Geschichte
voller Wirrungen, Missverständnisse, Hass und Schmerz, voller Versöhnung, Liebe, Freundschaft und Glück. Wir werden in unsichtbare Museen entführt, bekommen Ratschläge von toten Großmüttern, lernen Kometen-sammelnde Jungen kennen, ziehen schwebende Kleider an und sehen zu wie sich die Prophezeiung des Papageis "Prophet" erfüllt.
Klingt verwirrend? Lest einfach diese starke, mitreißende, emotionale, tiefschürfende, vielschichtige, manchmal fast schmerzhaft reale Geschichte, am Ende werdet ihr alles verstehen und mit einem sinnigen Lächeln die Buchdeckel zuklappen!!!

Zuerst zum Cover - das (hurraaa) sehr stark dem englischen Original nachempfunden ist. In einem starken Gelbton und mit einer krakeligen, schwarzen Sonne als einziges Motiv ist es auf der einen Seite schlicht, auf der anderen jedoch eine perfekte Verkörperung des Buches. Einzigartig, bunt, künstlerisch und ergreifend - man kann die immense Wucht und Leuchtkraft der Geschichte schon durch die Buchdeckel schimmern sehen. Wer sich vielleicht zu Beginn über den Titel wundert wird bald über den Insider der Zwillinge stoßen, der den Titel zur passenden Vervollständigung eines Gesamtkunstwerks macht.


"Okay", sagt sie. "Bäume, Sterne, Meere. In Ordnung."
"Und die Sonne, Jude."
"Oh, na gut", sagt sie zu meiner großen Überraschung.
"Ich gebe dir die Sonne."
"Dann habe ich jetzt praktisch alles!", sage ich. "Du bist ja verrückt!"
"Aber ich habe ihn."


Wir steigen ohne Umschweife in die Geschichte von NoahundJude ein, die Geschichte von zwei gleichen, ungleichen Zwillingen, die mit dreizehn so unzertrennlich sind, dass ihre Namen immer nur zusammen genannt werden, während sie mit 16 kein einziges Wort mehr wechseln. Fragt sich nur: was ist passiert, dass aus dem künstlerisch begabten Außenseiter Noah eine beliebte Frohnatur geworden ist, die sämtliche Kunst aus seinem Leben verbannt hat, während die eigentlich abenteuerlustige und beliebte Jude, die jeden Jungen um den Finger wickeln konnte, allen männlichen Wesen den Boykott erklärt und sich hinter Ton-Statuen vergräbt, die immer wieder zerbrechen? Eine Frage, die wir Stück für Stück lösen müssen, während wir uns in zwei Zeitebenen immer weiter an die Wahrheit herantasten.

Die erste Perspektive, durch die wir an die Geschichte herangeführt werden, ist die von Noah mit 13 Jahren. Die Kapitel aus seiner Sicht sind mit dem Titel "Das unsichtbare Museum" versehen, da darin Noahs Gedanken durch Selbstporträts unterstützt werden, die er in seinem Kopf malt. Ihm dabei zuzusehen, wie er die Welt aus Farben immer wieder neu erschafft hat mir sehr viel Spaß gemacht, auch wenn es nicht immer leicht ist, sich in ihn einzufühlen. Als Eröffnung dient eine Szene, in der er von ein paar älteren Jungs fast von einer Klippe geworfen wird. Durch diese erste Szene, die etwas befremdlich auf den unvorbereiteten Leser wirkt, werden die Grundprobleme von Noahs Existenz beschrieben, ohne dass wir das bemerken würden. Durch seine hingebungsvolle Liebe zur Kunst und die zurückhaltende Art, wird er von vielen als "seltsam" abgestempelt und ist ein klarer Außenseiter (Selbstporträt: "Junge in einer Kiste Dunkelheit"). Als er dann auch noch merkt, dass er auf die Anwesenheit von gutaussehenden Jungs anders reagiert als andere (Selbstporträt: Betontorpedo), ist er sich sicher: er ist ein hoffnungsloser Fall (Selbstporträt: der kaputte Regenschirm). Dass er mit einer göttlichen Gabe versehen ist, sehr wahrscheinlich an einer renommierten Kunstschule aufgenommen wird und seine Mutter unglaublich stolz ist, tröstet ihn kaum darüber hinweg, dass Jude als draufgängerische Surferin, beliebte Schönheit und ganz normale Vorzeigetochter der klare Liebling ihres Vaters ist (Selbstporträt: Grün vor Neid). Doch so einfach ist das nicht mit den beiden Zwillingen. Obwohl sie unterschiedlicher nicht sein könnten verbindet die beiden eine Beziehung sondergleichen...


"Und?" Er haucht dieses Wort mehr, als dass er es sagt - und da weiß ich, dass er es auch fühlt. Ich denke an die beiden Typen am Himmel, die Schiffe zum Sinken bringen, die Dinge in Flammen gehen lassen - einfach so, ohne Vorwarnung. "Es ist verrückt, dass es passiert", hat er über sie gesagt. "Aber es passiert einfach."
Es passiert einfach. Es passiert uns."


Gerade als Noahs Welt durch die Ankunft eines wunderbaren, schrägen, liebenswürdigen, cleveren Jungen mit einem Koffer voller Sterne Kopf zu stehen beginnt (Selbstporträt: Adam und Adam im Paradies), wechseln wir in die zweite Sichtweise auf die Geschichte: die von der 16jährigen Jude. In keinem Vergleich zu der blonden, aufgeschlossenen Schönheit, die wir zuvor kennengelernt haben, steht nun die verbitterte, zurückgezogene Invalidin, die mit sackartigen Kleidern und kurzen Haaren den Männer-Boykott ausgerufen hat und - Überraschung - statt Noah auf die Kunstschule CSA geht. Denn dieser hat alle Farben ausgekippt, alle Kunstwerke verbrannt und das unsichtbare Museum in seinem Kopf mit Schwarz übergossen, springt von Klippen und geht lieber mit Freunden laufen, als alleine zu malen. Da sich Jude sicher ist, dass der Geist ihrer Mutter ihre Kunstwerke aus Ton zerstört, sucht sie einen Steinbildhauer auf. Und als sie auf den durchgeknallten Künstler Guillermo Garcia trifft, der riesige Steingiganten erschafft um dem Schmerz in seinem gebrochenen Herzen Luft zu verschaffen und Oscar, den charmantesten Engländern kennenlernt, gegen den selbst die Bibel ihrer Großmutter mit hilfreichen Tricks nicht mehr hilft, ahnt sie noch nicht, dass ihr Leben und das von Noah vor einer erneuten Wende steht...


"Wenn das Unglück weiß, wer du bist, dann werde jemand anders."


Es ist wirklich beeindruckend zu sehen, wie sich mit jeder Seite mehr Wirrungen und Verbindungen ergeben, weitere erdrückende Geheimnisse zum Vorschein kommen und langsam jedes Puzzleteil seinen Weg in die Geschichte findet. Durch etliche Andeutungen kommen wir dem Geheimnis immer näher, was dafür gesorgt hat, dass die zerrüttete, in zwei Lager gespaltene Familie endgültig zerbrach, dass die beiden Zwillinge weit auseinander gedriftet sind und ihre Rollen getauscht haben.

Wie auch das Leben der beiden ist das Buch ein stimmungsmäßiges Auf und Ab. Mal wunderschön, mal tieftraurig; mal voller Leben, mal hoffnungslos; mal voller Freude, mal voller Verzweiflung; mal voller Ärger, dann voll Versöhnung. Während die irren Aberglauben und skurrilen Lebensweisheiten von Grandma Sweetwine in Judes Perspektive sowie die mitreißende Leidenschaft der Kunstbeschreibungen in Noahs Perspektive immer wieder zum Schmunzeln und Träumen anregen, wirken die vielen kleinen Wahrheiten, die in der Beschreibung einer familiären Beziehung stecken immer wieder wie ein Messer in die eigene Brust. Der immensen Konkurrenzkampf der Zwillinge, rasende Eifersucht, düstere Geheimnisse, kleine, nicht böse gemeinte Bemerkungen, große Verluste, böse Streiche und Nicht-Ehrlich-Sein-Können - da ist auch so viel Schmerz in der Geschichte, wie ihn nur Teenager empfinden können, die sich von der ganzen Welt unverstanden fühlen. Zum Lachen und Weinen, Lieben und Hassen ist die Geschichte der beiden Zwillinge, die sich gleichzeitig näher sind als alle anderen Menschen der Welt, sich dadurch aber immer wieder selber von sich stoßen.


"Wir atmen und treiben dahin. ich stelle mir vor, wie wir durch den Nachthimmel zum strahlenden Mond schwimmen, und hoffe, dass ich mich morgen früh noch an das Bild erinnere, damit ich es malen und ihr schenken kann. Bevor ich ganz weg bin, höre ich sie sagen: "Ich liebe dich immer noch am meisten" und ich erwidere: "Ich auch."


Mitten in all den Schmerz und die Verwirrung platzt bei beiden die Liebe. Wir haben es hier zwar mit ganz vielen verschiedenen Arten von Liebe zu tun - vor allem Geschwisterliebe - doch auch die Romantik kommt nicht zu kurz. Denn sowohl Noah als auch Jude haben laut ihrer Großmutter eine beneidenswerte Liebeslinie in der Handfläche. Während Noah sich für Brian mit seiner Sexualität auseinandersetzten, über gesellschaftliche Konventionen hinwegsetzten und entscheiden muss, was ihm wirklich wichtig ist, muss Jude für Oscar ihren Boykott brechen und sich mit ihrer Schuld beschäftigen, die sie in der Vergangenheit auf sich geladen hat.

Mitten in dem ganzen Durcheinander aus Gefühlen und verwirrenden Andeutungen der beiden besonderen Charakteren sitzen viele wichtige Themen versteckt: neben der Kunst und der Liebe geht es vor allem um Trauerbewältigung, Homosexualität, Selbstfindung und die Fähigkeit, sich selbst verzeihen zu können. Wenn man von den strahlenden Kunstwerken, den Geistern von toten Großmüttern mit irren Ratschlägen und heftigen Schicksalsschlägen einmal absieht, lassen sich etliche Probleme und Gedanken wiederfinden, die mal subtil versteckt, mal klar hervorgehoben, sensibel und facettenreich direkt etwas für den eigenen Alltag mitgeben.


"Guillermo hat gesagt, die Risse und Brüche seien das Beste und Interessante an den Arbeiten meiner Mappe, fällt mir ein. Vielleicht ist es mit Menschen und ihren Rissen und Brüchen dasselbe."


Dass dem Buch dieser ganz besondere Zauber von Lebhaftigkeit und sprühender Kreativität innewohnt, hat es vor allem dem Schreibstil von Jandy Nelson zu verdanken. Sie schreibt so bildhaft, dass sie einen direkt ins Herz zu treffen scheint und lässt dabei wie Noah vor seinem inneren Auge im Kopf des Lesers farbenfrohe Bilder von berührenden Wundern, strahlenden Malereien, schwebenden Kleider und dunklen Abgründen entstehen. Mitten ins Leben setzt sie skurrile Nebenpersonen wie der nur mäßig hilfreiche Geist von Grandma Sweetwine oder den rustikalen Bildhauer Guillermo, der "mit den Händen wünschen" kann und erstaunt immer wieder aufs Neue, wie viel Ungewöhnliches man im lauen Alltag finden kann, wenn man nur genau hinsieht. Gefühlvoll und unheimlich stark spinnt sie zarte Fäden um aus ein wenig Emotionen, Gedanken, Bilder und Formen eine Geschichte zu schaffen, die ich so schnell nicht mehr vergessen werde.

Das einzige, was mich nicht zu 100% begeistern konnte war das Ende, das nach dem heftigen Auf und Ab der Geschichte zwar eine angenehme Erleichterung bot, auf der anderen Seite aber doch fast ein wenig zu glatt, lau und einfach erschien. Dass selbst der vom Papagei Prophet so heftig verlangte Ralph gefunden wird, war für mich ein bisschen Zuviel des Guten. Aber ich werde mich ganz bestimmt nicht über ein Happy End beschweren, nicht nachdem ich 480 Seiten lang mitgelitten habe und neben ein paar Tränchen vor allem viel Schokolade, meine Fingernägel und Stunden Schlaf geopfert habe.


"Die Zeit ist reif für zweite Chancen. Die Zeit ist reif, die Welt neu zu erschaffen. (…) Die Maschine erwacht laut kreischend zum leben. Mein ganzer Körper vibriert elektrisiert, als ich den Stein in zwei Teile zerlege. Damit NoahundJude zu Noah und Jude werden.
"Du tötest sie?", fragt Guillermo ungläubig.
"Nein, ich habe sie gerettet."
Endlich."



Fazit:

Eine Geschichte über künstlerische Leidenschaft, über den ekstatischen Impuls und Dualseelen, die durch den unfassbaren Sturm aus starken, wunderschön passenden, hässlich schmerzhaften und vor allem wahnsinnig durchdringenden Emotionen begeistert hat.
Klug, leise, bunt und mit so viel Schmerz!

Veröffentlicht am 23.09.2018

Klug, leise, bunt und mit so viel Schmerz!

Ich gebe dir die Sonne
0

Erster Satz: "So fängt alles an."

So fängt sie an, die Geschichte, wie NoahundJude zu Noah und Jude wurden - eine Geschichte
voller Wirrungen, Missverständnisse, Hass und Schmerz, voller Versöhnung, ...

Erster Satz: "So fängt alles an."

So fängt sie an, die Geschichte, wie NoahundJude zu Noah und Jude wurden - eine Geschichte
voller Wirrungen, Missverständnisse, Hass und Schmerz, voller Versöhnung, Liebe, Freundschaft und Glück. Wir werden in unsichtbare Museen entführt, bekommen Ratschläge von toten Großmüttern, lernen Kometen-sammelnde Jungen kennen, ziehen schwebende Kleider an und sehen zu wie sich die Prophezeiung des Papageis "Prophet" erfüllt.
Klingt verwirrend? Lest einfach diese starke, mitreißende, emotionale, tiefschürfende, vielschichtige, manchmal fast schmerzhaft reale Geschichte, am Ende werdet ihr alles verstehen und mit einem sinnigen Lächeln die Buchdeckel zuklappen!!!

Zuerst zum Cover - das (hurraaa) sehr stark dem englischen Original nachempfunden ist. In einem starken Gelbton und mit einer krakeligen, schwarzen Sonne als einziges Motiv ist es auf der einen Seite schlicht, auf der anderen jedoch eine perfekte Verkörperung des Buches. Einzigartig, bunt, künstlerisch und ergreifend - man kann die immense Wucht und Leuchtkraft der Geschichte schon durch die Buchdeckel schimmern sehen. Wer sich vielleicht zu Beginn über den Titel wundert wird bald über den Insider der Zwillinge stoßen, der den Titel zur passenden Vervollständigung eines Gesamtkunstwerks macht.


"Okay", sagt sie. "Bäume, Sterne, Meere. In Ordnung."
"Und die Sonne, Jude."
"Oh, na gut", sagt sie zu meiner großen Überraschung.
"Ich gebe dir die Sonne."
"Dann habe ich jetzt praktisch alles!", sage ich. "Du bist ja verrückt!"
"Aber ich habe ihn."


Wir steigen ohne Umschweife in die Geschichte von NoahundJude ein, die Geschichte von zwei gleichen, ungleichen Zwillingen, die mit dreizehn so unzertrennlich sind, dass ihre Namen immer nur zusammen genannt werden, während sie mit 16 kein einziges Wort mehr wechseln. Fragt sich nur: was ist passiert, dass aus dem künstlerisch begabten Außenseiter Noah eine beliebte Frohnatur geworden ist, die sämtliche Kunst aus seinem Leben verbannt hat, während die eigentlich abenteuerlustige und beliebte Jude, die jeden Jungen um den Finger wickeln konnte, allen männlichen Wesen den Boykott erklärt und sich hinter Ton-Statuen vergräbt, die immer wieder zerbrechen? Eine Frage, die wir Stück für Stück lösen müssen, während wir uns in zwei Zeitebenen immer weiter an die Wahrheit herantasten.

Die erste Perspektive, durch die wir an die Geschichte herangeführt werden, ist die von Noah mit 13 Jahren. Die Kapitel aus seiner Sicht sind mit dem Titel "Das unsichtbare Museum" versehen, da darin Noahs Gedanken durch Selbstporträts unterstützt werden, die er in seinem Kopf malt. Ihm dabei zuzusehen, wie er die Welt aus Farben immer wieder neu erschafft hat mir sehr viel Spaß gemacht, auch wenn es nicht immer leicht ist, sich in ihn einzufühlen. Als Eröffnung dient eine Szene, in der er von ein paar älteren Jungs fast von einer Klippe geworfen wird. Durch diese erste Szene, die etwas befremdlich auf den unvorbereiteten Leser wirkt, werden die Grundprobleme von Noahs Existenz beschrieben, ohne dass wir das bemerken würden. Durch seine hingebungsvolle Liebe zur Kunst und die zurückhaltende Art, wird er von vielen als "seltsam" abgestempelt und ist ein klarer Außenseiter (Selbstporträt: "Junge in einer Kiste Dunkelheit"). Als er dann auch noch merkt, dass er auf die Anwesenheit von gutaussehenden Jungs anders reagiert als andere (Selbstporträt: Betontorpedo), ist er sich sicher: er ist ein hoffnungsloser Fall (Selbstporträt: der kaputte Regenschirm). Dass er mit einer göttlichen Gabe versehen ist, sehr wahrscheinlich an einer renommierten Kunstschule aufgenommen wird und seine Mutter unglaublich stolz ist, tröstet ihn kaum darüber hinweg, dass Jude als draufgängerische Surferin, beliebte Schönheit und ganz normale Vorzeigetochter der klare Liebling ihres Vaters ist (Selbstporträt: Grün vor Neid). Doch so einfach ist das nicht mit den beiden Zwillingen. Obwohl sie unterschiedlicher nicht sein könnten verbindet die beiden eine Beziehung sondergleichen...


"Und?" Er haucht dieses Wort mehr, als dass er es sagt - und da weiß ich, dass er es auch fühlt. Ich denke an die beiden Typen am Himmel, die Schiffe zum Sinken bringen, die Dinge in Flammen gehen lassen - einfach so, ohne Vorwarnung. "Es ist verrückt, dass es passiert", hat er über sie gesagt. "Aber es passiert einfach."
Es passiert einfach. Es passiert uns."


Gerade als Noahs Welt durch die Ankunft eines wunderbaren, schrägen, liebenswürdigen, cleveren Jungen mit einem Koffer voller Sterne Kopf zu stehen beginnt (Selbstporträt: Adam und Adam im Paradies), wechseln wir in die zweite Sichtweise auf die Geschichte: die von der 16jährigen Jude. In keinem Vergleich zu der blonden, aufgeschlossenen Schönheit, die wir zuvor kennengelernt haben, steht nun die verbitterte, zurückgezogene Invalidin, die mit sackartigen Kleidern und kurzen Haaren den Männer-Boykott ausgerufen hat und - Überraschung - statt Noah auf die Kunstschule CSA geht. Denn dieser hat alle Farben ausgekippt, alle Kunstwerke verbrannt und das unsichtbare Museum in seinem Kopf mit Schwarz übergossen, springt von Klippen und geht lieber mit Freunden laufen, als alleine zu malen. Da sich Jude sicher ist, dass der Geist ihrer Mutter ihre Kunstwerke aus Ton zerstört, sucht sie einen Steinbildhauer auf. Und als sie auf den durchgeknallten Künstler Guillermo Garcia trifft, der riesige Steingiganten erschafft um dem Schmerz in seinem gebrochenen Herzen Luft zu verschaffen und Oscar, den charmantesten Engländern kennenlernt, gegen den selbst die Bibel ihrer Großmutter mit hilfreichen Tricks nicht mehr hilft, ahnt sie noch nicht, dass ihr Leben und das von Noah vor einer erneuten Wende steht...


"Wenn das Unglück weiß, wer du bist, dann werde jemand anders."


Es ist wirklich beeindruckend zu sehen, wie sich mit jeder Seite mehr Wirrungen und Verbindungen ergeben, weitere erdrückende Geheimnisse zum Vorschein kommen und langsam jedes Puzzleteil seinen Weg in die Geschichte findet. Durch etliche Andeutungen kommen wir dem Geheimnis immer näher, was dafür gesorgt hat, dass die zerrüttete, in zwei Lager gespaltene Familie endgültig zerbrach, dass die beiden Zwillinge weit auseinander gedriftet sind und ihre Rollen getauscht haben.

Wie auch das Leben der beiden ist das Buch ein stimmungsmäßiges Auf und Ab. Mal wunderschön, mal tieftraurig; mal voller Leben, mal hoffnungslos; mal voller Freude, mal voller Verzweiflung; mal voller Ärger, dann voll Versöhnung. Während die irren Aberglauben und skurrilen Lebensweisheiten von Grandma Sweetwine in Judes Perspektive sowie die mitreißende Leidenschaft der Kunstbeschreibungen in Noahs Perspektive immer wieder zum Schmunzeln und Träumen anregen, wirken die vielen kleinen Wahrheiten, die in der Beschreibung einer familiären Beziehung stecken immer wieder wie ein Messer in die eigene Brust. Der immensen Konkurrenzkampf der Zwillinge, rasende Eifersucht, düstere Geheimnisse, kleine, nicht böse gemeinte Bemerkungen, große Verluste, böse Streiche und Nicht-Ehrlich-Sein-Können - da ist auch so viel Schmerz in der Geschichte, wie ihn nur Teenager empfinden können, die sich von der ganzen Welt unverstanden fühlen. Zum Lachen und Weinen, Lieben und Hassen ist die Geschichte der beiden Zwillinge, die sich gleichzeitig näher sind als alle anderen Menschen der Welt, sich dadurch aber immer wieder selber von sich stoßen.


"Wir atmen und treiben dahin. ich stelle mir vor, wie wir durch den Nachthimmel zum strahlenden Mond schwimmen, und hoffe, dass ich mich morgen früh noch an das Bild erinnere, damit ich es malen und ihr schenken kann. Bevor ich ganz weg bin, höre ich sie sagen: "Ich liebe dich immer noch am meisten" und ich erwidere: "Ich auch."


Mitten in all den Schmerz und die Verwirrung platzt bei beiden die Liebe. Wir haben es hier zwar mit ganz vielen verschiedenen Arten von Liebe zu tun - vor allem Geschwisterliebe - doch auch die Romantik kommt nicht zu kurz. Denn sowohl Noah als auch Jude haben laut ihrer Großmutter eine beneidenswerte Liebeslinie in der Handfläche. Während Noah sich für Brian mit seiner Sexualität auseinandersetzten, über gesellschaftliche Konventionen hinwegsetzten und entscheiden muss, was ihm wirklich wichtig ist, muss Jude für Oscar ihren Boykott brechen und sich mit ihrer Schuld beschäftigen, die sie in der Vergangenheit auf sich geladen hat.

Mitten in dem ganzen Durcheinander aus Gefühlen und verwirrenden Andeutungen der beiden besonderen Charakteren sitzen viele wichtige Themen versteckt: neben der Kunst und der Liebe geht es vor allem um Trauerbewältigung, Homosexualität, Selbstfindung und die Fähigkeit, sich selbst verzeihen zu können. Wenn man von den strahlenden Kunstwerken, den Geistern von toten Großmüttern mit irren Ratschlägen und heftigen Schicksalsschlägen einmal absieht, lassen sich etliche Probleme und Gedanken wiederfinden, die mal subtil versteckt, mal klar hervorgehoben, sensibel und facettenreich direkt etwas für den eigenen Alltag mitgeben.


"Guillermo hat gesagt, die Risse und Brüche seien das Beste und Interessante an den Arbeiten meiner Mappe, fällt mir ein. Vielleicht ist es mit Menschen und ihren Rissen und Brüchen dasselbe."


Dass dem Buch dieser ganz besondere Zauber von Lebhaftigkeit und sprühender Kreativität innewohnt, hat es vor allem dem Schreibstil von Jandy Nelson zu verdanken. Sie schreibt so bildhaft, dass sie einen direkt ins Herz zu treffen scheint und lässt dabei wie Noah vor seinem inneren Auge im Kopf des Lesers farbenfrohe Bilder von berührenden Wundern, strahlenden Malereien, schwebenden Kleider und dunklen Abgründen entstehen. Mitten ins Leben setzt sie skurrile Nebenpersonen wie der nur mäßig hilfreiche Geist von Grandma Sweetwine oder den rustikalen Bildhauer Guillermo, der "mit den Händen wünschen" kann und erstaunt immer wieder aufs Neue, wie viel Ungewöhnliches man im lauen Alltag finden kann, wenn man nur genau hinsieht. Gefühlvoll und unheimlich stark spinnt sie zarte Fäden um aus ein wenig Emotionen, Gedanken, Bilder und Formen eine Geschichte zu schaffen, die ich so schnell nicht mehr vergessen werde.

Das einzige, was mich nicht zu 100% begeistern konnte war das Ende, das nach dem heftigen Auf und Ab der Geschichte zwar eine angenehme Erleichterung bot, auf der anderen Seite aber doch fast ein wenig zu glatt, lau und einfach erschien. Dass selbst der vom Papagei Prophet so heftig verlangte Ralph gefunden wird, war für mich ein bisschen Zuviel des Guten. Aber ich werde mich ganz bestimmt nicht über ein Happy End beschweren, nicht nachdem ich 480 Seiten lang mitgelitten habe und neben ein paar Tränchen vor allem viel Schokolade, meine Fingernägel und Stunden Schlaf geopfert habe.


"Die Zeit ist reif für zweite Chancen. Die Zeit ist reif, die Welt neu zu erschaffen. (…) Die Maschine erwacht laut kreischend zum leben. Mein ganzer Körper vibriert elektrisiert, als ich den Stein in zwei Teile zerlege. Damit NoahundJude zu Noah und Jude werden.
"Du tötest sie?", fragt Guillermo ungläubig.
"Nein, ich habe sie gerettet."
Endlich."



Fazit:

Eine Geschichte über künstlerische Leidenschaft, über den ekstatischen Impuls und Dualseelen, die durch den unfassbaren Sturm aus starken, wunderschön passenden, hässlich schmerzhaften und vor allem wahnsinnig durchdringenden Emotionen begeistert hat.
Klug, leise, bunt und mit so viel Schmerz!