Platzhalter für Profilbild

Rico

Lesejury-Mitglied
offline

Rico ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Rico über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.10.2016

brisantes Thema

Das Nest
0

„Das Nest“ von Cynthia D'Aprix Sweeney ist zuallererst einmal ein New York Roman. Hier ist alles eine Nummer größer, die Häuser, der Erfolg, das eigene Ego, ein idealer Hintergrund für die Abgründe der ...

„Das Nest“ von Cynthia D'Aprix Sweeney ist zuallererst einmal ein New York Roman. Hier ist alles eine Nummer größer, die Häuser, der Erfolg, das eigene Ego, ein idealer Hintergrund für die Abgründe der menschlichen Seele und wann entzünden sich innerfamiliäre Konflikte am ehesten? Kaum zu glauben, wenn es eine Erbschaft zu verteilen gibt! Und diese vier Ostküstennarren, in zwei Männer und zwei Frauen aufgeteilt, sind typische Vertreter ihrer Stadt. Alle auf dem Weg nach unten, bemüht den Anschluss an die amerikanische Mittelschicht zu halten, aber finanziell, beruflich und gesundheitstechnisch unter Druck, was sich beim Testosteron geplagten Alphamännchen Leo, darin niederschlägt keiner Droge aus dem Wege fahren zu können, weder dem Kokain noch den zweibeinigen Versuchungen, die völlig talentfrei immer ins Musikbusiness wollen.

Es kommt zu einem schicksalhaften Autounfall, der eine Lawine in Gang setzt, die die ganze Familie mitzureißen scheint. Sein homosexueller Bruder Jack braucht dringend Bares, weil sein Kunsthandel auf der Kippe steht. Für die erfolglose schriftstellernde Schwester Beatrice ist die Erbschaft, die alle nur als Nest bezeichnen, die letzte Ausfahrt vor der totalen Bedeutungslosigkeit. Während bei der vierten im Bunde- Melody eher die Familiengemütlichkeit und der Dazugehörigkeitswahn der amerikanischen Mittelklasse im Vordergrund steht.

Erbschaftsromane sind ein dankbares Genre. Die Konfliktlinien ziehen sich quer durch die Familie und dennoch ringt die Autorin ein paar mal zu früh die Spannung nieder, indem sie die Fallhöhe ihres Quartetts auf ein Minimum reduziert, was ich persönlich schade fand. Dafür bewegt sich das Buch dann in ganz andere Bahnen oder noch unbekannten Pfaden, zumindest für mich, der noch nichts in der Richtung- wie verhalten und verändern sich Menschen, die immer gewusst haben eines Tages zu erben, nach der ersten Enttäuschung alles verloren zu haben?

Und das wiederum fand ich sehr spannend erzählt, von einer Frau, die sich mit zunehmender Romanlänge regelrecht frei schreibt. Hinten raus hat das Ding wahrlich Sogwirkung und manche Überraschung, die in einen Erkenntnisgewinn münden. Keine Frage. Bis dahin sind jedoch einige Längen zu überbrücken. Alles in allem ein empfehlenswerter Roman mit überraschendem Ende.

Veröffentlicht am 17.09.2016

leiser Sieg!

Lebensgeister
0

Wenn es noch niemals einen Roman der ganz leisen Töne geschrieben worden ist, dann hat ihn Banana Yoshimoto mit « Lebensgeister » geschrieben. Knapp 160 Seiten zählt das neue Werk der weltweit erfolgsverwöhnten ...

Wenn es noch niemals einen Roman der ganz leisen Töne geschrieben worden ist, dann hat ihn Banana Yoshimoto mit « Lebensgeister » geschrieben. Knapp 160 Seiten zählt das neue Werk der weltweit erfolgsverwöhnten Japanerin. Ausgerechnet der Tod steht im Mittelpunkt. Es gibt leichtere Themen.

Doch keine Bange, diesem schmalen Diogenes Band fehlt es gänzlich an deutscher Schwermut, um die Zeit danach zu beweinen. Die Autorin wählt einen anderen Weg, fast devot mit außergewöhnlicher Leichtigkeit nähert sich ihre Protagonistin Sayoko der unabänderlichen Wahrheit an, dass ihr Freund bei einem Autounfall, bei dem sie zugegen war tödliche Verletzungen erlitten hat und ins Reich der Toten übergetreten ist.

Ja, da durchweht durchaus ein Hauch Esoterik die aufgeschlagenen Seiten und dennoch dürfte es selbst geübten Zynikern schwerfallen sich diesem Text zu entziehen. Denn die Zeilen üben ohne Zweifel eine Sogwirkung aus, was nich zuletzt dem formidablen Schreibstil der Autorin geschuldet ist. Banana Yoshimoto hat eine Gabe mit wenig Worten sehr viel auszusagen. Sie ist zweifelsfrei eine Künstlerin der Reduktion.

Schon das Anfangsbild, wie Sayoko selbst von einer Metallstange durchbohrt im Auto verharrt ist so ungeheuer stark dargebracht, dass man den Roman in der Folgezeit praktisch nicht aus der Hand legen kann. Sayoko überlebt, aber sie ist nicht mehr die Alte. Noch ist es ihr unmöglich von ihrem Freund loszulassen und so wählt sie den Weg aller Introvertierten nach innen zu gehen, womit in Japan vielleicht jene von Geistern beseelte Zwischenwelt gemeint ist, die auf dem Buchumschlag angekündigt wird.

Ihr Freund war ein international anerkannter Künstler, den im fernen Osten kaum einer kannte. Sayoko kümmert sich von nun an um den Nachlass und nimmt Verbindung zu den Toten auf. Es entsteht tatsächlich eine geradezu magische Atmosphäre, die mich natürlich manchmal an Murakami erinnerte. Aber Banana Yoshimoto schreibt bei weitem zarter, extrem einfühlsam und voller kleiner und großer Lebensweisheiten, die hängen bleiben.

Überhaupt Japan. Der ganze Roman wird durchweht von diesem Land und atmet Achtsamkeit, Tradition und Hingabe. Danke für dieses wunderschöne Buch !

Veröffentlicht am 15.09.2016

atemberaubend gut!

DIE WAHRHEIT
0

Melanie Rabe erzählt eine ungewöhnliche Geschichte. Es ist sieben Jahre her, dass Sarah ihren Mann das letzte Mal gesehen hat. Philipp ist auf einer Reise nach Kolumbien spurlos verschwunden und taucht ...

Melanie Rabe erzählt eine ungewöhnliche Geschichte. Es ist sieben Jahre her, dass Sarah ihren Mann das letzte Mal gesehen hat. Philipp ist auf einer Reise nach Kolumbien spurlos verschwunden und taucht nun plötzlich wieder in ihrem Leben auf, doch Sarah steht vor einem Fremden. Wer ist dieser Mann, der behauptet mit ihr verheiratet zu sein? Erzählt wird der Roman fast ausschließlich aus Sarahs Perspektive.

Der einfühlsam geschriebene Thriller schlägt Haken, wie ein davon laufender Hase. Er liest sich auch Sau- schnell und ist sehr einfühlsam geschrieben, was vor allem für die Anfangsphase gilt, welche eine ganz schöne Sogwirkung ausübt. Gerade das Innenleben Sarahs wird anschaulich erkundet und natürlich kommen da aus der Vergangenheit Dinge nach oben, die so nicht einmal annähernd zu erahnen sind. Dubios der angebliche Ehemann. Wenig hilfreich das persönliche Umfeld der verwunderten Sarah, die sich schon bald bedroht fühlt. Selbst ihre demente Schwiegermutter fällt ihr verbal in den Rücken, was durchaus eine gewisse Komik hat. Vor allem ein Umstand macht Sarah misstrauisch. Denn der Gemahl hat ihr eine Stange Geld hinterlassen, auf das es viele Leute abgesehen zu scheinen haben.

Nun, wie finde ich das Buch? Über weite Strecken des Romans habe ich das Buch als spannend empfunden, wenn es auch letztlich nur zwei Möglichkeiten gibt, auf die das Ganze hinausläuft. Ist das ihr Ehemann oder nicht? Schwächen sehe ich vor allem in der Logik, die manchmal arg zurechtgebogen wird. Und dennoch hat mir das Buch durchaus gefallen. Melanie Raabe hat einfach ein Händchen für vielschichtige Charaktere und unterhaltsame Geschichten, keine Frage. Vor allem ihr Schreibstil ist unschlagbar gut. Was allerdings die Schwächen nicht gänzlich auffangen kann. Alles in allem ein interessanter Roman mit einigen Mängeln. Aber durchaus zu empfehlen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein tolles Buch!

Meine geniale Freundin
0

Das Buch „Meine geniale Freundin“ beginnt mit dem Verschwinden einer alten Dame. Der Sohn sucht seine Mutter und bittet deren liebste Freundin seit Kindheitstagen, um Hilfe. Elena glaubt, dass Lila ein ...

Das Buch „Meine geniale Freundin“ beginnt mit dem Verschwinden einer alten Dame. Der Sohn sucht seine Mutter und bittet deren liebste Freundin seit Kindheitstagen, um Hilfe. Elena glaubt, dass Lila ein altes Versprechen wahr gemacht hat und erinnert sich an ihre gemeinsame Vergangenheit in Neapel. Und schon steht man mitten in einem fulminant erzählten Roman, der sich liest, als wäre er direkt im Vesuv entsprungen, um sich in das Herz des Lesers zu fressen. Denn zweifellos hat der Erzählstrom etwas von glühend heißer Lava, die sich in Richtung Meer bewegt. Raffaella Cerullo, genannt Lila ist ein äußerst begabtes Mädchen, dem Wissen nur so zuzufliegen scheint, während sich ihre Freundin Elena alles hart in der Schule erarbeiten muss. Was jedoch keineswegs zur Verstimmung zwischen den Beiden untereinander führt. Im Gegenteil! Hier haben sich zwei junge Mädchen gesucht und gefunden.

Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg ist eine Zeit des Aufbruchs, der großen Maulhelden und Messerstechern, aus einem kleinbürgerlichen Milieu entsprungen. Ein Ort der Spieler, Engherzigen, Verlierer, Schläger und Fantasten, deren natürliche Grenze das Meer und windschiefe Klassenlehrerin ist, jedenfalls solange man noch zur Schule geht. Lila ist anders. Sie geht wie so viele überdurchschnittlich Begabte einen sehr eigenen Weg. Sie wirft die Möglichkeiten ihrer Intelligenz und Lernfähigkeit fort, weil sie kein blinder Denkapparat werden will, um es gegen Glück einzutauschen, was zu dieser Zeit dummerweise immer irgendwie mit Männern zu tun haben muss. Als könnten Frauen Glücklich sein nicht alleine! Aber das ist ein anderes Thema. Elena bleibt zunächst einmal auf der Einbahnstraße Schule, Hochzeit, Kinder. Sie übertrifft mit ihren schulischen Leistungen sogar ihre Freundin, einfach weil sie hart an sich arbeiten muss, um andere und sich selbst nicht zu enttäuschen.

Und die Überraschung passiert. Dieses im Grunde ja relativ simple Romankonstrukt wird zu Glühen gebracht. Allein dafür gehört der Autorin schon meine Bewunderung. Das ist alles so Lebensprall erzählt, dass ich nur ins Schwärmen geraten kann. Das Italien der damaligen Zeit erscheint dem Leser vor Augen, die Menschen bekommen ein Gesicht und das Geschehen berührt den Leser. Einziges Manko: ich hätte gerne ein bisschen mehr Drama gehabt. Womit wir wieder beim Vesuv wären! Man kann nur hoffen, das der zweite Teil ähnlich gut abgeht. Auf ein neues!

Veröffentlicht am 15.09.2016

einfach gut!

Die unsterbliche Familie Salz
0

Christopher Kloeble ist für mich ein neuer Name im Literaturkosmos. Ich war schon sehr gespannt auf seinen Roman „Die unsterbliche Familie Salz“ einfach weil ich generationsübergreifende Geschichten mag, ...

Christopher Kloeble ist für mich ein neuer Name im Literaturkosmos. Ich war schon sehr gespannt auf seinen Roman „Die unsterbliche Familie Salz“ einfach weil ich generationsübergreifende Geschichten mag, die in einen geschichtlich interessanten Hintergrund eingebettet sind und es ordentlich im Getriebe des zwischenmenschlichen Miteinanders krachen lassen. Dreh und Angelpunkt ist das Hotel Fürstenhof in Leipzig, der Stadt der Bücher, in die die Familie Salz aus der Stadt des Bieres zieht, also München. Das Buch wird aus der Perspektive verschiedener Familienmitglieder erzählt.

Eine herausragende Rolle nimmt die fesche Lola ein, die einen gewissen Hang zur Tragik, Schauspielerei, Schattenlosen Männern und alkoholreichen Likörchen hat. Sie ist nach Weltkrieg 2 in München gestrandet und pendelt zwischen einer ungemein starken Frauenfigur und tiefer Verletzung, ja heute würde man sagen Trauma, hin und her, was dem Roman eine große Würde und Figurentiefe verleiht, die einen Leser süchtig werden lassen. Sie ist ein Jahrhundert Weib, die sich nichts sehnlicher wünscht, als zur Nachwendezeit den Fürstenhof zurück zu erlangen. Denn hier hat das Schicksal eine grausame Wendung genommen, hier soll alles ins Lot kommen und so macht sie sich auf den Weg, von der versammelten Familienmischpoke begleitet.

Chistopher Kloeble hat mit seiner Familie Salz mit einer Ausnahme alles richtig gemacht. Er baut gescheit Spannung auf, fängt geschickt Atmosphärisches ein, zeigt die Menschen wie sie sind und hält sein Erzähltempo bis zum Schluss, dass einem beim Lesen manchmal ganz schwindlig wird. Dazu serviert er gekonnt Lebensweisheiten wie auf Seite 197 „Die Stille ist so laut, dass du nicht schlafen kannst“ Das alles in einer eindringlichen Sprache, die den Leser durch eine kunstvolle Ausgestaltung gefangen nimmt. Kloeble schafft den Spagat zwischen Unterhaltung und hoher Literatur, indem er fortdauernd tief bohrt und die dramatischen Ereignisse, wie mit einem Sturmgewehr auf den Leser abfeuert.

Insgesamt ein sehr rundes Lesevergnügen mit einem kleinen Manko, denn für meinen Geschmack fällt der Schluss des Buches leicht ab. Sonst wären bei mit tatsächlich fünf Punkte möglich gewesen. Dehli fand ich einfach zu viel und die Emotionen im Finale ein bisschen zu wenig, was Geschmackssache sein mag. Trotzdem ein richtig guter Roman!