Warum ist es am Rhein so schön?
Die vergessene BurgDieser Frage gingen viele Engländer schon im 19. Jahrhundert nach und bereisten das Rheinland. Vielen davon gefiel es dort so gut, dass sie sich dort, vorzugsweise in Bonn, niederließen. Das war damals ...
Dieser Frage gingen viele Engländer schon im 19. Jahrhundert nach und bereisten das Rheinland. Vielen davon gefiel es dort so gut, dass sie sich dort, vorzugsweise in Bonn, niederließen. Das war damals eine gemütliche Stadt mit viel Lokalkolorit und herrlichen Ausblicken auf Rhein und den Drachenfels (an denen sich im Übrigen bis zum heutigen Tage nicht allzuviel geändert hat). Doch auch Kultur und Bildung spielten bereits eine Rolle: just im Jahre 1818 hatte der preußische König Friedrich III. dort eine Universität im Humboldtschen Geiste begründet - also in der Tat ein anregendes und für viele verlockendes Pflaster.
Im Jahre 1868 zieht es auch Paula Cooper, die ein zurückgezogenes Leben als Gesellschafterin einer kränklichen Verwandten führt, dorthin. Doch ihre Gründe sind ganz andere: Sie erhält einen Brief von ihrem dort lebenden Onkel Rudy, dem Bruder ihres längst verstorbenen Vaters, von dessen Existenz sie bislang gar nichts wusste. Rudy ist leider schwer erkrankt und möchte sie vor seinem Tode kennenlernen. Warum will Paulas Mutter, die kühle Margaret, diesen Besuch verhindern?
Paula jedoch lässt sich nicht aufhalten und in Bonn angekommen, offenbart sich ihr eine vollkommen neue Welt, die nicht nur das Kennen- und Schätzenlernen ihres bezaubernden Onkels, sondern auch die Begegnung mit einem für sie ganz neuen Lebensstil, einer fremden, aber auch sehr offenen Kultur und vielen faszinierenden Menschen umfasst. Und sie stellt fest, dass sie bisher fast nichts über ihre Herkunft und die Familiengeschichte wusste und dass es noch so einige Geheimnisse zu ergründen gibt, deren Auflösung sie merkwürdigerweise in Deutschland, genauer gesagt: am Rheinufer näher zu kommen scheint.
Susanne Goga hat schon durch ihre historischen Krimis um Kommissar Leo Wechsler im Berlin der 1920er Jahre ihr großartiges Talent in Sachen historische Romane unter Beweis gestellt: auf der einen Seite recherchiert sie akribisch und integriert fundierte, oft wenig bekannte Fakten in ihre Handlung, auf der anderen Seite bietet sie eine fiktive Geschichte mit jeder Menge Spannung und Emotionen - aber ohne jeglichen Kitschfaktor.
Auch hier ist ihr dies wieder aufs Trefflichste gelungen: "Die vergessene Burg" ist ein ebenso packender wie dramatischer und kluger Roman um das Schicksal einer nicht mehr ganz jungen Engländerin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nicht nur gelingt es ihr, das Porträt einer ebenso typischen wie untypischen Frau des 19. Jahrhunderts zu zeichnen, nein, sie bettet diese auch elegant und gekonnt in die historischen Gegebenheiten ein und zeichnet so ein faszinierendes Bild vom Leben vor allem der gehobenen Mittelschicht in England und Deutschland in dieser Zeit.
Ein ganz großartiges Leseerlebnis ist es, das Ihnen mit diesem wunderbaren Buch geboten wird. Susanne Goga bleibt ihrem gewohnt eloquenten und eindringlichen Stil, der stets von Humor begleitet wird, treu. Für mich als Rheinländerin ein ganz besonderer literarischer Genuss, der lange nachhallen wird und dazu einlädt, sich auch weiterhin mit der Geschichte Deutschlands, Englands, Frankreichs und weiterer Länder, vor allem aber: mit der Geschichte der Frauen zu beschäftigen. Definitiv eines meiner literarischen Highlights in den letzten Monaten!