"Aber der Tod ist der Preis, den wir für die Schönheit bezahlen."
StiefkindFür Rachel Daly ist ein Traum wahr geworden: geboren und aufgewachsen in einem heruntergekommenen Londoner Viertel hat sie vor kurzem den attraktiven, wohlhabenden David Kerthen geehelicht. Er führt sie ...
Für Rachel Daly ist ein Traum wahr geworden: geboren und aufgewachsen in einem heruntergekommenen Londoner Viertel hat sie vor kurzem den attraktiven, wohlhabenden David Kerthen geehelicht. Er führt sie ein in ein neues Leben ohne finanzielle Sorgen, in eine völlig andere Welt - das Paar zieht nach Cornwall und lebt in Carnhallow, dem Familiensitz der Kerthens. Zukünftig soll es ihre Aufgabe sein, die Instandsetzung des alten Anwesens zu organisieren und überwachen, und Jamie, ihren 8-jährigen Stiefsohn zu versorgen.
Jamies Mutter Nina ist etwa zwei Jahre zuvor in einem alten Bergwerksstollen tödlich verunglückt, der Junge ist durch den Verlust traumatisiert und der Schatten dieses Unglücks lastet immer noch schwer auf Rachels neuer Familie...
"Stiefkind" ist ein Psychothriller, der dieses Label auch wirklich verdient. Am Anfang startet man recht behäbig in die Handlung und lernt zunächst die wichtigsten Personen - hier die neue Ehefrau und Stiefmutter Rachel, Vater David und seinen Sohn Jamie - kennen.
S.K. Tremayne verwendet unterschiedliche Erzählperspektiven: Die meisten Kapitel sind aus Rachels Sicht geschrieben und sie fungiert auch als Ich-Erzählerin in diesen Abschnitten. Es gibt aber auch mehrere Einschübe, in denen die Perspektive zu David wechselt, allerdings sind diese Abschnitte dann in der dritten Person verfasst. Dadurch fühlte ich mich Rachel immer sehr viel näher als David - allerdings kamen mit dem Fortschreiten der Handlung bei mir auch immer mehr Zweifel auf, ob Rachel denn überhaupt eine zuverlässige Erzählerin ist und inwieweit ich als Leser ihren Ausführungen trauen kann. Alleine dadurch wurde schon eine gewisse Spannung erzeugt, weil ich die geschilderten Ereignisse permanent hinterfragt habe.
Zufällig habe ich in diesem Jahr auch zum ersten Mal Daphne du Mauriers "Rebecca" gelesen, und da dieses Buch bei mir noch so präsent ist, sind mir einige Parallelen aufgefallen:
Namenlose Ich-Erzählerin / Rachel Daly: Beide Figuren stammen aus eher ärmlichen Verhältnissen und steigen durch die Heirat mit einem wesentlich älteren Mann um etliche Gesellschaftsschichten auf. Beide haben Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl, vergleichen sich ständig mit der ersten Frau, fühlen sich in ihrer neuen Rolle unwohl und denken unterbewusst, dass sie dieses sorglose Leben nicht verdienen.
Maxim de Winter / David Kerthen: Beide stammen aus alten Familien, sind sehr stolz auf ihre Herkunft und wollen ihre Linie keinesfalls aussterben lassen. Für beide ist der Familiensitz (Manderley, bzw. Carnhallow) der wichtigste Anker im Leben, der um jeden Preis erhalten werden muss.
Rebecca de Winter / Nina Kerthen: Beide sind tödlich verunglückt, beide sind ertrunken - Rebecca im Meer und Nina in einem aufgegebenen Bergwerksstollen. Beide sind in das privilegierte Leben hineingeboren worden, werden als mondän und weltgewandt geschildert.
Die Parallelen zwischen den beiden Büchern sind so zahlreich und auffallend, dass es sich wohl kaum um einen Zufall handeln kann. Allerdings bringt die Figur Jamie, das "Stiefkind", hier eine ganz neue Komponente ein, und so entwickelt sich die Handlung auch in eine völlige andere Richtung.
Ich hatte mit "Stiefkind" spannende Lesestunden, weil ich den psychologischen Aspekt in solchen Thrillern sehr interessant finde. Für die volle Punktzahl reicht es leider nicht, einerseits weil ich mir in einem wichtigen Punkt eine etwas ausführlichere Auflösung gewünscht hätte, und andererseits weil etwas mehr Tempo der Handlung doch ganz gut getan hätte. Aber nichtsdestotrotz absolut lesenswert.