Ein unruhiges Jahrhundert durch Zeitzeugenaugen betrachtet
In "Zerrissene Leben" begleiten wir zahlreiche Zeitzeugen durch das so unruhige 20. Jahrhundert. Es sind dies die in den 20er Jahren Geborenen, im Buch "Weimarer Kinder" genannt. Auf gelungene Weise werden ...
In "Zerrissene Leben" begleiten wir zahlreiche Zeitzeugen durch das so unruhige 20. Jahrhundert. Es sind dies die in den 20er Jahren Geborenen, im Buch "Weimarer Kinder" genannt. Auf gelungene Weise werden hier historische Fakten und Hintergrundinformationen mit den Stimmen der Zeitzeugen verbunden. Zahlreiche Zitate aus persönlichen Erinnerungen zeigen eindrucksvoll und auch unterhaltsam, wie die Menschen jener Zeit die Weltgeschichte erfuhren und wie sie ihr Leben beeinflußte. Der Titel "Zerrissene Leben" ist hier sehr gut gewählt.
Die neun Kapitel führen uns von der Kaiserzeit bis zur Wende. Die Zeitzeugen umfassen ein weitgefächertes Spektrum aus verschiedenen Gegenden Deutschlands und verschiedenen sozialen Hintergründen. So gelingt es sehr gut, verschiedene Sichtweisen und Erlebnisse darzustellen. Die Zeit der Nazidiktatur wird ebenfalls auf diese vielfältige Weise beschrieben, es kommen die Verfolgten des Regimes zu Wort, ebenso wie innerlich distanzierte Mitläufer, Verführte, oder auch überzeugte Nazis. Das Buch bemüht sich erfolgreich, zahlreiche Aspekte dieser Zeit einzufangen. Die Schuld der Diktatur und jene, die sie möglich machten (ob nun durch aktives Mitmachen oder passives Zuschauen) wird ebenso beleuchtet wie die Leiden auch der deutschen Bevölkerung durch Bombenkrieg, Vergeltungsmaßnahmen und Vertreibung.
Dadurch, daß viele der Zeitzeugen in mehreren oder allen Kapiteln zu Wort bekommen, sind ihre Namen bald bekannt und man hat das Gefühl, diese Menschen lesend durch ihr Leben zu begleiten. Dies führt zu einer erfreulichen persönlichen Komponente und stärkerer innerer Beteiligung beim Lesen.
Während manche Kapitel, gerade jene die die Untaten der Diktatur und die Leiden des Krieges beschreiben, sehr intensiv wirken und teilweise schwer zu verkraften waren, weil einfach zu viel Schlimmes geschieht, wirken andere Kapitel ruhiger. So ist die Beschreibung der Kindheit in der Weimarer Republik fast beschaulich und man sieht, wie wenig die Unruhen jener Zeit sich in den Kindheitserinnerungen niedergeschlagen haben. In den Nachkriegskapitel nimmt der Anteil der Zeitzeugenzitate spürbar ab, es wird erklärt, daß viele dieser Zeitzeugen ihre Erinnerungen mit Ende des Krieges beendet oder die folgenden Jahrzehnte nur noch kurz zusammengefaßt haben. Dies nimmt den Kapiteln ein wenig die Lebendigkeit, sie sind eher historische Überblicke und waren für mich weniger packend.
Der Schreibstil des Buches ist angenehm zu lesen und die Vermischung persönlicher Erinnerungen und historischer Information bietet einen sehr guten anderen Zugang zu der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts und der Menschen, die sie erlebten. An manchen Stellen gibt es Wiederholungen, aber im Ganzen liest sich das Buch flüssig und ist für jeden Geschichtsinteressierten eine Bereicherung.