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Veröffentlicht am 04.12.2018

Düster, zauberhaft, wunderschön

Die Sprache der Dornen
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Man diskutiert darüber, wie Yeva Luchova wirklich aussah, ob ihr Haar wie poliertes Gold oder von glänzendem Schwarz war, ob ihre Augen so blau wie Saphire oder oder grün wie frisches Gras waren. Uns geht ...

Man diskutiert darüber, wie Yeva Luchova wirklich aussah, ob ihr Haar wie poliertes Gold oder von glänzendem Schwarz war, ob ihre Augen so blau wie Saphire oder oder grün wie frisches Gras waren. Uns geht es aber nicht um die Einzelheiten ihrer Schönheit, sondern um ihre Macht, und so reicht es, wenn wir wissen, dass Yeva vom Moment ihrer Geburt an entzückend war.
Sie war so wunderschön, dass die Hebamme, die ihrer Mutter beistand, das weinende Neugeborene an sich riss und sich mit ihm im Wäscheschrank einschloss, wo sie darum flehte, dass man ihr noch einen Augenblick gewährte, um in Yevas Gesicht zu blicken. Sie weigerte sich, wieder herauszukommen und das Baby loszulassen, bis der Herzog endlich nach einer Axt schickte und die Tür einschlagen ließ.
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INHALT:
Die Welt der Grischa ist ebenso beeindruckend, wie sie gefährlich ist: Magische Fähigkeiten, tödliche Feinde und brodelnde Rebellionen prägen die verschiedenen Länder. Und jedes von ihnen hat seine eigenen Sagen: Rawka etwa besitzt eine ganz eigene Version von Hänsel und Gretel, in Fjerda erzählt man sich dagegen eine herzzerreißende Geschichte über Meerjungfrauen. Sie alle bringen diese besonderen Länder näher, die von so vielen unterschiedlichen Menschen und Talenten bevölkert werden. Und sie alle begeistern mit ihren eigenen Motiven und Ideen, die in den Bann ziehen und lange nicht mehr loslassen.

MEINE MEINUNG:
Wer einmal ein Buch von Leigh Bardugo gelesen hat, weiß, dass man bei ihr eigentlich immer gut aufgehoben ist: Die Beschreibungen, die alles zum Leben erwecken; die authentischen Dialoge; die fulminanten Ideen und Showdowns - das alles macht jedes ihrer Werke zu einem besonderen Lesevergnügen. "Die Sprache der Dornen" ist allerdings keiner ihrer Romane, sondern stattdessen eine Kurzgeschichtensammlung, deren Sagen in den Ländern von "Glory or Grave" und dem "Grisha Verse" spielen. Und obwohl ich eigentlich kein großer Fan so kurzer Erzählungen bin, wurde ich hier einmal mehr vollkommen in den Bann gezogen.

Das liegt zum Teil natürlich an der Aufmachung, die direkt ins Auge springt. Nicht nur ist die Sammlung wunderschön gebunden mit einem vom Original übernommenen Cover, auch die Innengestaltung ist ein wahrer Augenschmaus - mit komplett bunter Schrift, die teilweise sogar mitten in der Erzählung die Farbe wechselt, und wunderschönen Verzierungen am Rand, die mit Fortschreiten der Handlung einen Rahmen bilden. Am Ende jeder Geschichte erwartet den Leser ein zauberhaft illustriertes Bild, das grundsätzlich so voller Details steckt, dass man sich daran kaum sattsehen kann.

Im Nachwort berichtet die Autorin darüber, wie manche Märchen bei ihr als junges Mädchen einen unguten Nachgeschmack hinterlassen haben - weil das Ziel der weiblichen Protagonistin es oft war, zum Schluss geheiratet zu werden, oder weil der wahre Bösewicht in "Hänsel und Gretel" für sie eigentlich der Vater war, der sich nicht gegen seine Frau durchsetzen konnte. Dass ihre eigenen Geschichten anders werden sollten, merkt man sehr deutlich, und das ist auch gut so! Nicht nur können die weiblichen Figuren hier starke Heldinnen sein, sie dürfen auch mal die Rolle des Bösewichts einnehmen. Neben den Neuerzählungen von "Hänsel und Gretel" und der "Kleinen Meerjungfrau", hat mich besonders direkt die erste Geschichte um Ayama begeistert, bei der ich auch nichts gegen einen kompletten Roman hätte. Jede der Geschichten besitzt eine leise Botschaft, wie man es von Märchen kennt, auf die ein- oder zweimal etwas zu sehr mit dem Finger gedeutet wird. Davon abgesehen aber beinhalten die Buchdeckel knapp 200 Seiten schönste Fantasy-Literatur.

FAZIT:
Dass auch ich mich dem Hype um Leigh Bardugos Welt der Grischa nicht entziehen kann, ist kein Geheimnis - aber wer hätte gedacht, dass auch ihre Kurzgeschichten so zu begeistern wissen? Um auf so wenigen Seiten immer wieder so fesseln zu können, ist schon einiges an Talent notwendig, und das entdeckt man hier auf jeder Seite. Wunderschöne Erzählungen, die mal auf düstere, mal auf zauberhafte Weise in andere Welten einladen. 5 Punkte!

Veröffentlicht am 02.10.2018

Keine Klageweiber, keine Beerdigungen

Das Gold der Krähen
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Wylan erhob sich, plötzlich begierig darauf, in die Stadt zurückzukehren, um Kaz dabei zu helfen, den Plan durchzuführen. Er war nur widerwillig zum Eistribunal gegangen, hatte Kaz nur widerwillig geholfen. ...

Wylan erhob sich, plötzlich begierig darauf, in die Stadt zurückzukehren, um Kaz dabei zu helfen, den Plan durchzuführen. Er war nur widerwillig zum Eistribunal gegangen, hatte Kaz nur widerwillig geholfen. Währenddessen hatte er immer geglaubt, dass er seines Vaters Verachtung verdiente, und jetzt endlich konnte er zugeben, dass er irgendwo, an einem verborgenen Ort in seinem Inneren, immer noch darauf gehofft hatte, die Gunst seines Vaters zurückzuerlangen. Nun, was ihn betraf, sollte sein Vater seine Gunst behalten und sehen, was die ihm nützte, wenn Kaz Brekker mit ihm fertig war.
"Na los", sagte er. "Wir werden meinem Vater sein gesamtes Geld stehlen."
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INHALT:
Kaz und seine Krähen hatten den Coup aller Coups geplant - und dann sie sind übel hintergangen worden. Dabei wurde Inej, eines der Mitglieder, entführt, und die gesamte Situation erscheint aussichtslos. Aber Kaz Brekker wäre nicht Kaz Brekker, wenn er nicht bereits neue Pläne schmieden würde: Nicht nur will er das Geld, das ihm versprochen wurde, vor allem will er Inej um jeden Preis zurück. Aber dieses Mal müssen die übrigen Fünf auf's Ganze gehen. Denn abgesehen von dem Leben, das auf dem Spiel steht, haben sie sich noch einige weitere mächtige Feinde gemacht, die ihr Blut sehen wollen...

MEINE MEINUNG:
Da ist sie, die Übersetzung des Abschlusses von Leigh Bardugos viel gelobter Dilogie um eine diebische Bande, "Das Gold der Krähen" im Deutschen. Ohne die originale Trilogie aus dem "Grischaverse" gelesen zu haben, hatte ich mich 2017 in dieses Abenteuer gestürzt - und war nicht enttäuscht worden. Die Autorin hat hier eine Welt geschaffen, in der gefährliche und gefürchtete Magie so perfekt in die ansonsten von Banden und Verbrechern bevölkerten Straßen eingebettet ist, dass es wahre Wonne bereitet, mit den Charakteren durch eben diese zu streifen. Nach dem Vorgänger ist man mit den Gegebenheiten schon vertraut und hat Ketterdam als dreckigen, ruchlosen Ort kennen - und lieben - gelernt. Und trotzdem wird das Erlebnis hier noch gesteigert.

Alle Protagonisten aus dem ersten Teil sind wieder dabei und dieses Mal wird der Leser zu meiner großen Freude auch mit der Perspektive von Wylan belohnt, diesem sanften Jungen aus gutem Hause, der sich überwinden muss, etwas gegen seinen Vater zu unternehmen. Jesper mit seiner großen Klappe und Nina und Matthias, die, obwohl sie sich gefunden haben, ihre Diskussionen nicht sein lassen können, sorgen für einiges an Spaß. Und trotzdem hat jede Figur weiterhin ihr Päckchen zu tragen: Kaz, traumatisiert seit dem Tod einer geliebten Person; Inej, die sich verkaufen musste; Matthias, der sich von seiner Gemeinschaft losgesagt hat. Diese Personen sind meistens alles andere als das, was man "gut" nennen würde, und trotzdem stehen sie füreinander ein, haben ihre eigenen Moralvorstellungen - und sorgen so für große Figurenliebe.

Aber das ist eben nicht alles, was der Autorin so gut gelingt. Dieses Buch hat in der deutschen Übersetzung beinahe 600 Seiten - und nicht auf einer einzigen kommt Langeweile auf. Immer wieder werden ihnen Steine in den Weg gelegt, immer wieder müssen sie neue Pläne schmieden oder einfach improvisieren. Es wird gelogen, betrogen...aber auch geliebt. Sechs Charaktere, drei komplett unterschiedliche Liebesgeschichten, und das funktioniert auch noch. Es wird intensiv, es wird zärtlich, aber niemals drängen sich die romantischen Gefühle in den Vordergrund, immer geht es noch um so viel mehr. Bis zum Ende bleibt die Erzählung auf einem durchgehend hohen Niveau, lässt den Leser die Geschehnisse hautnah miterleben - um ihm dann am Schluss das Herz herauszureißen. Gegen diese Achterbahn der Gefühle war der erste Band quasi eine ruhige Seefahrt. Es ist nicht möglich, sich gegen die Emotionen zu wehren, die ausgelöst werden - und man will es auch gar nicht. Nicht umsonst ist der Leitsatz der Krähen: Keine Klageweiber, keine Beerdigungen.

FAZIT:
Den ersten Band der "Glory or Grave"-Dilogie mochte ich. Aber "Das Gold der Krähen" habe ich geliebt. Schon vertraut mit den unterschiedlichen Charakteren und ihren Eigenarten, fällt es leichter, sich direkt auf diese Welt, ihre Magie und ihre Banden einzulassen. Leigh Bardugo versteht es meisterhaft, ihre Figuren zum Leben zu erwecken, und ebenso, den Leser immer wieder zu schockieren und zu überraschen. 5 Punkte!

Veröffentlicht am 27.04.2017

Faszinierend und neuartig

Giants - Sie sind erwacht
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- He has a file?
- Your hairdresser has a file and you see him once a month. Vincent Couture is a foreign national on US soil, with direct access to top-secret-level information on a daily basis. He has ...

- He has a file?
- Your hairdresser has a file and you see him once a month. Vincent Couture is a foreign national on US soil, with direct access to top-secret-level information on a daily basis. He has several files, very large ones.
- You have a file on my hairdresser?
- Yes. He really needs to file his taxes.
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INHALT:
Die junge Rose stiehlt sich eines Abends aus dem Haus, um ihr neues Fahrrad zu fahren - als sich unter ihr die Erde auftut und sie in diesem eine riesige Hand aus verschiedenen seltenen Materialen entdeckt. Das Artefakt wird ein paar Jahre ohne wirkliche Erkenntnisse untersucht und dann in einem Lagerhaus vergessen. Doch nun, 17 Jahre später, leitet dieselbe Rose, nun promovierte Doktorin, ein Team von Wissenschaftlern, um Herkunft und Zweck der Hand zu erforschen. Es wird schnell klar, dass das Körperteil nicht das einzige sein kann, das irgendwo unter der Erde liegt - und dass die Fundstücke nicht von Menschen geschaffen wurden. Doch welche Motivation könnten mögliche Außerirdische haben?

MEINE MEINUNG:
Romane, die als Stilmittel dokumentarisch angehauchte Stilmittel wie Interviews oder Logbuch-Einträge nutzen, sind gerade im Kommen und erfreuen sich großer Beliebtheit. "Sleeping Giants" nutzt dabei vor allem Gespräche, in denen der Fragensteller immer der gleiche bleibt und einen so durch jeden der Dialoge führt. Durch diese Art der Erzählung ist man während der Geschehnisse zwar nicht direkt dabei, durch die eindrücklichen Wiedergaben der einzelnen Befragten hat man jedoch nie das Gefühl, etwas zu verpassen. Dass die Identität des Interviewers nicht gelüftet wird, befeuert die Fantasie außerdem noch zusätzlich.

Überraschenderweise gelingt es Sylvian Neuvels trotz dieser gewählten Romanform äußerst gut, seine Charaktere lebendig zu gestalten. Da ist Dr. Rose Franklin, eine engagierte und begeisterungsfähige Wissenschaftlerin, die sich zwar mit moralischen Fragen konfrontiert sieht, aber immer weiß, wie wichtig es ist, die Geheimnisse zu lüften. Kara, vorher Pilotin des Militärs und nun im Team der Wissenschaftler, wird einem mit ihrer sarkastischen und willensstarken Art sofort sympathisch, ebenso wie der liebevolle, aber stark eifersüchtige Ryan. Und auch der Linguist Vincent kann überzeugen, nachdem man sich an sein anfänglich übergroßes Ego gewöhnt hat. Am interessantesten ist aber definitiv der Interviewer, der die ganze Zeit über sehr geheimnisvoll bleibt und mit seiner skrupellosen Art fasziniert - über den man aber immer wieder kleinere Details erfährt und dem man so im Laufe der Handlung immer näher kommt.

Die ganze Geschichte ist nicht nur originell und neuartig, sondern auch außerordentlich spannungsreich umgesetzt. Es vergeht kaum ein Kapitel, in dem man nicht gebannt den Erzählungen folgt und der Enthüllung entgegenfiebert, was es mit den Körperteilen und den Symbolen darauf auf sich hat. Unterteilt in 5 Parts endet jeder davon mit einem Cliffhanger, der einem keine Ruhe lässt und sofort weiterlesen lässt - und auch dazwischen gibt es immer wieder große Überraschungen und Wendungen. Abgesehen davon sind auch die wissenschaftlichen Fakten großartig eingewoben, ohne einen zu überfordern oder zu langweilen, und der trockene Humor sorgt immer wieder für ein wenig Auflockerung. Letztendlich werden in diesem 1. Band noch nicht viele Fragen beantwortet, eher stellen sich sogar noch mehr. Gerade das ist es aber auch, was die unbändige Neugier auf den Nachfolger weckt, die einen mit Sicherheit überkommt.

FAZIT:
Sylvian Neuvels "Sleeping Giants" ist fantastische Science Fiction mit einer interessanten, gut umgesetzten Erzählweise und so gut wie nie abnehmender Spannung. Auf die Enthüllungen des 2. Teils darf man gespannt sein! Gute 4,5 Punkte.

Veröffentlicht am 27.04.2017

Sharon Bolton in Höchstform

Böse Lügen
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Die Furchen in ihrem Gesicht verschwinden, ihre Wangen wölben sich. Ist sie etwa tatsächlich im Begriff, mich anzulächeln?
"Ich bin vor Angst um dich halb wahnsinnig geworden", sage ich.
Doch kein Lächeln, ...

Die Furchen in ihrem Gesicht verschwinden, ihre Wangen wölben sich. Ist sie etwa tatsächlich im Begriff, mich anzulächeln?
"Ich bin vor Angst um dich halb wahnsinnig geworden", sage ich.
Doch kein Lächeln, jedenfalls noch nicht, vielleicht bloß die Erinnerung daran, dass so etwas früher einmal möglich war. "Ich war doch noch nicht mal vierundzwanzig Stunden eingebuchtet."
"Ich rede von den letzten drei Jahren."
Los, Catrin. Ein halbes Dutzend Schritte auf mich zu, mehr ist nicht nötig. Ich denke tatsächlich, dass sie genau das tun wird, als das Klirren zerberstenden Glases durch den Sturm dringt. Irgendjemand hat unten ein Fenster eingeschlagen.
Dann hören wir die Explosion.
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INHALT:
Catrin, Callum und Rachel leben auf den Falklands, einer Insel mit nur wenigen Einwohnern, und hatten früher einmal viel miteinander zu tun - bis ihnen eine Tragödie dazwischen kam. Nun besteht zwischen ihnen ein Verhältnis geprägt von Hass, Schuld und vergangener Liebe, das ihnen das Leben schwer macht. Als ein Kind verschwindet, das dritte in drei Jahren, ist die Insel in heller Aufregung, und auch Catrin, Rachel und Callum machen sich auf die Suche. Dabei decken sie nicht nur die Geheimnisse der Gemeinschaft auf, sondern auch die, die tief in ihnen schlummern, und so geraten bald alle drei ins Fadenkreuz der Ermittlungen...

MEINE MEINUNG:
Sharon Bolton ist eine Meisterin der intensiven und spannenden Thriller, was sie unter anderem immer wieder mit den Büchern ihrer "Lacey Flint"-Reihe unter Beweis stellt. "Böse Lügen" ist nun nach längerer Zeit mal wieder ein Einzelband, in dem sie sich die stürmische und kühle Kulisse einer Insel ausgesucht hat. Ihr Stil ist gewohnt großartig, voller wunderschöner wie auch bedrückender Beschreibungen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, und dabei immer auf den Punkt genau. Unterteilt ist der Roman in drei Abschnitte, wobei der erste aus der Ich-Perspektive von Catrin, der zweite aus der von Callum und der dritte aus der von Rachel erzählt wird.

Catrin lernt man als eine bereits gebrochene Frau kennen, die über einen schlimmen Verlust vor drei Jahren nie hinweg gekommen ist. Sie wirkt teilweise etwas kalt und unnahbar, sogar skrupellos, was man aufgrund ihrer Vergangenheit aber verstehen kann - und gerade ihre sehr pragmatische Art macht sie so interessant. Callum ist ihr ehemaliger Liebhaber, ein großer, muskulöser Mann, der gerade dadurch umso mehr mit seiner sanften Güte überrascht. Seine posttraumatische Belastungsstörung nach seinem Einsatz als Soldat geben aber auch ihm Ecken und Kanten. Und Rachel, die als Letzte aus ihrer Sicht erzählt, und die man bis dahin als Monster wahrgenommen hat, zeigt einem noch einmal eine völlig neue Perspektive auf, die ziemlich überrascht. Es gibt teilweise ein paar viele Nebenfiguren, bei denen ich zwei Männer partout nicht auseinander halten konnte, der Rest ist aber wie die Protagonisten großartig charakterisiert. Vor allem die Polizistin Skye und Catrins Exmann Ben bestechen durch ihre gute Ausarbeitung.

Schon die Erzählweise, jede Hauptfigur einzeln über die Tage der Suche nach dem dritten verschwundenen Jungen berichten zu lassen, ist etwas Besonderes. So lernt man zum Beispiel Rachel zu einem Zeitpunkt kennen, zu dem man bereits vieles zu wissen glaubt, und wird so damit konfrontiert, einige dieser Schlüsse wieder über Bord werfen zu müssen. Die Atmosphäre ist unglaublich dicht, vor allem durch das tragische Ereignis in der Vergangenheit, aber auch durch Geschehnisse wie die Strandung von Walen an der Küste, die eine schwere Entscheidung nach sich zieht. Parallel zu den fortschreitenden Seiten wird es auch immer hitziger in der Gemeinde - die sich bald einen Verdächtigen sucht und eine regelrechte Hetzjagd veranstaltet, die niemanden unberührt lässt.

Obwohl schnell aufgelöst wird, was vor Jahren eigentlich zwischen Catrin, Callum und Rachel vorgefallen ist, wird es danach nicht weniger spannend. Es bleibt die Frage nach dem Entführer der verschwundenen Kinder, bei der sich die eigenen Vermutungen immer und immer wieder ändern. Viele Überraschungen und Wendungen sorgen dafür, dass es immer spannend bleibt, ohne dass die Ereignisse allerdings je ins Absurde abrutschen. Die Autorin hält grandios die Balance zwischen aufregenden Thriller-Elementen und der emotional bedrückenden Hintergrundgeschichte. Die plausible, unerwartete Auflösung stellt sehr zufrieden, ebenso wie der Ausgang für alle Beteiligten. Und die letzte schockierende Enthüllung ganz am Schluss lässt einen das Buch ganz bestimmt für lange Zeit nicht vergessen.

FAZIT:
"Böse Lügen" ist ein Thriller wie man ihn von Sharon Bolton erwartet: Die unterschiedlichen Figuren mit interessanten Motiven, die atemberaubende Kulisse und der intensive Stil lassen einem kaum Zeit zum Durchatmen, sodass man die Seiten nur so verschlingt. Aufregend, durchdacht und anders. Dafür gibt es 5 Punkte!

Veröffentlicht am 24.02.2017

Packend, überraschend und sehr originell

Rat der Neun - Gezeichnet
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"Ergreift ihn", rief der Mann namens Vas, woraufhin sich der Kleinste sofort auf Aoseh stürzte. Cisi und Akos wichen zurück, als ihr Vater und der Shotet-Soldat miteinander rangen. Aoseh knirschte mit ...

"Ergreift ihn", rief der Mann namens Vas, woraufhin sich der Kleinste sofort auf Aoseh stürzte. Cisi und Akos wichen zurück, als ihr Vater und der Shotet-Soldat miteinander rangen. Aoseh knirschte mit den Zähnen. Der Spiegel im Wohnzimmer zersprang, die Splitter flogen in alle Richtungen. Dann zerbrach der Rahmen auf dem Kaminsims mit dem Bild vom Hochzeitstag ihrer Eltern. Der Shotet hatte Aoseh inzwischen fest im Griff. Er schleifte ihn ins Wohnzimmer und ließ die drei Kinder allein zurück. Dann zwang er ihren Vater auf die Knie und drückte die Stromklinge an seine Kehle.
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INHALT:
Der junge Akos lebt auf Thuve, einem der neun vom Hohen Rat anerkannten Planeten seiner Galaxie. Für ihn sind die Grenzen klar: Auf der einen Seite lebt er mit seinem friedliebenden Volk, und hinter dem Federgras lauern die brutalen Shotet, die rauben und morden. Einige von ihnen greifen eines Tages auf Geheiß ihres Herrschers Rysek seine Familie an und entführen ihn und seinen älteren Bruder.Von nun an sind sie Gefangene, denn ihre Lebensgaben - Fähigkeiten, die jeder Bewohner der Galaxie erhält - sind sehr wertvoll für die Shotet. In Gefangenschaft begegnet Akos Cyra, Schwester von Rysek und dafür bekannt, Schmerz zu verbreiten. Doch der Preis dafür ist hoch: Sie fühlt genau diese Schmerzen ebenso stark. Nur Akos hat die Möglichkeit, ihr Leid zu lindern. Und zwischen den Beiden entsteht ein ungeahntes Bündnis...

MEINE MEINUNG:
Nach ihrer Debüt-Trilogie hat Veronica Roth dem Dystopien-Genre den Rücken gekehrt und stattdessen eine eigene Science Fiction-Welt erschaffen. "Gezeichnet" ist Band 1 ihrer neuen Reihe um den "Rat der Neun" und lebt insbesondere durch den originellen und überraschenden Weltentwurf. Man sollte wahrscheinlich ein Fan des Genres sein, um sich bei den Beschreibungen der Planeten und ihrer Eigenarten so richtig wohl zu fühlen. Der Stil ist voller wunderschöner Beschreibungen, und er beschwört schnell eine dichte und packende Atmosphäre herauf. Erzählt wird die Geschichte aus der Ich-Perspektive von Cyra und der personalen Sicht von Akos, wobei diese teilweise ins Auktoriale abdriftet. Die beiden berichten jedoch nicht immer abwechselnd, sondern haben anfangs ganze Teile für sich allein, wodurch man sie für sich kennen lernen kann.

Cyra ist in einer sehr brutalen Familie aufgewachsen und hat deren Wesenszüge teilweise übernommen. Trotzdem hat sie im Gegensatz zu ihrem Bruder ihr Gewissen bewahrt - was zum Teil wohl auch damit zusammenhängt, dass sie den Schmerz, den sie anderen zufügt, selbst auch fühlt. Ihre eher sarkastische und spröde Art weiß zu gefallen und macht sie in Verbindung mit ihren Schuldgefühlen sehr menschlich. Akos ist der ruhigere der beiden, der mit seiner gutmütigen, aber trotzdem mutigen Art schnell Sympathien sammelt. Manchmal agiert er etwas kopflos, was in seiner Verzweiflung aber verständlich ist. Und auch die Nebenfiguren sind großartig ausgearbeitet: Der brutale Rysek, geformt durch die Taten seines Vaters, früher liebevoll und heute voller Angst vor seinem Schicksal. Oder der schwache Jorek, der wie fehl am Platz wirkt zwischen den oft eher verschlagenen Shotet. Es gibt hier kein Schwarz oder Weiß, alle Charaktere zeigen gute wie schlechte Seiten.

Prinzipiell hat sich Veronica Roth einem bekannten Thema gewidmet: Dem Krieg zwischen zwei verfeindeten Völkern, in diesem Fall den Bewohnern von Thuve und von Shotet. Einige Elemente dieser Handlung kommen einem auch durchaus bekannt vor: Ein sich auflehnendes Familienmitglied, eine Liebe über alle Grenzen hinweg und ein Trupp von Rebellen, die den Herrscher stürzen wollen. Doch durch viele besondere Details und Ideen kommt es trotzdem immer wieder zu außergewöhnlichen Momenten. Die Art, wie Cyras grauenhafte Schmerzen und ihre zerrüttete Familie beschrieben werden, die vielen Pflanzen, Orte und Tiere, oder auch das spannende System dieser Planeten inklusive der Lebensgaben und Schicksale, das alles fesselt, lässt man sich darauf ein.

Die Autorin hatte nach Veröffentlichung des Romans stark mit Rassismus-Vorwürfen zu kämpfen, die ich absolut nicht nachvollziehen kann - obwohl ich eine absolute Gegnerin von Diskriminierung jeglicher Art bin. Äußerlichkeiten werden größtenteils eher vage beschrieben, aber es wird deutlich gemacht, dass zum Beispiel das Volk der Shotet nicht einheitlich aussieht, weil es aus so vielen Ethnizitäten besteht. Zu behaupten, hier würden dunkelhäutige Personengruppen als gefährlich dargestellt, ist damit schlichtweg falsch, vor allem, weil die Personen oft eher ambivalent und selten ausnahmslos böse dargestellt werden. Hätte ich nicht von den Problemen gewusst - niemals wäre mir in den Sinn gekommen, hier Rassismus zu suchen. In jedem der Völker gibt es gute wie schlechte Menschen, ganz so wie in Wirklichkeit. Damit sind die Charaktere undurchschaubar und wissen immer wieder zu überraschend, die Motive sind deswegen aber nicht weniger glaubwürdig. Bis zum Ende ist der Roman eine spannende Mischung aus fulminanter Action, mitreißenden Dialogen und einer sich sehr langsam und realistisch entwickelnden Liebesgeschichte. Da kann Band 2 gar nicht schnell genug kommen.

FAZIT:
Lässt man sich auf Veronicas originelle und spannende Science Fiction-Welt ein, könnte "Gezeichnet" zu einem Highlight werden. Ambivalente, undurchschaubare Charaktere, eine fesselnde Liebesgeschichte und spannende Ereignisse lassen einen kaum Luft holen. Der Nachfolger erscheint im Original zum Glück schon nächstes Jahr. Verdiente 4,5 Punkte!