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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.07.2019

Wirft tiefgründige moralische & philosophische Fragen auf, aber insgesamt schwächer als Band 1

Die Unvollkommenen
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Nach fünf Jahren wacht Lila aus einem künstlich eingeleiteten Koma auf und findet sich in einem luxuriösen Internat für Häftlinge wieder. Sie hat fünf Jahre ihres Lebens ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Nach fünf Jahren wacht Lila aus einem künstlich eingeleiteten Koma auf und findet sich in einem luxuriösen Internat für Häftlinge wieder. Sie hat fünf Jahre ihres Lebens verloren, die sie niemals wiederbekommt. Obwohl es im Internat Essen und Zerstreuung im Überfluss gibt, sind Lila die Regeln dort zuwider und sie fühlt sich wie eine Gefangene. Gemeinsam mit einem Mithäftling plant sie ihre Flucht. Dann findet sie etwas Schreckliches heraus: Ihr ehemaliger Freund Samson Freitag wird mittlerweile als Gott verehrt und herrscht über die Menschheit. Für Lila steht fest, dass er aufgehalten werden muss – und zwar von ihr…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: zweiter Teil einer Dilogie; momentan sind keine weiteren Teile geplant, aber die Autorin hat in der Leserunde zukünftige Fortsetzungen nicht ausgeschlossen
Verlag: Bastei Lübbe
Seitenzahl: 400
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum, selten Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive (Lila)
Kapitellänge: sehr kurz bis mittel
Tiere im Buch: ♥ Es werden im Buch keine Tiere verletzt, gequält oder getötet. Im Gegenteil, in der Optimalwohlökonomie ist es sogar verboten, Fleisch zu essen.

Warum dieses Buch?

Da mich der erste Band, „Die Optimierer“, vor einigen Jahren absolut begeistern konnte, war für mich die Fortsetzung natürlich ein Must-read, an dem kein Weg vorbeiführte!

Meine Meinung

Einstieg (♥)

Der Einstieg ist mir wieder schnell und gut gelungen, was zu einem großen Teil sicher am angenehmen, mir schon bekannten Schreibstil und an der Hauptfigur, die wir im ersten Band bereits kurz kennenlernen durften, lag. Ich habe das Internat auf den ersten Seiten gerne gemeinsam mit Lila erforscht und über die Erfindungen in der Zukunft gestaunt.

Schreibstil (♥)

Mit ihrem unglaublich angenehmen, flüssigen Schreibstil konnte mich Theresa Hannig wieder absolut überzeugen. Sie schreibt so anschaulich, prägnant und auf den Punkt, dass man nur so durch die Seiten fliegt und man trotzdem alles genau vor sich sehen kann. Dabei geht sie jedoch auch niemals zu sehr ins Detail. Gefühle werden eindrucksvoll und greifbar geschildert, so dass sie intensiv bei den LeserInnen ankommen. Viele glaubwürdige Dialoge lockern die Geschichte auf und sorgen für Lebendigkeit. Auch mit gelungenen Vergleichen und Metaphern kann die Autorin in diesem Band wieder punkten.

„Die zuckenden Schatten der Lampen ließen die Bäume lebendig erscheinen, als hielten sie nur still, solange sie beobachtet wurden, um sich im nächsten Moment auf die ungebetenen Gäste zu stürzen.“ Seite 116

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

„‘Es wäre nicht schlimm,‘ sagte er, ‚die Maschinen wie Maschinen zu behandeln, wenn sie nicht leiden würden wie Menschen.‘“ Seite 323

Leider schwächelt bei dieser Fortsetzung der Plot. Die Geschichte braucht lange, bis sie ins Rollen kommt und plätschert meiner Meinung nach über weite Strecken träge dahin, ohne dass etwas Nennenswertes passiert. Vieles war mir zu lang gezogen, die Geschichte scheint sich manchmal im Kreis zu drehen und nicht so recht vom Fleck zu kommen. Hier hätte ich mir gewünscht, dass das Tempo angezogen und manche Stellen gekürzt worden wären. Zusätzlich habe ich mir erhofft, dass die Unvollkommenen eine größere Rolle im Buch einnehmen, als sie es schlussendlich taten. Da meine Erwartungen sehr hoch waren, weil mich „Die Optimierer“ absolut überrascht und begeistert hat, hat mich dieser Band leider insgesamt enttäuscht. Meiner Meinung nach ist er definitiv schwächer als der erste Roman, was sehr schade ist. Wer den ersten Band noch nicht gelesen hat, dem würde ich diesen übrigens wärmstens ans Herz legen – den muss man – im Gegensatz zur Fortsetzung – auf jeden Fall gelesen haben.

Überhaupt nicht überzeugen konnten mich leider dieses Mal manche Entwicklungen im Mittelteil und vor allem das Ende. Es war zwar wieder überraschend (wie in Band 1), aber leider auf keine Weise, die mir gefallen hat. Der Schluss war mir viel zu offen, zu viele Fragen blieben unbeantwortet. Am meisten gestört hat mich jedoch, dass es sehr konstruiert, abgedreht und unglaubwürdig wirkte. Manche Figuren verhielten sich meiner Meinung nach unerwartet und unpassend – so als hätte ich 100 Seiten übersprungen und eine ganz entscheidende Charakterentwicklung überlesen.

Dennoch gab es natürlich auch wieder Aspekte, die mir sehr gut gefallen haben. Zum einen gelingt es Theresa Hannig wieder hervorragend, uns in eine faszinierende Welt in der Zukunft zu entführen: Roboter sind inzwischen von Menschen nicht mehr zu unterscheiden, selbstfahrende Autos bringen die Menschen sicher von A nach B. Gefühle lassen sich mithilfe von Emochips manuell einstellen, wodurch psychische Krankheiten wie Depressionen endlich „geheilt“ werden können. Immer wieder stellt man sich unweigerlich die Frage, ob es sich bei der „Optimalwohlökonomie“ um eine Dystopie oder eine Utopie handelt, da sie doch beides – wunderbare Sonnenseiten und erschreckende Schattenseiten – verbindet. Zahlreiche hochinteressante Details wollen entdeckt werden, kleine Anspielungen und „Easter Eggs“ versüßen den LeserInnen die Lektüre.

Bei der Behandlung ihrer Kernthemen geht die Autorin wieder in die Tiefe. Die größte Stärke des Buches sind auch dieses Mal wieder die spannenden philosophischen und moralischen Fragen, die bei der Lektüre aufgeworfen werden und die einen zum Nachdenken und Grübeln bringen. Was macht uns Menschen eigentlich menschlich? Sollen Roboter, die ein Bewusstsein entwickeln, Menschenrechte erhalten? Sind simulierte Emotionen „unechter“ als unsere natürlichen, auch wenn sie sich ebenso intensiv anfühlen?

Protagonistin (+/-)

Lila haben wir schon in Band 1 kennengelernt; auch in diesem Buch war sie mir wieder sympathisch. Sie ist eine starke, intelligente Frau, die für ihre Ideale kämpft. Ich fand sie gut ausgearbeitet, ihr Verhalten (meist) glaubwürdig und konnte ihre Gefühle gut nachvollziehen. Trotzdem war da zwischen mir und ihr ständig eine seltsame Distanz, die ich das ganze Buch über nicht überbrücken konnte. Deshalb fiel es mir auch schwer, mit ganzen Herzen mit ihr mitzufühlen und mitzufiebern.

Figuren (+/-)

„‘Einsamkeit ist wie eine Krankheit. Nur umgekehrt. […] Wer einsam ist, steckt andere an, indem er sich von ihnen fernhält.‘“ Seite 322

Auch viele der anderen Figuren blieben mir fremd (Anna und der Homunculus sind hier sicher eine Ausnahme, die beiden sind toll!), auch wenn sie an sich liebevoll gezeichnet sind. Mir fehlte eine bestimmte Wärme bei ihnen, sie wirkten seltsam unterkühlt. Besonders mit Eoin konnte ich mich überhaupt nicht anfreunden. Während er mir am Beginn noch latent unsympathisch war, konnte ich ihn am Ende des Buches nicht mehr ausstehen, weil er oft so unberechenbar und egoistisch ist und weil man bei ihm nie weiß, woran man ist.

Spannung & Atmosphäre (-)

Dieses Mal fehlten mir leider über weite Strecken diese kafkaeske Grundstimmung und die subtile Spannung, die „Die Optimierer“ durchzogen hat. Der Spannungsbogen wird zwar immer wieder in einzelnen Szenen / Abschnitten aufgebaut, bricht aber nach einigen Seiten stets wieder ein, was sehr schade ist. Aus diesem Grunde (und im Vergleich zum ersten Teil) fühlte sich das Buch deshalb insgesamt etwas langatmig an. Ich habe das Buch zwar gerne gelesen, aber ich konnte es auch immer wieder mal tagelang beiseitelegen, weil es keinen richtigen Sog auf mich ausgeübt hat. Leider!

Feministischer Blickwinkel (♥)

Hier gibt es nichts zu kritisieren. Im Gegenteil, Lila ist eine starke Frau und traditionelle Rollenbilder werden immer wieder gebrochen, zum Beispiel, wenn Eoin kocht und Lila sich bekochen lässt. Zudem erinnert uns die Autorin im Buch, dass das Wort "Klassiker" kein Synonym für "Literatur, die von Männern geschaffen wurde" ist. Das kann man schließlich schnell vergessen, denn: Frauen werden bei den Kanonbildung ja leider immer noch sehr gerne übersehen und außen vor gelassen. Das ist schade, weil uns auf diese Weise so viel entgeht!

Mein Fazit

„Die Unvollkommenen“ ist eine Fortsetzung mit Stärken und Schwächen, die insgesamt aber deutlich schwächer ist als der erste Band und mich deshalb leider etwas enttäuscht hat. Die Autorin punktet zwar mit ihrem unglaublich angenehmen, prägnanten und anschaulichen Schreibstil, durch den sich das Buch schnell lesen lässt, konnte mich jedoch mit ihrer Hauptfigur leider nicht erreichen. Obwohl Lila sympathisch und gut ausgearbeitet ist, war da eine gewisse Distanz zwischen ihr und mir, die ich bis zum Ende des Buches nicht überbrücken konnte. Die Nebenfiguren wirkten teilweise (nicht alle!) ebenfalls seltsam unterkühlt, weswegen ich nicht richtig mit ihnen mitfühlen und mitfiebern konnte. Das Buch wirft zwar hochinteressante moralische und philosophische Fragen auf, die einen zum Nachdenken bringen, enttäuscht aber leider mit einem zu offenen, abgedrehten und unglaubwürdigen Ende und einem Plot, der dahinplätschert und nicht richtig in Schwung kommt. Die Geschichte wirkte auf mich leider oft zu lang gezogen, die subtile Spannung und kafkaeske, düstere Stimmung des Vorgängers fehlten mir. Kurz: „Die Unvollkommenen“ ist eine faszinierende, tiefgründige, aber auch lang gezogene Dystopie mit Schwächen, die man (im Gegensatz zum brillanten ersten Teil!) nicht unbedingt gelesen haben muss.

Sollte ein weiterer Band der Reihe erscheinen, werde ich diesem sicher noch eine Chance geben – dass der aktuelle Roman nicht so richtig meinen Geschmack getroffen hat, finde ich nicht schlimm. Ich hoffe darauf, dass mir die Fortsetzung wieder besser gefällt!

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 3 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Einstieg: 5 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 3 Sterne
Figuren: 3 Sterne
Spannung & Atmosphäre: 2 Sterne
Ende / Auflösung: 1 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3 Sterne
Feministischer Blickwinkel: +

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir insgesamt drei etwas enttäuschte Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Idee
  • Geschichte
  • Figuren
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 19.05.2019

So viele gute Ansätze, so viel verschenktes Potential!

Elite
1

Die Rezension enthält Spoiler! Diese sind leider notwendig, um meine Meinung zu begründen.


Inhalt

Die Fullbrook Academy, ein Elite-Internat für die Kinder der Reichen, steht für alte Traditionen und ...

Die Rezension enthält Spoiler! Diese sind leider notwendig, um meine Meinung zu begründen.


Inhalt

Die Fullbrook Academy, ein Elite-Internat für die Kinder der Reichen, steht für alte Traditionen und Eleganz. Viele der Traditionen, Bräuche und alltäglichen Verhaltensweisen, die sich über die Jahre in diesem „geschützten Ökosystem“ entwickeln konnten, sind jedoch sexistisch und frauenfeindlich. Jules scheint die Einzige an ihrer Schule zu sein, die sich daran stört und die dagegen ankämpft. Damit macht sie sich viele Feinde. Als sie auf einer Party vergewaltigt wird, stellt sie sich zusammen mit James, einem neuen Schüler, und ihren anderen Freunden endgültig gegen die Elite. Doch hat sie eine Chance gegen deren Reichtum und Macht?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Bastei Lübbe
Seitenzahl: 384
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: abwechselnd Kapitel aus weiblicher und männlicher Perspektive
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt oder getötet. Aber: An einer Stelle landen Scherben in einem Fluss und am Ufer, was als Umweltverschmutzung gilt und für Mensch und Tier gefährlich enden kann.

Warum dieses Buch?

Als ich das erste Mal von diesem Jugendbuch gehört habe, wusste ich, ich muss es unbedingt lesen! Die Themen des Buches – Sexismus, frauenfeindliche Traditionen und Diskriminierung – liegen mir nämlich als Frau, Mensch und angehende Lehrerin sehr am Herzen.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Ich habe zwar nicht sofort in die Geschichte gefunden, aber nach einigen Seiten war ich angekommen. Mir hat gut gefallen, dass sich der Autor im ersten Drittel Zeit nimmt, die Figuren und das Leben am Internat detailliert zu beschreiben. Das war sehr wichtig, um ein Gefühl für den Alltag an diesem besonderen Ort zu bekommen.

„Aber so funktioniert das ja an einem Ort wie hier. Gerüchte werden zu Geschichten. Geschichten werden zur Wahrheit.“ Seite 70

Schreibstil (+/-)

„‘Die ist total verzweifelt, mein Freund‘, sagte er und entfernte sich weiter. ‚[…] Macht aus einer Mücke einen Elefanten und behauptet, vergewaltigt worden zu sein. Das ist unheimlich gefährlich. Mit diesem Wort kann man einem Jungen das gesamte Leben ruinieren.‘“ Seite 308

Was den Schreibstil betrifft, so bin ich leider zwiegespalten. Einerseits ist die Sprache einfach, gut für die Zielgruppe geeignet und flüssig lesbar. Manchmal sind sogar schöne, geradezu poetische Formulierungen dabei. Auch Emotionen werden in vielen Momenten sehr gut vermittelt – sodass es mir oft leicht gefallen ist, mit den Figuren mitzufühlen. Andererseits weist der Schreibstil manchmal auch Wiederholungen auf und konzentriert sich oft zu stark auf unwichtige Dinge. Zusätzlich ist er streckenweise nicht anschaulich, präzise, knackig genug, oder aber sehr langatmig zu lesen. Zudem wäre es schön gewesen, wenn die Dialoge mehr Begleitsätze gehabt hätten – manchmal war nicht sofort klar, wer gerade spricht, was mich aus dem Lesefluss gerissen hat. Außerdem hätten die Sportbegriffe dringend kurz erklärt werden müssen: Menschen, die sich z. B. mit Eishockey nicht auskennen (wie ich), werden oft nicht wissen, wovon der Autor spricht.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

„Es war eine Woche, in der ich versuchte, den Fuß aufzusetzen, ohne jemals den Boden zu finden. So fühlte sich das an.“ Seite 250

Zuerst: Ich finde es ganz toll, dass es immer mehr Jugendbücher zu geben scheint, die Sexismus und sexualisierte Gewalt gegen Frauen für Teenager verständlich aufbereiten, thematisieren und kritisieren. Besonders schön finde ich, dass es sich bei diesem Buch um einen männlichen Autor handelt, der ein großes Bewusstsein für das Thema hat und an vorderster Front gegen Diskriminierung kämpft. Vielen Männern (und auch Frauen!) ist Sexismus nämlich gar nicht bewusst, oft halten sie schädliche gesellschaftliche Strukturen, die zu weiblicher Benachteiligung führen, schlicht für „normal“. Das ist traurig! Schön, dass Brendan Kiely erkannt hat, wie dringend wir den Feminismus immer noch brauchen. Und wer das Buch gelesen hat, weiß spätestens (!) dann: sehr dringend!

Generell spricht Brendan Kiely in seinem Buch neben Themen wie Macht, Freundschaft und Internatsleben sehr viele wirklich wichtige Dinge an. Es geht um Homophobie, die immer noch vorherrschende Tabuisierung der Periode, Sexismus. In seinem Roman zeigt Brendan Kiely auf, wie tief sexistisches, frauenfeindliches Gedankengut in unserer Gesellschaft verwurzelt ist und wie gerne wir toxische Männlichkeit rechtfertigen und stattdessen Victim-blaming und Slut-shaming betreiben. Jungen sind Helden, wenn sie ein aufregendes Liebesleben haben, Frauen sind Schlam---, deren Wert sich an der Zahl der Partner bemessen lässt. Nicht nur Männer, auch Frauen halten diese schädlichen gesellschaftlichen Strukturen am Leben. Wenn ein Mädchen vergewaltigt wird, werden immer noch die falschen Fragen gestellt. Statt „Wer war es und wie können wir gegen diese Person vorgehen?“ fragen viele lieber: „War Alkohol im Spiel? Hatte das Opfer einen kurzen Rock an? Hat sie vielleicht falsche Signale gesendet?“ Das muss endlich aufhören!

Starre Geschlechterrollen stellen übrigens einen Risikofaktor für sexualisierte Gewalt dar. Wusstet ihr, dass es bei Vergewaltigungen meist nicht um Verlangen, sondern hauptsächlich um Macht geht? Und wusstet ihr, dass in Deutschland statistisch gesehen immer noch jeden dritten Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner ermordet wird? Viel zu oft wird Täter- statt Opferschutz betrieben. Wer erinnert sich nicht an diesen jungen Stanford-Studenten, der für die von ihm verübte Vergewaltigung eine lächerlich niedrige Strafe bekommen hat, weil man ihm ja nicht die Zukunft verbauen wollte? Das Leben wollen wir einem Vergewaltiger natürlich nicht zerstören, wo kämen wir da hin! Und dass er das Leben einer jungen Frau zerstört hat, das ist ja nicht so schlimm. Denn: Boys will be boys – und so sind die nun mal. Dieses Buch und der Umgang mit Sexismus und sexualisierter Gewalt haben mich sehr wütend gemacht!

Die Faktenlage ist hier leider sehr traurig. In Österreich hat 2016 nicht einmal jede 10. Frau nach einer Vergewaltigung eine Anzeige erstattet, und in nur etwa einem Neuntel der Fälle wurde der Täter verurteilt. Meist ist es (wie in Jules Fall) so, dass das Opfer den Täter kennt - in ca. 80% der Fälle ist es ein Freund, Bekannter oder sogar ein Familienmitglied. (Übrigens machen „erfundene“ Vergewaltigungen nur einen ganz kleinen Prozentsatz aus, also bitte hört auf, Frauen pauschal vorzuwerfen, dass sie ja nur Aufmerksamkeit wollen.) Es ist zwar schön, zu sehen, dass sich – auch durch Debatten wie #Metoo – etwas tut. Es ist beruhigend, dass nun auch immer öfter die Mächtigen und Reichen Konsequenzen für ihr Verhalten zu spüren bekommen, wie zum Beispiel Weinstein oder Kevin Spacey. Dennoch haben wir noch einen weiten Weg vor uns, den wir gemeinsam gehen müssen, wenn wir wollen, dass unsere Töchter (und Söhne) in einer freieren, gerechteren und glücklicheren Welt aufwachsen.

Das erste Wort, das mir nach der Lektüre dieses Buches durch den Kopf ging, war leider trotzdem ein großes „Schade“ – diese Geschichte hätte so, SO gut werden können. Hier wurde so unglaublich viel Potential verschenkt, dass es fast körperlich wehtut. Trotz des vorbildlichen Grundgedankens des Autors ist die Umsetzung leider nicht durchgehend gelungen – vieles wird nur angerissen und sehr oberflächlich behandelt. Manchmal wird auch vergessen, Handlungsstränge zu Ende zu erzählen. Immer wieder wartet man vergeblich auf Erklärungen, oft fehlt Tiefe.

Das Ende hat mich zudem absolut enttäuscht und wütend gemacht. Das lag nicht nur daran, dass es meiner Meinung nach viel zu früh gekommen ist, sondern auch daran, dass es keinerlei Konsequenzen für den Täter gibt. Und genau das finde ich sehr problematisch! Das Ende ist nicht düster genug, um aufzurütteln und zu schockieren, sondern da schwingt so etwas vage Positives / Kämpferisches mit - obwohl eigentlich fast gar nichts erreicht wurde. Ich konnte hier auch das Verhalten der Figuren nicht nachvollziehen: Warum wurde nicht einmal Anzeige erstattet? Warum wird es so dargestellt, als hätten die Betroffenen alles versucht? Ich kann nicht verstehen, warum sie so halbherzig kämpfen und so schnell aufgeben! Die rückgratlosen Erwachsenen an diesem Internat, die die Opfer verraten, um es sich mit den Mächtigen nicht zu verscherzen, haben mich zudem echt angewidert. „Elite“ vermittelt Jugendlichen Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit - das Gefühl, dass man nichts dagegen tun kann, wenn einem so etwas passiert. So kann ich das Buch Jugendlichen leider nicht ohne Einschränkung empfehlen. Ich würde mehr Geschichten wünschen, die den Opfern Mut machen und zeigen, dass es etwas bringen kann, wenn man sich wehrt und Anzeige erstattet. Nur mit einer intensiven Nachbesprechung (in der das inkompetente Verhalten der Erwachsenen kritisiert wird) und Hinweisen auf Hilfsangebote, an die man sich wenden kann, wenn einem so etwas passiert, ist das Buch für Jugendliche geeignet.

„An einem Ort wie Fullbrook konnte ein Mann mit mir – mit jedem Mädchen, jeder Frau – machen, was er wollte, und ungestraft davonkommen. […] Alles in Fullbrook war darauf ausgerichtet, sie zu schützen, nicht mich.“ Seite 326

Protagonisten & Figuren (+/-)

Die beiden Hauptfiguren waren mir sehr sympathisch. Mit Jules konnte ich mich sofort identifizieren, da auch ich mich (natürlich!) als Feministin betrachte und mich für Gleichberechtigung einsetze. Jules ist eine starke, mutige, empathische und ziemlich coole Figur, die jungen Frauen als Vorbild dienen kann. Auch James mochte ich mit jeder Seite mehr. Er kann jungen Männern als Vorbild dienen, weil er ihnen vormacht, wie man mit anderen Menschen umgehen sollte: liebevoll, respektvoll und einfühlsam. James beweist, dass es keine toxischen Vorstellungen von Männlichkeit braucht, um ein selbstbewusster Mann zu sein. Im Gegenteil – manchmal ist es sehr mutig, seine Gefühle zu zeigen und sich gegen Ungerechtigkeiten aufzulehnen – besonders dann, wenn man sich damit selbst zum Außenseiter macht. Es gab Szenen, in denen ich intensiv mit den beiden (vor allem aber mit James) mitgefühlt und mitgelitten habe. In anderen Momenten hat mich die Geschichte aber erstaunlich kalt gelassen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich Jules Verhalten nach der Tat glaubwürdig fand (obwohl natürlich jede Frau hier anders reagiert). Hier hätte der Autor aber auf jeden Fall noch mehr in die Tiefe gehen müssen. Das war mir nicht genug.

Die anderen Figuren sind verschieden gut ausgearbeitet, manche von ihnen bleiben sehr blass, scheinen nur aus der Funktion zu bestehen, die sie für die Geschichte haben, wie z. B. „sexistischer Bösewicht“. Andere wiederum sind sehr sympathisch, vielschichtig und liebevoll gezeichnet und erhalten ihre ganz eigene, schwierige Vergangenheit.

„Dann hörte sie damit auf und hielt die Handflächen starr auf die Sterne gerichtet. ‘Kennt ihr dieses Gefühl, das könnte alles jeden Moment herunterfallen und euch unter sich begraben?‘, fragte sie. ‚Als müsstet ihr es da oben festhalten, weil andernfalls alles über euch zusammenbricht?‘“ Seite 148

Spannung & Atmosphäre (-)

Leider konnte mich die Umsetzung trotz einiger gelungener Momente nicht überzeugen. Vor allem im Mittelteil fehlten mir Spannung und Tempo, die Geschichte kam einfach nicht richtig in Schwung. Immer wieder gab es auch Szenen, die mir eher unwichtig erschienen und die man weglassen können hätte. Meiner Meinung nach hätte man die Geschichte etwas griffiger gestalten müssen, um die gewünschte Wirkung bei den LeserInnen zu erzielen. So hinterlässt das Buch aufgrund der Umsetzung einen eher schalen, enttäuschten, unbefriedigten Nachgeschmack. Es hätte SO gut werden können. Aber das wurde es leider nicht. Schade!

Feministischer Blickwinkel (♥)

Hier bekommt der Autor natürlich alle Punkte, denn auch wenn es mit der Umsetzung nicht so geklappt hat, wie ich mir das gewünscht hätte, zählt doch das Vorhaben und der Mut, gegen Sexismus und Diskriminierung anzuschreiben. Danke dafür! Es ist so wichtig, dass über solche Themen gesprochen wird – auch in Jugendbüchern. Immerhin sind die Teenager von heute die Erwachsenen von morgen.

Mein Fazit

„Elite“ ist ein Jugendbuch, das bei mir (trotz der anfänglichen Vorfreude und Begeisterung) leider einen eher schalen, ernüchterten, unbefriedigten und enttäuschten Nachgeschmack hinterlässt. Dabei hätte diese Geschichte so gut werden können! Hier wurde so unglaublich viel Potential verschenkt, dass es fast körperlich wehtut. Der Schreibstil ist zwar einerseits flüssig zu lesen, vermittelt in vielen Momenten intensive Gefühle und überrascht mit so mancher poetischen Formulierung – andererseits ist er stellenweise zu langatmig, zu wenig anschaulich und enthält störende Wiederholungen. Die sympathischen Hauptfiguren – die mutige, starke Feministin Jules und der ebenso starke, einfühlsame Riese James – konnten mich meist überzeugen, auch wenn ich ihr Verhalten nicht immer nachvollziehen konnte. Die Nebenfiguren hingegen bleiben teilweise sehr blass. Viele wichtige Themen, die mir am Herzen liegen, wie Slut-shaming, Victim-blaming, sexualisierte Gewalt, Sexismus und Homophobie werden angesprochen und kritisiert. Leider wird vieles dabei nur angerissen, oft fehlt Tiefe. Das Ende hat mich zudem sehr enttäuscht und wütend gemacht, weil nichts erreicht wurde, aber trotzdem so getan wird, als hätte man einen Sieg errungen. Die fehlenden Konsequenzen für den Täter mögen zwar realitätsnah sein, aber sie sind in einem Jugendbuch als sehr problematisch zu erachten. Diese Geschichte lehrt Jugendliche vor allem eines: Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit - das Gefühl, dass man nichts dagegen tun kann, wenn einem so etwas passiert. Aus diesem Grunde ist dieses Buch Jugendlichen nur zu empfehlen, wenn der Lektüre eine intensive Nachbesprechung mit Hinweisen auf Hilfsangebote und Kritik am inkompetenten Verhalten der Erwachsenen folgt. Ich würde mir mehr Geschichten wünschen, die Opfern Mut machen und zeigen, dass es etwas bringen kann, wenn man sich wehrt und Anzeige erstattet. Kurz: „Elite“ ist ein Buch mit vielen guten Ansätzen, aber auch großen Schwächen, das mich leider enttäuscht hat.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 3 Sterne
Worldbuilding: 3,5 Sterne
Einstieg: 3,5 Sterne
Schreibstil: 3 Sterne
Hauptfiguren: 4 Sterne
Nebenfiguren: 3 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Spannung: 2-3 Sterne
Ende / Auflösung: 1 Stern!
Emotionale Involviertheit: 4 Sterne
Feministischer Blickwinkel: ♥
Macht wütend!

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir drei leider enttäuschte Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Geschichte
  • Figuren
  • Spannung
Veröffentlicht am 12.11.2018

Still & faszinierend, langatmig, oberflächlich - konnte mich nicht ganz überzeugen!

Das Vogelhaus
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Die Rezension enthält leichte Spoiler!


Inhalt

Rebellische Tochter, erfolgreiche Violinistin und schließlich gefeierte Tierforscherin und Autorin. Len Howard verbrachte ihre zweite Lebenshälfte in ...

Die Rezension enthält leichte Spoiler!


Inhalt

Rebellische Tochter, erfolgreiche Violinistin und schließlich gefeierte Tierforscherin und Autorin. Len Howard verbrachte ihre zweite Lebenshälfte in einem abgelegenen Cottage im Süden Englands, wo sie mit Vögeln zusammenlebte, diese erforschte und sich mit ihnen anfreundete. Sie war nicht nur eine Pionierin auf ihrem Gebiet, sondern auch eine ungewöhnliche, moderne, feministische Frau. Umso schöner, dass Eva Meijer ihr mit diesem Buch ein Denkmal setzt.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: btb
Seitenzahl: 320
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: aus weiblicher Perspektive (Len Howard)
Kapitellänge: mittel bis eher lang, dazwischen kurze Vogelbeobachtungen
Tiere im Buch: + / - Es wird Hummer gegessen, Vögel verhungern, sterben aus Kummer, werden bei Heckenarbeiten grausam getötet. Die Protagonistin tötet zudem eine Taube mit einem Stein, um sie zu erlösen. Positiv ist, dass der sorglose, rücksichtslose Umgang mit unseren Singvögeln und generell Tierversuche mit Vögeln von der Forscherin scharf kritisiert werden, weil sie keine brauchbaren Ergebnisse liefern. Hier auch wieder meine Empfehlung: Wenn ihr ebenfalls gegen sinnlose, oft grausame Tierversuche seid, schaut bitte beim Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ vorbei, der schon jahrelang engagiert und teilweise sogar schon erfolgreich für Alternativen und für eine tierversuchsfreie Forschung kämpft.

Warum dieses Buch?

Als Tierliebhaberin bin ich natürlich immer daran interessiert, mehr über die großen und kleinen Lebewesen zu erfahren, die uns umgeben. Zudem habe ich mich immer gefragt, wie der Alltag als TierforscherIn aussieht. Weibliche Forscherinnen erhalten ja oft viel weniger Aufmerksamkeit als ihre männlichen Kollegen, daher freute ich mich umso mehr, dass Len Howard im Mittelpunkt dieser Geschichte steht und wollte dieses Buch unbedingt lesen.
Meine Meinung

Einstieg (+/-)

Der Einstieg machte mich sofort neugierig, auch wenn es schlussendlich nach dem Prolog, vor allem durch diesen großen Zeitsprung in die Jugend von Len Howard, länger gedauert hat, bis ich wirklich in der Geschichte angekommen war und auch mit der Hauptfigur eine Verbindung aufgebaut hatte. Woran das lag, darauf gehe ich später noch näher ein.

"'Sie können die Hecke jetzt nicht beschneiden. Sie ist voller Nester. Die meisten Jungen sind schon aus dem Ei geschlüpft.' Meine Stimme ist höher als sonst, mir ist, als drücke mir jemand die Kehle ab. [...]
' Wenn Sie die Hecke beschneiden wollen, müssen sie erst mich aus dem Weg räumen.'" Seite 6

Schreibstil (+/-)

Was den Schreibstil angeht, bin ich zwiegespalten. Einerseits schreibt Eva Meijer flüssig, angenehm und einfach, manchmal sind ihre Beschreibungen sehr treffend, sensibel und teilweise sogar poetisch. Andererseits war mir die Sprache teilweise auch ZU einfach, zu kühl, zu spannungsarm, mit zu wenigen Ecken und Kanten, um mich mitreißen und begeistern zu können.

„Ich erzähle ihr, dass ich Worte manchmal fürchte, weil sie Dinge einfangen, die man besser nicht einfangen sollte.“ Seite 65
„Das Früher ist ein Hügel in der Ferne, der nicht mehr näher, aber auch nicht weiter weg rückt. Das Jetzt ist ein Gesicht in der Menge, das einen Ausdruck annimmt, das deinen Blick erwidert und vorbeigeht.“ Seite 112

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

Wie einige andere LeserInnen auch, habe ich mir nach dem etwas fehlleitenden Klappentext vom vorliegenden Buch etwas anderes erwartet. Ich rechnete damit, dass Len Howards späte Jahre und ihre Vogelbeobachtungen den größten Teil des Romans ausmachen würden, leider wurde dem Thema aber nur ein Drittel gewidmet (und auch in diesem Abschnitt hätte ich mir oft mehr Details gewünscht). Ein großer Teil des Buches beschäftigt sich jedoch biographisch (hier wurde wurden nach eigenen Angaben der Autorin Fakten und Fiktion vermischt) mit den früheren Jahren der Forscherin, mit ihrer Jugend und ihrer Zeit als Violinistin in einem Orchester. Manche Szenen konnten mich absolut überzeugen, die Atmosphäre des frühen 20. Jahrhunderts konnte mich vollkommen für sich einnehmen, andere Kapitel und Schilderungen wirkten auf mich jedoch auch sehr banal, zu oberflächlich und nicht interessant genug.

Verzaubern konnten mich an diesem Buch, das in den Niederlanden bereits einige Preise erhalten hat und zu einem Bestseller wurde, die Vogelbeobachtungen, die man immer am Beginn jeden Kapitels findet und Len Howards deutlich spürbare Liebe zu ihren Vögeln, die man auch in den Bildern erkennt, die am Ende des Buches beigefügt wurden. Manche Themen wie Erwachsenwerden und Selbstfindung, das Abnabeln von der Familie, werden tiefgründig und authentisch behandelt, viele andere Aspekte wie die Freundschaften von Gwendolen bekommen aber meiner Meinung nach zu wenig Raum. Zudem waren meine Erwartungen nach dem Lesen des Klappentexts hoch und ich wartete ständig darauf, dass mich der Roman wie angekündigt „zwingt, herkömmliche Vorstellungen in Frage zu stellen“, was aber leider nicht so richtig geschehen wollte. Das Ende fand ich rund und gelungen, auch wenn es mir nicht lange im Kopf bleiben wird.

„Im September und Oktober packte die Kohlmeisen die Zerstörungswut: Sie zerfetzten Papier und pickten Löcher ins Holz. Das schien ihnen ganz einfach Spaß zu machen, außerdem hatten sie viel freie Zeit, nun da ihr Nachwuchs selbst für sich sorgen konnte und sie noch nicht mit Vorbereitungen für den Winter zu beginnen brauchten.“ Seite 101

Protagonistin (+/-)

Was die Heldin betrifft, bin ich ebenfalls zweigeteilt. Um ehrlich zu sein, war mir Len Howard in ihren frühen Jahren am sympathischsten. Ihren Drang, sich von der Familie und deren (konservativen) Werten zu emanzipieren und die Welt zu entdecken, kennt wohl jede/r Heranwachsende. Jedoch gelang es mir im ganzen Buch nicht, eine wirklich enge Bindung zur Hauptfigur aufzubauen. Sie schien mir oft kühl, wenig emotional und bot (abgesehen von ihrer Tierliebe und ihrem Engagement für die Vögel) wenig Identifikationsfläche. Mit zunehmendem Alter wird die Forscherin immer mürrischer und scheint immer weniger Geduld mit den Menschen zu haben (was an sich eigentlich schon eine glaubwürdige Entwicklung ist). Nicht immer konnte ich dabei Lens Verhaltensweisen verstehen. Zum Beispiel hatte ich überhaupt kein Verständnis dafür, dass sie sich nach ihrem Umzug überhaupt nicht mehr bei ihrer Familie gemeldet hat – angeblich, weil sie so viel zu tun hatte. Meiner Meinung nach eine Ausrede. Sie entschloss sich bewusst, ihre Schwester, die ihre Mutter und ihren Bruder alleine pflegte, vollkommen im Stich zu lassen. Das hat meine Gefühle ihr gegenüber nicht gerade erwärmt.

„Auf dem Rückweg fängt es an zu schneien. Der Schnee bringt Trost und Verheißung. Kinder dürfen noch kurz nach draußen, Erwachsene begreifen wieder, dass sie auch mal Kinder waren.“ Seite 96

(Neben)Figuren (-)

Auch hier muss ich mich einigen anderen RezensentInnen leider anschließen. Während die tierischen Mitbewohner der Forscherin detailliert beschrieben und liebevoll ausgearbeitet werden, so bleiben menschliche WegbegleiterInnen meist nur kurz in Lens Leben, sind dabei oft blass und austauschbar. Man erfährt (bis auf wenige Ausnahmen) einfach zu wenig über sie, um sie ins Herz zu schließen, obwohl man das eigentlich doch möchte. Manchmal fehlt dieses gewisse Etwas, das sie unverwechselbar und unvergesslich macht. Dieser Eindruck hängt wohl auch mit den großen Zeitsprüngen zwischen den Kapiteln zusammen, nach denen man sich immer erst einmal wieder in Gwendolens Leben zurechtfinden muss.

Spannung & Atmosphäre (-)

„Das Vogelhaus“ ist ein ruhiges, stilles, manchmal melancholisches, teilweise sehr atmosphärisches Buch, das stark von Lens alltäglichen Beobachtungen durchzogen ist. In manchen Momenten fand ich das Buch wunderbar entschleunigend, faszinierend, überzeugend, poetisch, oft fand ich es jedoch auch langatmig, teilweise sogar langweilig und musste mich zwingen / motivieren, weiterzulesen. Einen durchgehenden Spannungsbogen gibt es nicht, es sind eher Neugier und Interesse für diese ungewöhnliche, progressive Frau, die einen weiterlesen lassen. Punktuell wird durchaus Spannung aufgebaut, was gut gelingt, die Durststrecken dazwischen haben mich jedoch immer wieder gestört.

„Am Strand zieht feiner Regen graue Streifen durch die Luft – grauer Strand, graues Meer, grauer Himmel. Meine Lippen sind salzig, ich summe Noten, um meine Stimme zu hören. Sie verwehen.“ Seite 120

Geschlechterrollen (♥)

Gwendolen Howard war ohne Frage eine Frau, die für ihre Zeit ungewöhnlich, vielleicht sogar geradezu empörend emanzipiert war. Sie verteilt Flyer für die Suffragetten-Bewegung und lässt sich auch sonst von niemandem etwas vorschreiben, geht ihren eigenen Weg. Zudem weigert sie sich zeitlebens, zu heiraten, unter anderem wohl auch, um ihre Freiheit zu behalten. Trotz ihrer konservativen Familie, die ihr versichert, dass sie nicht arbeiten müsse, dass es ihre Aufgabe sei, sich wie eine Dame zu verhalten und einen respektablen Ehemann zu finden, beschließt Len, Violinistin zu werden und in einem Orchester zu spielen. Sie arbeitet hart für ihre Erfolge, wehrt sich gegen Sexisten und kritisiert immer wieder die Tatsache, dass in der Wissenschaft Frauen oft nicht so ernst genommen werden wie Männer. Lens Freundinnen leben ebenfalls lange Jahre ein sehr selbstbestimmtes Leben, manche haben zahlreiche Liebhaber – niemals wird dieses moderne Liebesleben im Buch verurteilt, was ich großartig finde (vor allem in einem Roman, der in der Vergangenheit spielt)! Aus all diesen Gründen konnte mich „Das Vogelhaus“, was diesen Aspekt betrifft, auf ganzer Linie überzeugen!

Mein Fazit

„Das Vogelhaus“ ist ein interessanter, stiller Roman, der mich leider insgesamt nicht ganz überzeugen konnte. Der Schreibstil ist angenehm und flüssig, sensibel, manchmal aber auch langatmig, kühl und distanziert, auch zur Hauptfigur blieb leider immer eine gewisse Distanz, was mit Sicherheit auch an den großen Zeitsprüngen im Buch liegt. Die Nebenfiguren fand ich leider blass und austauschbar (bis auf wenige Ausnahmen), überhaupt fehlten mir insgesamt Tiefe und Spannung. Dennoch gab es auch Aspekte, die mich überzeugen konnten: Manche Beschreibungen waren poetisch bis philosophisch, Lens enge Freundschaft zu den Vögeln und ihre Beobachtungen sind faszinierend und lehrreich und ihre Liebe zu den Tieren ist auf jeder Seite spürbar. Die Forscherin war eine interessante, ungewöhnlich moderne, leidenschaftliche und feministische Frau, daher ist es schön, dass die Autorin mit diesem Buch dafür sorgt, dass sie nicht in Vergessenheit gerät.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 3 Sterne
Worldbuilding: 3 Sterne
Ausführung: 3 Sterne
Einstieg: 3 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonistin: 3,5 Sterne
(Neben)Figuren: 2-3 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Spannung: 2 Sterne
Ende: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3 Sterne
Geschlechterrollen: ♥
Interessant und lehrreich!

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3 nicht ganz überzeugte Lilien!

Veröffentlicht am 05.10.2018

Unterhaltsamer Jugendroman mit Schwächen

Tell me three things
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Spoilerfreie Rezension


Inhalt

Nach dem Tod ihrer Mutter hat sich Jessies Vater neu verliebt. Nach der überraschenden Hochzeit mit seiner neuen Frau namens Rachel zieht die Familie nach Los Angeles ...

Spoilerfreie Rezension


Inhalt

Nach dem Tod ihrer Mutter hat sich Jessies Vater neu verliebt. Nach der überraschenden Hochzeit mit seiner neuen Frau namens Rachel zieht die Familie nach Los Angeles um – sehr zum Missfallen von Jessie. Sie verliert auf einen Schlag alles, was sie kennt – ihre Freunde, ihr Haus, ihre gewohnte Umgebung – und wird nicht einmal gefragt, was sie davon hält. In der schönen Villa der neuen Frau steht Jessie mit Rachel und Theo, ihrem Stiefbruder, auf Kriegsfuß. Ihr erster Schultag an der Schule der Reichen und Schönen ist eine Katastrophe. Doch dann erscheint unerwartet ein Lichtblick am Horizont: Ein anonymer Fremder schreibt ihr eine E-Mail und bietet an, ihr zu helfen, die größten Hindernisse im Schulalltag zu umschiffen. Aus Mangel an Alternativen beschließt Jessie, dem Verfasser zu vertrauen…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: ONE
Seitenzahl: 400
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: aus weiblicher Perspektive
Kapitellänge: mittel bis kurz
Tiere im Buch: + Es werden keine Tiere verletzt oder getötet.

Warum dieses Buch?

Der Klappentext hat mich vage an das Buch „Nur drei Worte“ / „Simon vs the Homosapiens Agenda“ erinnert, das ich sehr gerne mochte. Zusätzlich haben mich die begeisterten LeserInnenstimmen neugierig gemacht.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Den Einstieg fand ich absolut gelungen. Die Geschichte beginnt mit der ersten rätselhaften Mail, die Jessie nach ihrer ersten Schulwoche erhält. Diese interessante Ausgangsituation und die humorvolle Art, in der das Schreiben verfasst ist, haben mich einige Male zum Schmunzeln gebracht und natürlich auch Neugierde in mir geweckt.

„Siebenhundertdreiunddreißig Tage nachdem meine Mom gestorben ist, fünfundvierzig Tage nachdem mein Dad heimlich eine fremde Frau aus dem Internet geheiratet hat, dreißig Tage nachdem wir daraufhin Hals über Kopf nach Kalifornien gezogen sind und nur sieben Tage nachdem ich zum ersten Mal meine neue Schule besucht habe, auf der ich so gut wie niemanden kenne, erhalte ich eine E-Mail.“ E-Book, Position 50

Schreibstil (+)

An Julie Buxbaums Schreibstil gibt es nichts auszusetzen. Sie schreibt flüssig, locker, angenehm und leicht verständlich, dennoch ist die Sprache nicht ZU einfach, unterfordernd oder oberflächlich. Die Gefühle und Gedanken der Hauptfigur werden zudem anschaulich, intensiv und verständlich geschildert. Das jugendliche Zielpublikum wird also keine Probleme haben, sofort in die Geschichte einzutauchen.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

Der Fließtext über Julies Leben wird immer wieder unterbrochen von den mysteriösen Mails und – später dann – auch von verschiedenen Chatverläufen. Diese haben die Geschichte aufgelockert und waren sehr gut mit dem Text verwoben. Tatsächlich hat mich die Story an einigen Punkten (zu) stark an „Nur drei Worte“ / „Simon vs the Homosapiens Agenda“ erinnert. Zwar hatte ich nicht wirklich das Gefühl, eine Kopie vor mir zu haben, jedoch hätte ich mir schon gewünscht, dass die Autorin hier stärker ihren eigenen Weg gegangen wäre. Das Ende fand ich ebenfalls nett – nichts was mir lange in Erinnerung bleiben wird, aber ich war damit zufrieden.

Das Buch behandelt typische Jugendthemen wie Selbstfindung, Emanzipation von der Familie und Schule, wagt sich jedoch auch an erstere Themen wie Verlust, Trauer, Einsamkeit und Mobbing heran. Einige dieser Themen wurden durchaus tiefgehend behandelt, an manchen Punkten hätte die Autorin aber noch mehr in die Tiefe gehen müssen. Zudem war mir für die gewählten Themen der Ton manchmal etwas zu locker und fröhlich, hier hätte man keine Scheu vor traurigeren, emotionaleren Momenten haben dürfen. Dann hätte mich die Geschichte bestimmt noch stärker berührt.

„Eine der schlimmsten Erfahrungen, wenn jemand stirbt, ist, an all die Momente zurückzudenken, in denen man nicht die richtigen Fragen gestellt hat, all die Momente, in denen man fälschlicherweise geglaubt hat, noch unendlich viel Zeit zu haben.“ E-Book, Position 368

Protagonistin & Figuren (+)

Jessie mochte ich als Protagonistin gern. Die Autorin hat sie liebevoll gezeichnet und verleiht ihr sowohl eine sympathische Persönlichkeit und Stärken als auch authentische Schwächen, Zweifel und Probleme. Als Gesamtpaket ist Jessie eine auf angenehme Weise nicht perfekte, dreidimensionale Heldin, mit der sich auch das Zielpublikum gut identifizieren können wird. So besonders und einmalig, dass sie mir für immer in Erinnerung bleiben wird (wie zum Beispiel June aus „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ von Carol Rifka Brunt), fand ich sie allerdings leider nicht. Aber das ist wohl einfach Geschmackssache.

Auch viele der Nebenfiguren sind gut ausgearbeitet und konnten mich überzeugen. Einige bleiben aber leider auch sehr blass und austauschbar und verkörpern das eine oder andere Klischee (z. B. Gem als das gemeine, schöne, beliebte Mädchen der Schule). Hier hätte ich mir doch etwas mehr Individualität, Innovation und Tiefe gewünscht.

Humor (+)

Der Humor hat zwar nicht durchgehend meinen Geschmack getroffen (manchmal war er mir ein wenig übertrieben), aber teilweise musste ich echt schmunzeln und manchmal sogar lachen. Dafür gibt es ein Lob, da das nur wenige Bücher bei mir schaffen.

"- weiß du, man sagt, je zufriedener du in der schulzeit bist, desto weniger erfolgreicher wirst du später im leben sein. […]
- Ach ja? Dann sieht es für mich ja super aus, und ich werde Vorstandsvorsitzende der ganzen verdammten Welt.“ E-Book, Position 715

Liebesgeschichte (+/-)

Ich mochte die Liebesgeschichte und konnte auch verstehen, warum sich die Beteiligten zueinander hingezogen fühlen und warum sie einander mögen (in manchen Büchern scheitert es ja bereits daran). Manche Entwicklungen gingen mir allerdings eine Spur zu schnell und auch die Chemie zwischen den Liebenden war nicht so stark, dass ich beim Lesen dieses berühmte Kribbeln gefühlt hätte. Vor allem bei Erzählungen aus der Ich-Perspektive muss ich mich selbst ein bisschen in den/die Angebetete/n verlieben, sonst ist die Beschreibung der Liebesgeschichte meiner Meinung nach nicht hundertprozentig gelungen. Sehr gut gemacht hat das beispielsweise John Green in „The Fault in our Stars“ / „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“.

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Ich war zwar durchgehend neugierig, wie die Geschichte ausgehen würde und wer sich hinter dem Unbekannten verbirgt, und fühlte mich auch meist gut unterhalten, jedoch gab es immer wieder langatmige Stellen, denen mehr Spannung wirklich gutgetan hätte. Ein bisschen weniger Vorhersehbarkeit (ich lag mit meinen Vermutungen fast immer richtig) und mehr unerwartete Wendungen hätten das Buch sicher noch besser gemacht.

Die Stimmung im Buch hat mich tatsächlich auch stark an „Nur drei Worte“ erinnert, denn auch hier fühlt sich die Lektüre trotz ernster Themen hoffnungsvoll, beschwingt, locker und irgendwie positiv an, auch wenn die Hauptperson eigentlich noch stark um ihre Mutter trauert. Zusätzlich gibt es auch immer wieder humorvolle, emotionale, traurige und sogar wütend machende Szenen, die dafür gesorgt haben, dass ich mit Jessie mitfühlen konnte und stellenweise stark emotional involviert war (auch wenn hier sicher noch Luft nach oben war).

Geschlechterrollen & Vielfältigkeit (-!)

Es gibt nur wenige positive Aspekte, die mir aufgefallen sind. Gefallen hat mir zum Beispiel, dass Jessie eine starke, intelligente Hauptfigur ist, die auch einmal den ersten Schritt macht, und dass das Liebesleben von Jessie und ihren Freundinnen, ihre Wünsche und Zweifel offen angesprochen wurden. Das finde ich gut, da heutzutage Mädchen in Jugendbüchern immer noch viel zu oft als absolut unschuldig und passiv dargestellt werden.

Leider gibt es auch einige Aspekte, die mir absolut nicht gefallen haben. Zum Beispiel die altmodischen Rollenbilder (Mutter kocht immer, Vater hat keine Ahnung von Haushaltsdingen) und die Behauptung, dass eine „echte“ Mutter nicht darauf bedacht sei, attraktiv auszusehen (aha, und warum nicht?). Hier gab es einfach zu viele Rollenklischees, die unreflektiert wiedergegeben wurden. Auch was ein positives Körperbild betrifft, das gerade für junge Mädchen (bei all den falschen Erwartungen, die durch die Medien geweckt werden!) sehr wichtig ist, bin ich hier sehr enttäuscht. Eine Mutter empfiehlt beispielsweise ihrer (keineswegs übergewichtigen Tochter), dass sie besser aussehen würde, wenn sie fünf Kilo abnehmen würde und wird dafür noch von der Hauptfigur gelobt. Auch die Formulierung, dass sich Jessie an einer Stelle vorkommt wie eine „peinliche Feministin“ finde ich absolut furchtbar! Es ist niemals peinlich, Feminist oder Feministin zu sein, vielmehr ist es peinlich, als vernünftig denkender Mensch NICHT für Gleichberechtigung zu kämpfen! Solche Worte in einem Jugendbuch sind absolut inakzeptabel.

Am meisten hat mich jedoch die Verwendung von frauenfeindlichen / sexistischen Ausdrücken wie „Schlam++“, „Zicke“, „Tussi“ und sogar „Hu++“ gestört. Einmal wird sogar angedeutet, dass es in manchen Fällen gerechtfertigt sei, so genannt zu werden. Ich bin es langsam wirklich leid, solche Ausdrücke in Jugendbüchern zu lesen, die dann unreflektiert von den Jugendlichen ebenfalls verwendet werden. Medien, auch Bücher, beeinflussen unterbewusst unsere Vorstellungen von Geschlechterrollen und verfestigen damit Rollenstereotypen, die einengen und gleichzeitig einen Risikofaktor für Gewalt an Frauen darstellen. AutorInnen müssen endlich sensibler mit dem Thema umgehen lernen und – wenn sie es selbst nicht schaffen – wäre es sehr wichtig, dass Verlage aufhören, Textstellen mit solchen Wörtern durchzuwinken.

Zum Thema mangelnde Vielfältigkeit (alle sind weiß, schlank, schön etc.) wurde von einer anderen Rezensentin ja schon genug geschrieben, also verweise ich hier nur auf ihre Rezension, die beim Stöbern leicht zu finden sein sollte.

Beispiele:

„Ich bin unschlüssig, ob ich eher wie ein Proll oder eine Schla+++ klinge […]“ E-Book, Position 138

„Monatelang hatte mein Dad Fragen gestellt, aus denen hervorging, dass er keine Ahnung hatte, wie unser Alltag funktionierte. Wo befindet sich bei uns das Kehrblech? Wie heißt der Direktor deiner Schule?“ E-Book, Position 530

„‘Meine Schwester ist auf der University of California und hu++ da total rum‘, sagte Agnes.“ E-Book, Position 1594

„Ich: Ich freue mich für dich, du liederliche Schla+++!“ E-Book, Position 3890

„‘Hu++‘, niest sie noch einmal […]“ E-Book, Position 2484

Mein Fazit

„Tell Me Three Things“ ist ein Jugendroman mit Schwächen, der mich insgesamt gut unterhalten konnte, der mich aber auch teilweise (zu) stark an „Nur drei Worte“ / „Simon vs the Homosapiens Agenda“ erinnert hat. Der Schreibstil ist flüssig, locker und angenehm lesbar und somit perfekt geeignet für die Zielgruppe, und auch die sympathische Hauptfigur konnte mich überzeugen. Von den Nebenfiguren sind manche sehr gelungen, einige von ihnen bleiben leider blass oder verkörpern Klischees. Themen wie Selbstfindung, Unabhängigkeit, Verlust und Mobbing werden angemessen behandelt, teilweise hätte man hier aber noch mehr in die Tiefe gehen und traurigere Momente zulassen können. Der Humor und die Liebesgeschichte haben mir insgesamt gefallen, mehr Spannung hätte dem Buch aber gutgetan, da ich manche Abschnitte langatmig fand. Was die Geschlechterrollen, die Thematisierung von Feminismus und die Verwendung von frauenfeindlichen Ausdrücken angeht, gibt es leider einiges zu kritisieren und ich würde mir hier wünschen, dass die Autorin im nächsten Buch DEUTLICH sensibler mit diesem Aspekt umgeht. Aus diesem Grunde würde ich das Buch Jugendlichen eher nicht empfehlen, sondern stattdessen auf das meiner Meinung nach gelungenere „Nur drei Worte“ von Becky Albertalli verweisen. Kurz: Julie Buxbaums Jugendbuch konnte mich insgesamt gut unterhalten, aber leider nicht ganz überzeugen.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 3,5 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Ausführung: 3 Sterne
Einstieg: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonistin: 3,5 Sterne
(Neben)Figuren: 3 Sterne
Humor: 4 Sterne
Liebesgeschichte: 3-4 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Spannung: 2,5 Sterne
Ende: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3 Sterne
Geschlechterrollen: -!

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3 nicht ganz zufriedene Lilien!

Veröffentlicht am 02.10.2018

Ernüchterung: Ganz unterhaltsam, aber es fehlt an Tiefe

Blutrausch - Er muss töten (Ein Hunter-und-Garcia-Thriller 9)
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Spoilerfreie Rezension


Inhalt

Es ist trotz ihrer jahrelangen Erfahrung ein Schock für Hunter und seinen Partner Garcia, die beide auf UV-Morde, ultra gewalttätige Verbrechen, spezialisiert sind, als ...

Spoilerfreie Rezension


Inhalt

Es ist trotz ihrer jahrelangen Erfahrung ein Schock für Hunter und seinen Partner Garcia, die beide auf UV-Morde, ultra gewalttätige Verbrechen, spezialisiert sind, als sie den Tatort ihres neuesten Falles zum ersten Mal sehen. Ein junges Model wurde brutal getötet, ihre Leiche ist in einem schockierenden Zustand. Der Täter hat den Schauplatz nach seinen Wünschen umgestaltet und hinterlässt den ErmittlerInnen eine rätselhafte lateinische Nachricht. Offensichtlich sieht er sich als Künstler. Und gerade arbeitet er daran, seine persönliche Galerie des Grauens zusammenzustellen.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 einer Reihe
Verlag: Ullstein Taschenbuch Verlag
Seitenzahl: 448
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: aus zahlreichen männlichen und weiblichen Perspektiven, auch aus der Perspektive des Mörders
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: - Wie so oft in Thrillern muss leider auch hier wieder eine Katze sterben (sie erfriert), um zu verdeutlichen, wie grausam der Killer ist. Das bin ehrlich gesagt langsam ein bisschen leid. Gut gefallen hat mir jedoch, wie empört die verschiedenen Figuren auf den Tod der Katze reagiert und dass sie viel Mitgefühl gezeigt haben. Wichtig ist mir, an dieser Stelle zu betonen, dass Katzen unbedingt immer mindestens zu zweit gehalten werden müssen, da sie KEINE Einzelgänger sind. Kleine Kätzchen und reine Wohnungskatzen alleine zu halten ist besonders grausam, da der Mensch einen Katzenfreund niemals ersetzen kann. Auf Dauer werden aufgrund von Einsamkeit dann oftmals Depressionen und Verhaltensstörungen wie Aggressivität und exzessives Kratzen an Möbeln entwickelt. Wer also seine Katze liebt, schenkt ihr einen Gefährten.

Warum dieses Buch?

Langsam habe ich es mich ja fast nicht mehr zuzugeben getraut, dass ich bisher noch keinen einzigen Carter gelesen hatte. Der Autor ist unter Thrillerfans sehr beliebt und es gibt einen regelrechten Hype um seine Bücher. Mit meiner „Bildungslücke“ in diesem Bereich, mit diesem dunklen, dunklen Geheimnis, wollte ich nun nicht mehr länger leben, daher habe ich mit dem neunten Band den Einstieg in die Reihe gewagt.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Der Einstieg ist mir sehr leicht gefallen. Bereits das erste Kapitel endet herrlich unheimlich und verursacht Gänsehaut. Danach begegnen wir Hunter, der vor einer Gruppe Studierender einen Vortrag über sein Berufsfeld hält, aber durch einen wichtigen Anruf unterbrochen wird und sich sofort zum Tatort aufmachen muss. Die ersten Seiten haben mich so neugierig gemacht, dass ich unbedingt weiterlesen wollte. Obwohl dieser Band meinen Reiheneinstieg darstellte, hatte ich keinerlei Verständnisschwierigkeiten. Es gibt zwar manchmal Anspielungen auf frühere Bände, jedoch hatte ich nie das Gefühl, dass mir wichtiges Vorwissen fehlt. Wer also auch überlegt, ob er in der Mitte der Reihe einsteigen kann, kann sich ganz beruhigt an seinen ersten Carter wagen.

Linda ist gerade dabei die Face-Swap-App an ihrem Kater auszuprobieren:
„Gleich darauf erschien ein erster roter Kreis um ihr Gesicht. Der zweite folgte wenig später – und als sie ihn sah, war ihre Brust auf einmal wie zugeschnürt, als hätte jemand einen Druckverband um ihr Herz festgezogen.
Die App hatte nicht Mr Boingos Gesicht markiert, sondern etwas im dunklen Türrahmen hinter ihr.“ Seite 9

Schreibstil (+/-)

Dem Schreibstil stehe ich zwiegespalten gegenüber. Chris Carter schreibt zwar sehr routiniert, flüssig, anschaulich und angenehm lesbar, jedoch kratzt er mir viel zu oft nur an der Oberfläche. Hier hätte ich mir detailliertere Schilderungen der Gefühle und Gedanken der Figuren gewünscht und generell mehr Tiefe. Mir ist auch nach den ersten Seiten aufgefallen, dass das Buch sehr dialoglastig ist, was zwar einerseits dazu führt, dass man es sehr schnell lesen kann, andererseits geht das leider auch zulasten der Tiefe. Gerätselt habe ich, warum man das halb übersetzte Wort „Promkönigin“ gewählt hat und nicht einfach das deutsche „Ballkönigin“. Hier sollte bedacht werden, dass viele Menschen nicht gut Englisch sprechen und dass solche Ausdrücke dann zu Frustration führen könnten.

„Seine Augenlider zuckten nicht einmal. Sie senkten sich nur wie schwere Jalousien, die am Ende eines sehr, sehr langen Tages heruntergelassen wurden.“ Seite 296

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

Der Autor hat sich für dieses Buch einen interessanten Plot mit vielen Wendungen ausgedacht, der eine klassische Thrillerstruktur aufweist und zwar nicht mit Innovationen begeistert, mich aber insgesamt dennoch gut unterhalten konnte. So besonders und ungewöhnlich wie der Fall dargestellt wurde, fand ich (als erfahrene Thrillerleserin) ihn allerdings nicht. Sehr gut gefallen hat mir jedoch, dass vom Autor immer wieder interessante Fakten und Einblicke in die Ermittlungsarbeit eingewebt wurden. Der Showdown kurz vor dem Ende war sehr spannend und beinhaltete einige unerwartete Momente, bei denen ich gar nicht wusste, wie mir geschieht. Manche Aspekte am Ende waren erstaunlich unaufgeregt abgehandelt (hier hätte ich mir mehr erwartet), und natürlich ist der Schluss so geschrieben, dass die Neugier auf den Folgeband geweckt wird.

Besonders neugierig war ich, wie blutig Chri Carter tatsächlich schreibt, da ich von allen Seiten vorgewarnt wurde. Da ich gerne Horrorfilme ansehe, kann mich zwar nichts so schnell erschüttern, aber ich war natürlich trotzdem gespannt. Das Ergebnis: Ja, es gibt blutige, grausig geschilderte Stellen (der erste Schauplatz ist mit Sicherheit die größte Bewährungsprobe für sensible LeserInnen und empfindliche Mägen), aber diese halten sich doch weitgehend in Grenzen. Ich fand beispielsweise Karin Slaughters Schilderungen weitaus schockierender.

Leider fehlte mir auch bei der Behandlung der (wenigen) Themen wieder Tiefe. Viele Aspekte, die man sehr gut noch ausbauen hätte können, werden leider nur ganz kurz angeschnitten und dann nicht weiter ausgeführt. Ein guter Thriller muss aber meiner Meinung nach beides vereinen können: Spannung und Tiefe. Daher lässt mich dieser Aspekt ernüchtert zurück.

Dialoge (-)

Enttäuschend fand ich oft die Dialoge. Hier gab es mir zu viele Wiederholungen und zu viele sinnlose Fragen wie „Wie meinen Sie das?“, die das Buch künstlich strecken und den Spannungsaufbau hemmen. Auch die ständigen Sticheleien zwischen den Ermittelnden haben mich zunehmend genervt. Absolut unglaubwürdig fand ich die langsamen Schlussfolgerungen und Ermittlungserfolge der Polizisten und FBI-Agenten. Sehr oft verstand ich als Leserin schon lange vorher Zusammenhänge, die dann pathetisch und mit vielen Cliffhangern offenbart wurden. Daher klappt es natürlich oft auch nicht mit dem Überraschungseffekt und dem AHA-Moment. Ich verstehe zwar, dass man niemanden überfordern, sondern sicherstellen will, dass die LeserInnen folgen können, aber die Darstellung der Ermittelnden hat für mich einfach viel ruiniert. Auf mich wirkten sie sehr inkompetent und unglaubwürdig – und wenn das wirklich schon das Beste ist, was Polizei und sogar FBI zu bieten haben, dann gute Nacht!

Protagonist & Figuren (-)

Auch der Protagonist und die meisten anderen Figuren (Timothy ist hierbei beispielsweise eine Ausnahme) konnten mich nicht vollkommen überzeugen. Hunter fand ich zwar nett, und ich mochte seine ruhige, besonnene Art und seine schlauen Schlussfolgerungen, aber ich konnte absolut keine Bindung zu ihm und zu den meisten anderen Personen aufbauen, obwohl ich mich sehr bemüht habe. Dazu fehlte mir einfach Tiefe in Bezug auf die Gefühls- und Gedankenwelt. Die Figuren erschienen mir blass, eindimensional und austauschbar. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass die Geschichte aus so vielen verschiedenen Perspektiven erzählt wurde (was mich aber eigentlich überhaupt nicht gestört hat, weil es sehr gut gemacht war) oder daran, dass der Großteil der Charakterarbeit (die Hauptfigur betreffend) schon in den vorherigen Bänden steckt.

Manche Figuren waren mir leider auch unsympathisch, zum Beispiel fand ich die Zankereien zwischen der bissigen Agent Fisher und dem kindischen und provokanten Partner Garcia einfach nur nervig. Auch gab es kaum Charakterentwicklung, was mich ebenfalls enttäuscht hat. Wer von der Charakterzeichnung in diesem Buch ebenfalls nicht begeistert war und Lust auf einen Thriller hat, der atemlose Spannung mit großen Emotionen und liebevollster Figurenzeichnung kombiniert, dem kann ich nur die Thrillerreihe von Daniel Cole empfehlen, besonders „Hangman“.

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Auch in diesem Bereich gab es Aspekte, die mich überzeugen konnten und Dinge, die mich enttäuscht zurückgelassen haben. Zuerst zum Positiven: Ich fand das Buch niemals langweilig, meine Neugier war eigentlich konstant hoch, ich wollte immer und durchgehend wissen wie es weitergeht. Ein Pageturner war es trotzdem nicht, weil die Spannung, (vermutlich auch durch die langwierigen Dialoge) immer wieder einbricht. Es gibt zwar schon einige absolut unerwartete Wendungen, die mich wirklich unvorbereitet trafen, und gekonnt platzierte Cliffhanger, jedoch hat der Autor es meiner Meinung nach bei Letzteren teilweise übertrieben. Beinahe jedes Kapitel endet mit solch einem Cliffhanger, manchmal wirken sie gewollt, fast parodistisch (als würde der Autor das Genre satirisieren) und erinnerten an Clickbait im Internet. Hier wäre also weniger meiner Meinung nach manchmal doch mehr gewesen.

„Die Fotos von Kristine Rivers hatten Hunter, Garcia und Captain Blake vielleicht überrascht – die Bilder des zweiten Opfers jedoch versetzten ihnen regelrecht einen Schock.“ Seite 145

„‘Was ist denn das?‘
Trotzdem schnitt er weiter, bis er den Brustkorb des Toten komplett geöffnet hatte.
Er traute seinen Augen nicht.
‚Das ist doch … unmöglich.‘“ Seite 254

Geschlechterrollen (♥)

Auch wenn im Verhältnis der Geschlechter etwas mehr Männer im Buch vorkommen als Frauen, finde ich den Umgang des Autors mit modernen Frauenrollen (bis auf einen kleine Szene in einem Restaurant, in dem bei der Toilettenbeschilderung angedeutet wird, dass Frauen starke Getränke nicht vertragen würden) wunderbar. Es gibt im Buch ein selbstbewusstes, erfolgreiches Model, eine starke, mutige FBI-Agentin, die sich nichts gefallen lässt (gut, hier hat der Autor ein bisschen übertrieben) und zahlreiche Frauen in hohen Führungspositionen. Sie sind Leiterinnen verschiedener polizeilicher oder rechtsmedizinischer Abteilungen, Hochschuldozentinnen, intelligent, kompetent und stark. Dafür ein großes Lob!

Mein Fazit

Insgesamt habe ich mir vom berühmten, gefeierten Chris Carter doch etwas mehr versprochen. „Blutrausch – Er muss töten“ konnte mich zwar insgesamt gut unterhalten, aber leider nicht ganz überzeugen. Das lag vor allem an der Oberflächlichkeit und der mangelnden Tiefe bei der Behandlung der Themen, bei den Figuren, beim Protagonisten und beim Schreibstil. Ein detaillierterer Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelt der manchmal leider auch unsympathischen Charaktere hätte es mir sicher leichter gemacht, eine emotionale Bindung zu ihnen aufzubauen. Leider waren auch die langwierigen Dialoge (voller Sticheleien und banalem Geplänkel) oft anstrengend zu lesen. Die Leistungen der angeblich besten Ermittler der Polizei und des FBI fand ich dürftig, enttäuschend und unglaubwürdig, die Personen wirkten auf mich teilweise sehr inkompetent (wenn man als Laie schneller Schlussfolgerungen treffen kann, ist das besorgniserregend!). Obwohl ich den Hype also nicht nachvollziehen kann, fand ich meinen ersten Carter insgesamt durchaus interessant und unterhaltsam und habe auch viele gute Ansätze gesehen. Deshalb werde ich dem Autor mit Sicherheit noch eine Chance geben und nun am besten mit dem ersten Teil beginnen.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 3 Sterne
Worldbuilding: 2,5 Sterne
Ausführung: 3 Sterne
Einstieg: 5 Sterne
Schreibstil: 3 Sterne
Dialoge: 2,5 Sterne
Protagonist: 2,5 Sterne
(Neben)Figuren: 2 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Ende: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 2 Sterne
Geschlechterrollen: ♥

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3 knappe, ernüchterte Lilien!