So sieht Armut aus
Was empfindet ein Mädchen, dass mit 12 Jahren plötzlich erfährt, dass ihre Eltern gar nicht ihre Eltern sind? Die heißgeliebte Mutter stellt sich als die Cousine ihrer leiblichen Mutter vor und sagt dabei ...
Was empfindet ein Mädchen, dass mit 12 Jahren plötzlich erfährt, dass ihre Eltern gar nicht ihre Eltern sind? Die heißgeliebte Mutter stellt sich als die Cousine ihrer leiblichen Mutter vor und sagt dabei gleichzeitig. die richtigen Eltern wollten sie nun zurück haben. "Arminuta" von Donatella Di Pietrantonio lässt den Leser an diesem sozialen Abstieg teilhaben.
Erzählt wird aus der Sicht von Arminuta.
Aus einem schönen Leben in einem Haus in Strandnähe, mit eigenem Zimmer und schönen Kleidern, wird sie trotz ihres Protestes zu ihrer unbekannten Familie gebracht. Welch ein Schock! Ihre leibliche Familie lebt in ärmlichen Verhältnissen. Der Vater arbeitet in einer Ziegelei und verdient nur das Nötigste. Die Brüder entpuppen sich als Gelegenheitsarbeiter, die nächtelang außer Haus bleiben und dabei auch krummen Geschäften nicht abgeneigt sind. Schlafen die Brüder mit den Mädchen in einem Zimmer, so dass diese alle körperlichen Regungen ihrer Brüder mitbekommen, so muss Arminuta mit ihrer jüngeren Schwester, die nachts immer wieder einnässt, von nun an sogar das Bett teilen. Zu Beginn hat diese Familie nicht mal einen Platz für sie.
Warum wollten diese Leute ihr Kind zurück, wenn sich niemand freut dass sie da ist? Dass man sie über den Grund ihrer Rückkehr belogen hatte, wird dem Mädchen, welches man im Dorf nur noch Arminuta nennt, schnell klar. Ganz bestimmt ist ihre frühere Mutter schwer erkrankt oder womöglich schon gestorben, sonst hätte sie nie gewollt, dass sie so leben muss. In ihrem Kopf spielt Arminuta alle tragischen Möglichkeiten durch, die dazu haben führen können, dass sie aus ihrem früheren "Paradies" vertrieben wurde.
Anfangs fühlt sie sich wie das 5. Rad am Wagen, als ungebetener Esser. Erst langsam erobert sie sich mit Hilfe ihrer Schwester ihren Platz in der Familie. Diese Schwester, die mit 10 Jahren die Mutter bittet, sie zu schlagen, damit Arminuta keine Gewalt erleben muss. Sie sei daran gewöhnt. Wie sehr muss dieses Kind die neue Schwester lieben.
Armut - Verbitterung - Gewalt scheinen in dieser Familie Hand in Hand zu gehen. Ist die richtige Mutter lieblos oder ist sie nur durch die Armut und das entbehrungsreiche Leben so geworden? Als Leser hinterfragt man diese Familienstruktur. Erst als der älteste Bruder durch einen Unfall sein Leben verliert, zeigt die Mutter Gefühl - unendliche Trauer um ihren verlorenen Sohn. Auf einmal fühlt man als Leser mit dieser Frau, deren Leben nur wenige Freuden für sie bereit hielt. So sieht Armut aus.
Wollte Arminuta zu Anfang ihre neue Familie schnellstens wieder verlassen, so keimt im Laufe der Zeit eine geschwisterliche Liebe zu ihrer Schwester auf, die sie lehrt in der Armut zu überleben. Die beiden Schwestern geben sich gegenseitig Trost und am Ende bleibt mir als Leser die Hoffnung, dass Arminuta ihrer Schwester hilft, aus diesem trostlosen sozialen Umfeld auszubrechen.
Mir gefiel besonders die Sprache dieses Buches. Diese gab mir als Leserin das Gefühl, als lebte ich mitten in dieser Familie, säße mit ihnen am Tisch, wenn es ein ärmliches Mahl oder auch einen fetten Schinken gab, von dem alle ein Stück abhaben wollten.
Die Autorin muss man sich merken. Sie hat dem Leser etwas zu sagen. Ein großes Lob auch an die Übersetzerin.