Was es bedeutet, Jude zu sein
Zum 400. Todestag von William Shakespeare hat der Verlag Hogarth eine Reihe von narrativen Neubearbeitungen der alten Shakespeare-Texte in Auftrag gegeben. Howard Jacobson legt als Auftragsarbeit “Shylock ...
Zum 400. Todestag von William Shakespeare hat der Verlag Hogarth eine Reihe von narrativen Neubearbeitungen der alten Shakespeare-Texte in Auftrag gegeben. Howard Jacobson legt als Auftragsarbeit “Shylock is my Name“ auf der Grundlage des Shakespeare-Stücks „The Merchant of Venice“ vor. Jacobson erscheint in zweifacher Hinsicht qualifiziert für diese Aufgabe. Er hat als ehemaliger Lehrer und Shakespeare-Forscher 1978 zusammen mit Wilbur Sanders das Buch „Shakespeare´s Magnanimity. Four Tragic Heroes, Their Friends and Families“ veröffentlicht, und er ist Jude und damit prädestiniert, sich zu Fragen der jüdischen Identität zu äußern, zumal er dies auch in seinen letzten Romanen - zum Beispiel in The Finkler Question – ausgiebig getan hat.
In „Shylock Is My Name“ gibt es einen zweiten Juden, nämlich den reichen Kunstsammler und Philanthropen Simon Strulovitch. Zu Beginn des Romans treffen sich beide auf einem Friedhof in Cheshire, wo Shylock sich in Zwiesprache mit seiner geliebten, vor langer Zeit gestorbenen Frau Leah befindet. Strulovitch steht am Grab seiner Mutter. Shylock und Strulovitch kommen ins Gespräch, und Strulovitch lädt seinen Doppelgänger in sein Haus ein. Über weite Strecken des Romans werden beide ausführlich jüdische Fragen, Antisemitismus und die Erziehung von Töchtern diskutieren, die vor ungeeigneten, nicht-jüdischen Bewerbern geschützt werden müssen. Shylock fühlt sich von seiner Tochter Jessica verraten, weil sie den Ring, den ihm einst Leah geschenkt hat, versetzt und von dem Erlös einen Affen gekauft hat. Strulovitch sorgt sich um seine schöne frühreife Tochter Beatrice, die sich mit dem zweitklassigen Fußballer Gratan Howsome eingelassen hat. Es gibt in Abwandlung der Shakespeare-Figuren viele weitere Personen, zum Beispiel Plurabelle und D´Anton als moderne Version von Portia und Antonio. Einige dieser Figuren sind stark überzeichnet und wirken wie Karikaturen, vor allem Anna Livia Plurabelle Cleopatra A Thing Of Beauty Is A joy Forever Christine, genannt Plurabelle.
Im Roman hat Strulovitch den Rechtsanspruch auf Wiedergutmachung gegenüber D´Anton, der für den Fußballer Gratan Howsome bürgt für den Fall, dass dieser nicht fristgerecht mit Beatrice aus Venedig zurückkehrt. In diesem Fall geht es nicht um ein Pfund Fleisch, sondern um Beschneidung. Auch im Roman passiert dem Schuldner nichts. Dafür verschwindet Shylock im Roman am Schluss nicht sang- und klanglos, sondern bekommt die Gelegenheit zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für religiös motiviertes Erbarmen.
Es passiert nicht viel in diesem Roman. Im Wesentlichen wird diskutiert, meist darüber, was es bedeutet Jude zu sein in feindseliger, nicht-jüdischer Umgebung. Es geht immer wieder um Antisemitismus, Stereotypen und die Bedeutung der Beschneidung. Der Autor scheint besessen zu sein von diesen Themen und der nicht-jüdische Leser reagiert darauf genauso befremdet wie auf die Darstellung von Vater-Tochter-Beziehungen und die exzessive Kontrolle von Beatrice durch ihren Vater. Die dargestellte Welt ist mir so fremd, dass sich meine Begeisterung über den Roman in Grenzen hält. Sprachlich hervorragend, aber insgesamt zu theorielastig.