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Veröffentlicht am 03.10.2018

Das Verborgene unter der Oberfläche

Manhattan Beach
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Jennifer Egans neuer Roman „Manhattan Beach“ ist im New York der 30er und 40er Jahre angesiedelt. Die Menschen leben mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs. Im Mittelpunkt ...

Jennifer Egans neuer Roman „Manhattan Beach“ ist im New York der 30er und 40er Jahre angesiedelt. Die Menschen leben mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs. Im Mittelpunkt steht die junge Anna mit ihren Eltern Eddie und Agnes und der jüngeren behinderten Schwester. Als 11jähriges Mädchen begleitet sie ihren Vater eines Tages zu dem reichen Gangster Dexter Styles. Worin die Arbeit ihres Vaters für diesen Mann besteht, weiß das Kind nicht. Vier Jahre später verschwindet der Vater spurlos, und Agnes und ihre Töchter sind auf sich allein gestellt. Mit 19 arbeitet Anna in der Werft. Sie nimmt Messungen vor, möchte aber viel lieber eine Tauchausbildung machen und Kriegsschiffe in der Werft reparieren. Es dauert eine Weile, bis ihre Hartnäckigkeit zum Erfolg führt und man sie einstellt. Sie schließt Freundschaft mit einer jungen Frau, die sie in eine Bar mitnimmt. Dort sieht sie Dexter Styles wieder. Sie sucht Kontakt zu ihm, weil sie zu Recht vermutet, dass er etwas über den Verbleib ihres Vaters weiß. Dexter und Anna kommen sich näher.
„Manhattan Beach“ ist ein historischer Roman mit Krimielementen. Einerseits bekommt der Leser ein Bild vom Leben in der damaligen Zeit: den Lebensbedingungen der Menschen zu Kriegszeiten, der Stellung der Frau in der amerikanischen Gesellschaft und der Macht der Gangstersyndikate. Andererseits wollen Anna und der Leser wissen, was mit ihrem Vater passiert ist. Erzählt wird aus drei verschiedenen Perspektiven, der von Anna, Dexter und Eddie und auf wechselnden Zeitebenen. Wichtige Informationen hält die Autorin bis fast zum Schluss zurück. Auch dadurch wird Spannung aufgebaut, denn der Leser begreift nur allmählich, wie eng die drei Schicksale verknüpft sind und welche Geheimnisse die Protagonisten sorgsam verbergen.
Egan legt einen sehr interessanten Roman vor, der allerdings wegen der sehr detaillierten Beschreibung von Tauchgängen und der benötigten Tauchausrüstung etwas Geduld und Durchhaltevermögen erfordert. Mir hat das Buch gut gefallen.

Veröffentlicht am 14.09.2018

Der ultimative Überlebenstest

Liebe und Verderben
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Im Zentrum von Kristin Hannahs neuem Roman stehen Ernt und Cora Allbright und ihre Tochter Leni. Die eigentliche Romanhandlung setzt 1974 ein, als Leni 13 Jahre alt ist. Ernt und Cora haben schwere Zeiten ...

Im Zentrum von Kristin Hannahs neuem Roman stehen Ernt und Cora Allbright und ihre Tochter Leni. Die eigentliche Romanhandlung setzt 1974 ein, als Leni 13 Jahre alt ist. Ernt und Cora haben schwere Zeiten hinter sich. Die schwangere 16jährige Cora hatte damals mit ihren Eltern gebrochen und ist dem Mann gefolgt, den sie mehr liebt als ihr Leben, wie der Roman sehr deutlich macht. Seit seinem Kriegseinsatz und der Gefangenschaft in Vietnam ist Ernt nicht nur äußerlich stark verändert. Er leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, hat Albträume, leidet unter Verfolgungswahn, Ruhelosigkeit und neigt zu Ausbrüchen von unkontrollierbarer Gewalt. Nirgendwo hält er es längere Zeit aus, nirgendwo behält er seinen Job. So erscheint es den Allbrights als Glücksfall, als sie von seinem verstorbenen Freund Bob ein Stück Land in Alaska erben. Es ist ein Neuanfang in einer etwa 30 Personen zählenden verschworenen Gemeinschaft, wo Nachbarschaftshilfe selbstverständlich ist. Das Leben in der rauen Wildnis ist hart, das Überleben zu keiner Zeit gesichert. Schon bald zeigen sich neue Probleme. Ernt schließt sich an Bobs Vater “Mad Earl“ an, einen extremen Rassisten, der hasserfüllte Reden hält und jeden drängt, ständig auf die Verteidigung im Ernstfall – einer Invasion von Fremden oder einen Atomkrieg – vorbereitet zu sein. Zudem setzen Ernt die endlos langen Winter zu, die die Dunkelheit in ihm ans Licht bringen. Acht Monate dauert der Winter mit 6 Stunden Tageslicht und 18 Stunden Dunkelheit. Immer häufiger wird Leni Zeugin häuslicher Gewalt. Lenis einziger Freund ist der 14jährige Mathew, Sohn des von Ernt und Mad Earl gehassten reichen Tom Walker. Cora ist nicht bereit, ihren Mann zu verlassen, gibt sich stattdessen lieber selbst die Schuld an den gewalttätigen Übergriffen. Ernt ist eine tickende Zeitbombe, und alle wissen davon. Dem Leser kommt es so vor, als seien die wilden Tiere, vor denen sich alle mit ständig getragenen Waffen schützen, weniger gefährlich als das wilde Tier im Haus der Allbrights. Wer wird überleben? Hat die Liebe zwischen Leni und Mathew eine Chance?

Häusliche Gewalt ist jedoch nicht das einzige Thema des Romans. Noch wichtiger ist das Loblied auf die Liebe. Wahre Liebe stirbt nicht, sie überlebt alle Katastrophen, überwindet alle Hindernisse. Hannahs Roman ist sehr gefühlvoll, um nicht zu sagen ziemlich sentimental. Die detaillierten Beschreibungen Alaskas - Klima und Wetter und der Kampf der Menschen ums Überleben fern der Zivilisation, ohne Elektrizität und fließendes Wasser – sind eindrucksvoll und zum Verständnis der Geschichte notwendig. Weniger gelungen finde ich die Charakterzeichnung. Es gibt nur schwarz und weiß, gut und böse, eindimensionale, keine komplexen, runden Charaktere, die sich entwickeln und den Leser in irgendeiner Weise überraschen. Von daher fällt der neue Roman im Vergleich zu Hannahs großartigem Bestseller “Die Nachtigall“ etwas ab. Ich habe das Buch trotzdem nach anfänglichen Schwierigkeiten gern und zügig gelesen.

Veröffentlicht am 30.07.2018

Kommissar Camille Verhoeven ermittelt

Opfer
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Pierre Lemaitre hat die Trilogie um Kommissar Camille Verhoeven vor den Romanen geschrieben, die ihn auch bei uns berühmt gemacht haben: “Wir sehen uns dort oben“ und “Drei Tage und ein Leben“. “Opfer“ ...

Pierre Lemaitre hat die Trilogie um Kommissar Camille Verhoeven vor den Romanen geschrieben, die ihn auch bei uns berühmt gemacht haben: “Wir sehen uns dort oben“ und “Drei Tage und ein Leben“. “Opfer“ erschien schon im Jahr 2012 unter dem Titel “Sacrifices“. Es ist der dritte Band der Reihe. Hier geht es um einen Raubüberfall auf einen Juwelierladen in Paris. Anne Forestier, eine gutaussehende, etwa 40jährige Frau wird Zeugin und Opfer dieser Straftat. Die Täter gehen mit äußerster Brutalität vor und verletzen die Frau schwer. Anne Forestier überlebt, ist aber dennoch nicht außer Gefahr, weil einer der Täter sie immer wieder aufspürt und bedroht. Das Besondere an der Situation ist, dass Anne Forestier seit einigen Monaten die Freundin des Kommissars ist. Verhoeven dürfte wegen seiner engen Beziehung zum Opfer den Fall gar nicht übernehmen, aber er ist nicht bereit zurückzutreten, zumal er schon einmal ins Visier von Verbrechern geraten ist, die vier Jahre zuvor seine Frau Irene ermordet haben.
Der Roman umfasst eine Zeitspanne von drei Tagen, die durch Zeitangaben untergliedert werden. Erzählt wird aus drei verschiedenen Perspektiven – der von Anne, Camille und außerdem aus der Sicht des Gangsters, dessen Identität erst ganz zum Schluss enthüllt wird. Die Dinge entwickeln sich sehr schnell und Verhoeven wird zeitweise unwissentlich zum Handlanger der Gangster, bis er allmählich begreift, wie alles zusammenhängt und wer wirklich hinter dem rabiaten Überfall steht. Unter Missachtung aller Regeln lügt und betrügt der Kommissar sogar seine Freunde bei der Pariser Polizei und nimmt dabei bewusst das Ende seiner Karriere in Kauf.
Lemaitre lässt den Leser in dieser Geschichte in menschliche Abgründe blicken und schont ihn nicht, was die explizite Darstellung von Gewalt betrifft. Das ist im Übrigen typisch für den Autor, in dessen Büchern immer wieder brutale Szenen vorkommen, erstaunlicherweise begleitet von Humor und witzigen Dialogen. Dadurch wird unter Umständen das Entsetzen des Lesers ein wenig gemildert. Mir hat dieser spannende Roman Noir sehr gut gefallen. “Opfer“ wird sicherlich nicht mein letztes Buch dieses Autors sein.

Veröffentlicht am 15.04.2018

Die zerstörerische Macht von Geheimnissen

Kleine Feuer überall
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Mit “Kleine Feuer überall“ legt Celeste ihren zweiten Roman vor. Im Mittelpunkt steht das Ehepaar Bill und Elena Richardson mit ihren vier halbwüchsigen Kindern. Sie leben in einem Haus in Shaker Heights, ...

Mit “Kleine Feuer überall“ legt Celeste ihren zweiten Roman vor. Im Mittelpunkt steht das Ehepaar Bill und Elena Richardson mit ihren vier halbwüchsigen Kindern. Sie leben in einem Haus in Shaker Heights, einem reichen Vorort von Cleveland, Ohio. Sie besitzen ein zweites Haus im Ort, in dem eine Wohnung an die alleinerziehende Künstlerin Mia Warren und ihre Tochter Pearl vermietet ist. Eines Tages brennen im Haus der Richardsons kleine Feuer in sechs Schlafzimmern. Elena steht fassungslos mit drei ihrer Kinder vor dem Haus, während die Feuerwehr versucht, die Brände zu löschen. Izzy, die jüngste und als verhaltensauffällig bekannte Tochter ist unauffindbar. Am Vortag verschwanden auch Mia und ihre Tochter, ohne sich zu verabschieden. Wer hat die Brände gelegt und warum?

Ein zweiter Konflikt bewegt die Bewohner von Shaker Heights, wo alles geregelt ist und normalerweise nichts Außergewöhnliches passiert. Eine arme Chinesin und ein reiches, adoptionswilliges Ehepaar streiten um ein Baby. Die Chinesin will ihr Kind zurückhaben, das Ehepaar und viele Menschen im Ort meinen, sie hätte ihre Rechte verwirkt, als sie das Kind in ihrer Not aussetzte. Mia und Elena stehen in diesem Konflikt auf entgegengesetzten Seiten. Hat Mia, eine Kollegin der Chinesin im China-Restaurant, verborgene Gründe für ihre Parteinahme? Elena beginnt, die Vergangenheit ihrer Mieterin zu erforschen und deckt eine Menge Geheimnisse auf. Elena fühlt sich durch Mias unkonventionelle Lebensweise bedroht und versucht, ihre Familie zu schützen – ein fataler Schritt.

Ngs Roman behandelt zahlreiche Themen: Mutterschaft und Familie, vor allem die Beziehung von Müttern und Töchtern, Kunst und Leben, Klasse, Privilegien und vor allem Rasse. Die Frage, ob reiche weiße Adoptiveltern ein chinesisches Kind seiner Kultur entfremden dürfen, wird ausführlich behandelt und unterschiedlich beantwortet. Elenas älteste Tochter Lexie mit ihrem farbigen Freund Brian schätzt sich glücklich, in einer Zeit und an einem Ort zu leben, wo Rassenzugehörigkeit keine Rolle mehr spielt. Der in den 90er Jahren angesiedelte Roman zeigt den naiven Glauben an ein besseres Amerika ohne Rassismus. Angesichts von Donald Trumps Präsidentschaft und der Existenz von Bewegungen wie Black Lives Matter ist dieser Glaube utopisch.

Trotz einiger Längen und generell relativer Handlungsarmut hat mir der Roman gefallen, vor allem wegen der gelungenen Charakterisierung der weiblichen Protagonisten und der sprachlichen Qualität.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Hannah Rosenthal und Anna Rosen

Das Erbe der Rosenthals
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„Das Erbe der Rosenthals“ ist Armando Lucas Correas Debütroman. Der Roman spielt 1939 in Berlin, 2014 in New York und Havanna und erstreckt sich über 75 Jahre. Die knapp 12jährige Jüdin Hannah Rosenthal ...

„Das Erbe der Rosenthals“ ist Armando Lucas Correas Debütroman. Der Roman spielt 1939 in Berlin, 2014 in New York und Havanna und erstreckt sich über 75 Jahre. Die knapp 12jährige Jüdin Hannah Rosenthal lebt 1939 in Berlin ein gutbürgerliches Leben. Ihre Familie war schon immer wohlhabend. Im November 1938 verliert ihr Vater, ein angesehener Professor, seine Arbeit. Seitdem lebt die Familie zurückgezogen. Hannas Mutter Alma verlässt die Wohnung nicht mehr. Sie schaut nur noch aus dem Fenster und versucht sich zu erklären, was dort draußen geschieht. Mit ihrem einzigen Freund, dem gleichaltrigen Leo Martin, durchstreift Hannah die Straßen von Berlin und macht am liebsten Fotos. Leos verwitwetem Vater gehörten früher die Hackeschen Höfe. Er wurde vor fünf Jahren zuvor von den Nazis enteignet und plant jetzt mit Hannahs Vater die Flucht. Die Familie Rosenthal ist überglücklich, als sie die Ausreisegenehmigungen und die Visa erhält. Jetzt müssen nur noch die Schiffspassagen für die St. Louis gekauft werden. Doch dann kommt alles anders als geplant.
Im Jahr 2014 begegnet der Leser der 12jährigen Anna Rosen in New York. Sie verlor ihren Vater bei den Anschlägen am 9. November 2001. Er hat nicht mehr erfahren, dass er Vater wird. Anna verkraftet den Tod ihres Vaters gut. Ihre Mutter hingegen akzeptiert den Tod ihres Ehemannes nicht. Sie wartet immer noch auf seine Rückkehr. Er wurde nie gefunden und später für tot erklärt. Eines Tages erhält sie einen Brief, der in Kanada abgeschickt wurde, aber aus Havanna stammt. Absender ist Hannah, eine alte Tante, die Annas Vater aufgezogen hat, nachdem seine Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren. Da war er gerade mal neun Jahre alt. Anna reist mit ihrer Mutter nach Kuba und erfährt die tragische Geschichte ihrer Familie.
Armando Lucas Correas Roman „Das Erbe der Rosenthals“ liest sich gut. Er basiert auf der wahren Geschichte der Fahrt der „St. Louis“. An Bord des Schiffes waren im Frühjahr 1939 937 deutsche Juden mit gültigen Papieren. Die Passagiere stranden in der Karibik, weil die kubanische Regierung ihre Genehmigung zur Einreise zurückzieht. Nur 29 Passagiere dürfen an Land gehen. Auch der amerikanische Präsident Roosevelt und Kanada nehmen die Flüchtlinge nicht auf. Im Juni 1939 tritt die St. Louis die Heimreise nach Deutschland an. Kurz vor ihrer Ankunft erlaubte die belgische Regierung die Landung in Antwerpen. Die Flüchtlinge wurden auf Belgien, die Niederlande, Frankreich und Großbritannien verteilt. Die Geschichte der Rosenthals ist fiktiv, obwohl der Autor in einem Interview sagte, dass sie mit seiner Familie zu tun hat. Am besten haben mir die Teile des Buches gefallen, die in Berlin und auf der St. Louis spielen. Die Ausführungen über das Leben in Kuba fallen dagegen ab. Der Autor beleuchtet ein weitgehend unbekanntes, trauriges Stück Holocaust-Geschichte. Es geht ihm darum zu zeigen, dass so etwas wieder passieren kann. Es passiert wieder, wie die aktuelle Flüchtlingskrise zeigt, wo Tausende von Flüchtlingen, die die lebensgefährliche Überquerung des Meeres überlebt haben, abgefangen und einem ungewissen Schicksal überlassen werden, das zum Teil noch schlimmer ist, als die Lebensbedingungen, die sie hinter sich gelassen haben, wenn man nur an die lybischen Lager denkt. Correa hat einen packenden und berührenden Roman geschrieben, der dem Leser bewusst macht, dass Flüchtlinge Menschen sind, die Hilfe brauchen. Regierungen müssen zu ihrer Verantwortung stehen, sich menschlich verhalten. Trotz kleiner Schwächen ist dies ein sehr lesenswertes Buch.