Laura Wiesböcks 207-seitiges Sachbuch „In besserer Gesellschaft. Der selbstgerechte Blick auf die anderen“ ist 2018 im Wiener Verlag Kremayr & Scheriau erschienen. „Wir sind doch alle gleich!“ – ein Satz, der in unserer Gesellschaft oft zu hören ist, der herangezogen, um Ungerechtigkeiten anzuprangern und auszumerzen. Aber was bedeutet „Gleichheit“ eigentlich? Und vor allem: Sind wir wirklich alle gleich? Dass dem einerseits nicht so ist, dass wir alle andererseits auch täglich vieles tun, um uns selbst aus dieser Gleichheit hervorzuheben, stellt Laura Wiesböck in ihrem Buch anhand der Bereiche Arbeit, Geschlecht, Einwanderung, Armut und Vermögen, Kriminalität, Konsum, Aufmerksamkeit sowie Politik dar. Gerahmt werden ihre Ausführungen durch ein Vorwort, in dem sie die These aufstellt, dass wir alle ein Bedürfnis nach „Abgrenzung, Zugehörigkeitsgefühl und Anerkennung“ haben, welches sich in unserer Gesellschaft widerspiegelt, und durch ein Nachwort, in dem sie eine Möglichkeit vorstellt, dieser Diskrepanz zu begegnen, sowie einem obligatorischen Quellenverzeichnis. In allen oben genannten Gesellschaftsbereichen trifft man dasselbe Phänomen an: Distinguiert schauen die einen auf „die da unten“ herab, versuchen sich in Szene zu setzen und meinen, die Weisheit allein für sich gepachtet zu haben. Was wir an den einen kritisieren, praktizieren wir selber ebenso, oft ohne uns dessen bewusst zu sein – und, noch schlimmer, ohne die anderen wirklich zu kennen. Denn wieso sollten wir sie kennenlernen (wollen)? Wir haben uns unser Urteil doch schon längst gebildet. Da sind die Arbeitnehmer/innen, die sich dem Zwang der Arbeitswelt entziehen wollen, sich selbstständig machen und sich in andere Zwänge begeben. Bringen sie es dann tatsächlich „zu etwas“, treten sie in die Fußstapfen ihrer vormaligen Vorgesetzten und üben ihrerseits Zwänge auf andere aus, oder kreieren ihrerseits eine eigene Klasse der neuen „Selfmades“ – und der Klassenkampf geht weiter. Da konsumieren wir, um unseren Status nach außen zu tragen, und wenn der Konsum nicht mehr ausreicht, geht es „back to the roots“ – Öko heißt die neue Klasse, die uns wieder nur dazu nutzt, auf andere hinabzuschauen. Wir wollen modern sein und weltoffen – aber wehe, die Welt kommt zu uns. Wenn dieses geschieht, schreien alle laut auf. Und wieder ist es da – das Herabschauen und Disqualifizieren des Andersartigen. Mal ehrlich gefragt: Wer von uns kennt dieses Phänomen nicht? Wir alle praktizieren es wenigstens hin und wieder, meist jedoch öfter, als wir es wahrhaben wollen – dieses liest Leser/in schnell aus Wiesböcks Darstellungen heraus. Ich selber habe mich jedenfalls doch das ein oder andere Mal ertappt gefühlt – gerade da, wo ich es am wenigsten für möglich gehalten hätte. Die Autorin schreibt locker flockig, trotz des ernsten Themas fehlt es nicht an Humor. Auch Menschen, die sich mit diesem Thema ansonsten weniger beschäftigen, sollten den Ausführungen leicht folgen können. Zahlreiche Beispiele untermauern das Geschriebene, zweiseitige Schwarzweißzeichnungen mit passendem Zitat, z.B. „Was Orwell nicht vorausgesagt hatte, ist, dass wir die Kameras selbst kaufen, und dass unsere größte Angst wäre, das (sic!) uns niemand zusieht.“ (K.L. Jensen), führen in die jeweiligen Kapitel ein, worauf eine kurze Erörterung, welche Themen im jeweiligen Kapitel behandelt werden, folgt. Die Themen, die Frau Wiesböck in ihrem Buch behandelt, entsprechen nicht immer meinem persönlichen Geschmack, so finde ich z.B., dass man die Frage danach, ob ich jetzt wirklich in jedem Satz, den ich von mir gebe, beiderlei (oder besser: mehrere) Geschlechter ansprechen muss, auch übertreiben kann. Andererseits hat mir an dem Buch sehr gefallen, dass mir die Augen oft geöffnet wurden: Dass ich arrogant und selbstgerecht bin, wusste ich schon vorher. Allerdings hat mir das Buch auch die Augen auch für Bereiche geöffnet, die ich selber vorher nicht unbedingt im Fokus hatte. Dass diese Selbstgerechtigkeit zum Menschen dazu gehört, dass niemand vor ihr gefeit ist, hat mich beruhigt. Weshalb ich aber allen das Buch empfehlen kann, ist, dass es dazu animiert, sich selbst einfach besser und mehr zu reflektieren. Und dass es Mut gibt, vielleicht einmal über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.