Schweigen hilft nicht...
Mechtild Borrmann ist ein großartiges Buch gelungen, eine gelungene Mischung zwischen Krimi und historischen Roman: es werden zwei Handlungsstränge miteinander verbunden, verwebt und verzahnt…
Ein Handlungsstrang ...
Mechtild Borrmann ist ein großartiges Buch gelungen, eine gelungene Mischung zwischen Krimi und historischen Roman: es werden zwei Handlungsstränge miteinander verbunden, verwebt und verzahnt…
Ein Handlungsstrang spielt im Jahr 1998: nach dem Tod seines Vaters löst Robert Lubisch dessen Haushalt auf. Zu Lebzeiten hatte er zu ihm ein höchst angespanntes Verhältnis, spätestens nach dem er sich entschieden hatte, nicht in dessen Firma einzusteigen, sondern Arzt zu werden. Robert findet bei der Sichtung der Unterlagen einen SS-Ausweis eines fremden Mannes und das Foto einer – ebenfalls unbekannten - attraktiven Frau, offensichtlich im Krieg aufgenommen. Roberts Neugierde ist geweckt… Wieso hat der Vater diese Dokumente solange aufgehoben? Auf der Rückseite des Fotos findet sich eine Adresse eines Fotoateliers in Kranenburg am Niederrhein, Robert beschließt, dorthin zu fahren und nachzufragen…
Der zweite Handlungsstrang beschreibt die Jugend und das Erwachsenwerden von sechs jungen Menschen eben in diesem Kranenburg in der Zeit von 1939 bis in die 50-er Jahre. Im Juli 1939 versprechen sie sich: „…dass wir uns nicht aus den Augen verlieren und einer für den anderen da ist, so wie es in den letzten Jahren auch war“ (S. 47) Unter den Bedingungen des Nationalsozialismus wird dieses Versprechen jedoch bald gebrochen: Geheimnisse, Misstrauen, Verrat, Denunziation und vielfältige Formen der Liebe (wahre, zurückgewiesene, falsch verstandene usw.) machen dies unmöglich.
Wir als Leser begleiten sowohl Robert als auch die sechs jungen Menschen in ihrer jeweiligen Zeit, wir freuen uns mit den Protagonisten, leiden mit ihnen, sehen Gefahren auf sie zukommen, erkennen Lügen und hoffen auf Aufklärung. Frau Borrmann hat den Zeitgeist der Kriegszeit sehr gut eingefangen, ebenso wie das Leben in Orten „wo jeder jeden kennt“ und die landschaftliche Atmosphäre am Niederrhein so plastisch beschrieben, dass ich manchmal den Eindruck hatte, selbst in Kranenburg zu leben.
Der Spannungsbogen in beiden Handlungssträngen wird konsequent aufrechterhalten (beide sind auch durch Daten als Überschriften sehr gut voneinander zu unterscheiden), am Ende werden alle losen Enden sorgfältig verknüpft und wir als Leser können ein Gesamtkunstwerk „betrachten“, da „alles mit allem“ im Zusammenhang steht… Und die Überraschung ist perfekt geglückt!
Dem Buch vorangestellt hat die Autorin ein Zitat von Albert Camus, dass ich hier (aber nicht nur hier!) sehr passend finde: „Zu denken ist die Geschichte leicht, einzusehen aber schwer für all jene, die sie am eigenen Leib erfahren.“ Gerade bei Büchern, die in der Zeit von 1933 – 1945 spielen, stellen wir uns doch häufig die Frage: und wie hätte ich gehandelt und reagiert?
Nach „Trümmerkind“ (von dem ich ebenfalls begeistert war!) ist dies für mich der zweite Roman von Mechtild Borrmann gewesen, aber ich bin zu 100% sicher, dass ich nach und nach alle Bücher dieser Autorin lesen werde…
Also: hier eine ganz klare und überzeugte Leseempfehlung!