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Veröffentlicht am 05.10.2018

Erschreckend und unfassbar traurig: Garrard Conley berichtet von der Konversionstherapie in den Südstaaten.

Boy Erased
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Um Garrard Conleys autobiographische Erzählung „Boy Erased“ bin ich länger herumgeschlichen und war mir nicht ganz sicher, ob ich mir die Thematik zutraue. Vor einer Weile habe ich mich dann getraut und ...

Um Garrard Conleys autobiographische Erzählung „Boy Erased“ bin ich länger herumgeschlichen und war mir nicht ganz sicher, ob ich mir die Thematik zutraue. Vor einer Weile habe ich mich dann getraut und jetzt, einige Zeit nach der Lektüre, habe ich endlich Worte für diese unfassbaren Dinge, die Garrard Conley durchmachen musste. Als Sohn eines Predigers, der streng gläubig erzogen wurde, fällt es Garrard zunehmend schwer, seine homosexuellen Neigungen zu verstecken und sich vor seiner Familie (und vor Gott) zu verstellen. Tag für Tag durchlebt er Angst und Schuldgefühle, denn Gott war ihm bisher doch immer gnädig, wieso lässt er jetzt zu, dass Garrard »unrein« ist, dass seine Gedanken sich mehr und mehr auf Männer anstatt auf Frauen konzentrieren? Während er zu Schulzeiten im behüteten Elternhaus gewissen Situationen ausweichen kann, geht er bald aufs College und lernt dort natürlich einige Männer kennen. Nachdem Garrard Opfer einer Vergewaltigung wird, outet ihn sein Peiniger per Telefon bei seinen Eltern; Garrard wird sofort abgeholt, traut sich nicht, von dem Verbrechen zu sprechen, sieht nur die Schande, die er seiner Familie bringt. Er fühlt sich unrein und ist im Glauben, seine Eltern würden denken, er hätte seinen Vergewaltiger zur Tat angestiftet oder ihn sogar verführt. Doch das alleinige Wissen über seine Homosexualität bricht die Familie fast auseinander, bis der Vater Theapiesitzungen (um Garrards Testosteronwert zu überprüfen) und die Teilnahme bei Love in Action (LIA), einer Konversionstherapie für Homosexuelle, fordert. In „Boy Erased“ schreibt sich der Autor seine Erlebnisse während dieser Therapie von der Seele und arbeitet seine Vergangenheit auf.

"Es war unsere Angst vor der Scham, gefolgt von unserer Angst vor der Hölle, die uns wirklich vom Selbstmord abhielt."

Während der Lektüre konnte ich es beinahe nicht fassen, dass derartige Praktiken zur „Umkehrung“ der „falschen“ Sexualität heutzutage noch existieren. Aber Garrard lebte damals im Bible Belt Amerikas, da kann einen nichts mehr überraschen. In einem relativ nüchternen Ton beschreibt er, wie er mit der Religion an seiner Seite aufgezogen wurde, wie Gott ihn stets begleitete – bis er ihn scheinbar verließ. Garrards Leben nimmt nach der Vergewaltigung eine 180°-Wendung und durch die Teilnahme am LIA-Programm ist nichts mehr wie vorher. Zu Beginn der Therapie muss er beispielsweise ein Genogramm seiner Familie erstellen, in dem er „sündiges Verhalten“, Süchte und Abweichungen von der Norm festhält. Anhand diesem Stammbaum soll dann abgelesen werden können, woher seine Neigung stammt. Jeden Tag wird die absurde Therapie fortgesetzt, Homosexualität als „Sucht“ identifiziert, und Garrard ist damals wirklich noch der Überzeugung, dass das, was er fühlt, vielleicht falsch sein kann, dass seine Homosexualität um der Familie willen aus ihm herausgeschnitten werden muss. Doch nach und nach merkt er, dass er sich selbst, seine Persönlichkeit, mehr und mehr zu verlieren scheint, dass er sich auflöst, wenn er bleibt. Ist es das wert, sein Innerstes auszulöschen, damit sein Äußeres zu seinem Glauben, zu seiner Familie passt?

Weiterlesen: https://killmonotony.de/rezension/garrard-conley-boy-erased

Veröffentlicht am 05.10.2018

Exotisch und verwirrend — Rita Indiana lässt mit „Tentakel“ den Vodoo-Kult der konservativen Karibik aufleben.

Tentakel
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Dieses Buch habe ich mehrfach bei Instagram gesehen und die andersartig klingende Story (und das hübsche Cover, geben wir’s doch zu) haben mich magisch angezogen. Dass Rita Indianas „Tentakel“ keine leichte ...

Dieses Buch habe ich mehrfach bei Instagram gesehen und die andersartig klingende Story (und das hübsche Cover, geben wir’s doch zu) haben mich magisch angezogen. Dass Rita Indianas „Tentakel“ keine leichte Kost werden würde, durfte ich dann wenig später beim Aufschlagen des Buchs erfahren. Es geht nämlich nicht nur um einen Protagonisten, sondern gleich um drei, und alle sind auf eine sehr skurrile Weise miteinander verbunden. An sich klingt das nicht allzu komplex, doch da ich erst auf den letzten zwei Seiten gemerkt habe, dass und wie diese Personen verbunden sind, sind die 150 Seiten davor an mir vorbeigezogen wie in einer Trance. Natürlich gab es Hinweise, doch da auch der Aufbau dieser Geschichte allen bekannten stilistischen Mitteln trotzt, war ich mit allem etwas überfordert. Nichtsdestotrotz hat mich Rita Indiana mit „Tentakel“ so in ihren Bann gezogen, dass ich nicht mit dem Lesen aufhören konnte, auch wenn mir vieles verworren erschien.

Bereits der Anfang von „Tentakel“ ist vielversprechend: Wir schreiben das Jahr 2027. Acilde wünscht sich nichts sehnlicher, als dem weiblichen Körper zu entfliehen. Mithilfe einer Kontaktperson wird er als Haushaltshilfe bei der Vodoo-Priesterin Esther angestellt, die nicht nur über eine äußerst wertvolle Seeanemone verfügt, sondern mit deren finanzieller Unterstützung sich Acilde später einmal vielleicht das Mittel zur Geschlechtsumwandlung besorgen kann: Rainbow Bright. Nur eine Injektion, und nach 24 schmerzerfüllter Stunden würde sich das körperliche Geschlecht Acildes seiner Identität anpassen. Ein Traum würde in Erfüllung gehen. Doch Esther wird ermordet und der Plan ändert sich. Acilde bekommt auf anderem Wege an Rainbow Bright und nach seiner Umwandlung (die sehr detailliert beschrieben wird, sensible Gemüter blättern lieber eine Seite vor) beginnt die Handlung erst richtig. Denn die Seeanemone Esthers ist nicht nur aus sentimentalen Gründen unfassbar wertvoll, sondern auch, weil die blaue Karibik durch die Anspülung von Giftstoffen vor einigen Jahren einem Sumpf gleicht — eine Umweltkatastrophe unermesslichem Ausmaßes. Acilde wurde von Esther auf den Weg des Kultismus und des Vodoo gebracht und wurde bereits als „Auserwählter“ gefeiert. Seine Aufgabe besteht aus nicht weniger als der Rettung des karibischen Meeres.

Weiterlesen: https://killmonotony.de/rezension/rita-indiana-tentakel

Veröffentlicht am 16.09.2018

Eine von Neurowissenschaftlern wundervoll gestaltete Graphic Novel, die uns mit auf eine spannende Reise in unser Denkzentrum nimmt.

Das Gehirn
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Wow, was für eine prachtvolle Covergestaltung! Dieses Buch, pardon, diese Graphic Novel, ist mir beim Beäugen der Herbstvorschauen direkt ins Auge gefallen. Dr. Matteo Farinella und Dr. Hana Roš bringen ...

Wow, was für eine prachtvolle Covergestaltung! Dieses Buch, pardon, diese Graphic Novel, ist mir beim Beäugen der Herbstvorschauen direkt ins Auge gefallen. Dr. Matteo Farinella und Dr. Hana Roš bringen uns mit „Das Gehirn“ eine Welt näher, die vielen von uns (oder zumindest denen, die keinen Biologie Leistungskurs hatten) eher verschlossen bleibt. Auf knapp 130 Seiten reisen wir mit einem namenlosen Protagonisten (der in ein Gehirn „aufgelesen“ wird und eigentlich nur nach Hause will) quer durch unser Rechenzentrum und erfahren alles über die Funktionsweise von Rezeptoren, Neurotransmittern und Vesikeln. Wer Fachtermini eher meidet und Wert auf eine Dummy-freundliche Erklärweise legt (ich hatte mich schon gefreut!), ist hier leider falsch, denn „Das Gehirn“ ist trotz seiner Aufmachung als Graphic Novel (leider) weder für jüngere noch Gehirn-unerfahrene Leser geeignet. Farinella und Roš werfen uns wie auch den Protagonisten mitten in die verrückte Welt der Wissenschaft, und da ich für meinen Teil kein Vorwissen mitgebracht habe, habe ich nur schwer Zugang zu diesem Buch gefunden.

Dr. Matteo Farinella und Dr. Hana Roš fassen die sehr ansprechend illustrierte Graphic Novel in folgende Teilkapitel:

- Morphologie — Hier werden zu Beginn wichtige Grundbegriffe erläutert
- Pharmakologie — In diesem Kapitel erfahren wir alles über Botenstoffe wie Dopamin, Serotonin und Glutamat (hier war ich etwas geschockt – ist das nicht ein Zusatzstoff für sehr viele Fertig-Lebensmittel?), welche Funktionen sie erfüllen und wie sie arbeiten
- Elektrophysiologie — Die Forscher Alan Hodgkin und Andrew Huxley erklären uns, wie ein Nervensignal erzeugt wird, zudem gibt es eine Einführung in den Begriff „Strom“: was Strom eigentlich ist, wie er funktioniert und was er in unserem Gehirn macht
- Plastizität — Hier gibt es eine kleine Einführung zum Gedächtnis: Was sind Träume und Erinnerungen und wie kann Verhalten konditioniert werden?
- Synchronizität — In diesem Kapitel geht es um das Ich-Gefühl, Geist vs. Gehirn

In jedem dieser Kapitel, die spannende Themen beinhalten, begleiten uns ein oder mehrere berühmte Forscher des Gebiets — wie etwa Iwan Pawlow und seine Konditionierungsforschung — die uns kompliziertere Themen etwas leichter verständlich machen wollen. Doch leider ist „Das Gehirn“ so vollgepackt mit Fachtermini und Erläuterungen zu Funktionsweisen, dass alles holterdipolter „runtererzählt“ wird, und genauso schnell, wie unser Protagonist dem Gehirn entkommen möchte, ist irgendwie auch das Erzähltempo, sodass es im Oberstübchen nur so blubbert. Natürlich handelt es sich bei einer Graphic Novel um ein bildgetriebenes Medium, das natürlich etwas „schneller“ zu konsumieren ist als ein nur-Text Buch, dennoch ging mir alles etwas zu flott.

Weiterlesen: https://killmonotony.de/rezension/neurocomic-das-gehirn-als-graphic-novel-entdecken

Veröffentlicht am 26.07.2018

„Moondust“ ist eine Young Adult Dystopie, die Energiekrise und die Ausbeutung der Erde zum Anlass nimmt, eine spannende Story zu erzählen.

Moondust
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Dieses Buch hat mich mit seinem tollen Cover und dem spannend klingendem Klappentext angelacht, und obwohl Young Adult Dystopien bei mir nicht mehr so hoch im Kurs sind, fand ich doch, dass Gemma Fowlers ...

Dieses Buch hat mich mit seinem tollen Cover und dem spannend klingendem Klappentext angelacht, und obwohl Young Adult Dystopien bei mir nicht mehr so hoch im Kurs sind, fand ich doch, dass Gemma Fowlers „Moondust“einen genaueren Blick verdient hat… Es geht um Aggie, die auf dem Mond lebt. Natürlich nicht alleine, eine ganze Kolonie lebt mittlerweile dort oben. Ein großer Konzern namens LunarInc. gewinnt auf dem Mond wertvolles Lumite, das die Energieprobleme der Erde ein für alle Male lösen könnte. So weit, so gut. Als Kind gerät Aggie mit ihren Eltern jedoch in einen Unfall, der noch bis heute als Adrianne Katastrophe bekannt ist. Weil sie überlebte, während ihre Eltern und auch einige andere das nicht schafften, galt sie lange Zeit als Engel und wurde für die Menschen auf dem Mond zu einem Symbol für die Hoffnung. Jetzt, in ihren Teenagerjahren, arbeitet sie in einem bedeutungslosen Job undercover, niemand weiß, dass sie der Engel von Adrianne ist, nicht einmal ihr bester Freund Seb. Und obwohl die Adrianne Katastrophe vor vielen Jahren gewaltige Einbußen für LunarInc. bedeutete, legt Aggy noch immer ihr vollstes Vertrauen in den Konzern. Bis sie eines Tages gemeinsam mit Seb einen Ausflug mit einem Rover macht und versehentlich die eigentlich streng überwachte dunkle Seite des Mondes betritt. Was sie dort sieht, verändert ihr Leben für immer. Gemeinsam mit Seb und der künstlichen Intelligenz Celeste versucht sie, der immer enger werdenden Schlinge zu entkommen, die sich um ihren Hals zu schließen droht.

»Noch mehr Lumite. Noch mehr Energie für unsere Familien auf der Erde. Das ist ein richtig gutes Gefühl, stimmt’s?«

Gemma Fowler hat hier eindeutig einige sehr, sehr spannende Ansätze. Die Kolonie auf dem Mond, der Großkonzern, der Lumite abbaut, um die Energieprobleme der Erde in den Griff zu bekommen… Korruption und Ausbeutung gehören hier auch zu den zentralen Themen. Und dennoch behält Fowler hier ihre angedachte Zielgruppe im Blick und versucht, relevante Themen für Teens einzubauen: die erste Liebe, der sexy Rebell, der beste Freund, der vielleicht doch mehr sein könnte… Für mich als „erwachsenen“ Leser reicht das leider nicht. Die Themen, die Fowler anreißt, das Wissenschaftliche, das Böse, die Energiekrise, all das sind Themen, bei denen ich auf mehr Ausführlichkeit gehofft hatte. Fowler legt mit „Moondust“ einen spannenden Roman vor, der einem oft wie ein Thriller vorkommt, es gibt Rennen gegen die Zeit und alle Elemente für ein gutes Buch sind eigentlich gegeben, dennoch finde ich die Ausgestaltung von Aggie und ihrer Teen-Interessen mager. Aggie erscheint auf den ersten Blick wie ein unsicheres, naives Mädchen, das stark auf andere Meinungen und den Support von männlichen Charakteren angewiesen ist. Und leider bleibt sie das auch auf den zweiten Blick. Zusammen mit Celeste, der KI, die auf dem Mond den Überblick behält und die Menschen dort unterstützt, lernt Aggie nach und nach, dass LunarInc. nicht so gute Absichten zu haben scheint, wie sie jahrelang dachte. Dabei wird zwar ihr Kampfgeist gehörig angestachelt, doch leider pfuschen Schwärmereien und Eifersucht immer wieder in die eigentlich sehr spannende Story. Natürlich, für einen Protagonisten in „diesem Alter“ ist dieses Verhalten nur normal, dennoch ist es besonders hinsichtlich der Stereotypen und Rollenbilder sehr bedenklich, dass Aggie so sehr auf einen männlichen Counterpart angewiesen zu sein scheint. Das machen andere aktuelle Titel für Jugendliche besser. (Spinster Girls, I’m looking at you!)

Doch ich will hier eigentlich gar nicht so negativ sein, denn Moondust hatte einige wahnsinnig spannende Momente. Die KI Celeste und ihr Mitwirken an dem Verlauf der Geschichte haben mir besonders gut gefallen. Auch gut fand ich den Schreibstil, der schließlich dazu geführt hat, dass ich „Moondust“ an einem Tag durchgelesen habe. Ein gutes Zeichen!

Die vollständige Rezension findet ihr auf meinem Blog: https://killmonotony.de/rezension/gemma-fowler-moondust

Veröffentlicht am 22.07.2018

Marlon James öffnet mit diesem Buch die Augen und sagt dem Fanatismus, der Bestrafung Ungläubiger den Kampf an, ganz nach dem Motto: Auge um Auge.

Der Kult
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Nachdem Marlon James vor einer Weile mit seinem Wälzer „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ etwas im Spotlight war, wurde ich doch irgendwie erst mit seinem neuen Buch, „Der Kult“, aufmerksam. Es ...

Nachdem Marlon James vor einer Weile mit seinem Wälzer „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ etwas im Spotlight war, wurde ich doch irgendwie erst mit seinem neuen Buch, „Der Kult“, aufmerksam. Es geht um ein Dörfchen mitten im Nirgendwo, das eine aktive Kirchengemeinde hat. Eines Tages wird Pastor Bligh, der wegen seines Alkolkonsums nur „Rumpfarrer“ genannt wird, gewaltsam aus der Kirche vertrieben, als der sich selbst als Apostel bezeichnende Pfarrer York ins Dorf kommt. Ganz Gibbeah ist außer sich, aber auch von den andersartigen Predigten vom Apostel in den Bann gezogen. Während Pastor Bligh seine Wunden leckt und in ein tiefes Loch aus Depressionen und noch mehr Alkohol fällt, ruft Apostel York seine Lämmchen zu immer gewaltsameren Taten auf, stiftet sie zu Verbrechen aus Hass an und hetzt im Grunde genommen die gesamte Gemeinde gegeneinander auf. Trotzdem sind die Anwohner Gibbeahs folgsam. Bis sie sich eines Tages an die ruhigen Zeiten unter Leitung des Rumpriesters sehnen. Dafür ist es nun allerdings zu spät. Oder?

"Wer ist bereit, für den HERRN Gewalt anzuwenden?"

„Der Kult“ ist nicht zu vergleichen mit irgendeinem Buch, das ich bisher gelesen habe. Während ich diese Worte schreibe, bin ich mir immer noch nicht sicher, ob ich es mochte oder nicht. Ich konnte den Wahn nicht ganz nachvollziehen. Apostel York ist aber ein sehr starker und auch sehr fanatischer Charakter, der das Dorf von allem „Unreinen“ befreien möchte, und es schafft, das Dorf in seinen Bann zu ziehen. Durch seine „Reinigungen“ werden beispielsweise auch eine Ehefrau und ihr Liebhaber bestraft, die gemeinsam Ehebruch begangen haben. Nach der „angemessenen“ Bestrafung kann die „sündige“ Ehefrau im Dorf nicht einmal mehr Mehl und Butter kaufen, ohne beschimpft zu werden — nicht, dass ihr nach der Sache noch irgendetwas verkauft würde! Der Irrsinn Yorks nimmt also immer schlimmere Ausmaße an und lässt ein Sekten-Gefühl aufkommen.

Während York nun mit seinem teilweise kranken Wahn immer weitere Kreise zieht, erholt sich Bligh bei der Witwe Greenfield von den ihm zugefügten Verletzungen (ja, das Buch ist sehr gewalttätig!) und plant im Alkoholentzug seine Rache an York. Alles spitzt sich immer mehr zu und wird nur durch mehrere kleine Stelldicheins zwischen York und Bligh „aufgelockert“, die sich die Seele aus dem Leib prügeln.

Marlon James erzählt seine Geschichte aus mehreren Perspektiven: aus der Sicht Pastor Blighs und der Witwe Greenfield, die aufgrund eines angeblichen „Lebens in Sünde“ auch vom Apostel verschrien werden; aus den Augen von Lucinda, die als einziger Charakter nicht mit Nachnamen angesprochen wird, die ein euphorischer Anhänger Yorks ist; und aus der Perspektive der Gemeinde, die allerdings keine Namen haben, sondern mehr die Masse widerspiegeln sollen.

"Nachdem der Apostel zu Ende gesprochen hatte, waren wir bereit, den sündigen Mann und die sündige Frau sofort umzubringen, sodass wir erst mal bis zehn zählen mussten und dann gleich noch mal. Der Apostel ist sehr hart zu uns, aber die Wahrheit ist auch hart."

Fazit: Dieses Buch ist nichts für Zartbesaitete! Explizit wird hier beschrieben, wie Apostel York seinen Kult um sich schart und wie seine Methoden aussehen. Auch der Wahnsinn, der York und nach und nach Gibbeah beherrscht, ist nicht leicht „mitanzulesen“. Dennoch (oder gerade deswegen) ist der Kampf um die Kirchengemeinde des kleinen Örtchens spannend und aufgrund der angenehmen Schreibe von Marlon James gut zu lesen. Ein ungewöhnliches Buch. Ich glaub, ich mag’s.