Glaubwürdige Figurenzeichnung, realitätsnahe Weltraumexpedition
Große Teile der Handlung entfallen auf Tests auf der Erde, Weltraumtraining und die Reise zum Enceladus. Die Forschungsexpedition auf dem Saturnmond macht etwa ein Viertel aus und hat für mich am meisten ...
Große Teile der Handlung entfallen auf Tests auf der Erde, Weltraumtraining und die Reise zum Enceladus. Die Forschungsexpedition auf dem Saturnmond macht etwa ein Viertel aus und hat für mich am meisten Spannung und Faszination erzeugt, insbesondere was die neuartige Lebensform angeht. Aber auch das ganze „Vorspiel“ empfand ich nicht als trocken.
Wer auf kriegerische Handlungen, Machtspiele, Intrigen usw. hofft, wird enttäuscht. Für mich war es nicht der erste Morris-Roman, sodass ich mit der richtigen Erwartungshaltung herangegangen bin.
Nahezu die ganze Geschichte wird aus Sicht von Nerd Martin erzählt. Auch wenn er und die Besatzung keine Gefühlsausbrüche hinlegen, sind sie mir irgendwie ans Herz gewachsen, sodass mich ihr Schicksal interessiert, zumal sie auch eine Vergangenheit haben, die es stückchenweise zu ergründen gilt. Von trockenem Humor wie diesem darf es gern mehr geben: „Er konnte nicht unterscheiden, ob ihn Kälte oder Hitze peinigten, aber das war auch egal, er würde so oder so sterben.“
Ohne mit überbordenden Details zu ermüden, zeichnet das Werk ein realistisches Bild, sodass man tatsächlich glaubhafte Einblicke davon bekommt, welche Multi-Tasking-Eigenschaften verlangt werden, wie der Alltag eines Astronauten aussieht (wobei dieser mit zwischenmenschlichen Beziehungen und einigen schönen Ideen angenehm aufgepeppt wird), welche Auswirkungen sich hieraus auf die Psyche ergeben, und mit welchen Problemen man sich konfrontiert sehen kann. Zumindest ordne ich das als Laie so ein.
Die wissenschaftlichen und technischen Inhalte empfand ich als gut dosiert und gut verständlich.
Bereichernd wären Details auf der Erde gewesen, welche die Verortung in der Zukunft verdeutlichen.
Man sollte wissen, dass Enceladus den ersten Teil einer Reihe bildet und für sich allein eher unbefriedigend ist. Der Cliffhanger ist fies.
Sofern man sich an kleinen Spoilern nicht stört (und bei Morris‘ Büchern ist nach meinem Empfinden der Weg wichtiger als das Ziel), könnte man - so wie ich es gemacht habe - mit dem Einzelband „The Hole“ oder mit dem Einzelband „Silent Sun“ antesten, inwieweit man den Stil des Autors mag und sich dann direkt „Eismond: Der Sammelband - vier Romane“ kaufen. Während die hier bewertete Enceladus-Original-Version viel zwischen Zeiten und Orten hin- und herspringt, enthält der Sammelband zusätzlich eine überarbeitete chronologische Version der Geschehnisse und lässt sich damit für diejenigen, die - wie ich - in Bezug auf Astrophysik, Raumfahrttechnik usw. noch Nachholbedarf haben, angenehmer lesen, erzielt damit höhere Lerneffekte.
Ich bin gespannt, wie es in Band 2 „Titan“ weitergeht.