Finch seufzte - ein Seufzen, aus dem ich nicht schlau wurde. "Lass uns versuchen, zu schlafen. Morgen wird ein langer Tag."
In mir drängten sich die Fragen. Wieso hilfst du mir? Glaubst du, ich werde sie finden? War das wirklich die doppeltote Katherine? Aber er hatte sich schon von mir weggedreht. Das Mondlicht malte eine weiße Straße von seinem Scheitel den Rücken hinunter. Je länger ich daraufstarrte, desto mehr schien es, als teilte das Licht ihn entzwei und legte unter seiner Haut etwas Leuchtendes frei.
Ich drehte mich ebenfalls um und schloss die Augen. Doch es dauerte lange, bis ich einschlief.
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INHALT:
Schon seit ihrer Kindheit werden Alice und ihre Mutter vom Unglück verfolgt: Mal brennt ihre Wohnung ab, mal wird Alice von einem Unbekannten entführt. Nach Jahren der Flucht scheint nun aber etwas Ruhe eingekehrt zu sein - bis plötzlich ihre Großmutter Althea stirbt und ihre Mutter verschwindet. Hat das alles mit den Märchen zu tun, die Althea vor Jahrzehnten verfasst hat und die sie berühmt machten? Alice wurde ausdrücklich gewarnt, jemals nach Hazel Wood zu suchen, dem Ort, an dem ihre Großmutter lebte, aber sie ahnt, dass sie nur dort Antworten finden wird. Also macht sie sich auf zu einer Reise ins Ungewisse, gemeinsam mit dem reichen Finch, von dem sie nicht weiß, ob er nun ihr helfen will, oder eher sich selbst...
MEINE MEINUNG:
Neuerzählungen alter und beliebter Geschichten wie Märchen kommen nicht aus der Mode. Auch Debüt-Autorin Melissa Albrecht hat sich für "Hazel Wood" einen Klassiker ausgesucht: Alice im Wunderland. Außer des Namens der Protagonistin und einiger seltsamer Begebenheiten sowie Figuren haben die beiden inhaltlich aber gar nicht mal so viel miteinander zu tun. Fehlende Originalität kann man der Schriftstellerin also nicht unterstellen. Ihr Schreibstil ist sehr bildlich, durchsetzt von Metaphern und märchenhaften Dialogen, die allerdings teilweise beinahe schon zu abgehoben klingen.
Alice aus diesem Roman ist definitiv nicht die Alice, wie man sie kennt. Weder stammt sie aus gutem Hause, noch ist sie eine unschuldige 14-jährige, die einem Kaninchen folgt. Stattdessen ist sie eine Protagonistin, die eine unerklärliche Wut in sich verspürt und sich nirgendwo richtig zuhause fühlt außer dort, wo ihre Mutter Ella ist. Sie kommt im Laufe der Handlung sich selbst auf die Spur, bleibt jedoch immer etwas unnahbar. Ellery Finch ist das genaue Gegenteil: Immerzu bemüht, fröhlich zu sein, in Wahrheit jedoch ständig auf der Suche nach mehr, nach seiner Bestimmung. Er jagt zwar einem Traum hinterher, ist aber ansonsten sehr bodenständig und weiß sich auch gegen Alice' Stimmungen zu wehren. Figuren wie die Mutter Ella oder Märchenerzählerin Althea lernt man nur relativ knapp kennen, dafür sind auch diese beiden aber sehr gut ausgearbeitet.
Was mir bei dem Titel definitiv zu kurz kam, war Hazel Wood selbst. Die erste Hälfte des Romans besteht nur daraus, dass Alice und Finch sich gemeinsam auf die Suche machen und dabei allerlei kryptischen Hinweisen folgen und seltsamen Menschen begegnen. Erst sehr spät treten sie überhaupt in den Märchenwald ein und finden die Antworten, nach denen sie gesucht hatten. Dafür weiß die Autorin ab diesem Zeitpunkt aber auch mit ihrem Einfallsreichtum zu begeistern. Schon zuvor lässt sie mir ihren düsteren Märchen Schauer über den Rücken rieseln, und dem Sog des Hinterlandes kann sich bis zum Ende kaum entzogen werden. Nicht ohne Grund erscheint nächstes Jahr ein Buch mit allen Märchen - denn gerade diese sind es, die die größte Faszination ausmachen. Wären schon mehr von ihnen in diesem Roman gewesen: Eventuell hätte er mir noch besser gefallen.
FAZIT:
"Hazel Wood" ist ein besonderes Buch, das gar nicht mal so stark an "Alice im Wunderland" angelehnt ist, wie man glauben könnte. Der ganze Roman ist sehr düster, durchsetzt von blutigen und schaurigen Märchen, die ihren Weg in die Realität finden. Leider hat er aber auch seine Längen, besonders in der ersten Hälfte. Dafür gibt es 3,5 Punkte.