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Veröffentlicht am 17.10.2018

Die geheime Sprache der Briefmarken

Das Mädchen mit dem Edelweiß
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Vom Verlag erhielt ich die Anfrage, ob ich diesen Roman lesen und rezensieren möchte. Da ich selbst in Österreich lebe und Bücher mit dem Thema Zweiten Weltkrieg gerne lese, war meine Neugierde geweckt. ...

Vom Verlag erhielt ich die Anfrage, ob ich diesen Roman lesen und rezensieren möchte. Da ich selbst in Österreich lebe und Bücher mit dem Thema Zweiten Weltkrieg gerne lese, war meine Neugierde geweckt. Außerdem war mein Vater ebenfalls Briefmarkensammler und hat mich schon als Kind in diese Materie eingeführt. Trotzdem hatte ich etwas Bedenken, denn ich fragte mich, ob es eine amerikanische Autorin schafft mein Heimatland zur Zeit des 2. Weltkrieges und das Thema Briefmarken realitätsnah und authentisch zu beschreiben. Da ich bereits einmal einen Roman einer britischen Autorin gelesen habe, die über das Schi fahren schrieb und dabei wirklich hanebücherne Dinge verfasste (ich muss noch heute den Kopf darüber schütteln!), war ich sehr skeptisch. Doch Jillian Cantor hat mich positiv überrascht und schließlich überzeugt!

Die Handlung wird in zwei Zeitebenen aufgeteilt. Wir befinden uns 1989 in Kalifornien und 1938/39 in einem kleinen Dorf in Österreich.
Katie lebt in L.A. und hat im Moment eine schwere Zeit. Die Scheidungspapiere liegen zum Unterzeichnen in ihrer Wohnung, ihr baldiger Ex-Mann ist noch dazu ihr Chef und ihr Vater leidet immer mehr an Demenz. Schweren Herzens muss sie ihn ins Heim bringen. Seine große Leidenschaft im Leben waren seine Briefmarken. Jeden Sonntag nahm er seine Tochter mit auf diverse Flohmärkte und träumte davon, irgendwann einen besonderen Schatz zu finden. Katie bringt seine Sammlung zum Schätzen zum Briefmarkenhändler Benjamin Grossmann. Dieser findet tatsächlich etwas Außergewöhnliches: einen nicht abgeschickten Briefumschlag an Fräulein Elena Faber mit einer sonderbaren Briefmarke darauf. Es ist eine alte Marke aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges und zeigt den Stephansdom in Wien. Doch auf der Kirchturmspitze befindet sich, fast unkenntlich, ein Edelweiß. Katie und Benjamin beschließen daraufhin herauszufinden, welches Geheimnis diese Marke birgt.
1938: Christoph, ein Waisenjunge, darf das Handwerk des Briefmarkengraveurs beim berühmten jüdischen Graveur Friedrich Faber erlernen. Dort wird er liebevoll in die Familie aufgenommen. Christoph ist faszniert von der kunstvollen Arbeit. Er ist ein guter Zeichner, doch mit dem Stichel und der Metallplatte tut er sich anfangs sehr schwer. Fabers Tochter Elena arbeitet selbst heimlich mit dem Stichel und ist nicht ungeschickt. Politisch ist die Zeit keine leichte, denn Österreich wird von Deutschland ins Deutsche Reich "aufgenommen" und die Hetzte gegen die Juden wird immer schlimmer. Friedrich Faber, seine Frau und die Töchter Miriam und Elena sind in Gefahr....

Jillian Cantor hat die Faszination des Gravurhandwerks hervorragend beschrieben. Im Widerstand gegen Hitler wurden auf Briefmarken öfters geheime Botschaften versteckt und so weiter gegeben.
Die Autorin hat die Lage in Österreich zur Zeit der Besatzung und des anschließenden Beginn des Zweiten Weltkrieges sehr anschaulich dargestellt. Das Niederbrennen und die Ausrottung einzelner Dörfer, die Enteignung der Juden und ihrer Geschäfte, sowie im besonderen Fall die Aufgabe eigene österreichische Briefmarken im Deutschen Reich herzustellen. Es geht auch um Fluchthilfe und Widerstand.
Aber auch das Jahr 1989 ist ein politisch wichtiges Jahr. Mit Katie reisen wir kurz nach dem Fall der Mauer nach Berlin und der Leser erlebt auch hier einen denkwürdigen Moment. Im Gegenwartstrang nimmt sich die Autorin der Alzheimererkrankung und menschlichen Verlusten an. Auch diese Themen hat sie gut umgesetzt.

Die Charaktere seind sehr lebendig und liebevoll gestaltet. Ich hatte sie alle vor Augen und die individuellen Charaktere haben mir äußerst gut gefallen. Katie liebt ihren Vater sehr und kümmert sich rührend um ihn. Benjamin blieb mir allerdings ein bisschen zu blass. Er war generell die einzige Figur, die ich nicht richtig greifen konnte. Katies Großmutter hingegen ist mir besonders ans Herz gewachsen. Auch Christoph ist ein sehr liebenswürdiger Mensch, der vorallem für Andere da ist. Elena ist eine sehr impulsive junge Frau, die oft handelt und erst später denkt. Sie ist im Widerstand tätig und sich oftmals der Gefahr, in die sie sich begibt, nicht richtig bewusst. Eine sehr starke Frau!

Was ich nicht unbedingt gebraucht hätte, war die Liebesgeschichte in der Gegenwart. Sie hat mich auch nicht zu 100% überzeugt.

Schreibstil:
Der bewegende und bildhafte Schreibstil der Autorin hat mich mit den Figuren mitfiebern lassen. Jilliane Cantor hat hervorragend zu den Themen Briefmarken, Beginn des zweiten Weltkrieges in Österreich und auch zum Thema Alzheimer recherchiert. Ihre Ausführungen über die politischen Ereignisse in Österreich 1938/39 und die der Wende in Deutschland 1989 wurden sehr interessant und authentisch dargestellt.

Fazit:
Ein Roman auf zwei Zeitebenen, der teilweise in meinem Heimatland spielt. Eine bewegende Geschichte mit Tiefe, die mich überzeugen konnte und mir spannende Lesestunden gebracht hat. Gerne empfehle ich diesen Roman weiter.
Vielen Dank an den Heyne Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares!

Veröffentlicht am 13.10.2018

Wohin führt das Leben?

Ein Winter in Paris
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Jean-Philippe Blondel hat mich mit seinem neuen Roman in meine eigene Schulzeit zurückversetzt. Sein Protagonist Victor, Autor und Englischlehrer, erhält etwa 30 Jahre nach dem Beenden seiner Schulzeit ...

Jean-Philippe Blondel hat mich mit seinem neuen Roman in meine eigene Schulzeit zurückversetzt. Sein Protagonist Victor, Autor und Englischlehrer, erhält etwa 30 Jahre nach dem Beenden seiner Schulzeit einen Brief von einem gewissen Patrick Lestaing, der ihn zurück ins Jahr 1984 katapultiert.

Damals kam er als 19jähriger junger Mann von der Provinz nach Paris, wo er die Vorbereitungsklasse des Lycée D. besuchte. Im ersten Jahr büffelte er für die Aufnahmeprüfung, um einen Platz an einer der französischen Eliteunis zu bekommen. Der Druck am Lycée D. ist außergewöhnlich hoch. Victor fühlt sich in der Hauptstadt einsam. Er ist ein Außenseiter, der aus der Provinz kommt und nicht zu den gewohnten Eliteschülern gehört. Seine Eltern sind einfache Leute, die ihm weder einen gesellschaftlichen, noch einen kulturellen Hintergrund vermittelt haben. Victor ist der Erste der Familie, der studiert. In seinem kleinen Zimmer in Nanterre lernt er stundenlang, um den Demütigungen der Lehrer zu entkommen. Obwohl er selbst nicht daran glaubt, meistert er das erste Vorbereitungsjahr. Im Pausenhof begegnet er Mathieu. Dieser erinnert ihn an sich selbst. Mathieu kommt ebenfalls aus der Provinz und bleibt wie Victor ein Außenseiter. Doch er hält dem Druck nicht stand und springt in den Tod.
Plötzlich ist Victor nicht mehr unsichtbar, sondern wird von seinen Mitstudenten, und auch den Lehrern, wahrgenommen. Er fühlt sich dadurch verunsichert, doch mit der Zeit findet er gefallen daran. Selbst Paul Rialto, der Klassenbeste und Eliteschüler will mit ihm befreundet sein.
Trotz des Unglücks ändert sich bei der Lehrerschaft nichts. Am System wird weiter festgehalten und Victor beginnt dagegen zu rebellieren. Als Mathieus Vater ebenfalls seine Nähe sucht, um mit ihm über die letzten Stunden von Mathieu zu sprechen, wird dieser mit der Zeit zu einem Art väterlichen Freund.

Obwohl dieser Roman nicht viele Seiten hat, überzeugt er durch Tiefe und Dramatik. Die eher melancholische Stimmung nimmt den Leser gefangen. Sprachlich einfach großartig, beschreibt Blondel die verwirrenden Gefühle von Victor authentisch und sehr einfühlsam. Man fühlt sich dem Protagonisten sehr nahe, der vom Außenseiter im elitären System plötzlich zu einer Art "Star" wird und von Mathieus Tod profitiert. Victor genießt es zu Beginn, doch mit der Zeit beginnt er sein Leben in Frage zu stellen.

Der Roman zeigt auf, wie verunsichert Jugendliche in diesem Alter sind und nicht wissen, wohin der weitere Lebensweg führen soll. Sie stehen an einer Wegkreuzung und sind voller Zweifel. Blondel zeigt aber auch die verschiedenen Arten zu trauern auf. Mathieus Vater klammert sich an die letzten Stunden seines Sohnes und möchte mit Victor darüber reden. Er versucht Antworten zu finden und mit der Zeit wird Victor eine Art "Ersatzsohn" für ihn. Mathieus Mutter hingegen stand ihrem Sohn sehr nahe, blickt jedoch der Realität ins Auge und kann das Verhalten von Victor und ihrem Exmann nicht verstehen.

Blondel prangert in seinem Roman das französische Schulsystem an. Ich kann zu meinem Leidwesen sagen, dass auch ich unter einer ähnlichen Professorin gelitten habe, die ihre Schüler täglich gedemütigt hat und die mir noch bis zu meinem 30. Lebensjahr Alpträume beschert hat! Diese "Pädagogen" wird es immer geben - leider!

Es ist ein Roman der leisen Töne. Es geht um Freundschaft, Trauer, Leistungsdruck und das Leben an sich. Man kann sich unzählige wundervolle Zitate aus diesem Büchlein notieren oder herausschreiben. Einzig das Ende hatte für mich ein bisschen zu wenig Aussagekraft.

Fazit:
Nicht immer ist die Seitenanzahl ausschlaggebend darüber, was ein Buch zu sagen hat. Hier steckt wahnsining viel in 192 Seiten drinnen! Einzig zum Ende hätte ich mir noch ein wenig mehr Aussagekraft gewünscht - sonst aber ein absolutes Lesevergnügen!

Veröffentlicht am 11.10.2018

Verliebt in deine Stimme

Die Stunde der Señorita Leo
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Stellt euch vor es wäre die letzte Folge von "Game of Thrones" oder das Finalspiel der Fußball-WM im TV....und dann blenden wir zurück ins Jahr 1977 nach Barcelona. Dort spielt der neue Roman von Ángeles ...

Stellt euch vor es wäre die letzte Folge von "Game of Thrones" oder das Finalspiel der Fußball-WM im TV....und dann blenden wir zurück ins Jahr 1977 nach Barcelona. Dort spielt der neue Roman von Ángeles Doñate. Was heute ein Straßenfeger ist, ist Ende der Siebziger die Radiosendung "Die Stunde der Senorita Leo", der Aurora ihre Stimme verleiht. Die Zuhörer lieben sie und die Geschichten, die sie vorliest. Es sind oftmals Hilferufe oder einfach Briefe, in denen Menschen ihren Kummer niederschreiben und ihr Herz ausschütten. Wer hinter Señorita Leo steckt, hält der Sender geheim, denn auch Aurora ist nur ein Spielball der Presse. Sie bekommt nur bestimmte Briefe, die von Psychologen ausgesucht und beantwortet werden. Eines Tages fragt sie nach all der Post, die in Postsäcken verschwindet und nicht vorgelesen werden. Sie ist entsetzt als sie erfährt, dass sie verbrannt werden und nimmt diese Briefe zu ihr mit nach Hause, um sie alle perönlich zu beantworten. Dabei fällt ihr der Brief von Sole, einer vierfachen Mutter in die Hände, die von ihrem Mann geschlagen wird und aus der Ehe ausbrechen möchte. Als sie die Zeilen von Sole ohne Zustimmung vorliest, steht nicht nur ihr Job auf dem Spiel....

Die Charaktere sind ganz wunderbar gezeichnet. Oft hatte ich das Gefühl all die Sorgen und Ängste, aber auch die Hoffnungen und die Liebe mit den Figuren zu teilen. Da ist, wie oben schon angesprochen Sole, deren Mann trinkt und sie schlägt. Oder auch die 17jährige Elisa, die jeden Lebensmut verloren hat, nachdem ihr Bruder gestorben ist und ihre Eltern im Kummer versinken. Oder Germán, ein Handelsvertreter für Dessous, der sich in die Stimme von Señorita Leo verliebt hat und unbedingt herausfinden möchte, wer sie ist. Und natürlich Aurora selbst, die nicht - wie sich ihre Hörer das Vorstellen - in Saus und Braus lebt und von einer liebevollen Familie umgeben ist, sondern in einer kleinen Wohnung alleine mit ihrem Papagei Paquito lebt. Sie hat eine gescheiterte Beziehung hinter sich und kümmert sich um ihren drogenabhängigen Bruder, der sie nur besucht, wenn er Geld braucht.
Drei Frauen, die die Hoffnung verloren haben je wieder Glück und Liebe zu finden. Ihre Schicksale haben mich sehr berührt.
Unbeholfen, aber sehr sympathisch ist auch Germán, der ebenfalls alleine lebt und als Handelsvertreter im ganzen Land herumreist. In seinem Job als Dessousvertreter ist er wirklicht gut, was Frauen betrifft weniger. Seine Nächte verbringt er in den Hotelzimmern der Städte, die er auf seiner Route abklappert. Seine Eltern und seine Schwester samt Familie sind ihm irgendwie entglitten und so legt er seine ganze Leidenschaft in die Entdeckung der wahren Identität von Señorita Leo und ihrer zauberhaften Stimme.

Die Autorin nahm sich das spanische Radioprogramm "El Consultorio de la Señorita Francis", welches von 1947 - 1984 ausgestrahlt wurde, als Vorbild für ihren Roman. Oft hatte ich das Gefühl eine französische Geschichte vor mir zu haben. Das Buch vermittelte für mich einen französichen Charme, obwohl er von einer Spanierin geschrieben wurde und in Barcelona spielt.
Gefallen hat mir auch das Nostalgische, der Retro-Touch aus den 1970-igern. Das Radio spielte damals noch eine wesentlich größere Rolle und auch das Frauenbild war ein ganz anderes. Das Land befand sich nach der Franco Diktatur im Wandel und die Spanierinnen erhielten erst jetzt die Chance für ihr Wahlrecht zu kämpfen.

Schreibstil:
Ich bin begeistert vom charmanten und einnehmenden Schreibstil der Autorin. Sie bringt uns diese einfühlsame Geschichte näher, indem sie aus der Sicht der verschiedenen Protagonisten erzählt. Auch die Romantik kommt nicht zu kurz. Das Gefühl beim Lesen der Geschichte war wie ein Wohlfühlprogramm, trotz der doch oft traurigen Schicksale. Man verspürte keinerlei negativen Gedanken dabei, sondern Lebensmut. Ángeles Doñate hat ein Händchen dafür dies wunderbar umzusetzen.

Fazit:
Ein einfühlsamer Roman, der sich leicht lesen lässt und doch Tiefgang hat. Romantisch und charmant, aber auch mit einer kleinen Prise Humor und einem Hauch Nostalgie. Am Ende schließt man das Buch mit einem leichten und zufriedenen Lächeln im Gesicht. Empfehlenswert!

Veröffentlicht am 02.10.2018

Lebendige Geschichtsstunde par excellence!

Land im Sturm
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Ulf Schiewe hat mit seinem fast 1000 Seiten langen Epos über genauso so viele Jahre deutscher Zeitgeschichte einen Roman vorgelegt, der bis jetzt einzigartig ist.
In fünf Abschnitten (Die Ungarn, Die Wenden, ...

Ulf Schiewe hat mit seinem fast 1000 Seiten langen Epos über genauso so viele Jahre deutscher Zeitgeschichte einen Roman vorgelegt, der bis jetzt einzigartig ist.
In fünf Abschnitten (Die Ungarn, Die Wenden, Der große Krieg, Napoleon und Preußen, Revolution) hat der Autor versucht die wichtigsten Epochen Deutschlands, verbunden mit einer Familiengeschichte, darzustellen. Der zeitliche Bogen spannt sich von 995 n. Chr. mit dem Beginn der Ungarnraubzüge bis zur Revolution in Berlin 1848.
Natürlich lebt kein Protagonist 1000 Jahre (außer in Vampirromanen), darum handelt es sich hier um Nachfahren einzelner Familien, die immer wieder vorkommen und so den roten Faden bilden. Die Namen Schmitt, Fischer und von Billung, sowie die immer wiederkehrenden Vornamen Arnulf, Ewalt, Gisela, Gero und Hedwig vereinfachen somit das Lesen und es ist kein Personenregister notwenig.

Die Basis für die Geschichte legt Arnulf, ein junger Schmied, der in einem kleinen Dorf in Tirol lebt. Die räuberischen Ungarn fallen zu dieser Zeit über das Land her und die Menschen versuchen sich so gut es geht darauf vorzubereiten und zu verteidigen. Doch nicht die Ungarn sind Arnulfs Schicksal, sondern ein verhängnisvoller Nachmittag im Wald, der mit einem Toten endet. Der junge Schmied muss alles hinter sich lassen und flieht in Richtung Augsburg. Auf den Weg dorthin begegnet er Hedwig, die vor den Ungarn flüchtet und die bereits über sie und ihr Dorf hergefallen sind. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg Richtung Augsburg. Doch die Stadt ist das Ziel der mordenden Krieger aus dem Osten. Nach der Belagerung der Stadt kommt es zur großen Schlacht am Lechfeld...und Arnulf ist mitten drin! Bald bemerkt der junge Mann, dass er kein Krieger ist. Trotzdem schlägt er sich tapfer und rettet sogar Ritter Ewalt von Billung das Leben. Außerdem erbeutet er einen außergewöhnlichen Säbel, der Arnulfs Nachfahren bis in 19. Jahrhundert begleiten wird.

Über Generationen hinweg erleben wir in diesem Schmöker die Entstehung Deutschlands. Ulf Schiewe hat sich bewusst jenen fünf Epochen gewidmet. Er fand diese Kriege und Umbrüche besonders wichtig oder merkte an, dass diese Epoche in historischen Romanen kaum Erwähnung finden. So war für mich zum Beispiel das Kapitel um die Wenden komplettes Neuland. (Als Österreicherin haben wir uns in der Schule auch hauptsächlich den Habsburgern gewidmet) Hingegen habe ich bereits mehrere Bücher über Napoleon und seine Kriege gelesen. Auch die Zeit des beginnenden 19. Jahrhunderts und die Revolution sind mir nicht unbekannt.

Durch die Zeitsprünge muss man sich daran gewöhnen, dass man seine liebgewonnen Charktere nach einiger Zeit wieder loslassen muss. Das fand ich ganz besonders nach dem ersten Abschnitt schade. Doch man begegnet in weiterer Folge den Nachfahren Arnulfs. Dabei lernen wir nicht in jeder Generation Helden oder Sympathieträger kennen. Außerdem hat jede der drei Familien im Laufe der fast tausend Jahre einmal Reichtum mit nicht rechten Mitteln angehäuft. Einzig der Abschnitt rund um den 30jährigen Krieg war mir zu kriegslastig, bietet aber auch kaum die Möglichkeit für andere Themen.

Die Figuren im Roman kommen aus allen erdenklichen Schichten, wobei Ulf Schiewe die Unterschiede in ihrer Lebensart sehr gut beschrieben hat. Und auch innerhalb einer Familie reicht die Spannweite vom einfachen Bauern oder Schmied bis hin zum Fabrikanten und Unternehmer. Auch die Frauenfiguren sind oft ihrer Zeit voraus und sind starke Persönlichkeiten, wobei sie natürlich der Zeit angepasst sind.
Trotz der Dicke wird der Roman nie langatmig und hat mich die mehr als 900 Seiten schneller verschlingen lassen, als ich dachte.

Schreibstil:
Ulf Schiewe schreibt sehr bildgewaltig. Die Sprache war zu Beginn nicht ganz der Zeit angepasst, aber das wäre wohl auch eher für uns Leser unleserlich gewesen ;) Und mit dem Fortschreiten der Zeit passt sich die Sprache auch immer mehr an. Trotzdem weiß man von der ersten Seite an, dass man es hier mit einem historischen Roman zu tun hat.
Trotz der immer wieder neuen Geschichten fand ich die Charaktere alle sehr lebendig und liebevoll gezeichnet. Alle haben Ecken und Kanten und sind nicht nur gut oder böse.

Fazit:
Dieser historische Roman von Ulf Schiewe über die fast tausendjährige Geschichte Deutschlands konnte mich überzeugen. Die atmosphärische Erzählung anhand des Schicksals einer Familie über Jahrhunderte hinweg ist eine Geschichtsstunde par excellence! Für wahre Historenfans ein Muss!

Veröffentlicht am 28.09.2018

Bis auf den Showdown am Ende wieder top!

Rachewinter
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Endlich ist er da - der dritte Band rund um Walter Pulaski und Evelyn Meyers. Montaelang habe ich dem neuen Thriller meines Lieblings-Thriller-Autoren Andreas Gruber entgegen gefiebert und wie gewohnt ...

Endlich ist er da - der dritte Band rund um Walter Pulaski und Evelyn Meyers. Montaelang habe ich dem neuen Thriller meines Lieblings-Thriller-Autoren Andreas Gruber entgegen gefiebert und wie gewohnt hat er mich nicht enttäuscht!
Vorweg an alle Leser, die Band 1 und 2 nicht kennen: Man kann "Rachewinter" (im Gegensatz zur Todesreihe mit Maarten S. Sneijder) auch ohne Vorkenntnisse lesen.

Wie üblich ist man bei Andreas Gruber ab der ersten Seite mitten im Geschehen. Wir befinden uns in Wien. Zwei Dachdecker werden bei ihrer Arbeit auf eine heiße Sexszene im gegenüberliegenden Penthouse aufmerksam. Sie beginnen mitzufilmen und erleben bald darauf einen großen Schock. Sie werden Zeuge eines Mordes. Als die Polizei eintrifft ist der Mörder bereits geflohen. Doch die Aufnahme liefert den Täter schnell ans Messer. Es soll sich um Michael Kotten handeln, der seinen Lebensgefährten Johann Wulf ermordet hat. Dieser steht kurze Zeit später im Büro von Anwältin Evelyn Meyers und bittet sie seine Verteidigung zu übernehmen. Michael Kotten erklärt Evelyn, dass er unschuldig sei, denn er ist nicht schwul, sondern Transgender und stecke mitten in seiner Verwandlung vom Mann zur Frau. Außerdem hat er den Mord nicht verübt. Evelyn und ihr neuer Assistent Florian Zock, genannt Flo, nehmen sich dem Fall an und entdecken schnell, dass ihr Verdächtiger aus einer mächtigen Familie kommt. Sein Vater, Richard von Kotten, betreibt ein Glücksspielimperium, sein Onkel ist Politiker, die Tante ist Ärztin. Michael sei außerdem das schwarze Schaf der Familie und sein Vater hasst ihn. Von Richard von Kotten sei deswegen keine Hilfe zu erwarten. Doch kurze Zeit später legt Michael Kotten ein Geständnis ab....

Im zweiten Handlungstrang in Leipzig wird Kommissar Walter Pulaski zu einem Toten in einem Motel gerufen. Der Geschäftsmann Klaus Hinze wird mit einer Schere im Ohr im Bad seines Hotelzimmer tot aufgefunden. Pulaski glaubt nicht, wie die Gerichtsmedizin, an einem Unfall. Diese geht davon aus, dass er aus der Dusche kommend beim Barthaar schneiden, ausgerutscht ist. Doch die fehlenden Leichenflecken und kleine Blutspritzer in der Unterhose erhärten seinen Verdacht. Pulaski ist noch immer im Kriminaldauerdienst, sprich er darf einen neuen Mordfall nur kurz nach dem Auffinden der Leiche bearbeiten und muss ihn danach abgeben. Wer den knurrigen und zynischen Kommisar kennt, weiß auch, dass er sich selten daran hält. Als er entdeckt, dass der Tote der Vater von Nina, der Freundin seiner Tochter Jasmin ist, recherchiert er auf eigene Faust weiter. Und auch Nina und Jasmin versuchen die letzten Tage und Stunden des Mordopfers zu ergründen und stoßen auf eine mysteriöse Frau im roten Kleid. Als weitere Morde geschehen und dieselben unerklärlichen Blutflecken auftauchen, legt Pulaski alle Hemmungen ab und ermittelt...

Wie bereits in den Vorgängerbänden des Autors werden wieder zwei Handlungsstränge verknüpft, die erst gegen Ende des Thrillers zusammenlaufen. Auch Personen und Handlungsorte sind ident, denn es handelt sich um Evelyn Meyers, Anwältin aus Wien, und Kriminalhauptkommissar Walter Pulaski aus Leipzig.
Der Wiener Erzählstrang ist dabei etwas präsenter, als der deutsche. Bis sich beide Handlungsstränge zum Finale in Leipzig treffen, verfolgt man mit angehaltenem Atem die temporeiche Geschichte und hofft auf ein positives Finale. Dabei hat der Autor diesmal einige interessante Gedanken und Inhalte in petto. Vorallem muss ich ein großes Lob betreffend dem Thema der Transsexualität aussprechen. Andreas Gruber hat sehr gut recherchiert und die Unterschiede immer wieder in verschiedenen Situationen dem Leser verständlich gemacht. Außerdem finde ich es klasse, dass sich ein Autor dem Thema widmet und noch dazu in einem Thriller.

Andreas Gruber überrascht wirklich in jedem neuen Buch mit verrückten Tatwaffen oder grausamen ungewöhnlichen Morden. Auch diesmal ist es so. Woher er die Ideen dazu nimmt, möchte ich gar nicht wissen ;)

Doch warum gebe ich meinem Lieblings-Thriller-Autor diesmal keine 5 Sterne?
Es ist das Ende, das mir einfach zu unrealistisch war. Ab dem Zeitpunkt des finalen Showdowns in der Villa hatte ich leichte Probleme mit der Glaubwürdigkeit des Ganzen. Die Spannung war zwar auf dem absoluten Höhepunkt und bis zu diesem Grande Finale war ich wieder absolut begeistert von Grubers gefinkelten Morden und überraschenden Wendungen. Jedoch war der für mich etwas konstruierte Schluss eine kleine Enttäuschung. Das bedeutet diesmal "nur" 4 1/2 Sterne statt meiner üblichen vollen 5 Sterne.

Schreibstil:
Der Autor schreibt gewohnt temporeich, bildhaft und rasant. Verblüffende Wendungen und ein konstant aufbauender Spannungsbogen lassen dem Leser an die Seiten fesseln. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Dazu erhöhen kurze Kapitel, die mit Datum versehen sind, so wie die wechselnden Perspektiven die Intensivität der Geschichte.
Die Charaktere sind nicht stereotyp, sondern facettenreich und lebendig.

Fazit:
Spannend von der ersten Seite an - ein echter Gruber eben! Überraschende Wendungen und überaus fantasievolle Mordpraktiken ließen mich kaum das Buch aus der Hand legen. Nur das Ende hat mich diesmal nicht zu 100% überzeugt. Deswegen sind es "nur" 4 1/2 Sterne statt 5, die ich bei Portalen, die nur ganze Sternebewertungen haben, gerne aufrunde.