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Veröffentlicht am 19.10.2018

Christian Berkels Familiengeschichte

Der Apfelbaum
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Als der 17-jährige Einbrecher Otto von der 13-jährigen Halbjüdin Sala in die Bibliothek ihres Vaters beim Stehlen ertappt wird, ist es Liebe auf den ersten Blick zwischen den beiden. Sala hilft ihm, sich ...

Als der 17-jährige Einbrecher Otto von der 13-jährigen Halbjüdin Sala in die Bibliothek ihres Vaters beim Stehlen ertappt wird, ist es Liebe auf den ersten Blick zwischen den beiden. Sala hilft ihm, sich zu verstecken, während seine Freunde beim Klauen erwischt werden. Otto stammt aus einem ärmlichen Berliner Haushalt, während Sala aus wohlbehüteten Verhältnissen stammt. Eigentlich wollen Sala und Otto für immer zusammen bleiben, doch dann bricht der Krieg aus. Als Halbjüdin muss die schwangere Sala aus Berlin fliehen und erlebt eine wahre Odyssee über Spanien und Frankreich bis nach Argentinien, während Otto eingezogen wird und nach Kriegsende 5 Jahre in russischer Gefangenschaft verbringen muss. So werden die beiden für lange Zeit getrennt. Als Sala 1955 nach Berlin zurückkehrt, trifft sie dort nach vielen Jahren wieder auf Otto und kann nun endlich ein gemeinsames Leben mit ihnen beginnen.
Der Schauspieler Christian Berkel hat mit seinem Buch „Der Apfelbaum“ einen intensiven und berührenden Roman vorgelegt, der auf wahren Begebenheiten beruht, lässt er den Leser doch an seiner ureigenen und sehr persönlichen Familiengeschichte teilhaben. Der Schreibstil ist flüssig und bildgewaltig, voller Emotionen und schwierigen Nachforschungen nach der eigenen Identität. Der Leser springt mit den ersten Zeilen mitten in die Handlung hinein und erlebt eine gefühlvolle Geschichte, die von Verfolgung, Entbehrungen, Flucht und Trennung geprägt ist. Der authentische Berliner Dialekt macht das Ganze noch realer und greifbarer. Berkels Erzählung reicht über drei Generationen hinweg und lässt den Leser über mehrere Ebenen am Leben seiner Eltern, seiner Großeltern sowie seiner Geschwister und sich selbst teilhaben, wobei er einige interessante Nebeninformationen einstreut, die den Leser durchaus zum Staunen bringen. So verzweigt wie die Äste eines Apfelbaums stellt sich die Geschichte von Christian Berkels Familiengeschichte dar mit vielen Umwegen, Trennungen und der Suche nach Menschen und ihrem Schicksal.
Die realen Charaktere wurden sehr individuell und lebendig dargestellt, so dass der Leser sich gut mit ihnen identifizieren kann und mit ihnen das gesamte Gefühlsbarometer erleben darf, während man gleichzeitig immer im Blick hat, dass man den Autor als Schauspieler und öffentliche Person „kennt“ und schätzt. Auf diese Weise kommen einem die Protagonisten noch viel näher. Sowohl mit Sala als auch mit Otto hat der Leser gleich zwei sehr charismatische Charaktere, die Unmenschliches überstanden haben nur aufgrund ihrer inneren Stärke. Aber auch ihre schwachen Momente erlebt der Leser während der Flucht oder in Gefangenschaft, wo sie sich einsam unter Fremden durchschlagen mussten. Dass sich die beiden nach so vielen Jahren der Trennung doch noch einmal wiedersehen werden und dann auch zusammenbleiben, grenzt an ein Wunder, wenn man bedenkt, welche Wendungen ihr Leben genommen hat und wie sehr sich die beiden auch über die Jahre verändert haben.
„Der Apfelbaum“ ist nicht nur ein sehr fesselnder und gefühlvoller Roman über ein Stück Zeitgeschichte, sondern vor allem eine sehr persönliche Familiengeschichte, die ans Herz geht. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 19.10.2018

Piccola Sicilia in Tunis

Piccola Sicilia
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Tunis 1942. Der junge deutsche Wehrsoldat Moritz Reincke ist in Berlin mit Fanny verlobt, als er in die nordafrikanische orientalische Stadt Tunis entsandt wird, in der Christen, Muslime und Juden friedlich ...

Tunis 1942. Der junge deutsche Wehrsoldat Moritz Reincke ist in Berlin mit Fanny verlobt, als er in die nordafrikanische orientalische Stadt Tunis entsandt wird, in der Christen, Muslime und Juden friedlich miteinander leben, um dort für die Nazi-Propaganda-Abteilung Fotos und Filme zu machen. Als die deutsche Wehrmacht in Tunesien einmarschiert und kurz danach die Bomben der Alliierten fliegen, gilt Moritz kurz danach als verschollen. Seine Verlobte Fanny muss die gemeinsame Tochter Anita allein groß ziehen. Viele Jahre später erfährt Moritz‘ Enkelin Nina Zimmermann, eine Archäologin, von einem Flugzeugwrack, dass im Meer vor Sizilien entdeckt wurde und macht sich auf die Reise, um auf den Spuren ihres Großvaters Moritz zu wandeln, mehr über ihn in Erfahrung zu bringen und ein lange gehütetes Familiengeheimnis aufzudecken…
Daniel Speck hat mit seinem Buch „Piccola Sicilia“ einen wunderschönen, packenden Roman vorgelegt, der dem Leser unter die Haut geht und auch zum Nachdenken anregt. Der Schreibstil ist flüssig, einfühlsam und bildhaft, der Leser wird schnell in die Handlung hineingesaugt und kann sich kaum von den Seiten trennen. Die Geschichte wird aus zwei verschiedenen Perspektiven erzählt. Zum einen findet sich der Leser in der Vergangenheit wieder an der Seite von Moritz und der Jüdin Yasmina wieder, zum anderen folgt er Moritz‘ Enkelin Nina bei ihren Nachforschungen in Sizilien. Durch die wechselnden Perspektiven gelingt es dem Autor, die Spannung der Geschichte immer weiter in die Höhe zu schrauben. Der Autor hat sehr gut recherchiert und den nicht sehr bekannten historischen Hintergrund verwebt den Afrika-Feldzug der Nazis sehr gelungen mit seiner Handlung. Dadurch zeigt er auch auf sehr deutliche Weise, wie sehr sich in diesem Zuge das menschliche Gefüge der Bewohner verändert hat, da sich das Gedankengut der Nazis auch auf die Bevölkerung verteilte und ihre Einstellung veränderte. Wo vorher ein friedliches Miteinander verschiedener Religionen stattfand, gab es auf einmal Misstrauen und Verrat. Gerade dieses Verhalten macht nachdenklich, zeigt es doch die unglaubliche Manipulation, aus der nie etwas Gutes erwachsen kann und alle zu Verlierern macht.
Die Charaktere sind sehr detailliert und individuell ausgearbeitet. Mit ihren Ecken und Kanten wirken sie sehr glaubhaft und authentisch, so dass der Leser sich wunderbar in sie hineinversetzen kann und oftmals die im Roman gefassten Meinungen und Entscheidungen für sich selbst in Frage stellt, während er mit den Protagonisten mitfühlt, mitleidet und hofft. Sie prägen sich in das Gedächtnis des Lesers ein und vermitteln ein Gefühl von alten Freunden, die man einen Teil ihres Weges begleitet. Nina ist eine Frau, die sich der Archäologie verschrieben hat. Der Fund in Sizilien lässt sie hoffen, ihrem Großvater und dessen Geschichte näher zu kommen, hat sie ihn doch nie kennenlernen dürfen. Nina wirkt oft unsicher und in sich gekehrt, verloren und auf der Suche nach der eigenen Identität. Mit der tunesischen Jüdin Joelle trifft sie auf eine Frau, die ihr viele Fragen beantworten kann. Sie hat eine optimistische Ausstrahlung, und als Leser hofft man immer darauf, dass sich diese auch auf Nina überträgt. Yasmina ist Joelles Mutter und wurde von der Familie Safarti adoptiert. Sie hat ihren eigenen Kopf und möchte ihre Träume verwirklichen. Moritz ist ein sympathischer Mann, der durch den Nazi-Feldzug seine große Liebe trifft und sein Leben völlig verändert. Auch die übrigen Protagonisten erhöhen mit ihrem Erscheinen die Spannung der Geschichte und geben ihr zusätzliches Input.
„Piccola Sicilia“ ist nicht nur ein Generationenroman vor historischer Kulisse, sondern vereint Liebe, Krieg und dessen langfristige Auswirken mit vielen Denkanstößen und interessanten Aspekten, die nachdenklich stimmen. Kein Roman zum Weglesen, aber einer der dauerhaft im Gedächtnis bleibt. Wunderbar gemacht und mit einer verdienten Leseempfehlung ausgestattet!

Veröffentlicht am 14.10.2018

Szenen einer Ehe

Schnee in Amsterdam
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Das Ehepaar Stella und Gerry Gilmore, beide im Ruhestand und in ihren 60ern, sind seit gefühlten Ewigkeiten verheiratet. Stella ist eine ehemalige Lehrerin und streng gläubige Katholikin, während Gerry ...

Das Ehepaar Stella und Gerry Gilmore, beide im Ruhestand und in ihren 60ern, sind seit gefühlten Ewigkeiten verheiratet. Stella ist eine ehemalige Lehrerin und streng gläubige Katholikin, während Gerry als ausgebildeter Architekt eine Professur an der Universität Glasgow hat. Nun reisen sie für einen Wochenendtrip nach Amsterdam, ein Geschenk Stellas an ihren Mann zum letzten Weihnachtsfest. Während Stella das Reisegepäck zusammenstellt, hat Gerry nur eine Sorge, denn er muss unbedingt seinen besten Freund, den Whiskey noch unbemerkt in den Koffern unterbringen, denn ohne ihn kommt er nicht über die Runden. Es wird eine Reise ins Ungewisse, denn bei den beiden liegt beziehungstechnisch lange etwas im Argen. Jeder von ihnen hatte andere Vorstellungen von ihrer Ehe und deren Entwicklung. Vielleicht bringt der Kurzausflug ja neue Impulse in ihr Eheleben, zumindest hofft Stella dies insgeheim, auch wenn sie mit dem Reiseziel eigene Pläne verfolgt, möchte sie doch dort einen Beginenhof aufsuchen. Was werden Stella und Gerry auf der Reise miteinander erleben? Und was bedeutet die Reise am Ende für ihre Ehe?
Bernard MacLaverty hat mit seinem Buch „Schnee in Amsterdam“ eine wunderbare, teil melancholische Studie über eine langjährige Ehe vorgelegt und kann den Leser mit einer gefühlvollen, detaillierten und sehr akribischen Beobachtungsgabe sowie einer leisen nuancierten Erzählweise begeistern. Sehr bildhaft und genau lässt er den Leser am Leben des Ehepaars teilnehmen, wobei diesem Stück für Stück auch Dinge aus der Vergangenheit dargeboten werden, die zur Veränderung der Protagonisten beigetragen haben. Nicht nur für Stella und Gerry wird die Reise zu einer emotionalen Achterbahn, auch der Leser lernt die beiden so gut kennen, dass er einiges nachvollziehen kann, bei anderen Dingen aber auch nur den Kopf schüttelt. Während liebevolle Augenblicke und alte Gewohnheiten über die Jahre das gegenseitige Vertrauen und das Eheleben geprägt haben, vergiften spezielle Angewohnheiten und unausgesprochene Dinge aufgrund des Verschweigens das Miteinander. Gerade die Thematisierung letzterer erzeugt ein Gefühl von Resignation und Unzufriedenheit, woraus der Eindruck Hinnehmens bzw. der langsamen Aufgabe resultiert. MacLaverty legt dem Leser eine brillante Studie seine Charaktere vor, die alle Gefühlsregungen abdeckt. Ebenso lässt der Autor die Schauplätze in Amsterdam gleich den Gefühlen seiner Protagonisten auf den Leser wirken und ihn gedanklich jeden Schritt begleiten.
Die Charaktere sind sehr differenziert ausgestaltet mit viel Liebe zum Detail. Sie werden vor dem inneren Auge es Leser regelrecht zum Leben erweckt und begeistern mit prononcierten Konturen, die sie so realitätsnah und gleichsam individuell wirken lassen. Stella ist eine sehr gläubige Frau, die mit Gott insgeheim einen Handel ausgemacht hat. Sie fühlt sich an dieses Versprechen gebunden und möchte dieses nun umsetzen. Ihre Ehe ist ihr eher Last, als dass sie ihr Zufriedenheit und Glück beschert. Doch gleichzeitig ist Stella auch noch nicht wirklich sicher, ob sie ihr Leben so drastisch verändern oder lieber weiterhin mit Gerry leben möchte. Irgendetwas muss sich verändern, denn so, wie es ist, hält sie es nicht mehr aus. Gerry ist seiner Frau sehr zugetan, doch den Alkohol liebt er noch mehr, was ihn zum Betrüger, zum Lügner und zum Heuchler werden lässt. Am meisten macht er sich selbst etwas vor, denn seine Sucht zeigt nicht nur eine Flucht, sondern regelrechte Aufgabe und diese gilt es zu bekämpfen. Damit die beiden überhaupt eine gemeinsame Zukunft haben, müssen sich beide öffnen und eine offene andauernde Kommunikation pflegen, wobei auch neue Erfahrungen und Pläne gehören, die in ihre Welt passen könnten.
„Schnee in Amsterdam“ überzeugt durch die wunderschöne und facettenreiche Erzählweise des Autors, der seine Protagonisten als lebendige Wesen mit Fehlern, Eigenarten und Träumen präsentiert. Ein berührender Roman über eine langjährige Ehe, in der man sich schon mal aus den Augen verlieren kann, ein Wiederfinden aber ebenso möglich ist. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 14.10.2018

Hartes Leben im Dresden des 19. Jahrhunderts

Die Tote im Fechtsaal
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1869 Dresden. Als alleinerziehende Mutter eröffnet Annie eine Fechtschule nur für Frauen, um das Auskommen für sich und ihre Tochter zu sichern, was bei ihrem Vermieter nicht gern gesehen ist. Mit Schutzgeldeintreibern ...

1869 Dresden. Als alleinerziehende Mutter eröffnet Annie eine Fechtschule nur für Frauen, um das Auskommen für sich und ihre Tochter zu sichern, was bei ihrem Vermieter nicht gern gesehen ist. Mit Schutzgeldeintreibern hat sie ebenso Probleme wie mit ihrem Umfeld, doch Annie lässt sich so schnell nicht unterbuttern und kämpft mit allen Mitteln. Eines Tages findet sie eine ihrer Schülerinnen ausgerechnet in ihrem Fechtsaal ermordet auf. Die Tote war eine recht bekannte Tänzerin an der Oper. Da Annie nicht viel Vertrauen in die örtliche Polizei hat, für die sie ohne Beweise schnell als Täterin feststeht, engagiert sie den ehemaligen Staatsanwalt Daniel Raabe, der nun als Privatdetektiv arbeitet und neuen Ermittlungsmethoden recht aufgeschlossen gegenübersteht. Mit ihm zusammen macht sie sich auf Spurensuche und schon bald führen Hinweise zur örtlichen Freimaurerloge. Wird es Daniel und Annie gelingen, den Mord aufzuklären?
Helga Glaesener hat mit ihrem Buch „Die Tote im Fechtsaal“ einen sehr unterhaltsamen und spannenden historischen Kriminalroman vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig und zieht den Leser regelrecht in eine vergangene Zeit, in der Frauen kaum eigenen Geschäften und Tätigkeiten nachkommen konnten ohne einen Mann im Rücken. An der Seite von Annie erlebt der Leser, wie es ist, sich dem Kampf gegen Vorurteile und schiefe Blicke zu stellen und dabei sich und sein Kind allein einigermaßen durchzubringen. Kriminelle vermuten leichtes Spiel, handelt es sich doch um ein Weibsbild, um dort ohne eine Gegenleistung abzukassieren. Annie muss sich all diesem stellen und gerät dann auch noch ins Fadenkreuz der Polizei, die sich kaum Mühe gibt, den wahren Täter zu suchen. Eine Frau aus der untersten Schicht kommt für sie genau richtig, um den Fall schnell zu lösen. Glaesener legt den Spannungsbogen genau richtig an und lässt den Leser schnell zum Mitglied des Ermittlungsteams werden. Die Entdeckung neuer erkennungsdienstlicher Methoden wird sehr schön in die Handlung eingewoben und macht die Geschichte umso spannender. Heute ist eine Mordermittlung ohne diese Entdeckungen gar nicht mehr zu denken. Auch den historischen sowie politischen Hintergrund hat die Autorin wunderbar eingeflochten, so dass ein recht authentisches Bild der damaligen Zeit vor dem Auge des Lesers entsteht.
Die Charaktere sind sehr gut ausgearbeitet und mit individuellen Ecken und Kanten versehen. Sie wirken sehr real und lebensecht, so dass sich der Leser gut in sie hineinversetzen kann, um mit ihnen zu fühlen, zu fiebern und zu hoffen. Annie ist eine sympathische Frau, die für sich und ihr Kind hart arbeiten muss, um über die Runden zu kommen. Sie scheut sich nicht, die Ärmel hochzukrempeln, aber sie lässt sich auch nicht die Butter vom Brot nehmen. Sie ist gewitzt, neugierig und lässt sich nichts gefallen, auch wenn die Widerstände manchmal recht groß erscheinen. Daniel Raabe musste schon einen schweren Schicksalsschlag ertragen, denn er verlor Frau und Kind bei einem Brand. Er ist neuen Ermittlungsmethoden gegenüber aufgeschlossen und nutzt diese, um Ergebnisse zu erzielen. Er stammt aus einer Gesellschaftsschicht, die Annie bisher verschlossen geblieben ist. Gerade deshalb sind die Zusammenarbeit der beiden sowie das langsame Annähern umso interessanter. Protagonisten wie der Zwerg Schmitt geben der Handlung zusätzliche Spannung und laden zum Rätseln ein.
„Die Tote im Fechtsaal“ ist ein sehr fesselnder historischer (Kriminal-)Roman, der Geschichte und Spannung wunderbar miteinander vereint. Verdiente Leseempfehlung für unterhaltsame Lesestunden.

Veröffentlicht am 13.10.2018

Oh Du Fröhliche!

Sieben Tage Wir
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Als Ärztin Olivia Birch von einem Auslandseinsatz nach zum familiären Landsitz in Norfolk reist, um dort im Kreise ihrer Eltern Emma und Andrew sowie der kleinen Schwester Phoebe gemeinsam das Weihnachtsfest ...

Als Ärztin Olivia Birch von einem Auslandseinsatz nach zum familiären Landsitz in Norfolk reist, um dort im Kreise ihrer Eltern Emma und Andrew sowie der kleinen Schwester Phoebe gemeinsam das Weihnachtsfest zu feiern, ahnt sie noch nicht, dass sie der Auslöser für die Quarantäne ist, die über die gesamte Familie für 7 Tage verhängt wird. Ursache ist ein tückischer Virus, den Olivia eventuell aus Liberia eingeschleppt haben könnte und der ihr einiges an Sorge bereitet. Nun sitzen also alle im Haus fest und hocken aufeinander, was so manch einem gegen die Hutschnur geht. Mutter Emma betüddelt alle, während Vater Andrew jedem mit seiner üblen Laune das Leben schwer macht und Phoebe ständig nach Aufmerksamkeit heischt. Jeder schleicht um jeden herum, dauernd darauf bedacht, dass bloß keine der wohlgehüteten Geheimnisse ans Tageslicht kommen. Doch wie das immer so ist mit Geheimnissen, eines steht dann urplötzlich vor der Tür – Überraschung!!!
Francesca Hornak hat mit ihrem Buch „Sieben Tage Wir“ einen sehr unterhaltsamen Roman vorgelegt, der den Leser dauerhaft in Atem hält, weil er immer damit rechnen muss, dass das sich langsam entwickelnde Pulverfass explodiert. Der Schreibstil ist locker-leicht und flüssig, der Leser wird regelrecht eingesaugt in die Geschichte und befindet sich zusammen mit Familie Birch in der gezwungenen Quarantäne, was oftmals spannend, familiär, aber auch manchmal beklemmend und nervtötend ist. Da möchte man dann nur raus. Die Autorin erzählt die Geschichte wunderbar aus verschiedenen Perspektiven, die man gut an den Kapitelüberschriften erkennen kann, so dass der Leser immer einen guten Einblick in die jeweiligen Emotionen und Gedanken erhält und jeden der Protagonisten gut kennenlernt. Durch eingestreute Briefe erhält die Handlung eine zusätzlich besondere Note. Hornak lässt ihre Protagonisten die gesamte Bandbreite der Emotionen durchleben, was sich auch auf den Leser überträgt. Der Spannungsbogen ist gut angelegt und steigert sich während der 7 Tage „Zwangshaft“ immer weiter in die Höhe, da die Emotionen immer mehr hochkochen und die Stimmung immer wieder kippt.
Die Charaktere sind ausgesprochen gut herausgearbeitet und mit Leben versehen. Die Autorin hat ihre Protagonisten sehr individuell angelegt und mit Ecken und Kanten versehen, die sie sehr lebendig, real und authentisch wirken lassen. Olivia ist eine sympathische Frau, die ihren Beruf liebt und sich der Gefahren durchaus bewusst ist, die dieser mit sich bringt. Ihre berechtigte Sorge, alle in Gefahr gebracht zu haben, ist gut nachvollziehbar. Sie hat schon viel erlebt und gesehen, was ihre Persönlichkeit geprägt hat. Mutter Emma ist fürsorglich und um ihre Lieben immer wieder bemüht. Sie ist ein Familienmensch durch und durch, möchte es jedem recht machen. Vater Andrew ist ein Griesgram, denn er fühlt sich in seinem jetzigen Job nicht gefordert, vermisst das Abenteuer und die Gefahr. Seinen alten Job musste er auf Bitten von Emma an den Nagel hängen, was er sie auch spüren lässt und nicht nur sie. Phoebe ist ein egoistisches kleines Miststück, das immer im Mittelpunkt stehen möchte. Wenn es sich nicht um sie dreht, ist sie unausstehlich. Auch die weiteren Protagonisten bringen Spannung in die Handlung und lassen den Leser oftmals den Atem anhalten.
„Sieben Tage Wir“ ist ein sehr unterhaltsamer und emotionaler Roman, der den Leser so manches Mal vor eine Herausforderung stellt: laut zu schreien, um die klaustrophobischen Gefühle los zu werden oder dauerhaft den Kopf zu schütteln ob der vielen Geheimnisse, die innerhalb dieser Familie schlummern. Wie gut, dass es „Tageslicht“ gibt und nichts sich auf ewig verstecken lässt! Tolle Unterhaltung mit verdienter Leseempfehlung!