Erschütternd
Wie Gräser im WindDie Autorin hat in ihrem Roman die Lebensgeschichte ihrer Großeltern festgehalten und daraus eine äußerst bewegende Geschichte geschaffen.
Während in Deutschland 1930 die Rechtspopulisten immer mehr an ...
Die Autorin hat in ihrem Roman die Lebensgeschichte ihrer Großeltern festgehalten und daraus eine äußerst bewegende Geschichte geschaffen.
Während in Deutschland 1930 die Rechtspopulisten immer mehr an Stärke gewinnen, wütet in der Sowjetunion das Regime. Mit der stalinistischen Regierung fällt der Startschuss zur Verfolgung und Eliminierung deutschstämmiger Christen, beginnend auf auch heute wieder umkämpften Halbinsel Krim.
Mitten in der Nacht werden willkürlich Menschen aus ihren Häusern geholt, die nie wieder gesehen werden. "Politische" Säuberungen und Massenexekutionen sind Gang und Gäbe.
Mit der Familie Scholz, Vater Wilhelm, seiner Frau Anna und den Kinder Erich, Rita und Yvo erleben wir die Zwangsrnteignung und die Vertreibung aus ihrer Heimat. Im Arbeitslager in Sibirien wartet ein Leben voller Entbehrungen, unwirtlicher Kälte, Hunger, Krankheiten und Tod auf sie. Beim Lesen begann auch mich zu frieren, denn nicht nur den Scholzes erwartet unermessliches Leid. Hunderttausende von deutschstämmigen Russen wurden eliminiert oder verbannt.
Auch die deutschstämmige Familie Pfeiffer, die im Nordkaukasus lebt, erfährt ein ähnliches Schicksal. Samuel Pfeiffer ist Lehrer und nur durch seine rechtzeitige Flucht entgeht er dem Erschießungskommando. Doch auch in der Fremde werden die Pfeiffers immer wieder denunziert und enteignet.
Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verschlechtert sich die Situation der deutschstämmigen Russen. Sie werden durch den Angriff der Deutschen auf Russland zusätzlich Feinde im eigenen Land. Gefangen zwischen ihrem Glauben, der Sprache und Bräuchen, die ihre Vorfahren, die sich unter Katharina I. ansiedelten, aus Deutschland überlieferten und ihren russischen Wurzeln, stehen sie zwischen den beiden Ländern.
Unwillkürlich fragt man sich beim Lesen, wie viele Schicksalsschläge ein Mensch ertragen kann. Immer wieder bauen sich die beiden Familien, die nur zwei Schicksale von Tausenden aufzeigen, ein neues Zuhause auf, bis sie wiederum vertrieben und enteignet werden. Sie sind vollkommen der Willkür des politischen Systems ausgeliefert. Dabei empfand ich besonders Anna Scholz als unglaublich starke Persönlichkeit. Sie ist eine sehr mutige und engagierte Frau, die versucht aus jeder noch so misslichen Lage etwas Gutes zu schaffen. Ihre uneigennützige Hilfsbereitschaft, der unermessliche Einsatz für ihre Familie und der Zusammenhalt in größter Not macht sie zu einer starken Protagonistin.
Auch die Kinder müssen früh mit Entbehrungen kämpfen. Besonders die Allerkleinsten sind oft zu schwach, um in dieser unwirtlichen Gegend zu überleben. Des Öfteren hatte ich beim Lesen Tränen in den Augen und hoffte und bangte um das Überleben der einzelnen Protagonisten.
Alle Figuren, bis hin zu den Nebencharakteren, sind authentisch und gut ausgearbeitet.
Das Ende ist teilweise offen und so freue ich mich schon auf den Folgeband, den wir gemeinsam ab dem 18. Januar lesen werden.
Mir war die Verfolgung und Enteignung der Deutschrussen bereits aus dem Roman "Roter Herbst in Chortitza: Nach einer wahre Geschichte" von Tim Tichatzki bekannt. Auch er hat die Lebenserinnerungen seiner Schwiegermutter in einem Roman verarbeitet, der bereits 1919 mit dem Sturz des Zaren beginnt und mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zum Abschluss kommt.
Schreibstil:
Ella Zeiss, auch bekannt unter dem Namen Elvira Zeißler, beschreibt sehr anschaulich und mit viel Empathie die Schicksale dieser beiden Familien. Die sehr intensive Geschichte nimmt einem beim Lesen mit. Man ist tief berührt und erschüttert. Die Figuren sind lebensnah gezeichnet.
Der Schreibstil ist flüssig und mitreißend.
Fazit:
Ein berührender und aufwühlender Roman über die Zwangsenteignungen der Deutschrussen unter Stalin. Ein wichtiges zeitgeschichtliches Thema, das nur sehr wenig bekannt ist, wurde in diesem ersten Band der Dilogie von der Autorin mit viel Empathie erzählt. Ich gebe sehr gerne eine Leseempfehlung und freue mich auf Teil 2.