Leichter Unterhaltungsschmöker, interessante Familiensaga und spannendes Sittengemälde in einem.
Stuttgart 1903:
Victor Rheinberger, der noch kurz zuvor im Gefängnis einsaß, wegen der Ausführung eines verbotenen Duells, beschließt freundschaftliche Kontakte zu nutzen und sich nach Stuttgart zu begeben. ...
Stuttgart 1903:
Victor Rheinberger, der noch kurz zuvor im Gefängnis einsaß, wegen der Ausführung eines verbotenen Duells, beschließt freundschaftliche Kontakte zu nutzen und sich nach Stuttgart zu begeben. Victor besitzt ein großes technisches Verständnis und hofft in der Stadt eine Anstellung zu finden, die seinen Fähigkeiten gerecht wird. Als er eines Tages zwei Lausebengel trifft und nur kurze Zeit später einen der kleinen Jungen retten kann, die sich als Söhne des Schokoladenfabrikanten Rothmann entpuppen, nutzt er seine Chance- statt eine großzügige Belohnung vom Vater anzunehmen, bittet er diesen um einen Job in dessen Schokoladenmanufaktur. Dort leistet er tüchtige Arbeit und hat einige Verbesserungsvorschläge parat. Besonders Judith Rothmann, die Tochter, hat ein offenes Ohr dafür, doch deren Vater lehnt diese rigoros ab.
Judith liebt es sowieso, in der Firma ihres Vaters mitzumischen. Besonders hat es ihr die Erfindung neuer Schokoladenkreationen angetan und insgeheim hofft sie, dass ihr Vater irgendwann doch einmal erkennt, wie wichtig sie ist für seinen Betrieb. Doch der hält nicht viel von arbeitenden Frauenzimmern- selbst wenn Judith sich in der Vergangenheit stets als kreative und fähige Hilfe erwies. Obwohl sie heimlich verliebt ist in den Frauenhelden Max, arrangiert ihr Vater, hinter ihrem Rücken, eine bessere Verbindung. Judith soll einen Bankierssohn heiraten, den älteren Bruder einer Freundin, doch als Judith schließlich auf einem Ball vor vollendete Tatsachen gestellt wird, spitzt sich die Lage dramatisch zu, als sie nach der Verkündung, aufgewühlt und verzweifelt, Max in die Arme läuft.
Währenddessen weilt Judiths Mutter im fernen Italien und bekommt von all den dramatischen Verwicklungen nichts mit. Sie begreift dort, dass man stets auf sein Herz hören sollte und fasst einen mutigen Entschluss. Wird er sich jedoch überhaupt umsetzen lassen?
Und auch die Hausangestellten der Rothmanns haben ihr Päckchen zu tragen. So ist einer von ihnen, Robert, unglücklich verliebt in das Stubenmädchen Babette. Als diese eines Tages verschwindet, setzt Robert alle Hebel in Bewegung, sie zu finden…
Bereits bei Erscheinen, im Oktober 2018, wanderte „Die Schokoladenvilla“ auf meinen Wunschzettel, da mich Schleckermäulchen, neben dem interessant klingenden Klappentext, besonders das Reizwort „Schoko“ verlockt hat. Dazu ist auch die Umschlagillustration gelungen- der Roman macht sich wunderbar im Regal. Ebenfalls gefällt es mir, dass auch der Nachfolgeband, der im Oktober 2019 erscheinen wird, mit einem ähnlich gestalteten Cover versehen wurde. Es ist der erste Roman der Autorin für mich und ich war gespannt darauf, ob es ihr gelingen würde, den richtigen Umgangston von Menschen zu treffen, die in besagter Zeitepoche lebten. An Maria Nikolais Schreibstil gibt es nichts zu rütteln, dazu beschreibt sie sehr bildhaft die Örtlichkeiten, die in diesem Roman Erwähnung finden. Besonders gut hat es mir jedoch gefallen, dass man der Romanheldin bei der Pralinenherstellung etwa oder dem Kreieren von neuen Schokoladengeschmacksrichtungen, (als Leser) praktisch über die Schulter schauen darf. Ich fand die gebotenen Einblicke in die Schokoladenherstellung spannend und interessant. Aber auch Erfindungen damaliger Zeit- beispielsweise die ersten Schokoladenautomaten von Stollwerk, finden in diesem Roman Erwähnung. Zwar bekommt man in erster Linie eine Familiesaga geboten, doch fand ich gerade die Einflechtungen aus Musik, Kunst und Kultur lesenswert, die dieses Sittengemälde perfekt abrunden.
Auch die Geschichte um Judith und ihre Familie hat mir im Großen und Ganzen gefallen. Es gibt jedoch ein kleines „aber“. Ich wurde leider nicht so richtig warm mit den Rothmanns. Besonders Judiths Mutter, die fern der Heimat ein neues Leben beginnen möchte, wirkte auf mich ein wenig egoistisch und feige gestrickt. Zwar konnte ich durchaus verstehen dass sie, nach Jahren mit einem ungeliebten Ehemann, nur noch ihre Freiheit wollte, doch dass sie ihre Kinder so einfach zurückließ, gefiel mir nicht so sehr. Daher haben mich die Romanpassagen über sie nicht so wirklich fesseln können.
Und auch Judith mit ihrer Naivität und Geheimniskrämerei, strapazierte Victors Gutmütigkeit ein wenig zu viel. Dazu die Streiche der beiden „Lausebengel“, die für meinen Geschmack etwas zu heftig ausfielen, verleideten mir diese Familie etwas.
Aber es gab ja auch noch Victor, dessen spannende Hintergrundgeschichte und dessen Arbeit an einem neuen Schokoladenautomaten, die ich gespannt und neugierig verfolgt habe. Da reichlich geschieht im Laufe der Geschichte und der Roman flüssig erzählt wird, ist er trotz seiner immerhin 656 Seiten schnell ausgelesen und besonders Victors gut durchdachter aber gewagter Schachzug gegen Ende, sorgt für spannende Momente.
Trotz meiner Abneigung gegenüber gewisser Wesenszüge der Rothmanns, habe ich „Die Schokoladenvilla“ sozusagen „verschlungen“. Maria Nikolai hat hier einen süffigen Unterhaltungsschmöker geschaffen, der in einer spannenden Zeitepoche angesiedelt wurde. Man darf gespannt sein auf die Fortsetzung „Die Schokovilla- Goldene Jahre“.
Fazit: Leichter Unterhaltungsschmöker, interessante Familiensaga und spannendes Sittengemälde in einem.