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Veröffentlicht am 23.10.2018

Für Freunde des Hardboiled-Genres ein absolutes Muss!

Das dunkle Herz der Stadt
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George Pelecanos, amerikanischer Autor mit griechischen Wurzeln, ist in Washington D.C. aufgewachsen. Und es ist das Leben in dieser Metropole, die sein Schreiben geprägt hat, die in seinen Romanen immer ...

George Pelecanos, amerikanischer Autor mit griechischen Wurzeln, ist in Washington D.C. aufgewachsen. Und es ist das Leben in dieser Metropole, die sein Schreiben geprägt hat, die in seinen Romanen immer wieder in den Vordergrund drängt. So auch in „Das dunkle Herz der Stadt“, dem Abschlussband der Nick Stefanos-Trilogie, erstmals 1995 erschienen, nun endlich auch von Karen Witthuhn sehr stimmig ins Deutsche übersetzt und in dem fränkischen Verlag ars vivendi erschienen. Bleibt zu hoffen, dass der Roman viele Leser findet – verdient hätte er es allemal, auch wenn die Hauptfigur Nick Stefanos nicht der typische Sympathieträger ist. Ex, das ist das vorherrschende Persönlichkeitsmerkmal von Stefanos. Ex-Cop und Ex-Privatdetektiv, ein Säufer, der die Spirituosen auf Ex kippt, zu denen er durch seinen Job als Barkeeper unbeschränkten Zugang hat.

Als er nach einem seiner Alkoholexzesse völlig derangiert am Flussufer erwacht, erinnert er sich vage daran, dass er in der vergangenen Nacht den gedämpften Knall eines Schalldämpfers gehört haben könnte. Gehört haben könnte, wie jemand ermordet wurde. Er hat sich nicht getäuscht, die Leiche eines Jugendlichen wird im Wasser gefunden. Aber interessiert sich jemand für die Aufklärung? Für die Polizei ist es nur ein Fall unter vielen. Ein ermordeter schwarzer Teenager? Schnell erledigt, ganz klar eine Gang-Geschichte, ein Junkie, Drogen - kann man ad acta legen. Nicht so Nick, der Zweifel an dieser Theorie hegt, vor allem, weil auch ein Freund des Mordopfers von der Bildfläche verschwunden ist. Da ist er wieder, sein Schnüfflerinstinkt, der ihm keine Ruhe lässt. Und der so heftig an ihm nagt, dass er die Nachforschungen selbst in die Hand nimmt, unterstützt von Jack LaDuke, der Auftrag hat, den vermissten Freund des Opfers zu finden.

Es gibt zwei Protagonisten in diesem Kriminalroman. Einerseits natürlich Nick Stefanos, der uns aus der Ich-Perspektive an den Ermittlungen in diesem Fall sowie auch äußerst ausführlich an seinem Leben teilnehmen lässt. Zum anderen die Unterwelt von Washington, Hauptstadt am Potomac, nicht glitzernd und glänzend sondern trostlos, dunkel und dreckig und kalt, deren Darstellung über die Jahre sich der Autor verschrieben hat. Er nimmt uns mit in die verrufenen Viertel, in die Sozialbauten, die „Projects“, wo die Verlierer des amerikanischen Traums hausen. Es ist eine Reise in die Finsternis, authentisch gestaltet durch Filmtitel, Automarken und natürlich die allgegenwärtige Musik aus dem Autoradio.

Nix für Zartbesaitete, aber für Freunde des Hard boiled-Genres ein absolutes Muss!

Veröffentlicht am 30.08.2024

Am Puls der Zeit

Slough House
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Mit Spionageromanen ist das zugegebenermaßen so eine Sache. Oft finde ich die detailreich beschriebenen Aktionen der Agenten ziemlich ermüdend. Mein Interesse ist allerdings sofort geweckt, wenn es Verbindungen ...

Mit Spionageromanen ist das zugegebenermaßen so eine Sache. Oft finde ich die detailreich beschriebenen Aktionen der Agenten ziemlich ermüdend. Mein Interesse ist allerdings sofort geweckt, wenn es Verbindungen zu aktuellen Geschehnissen gibt. Und wessen Romane wären dazu besser geeignet als die von Mick Herron, Autor der „Slow Horses“ Reihe, der es wie kein anderer versteht, Bezüge zu dem politischen Tagesgeschäft in GB mit einer gehörigen Portion Sarkasmus herzustellen. So auch in „Slough House“; Band 7 der Reihe.

Nach dem Du-weißt-schon-was hat sich die politische Landschaft in GB verändert. Gelbwesten-Protestler bevölkern die Straßen und lösen bei den Politikern Schnappatmung aus, fragwürdige Nachrichten buhlen in den Kanälen eines solventen Medienmoguls um Aufmerksamkeit, ein russischer Agent wird ermordet. Und das ist nur die Spitze des „Eisbergs der schmutzigen Geschäfte“, die Diana Tavener und Peter Judd, beide hinlänglich aus den Vorgängern bekannt, einmal mehr am Laufen haben.

Es zeigt sich, dass im Regent’s Park das Tagesgeschäft noch immer nach den gleichen alten Regeln abläuft, à la auch wenn es nicht immer hasenrein vonstattengeht, sieh zu, dass du den größtmöglichen persönlichen Vorteil aus deinen Aktionen ziehst. Und wenn dabei Menschenleben geopfert werden müssen, sind das lediglich Kollateralschäden, die dir keine schlaflosen Nächte bereiten sollten.

Wie gewohnt jongliert Herron mit diversen Handlungssträngen, die alle direkt oder indirekt Lambs Truppe betreffen. Warum wurden die persönlichen Daten der Slow Horses aus den Regierungscomputern gelöscht? Wer ist für den Tod seiner beiden ehemaligen Joes verantwortlich? Und wenn die Einschläge näher kommen, ist dann etwa die gesamte Truppe in Lebensgefahr? Üblicherweise ist Jackson Lamb ja gegenüber allem und jedem absolut gleichgültig, aber wehe, es hat jemand auf seine Joes abgesehen, dann ist Schluss mit lustig, denn das lässt sich mit seinem Ehr- und Verantwortungsgefühl nicht vereinbaren.

Im Original 2021 erschienen, liegen die realen Ereignisse, die den Hintergrund für die Story bilden, doch schon etwas zurück. Aber mit Sicherheit sind die Meldungen noch in den Köpfen der Leser/Leserinnen präsent, haben sie doch über einen längeren Zeitraum Nachrichten und Titelseiten diverser Zeitschriften beherrscht d.h. die Vorbilder aus Politik und Öffentlichkeit sind unschwer zu erkennen. Allerdings hätte ich mir eine etwas mutigere Interpretation der Geschehnisse seitens Herron gewünscht, denn hier bedient er leider dann doch nur die gängigen Narrative. Aber das ist Mäkeln auf hohem Niveau, meine Begeisterung für die Ergänzung dieser außergewöhnlich unterhaltsamen Reihe wird dadurch nicht angetastet.

Aber was ja überhaupt nicht geht, ist dieser fiese Cliffhanger am Schluss. Müssen wir jetzt wirklich ein Jahr auf die Auflösung warten?

Veröffentlicht am 06.09.2022

Unterhaltsames zur Lage der Nation

London Rules
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Was haben ein abgelegenes Dorf in den East Midlands, tote Pinguine, eine Bombe in einem Zug nach Paddington und die Entführung von Roddy Ho gemeinsam? Haben sie, oder haben sie nicht? Zufall oder Masterplan? ...

Was haben ein abgelegenes Dorf in den East Midlands, tote Pinguine, eine Bombe in einem Zug nach Paddington und die Entführung von Roddy Ho gemeinsam? Haben sie, oder haben sie nicht? Zufall oder Masterplan? Terrorismus? Natürlich gilt es herauszufinden, wer hinter all diesen Aktionen steckt. Die Beantwortung dieser Fragen ist die Aufgabe, die die Slow Horses lösen müssen, wenn sie ihren nerdigen Mitstreiter wiedersehen möchten. Obwohl man durchaus leise Zweifel anmelden könnte, ob sie das überhaupt wollen, denn weder ist Ho beliebt noch gibt es einen Teamspirit innerhalb dieser sich ständig im Fluss befindlichen Gruppe von kaltgestellten Geheimdienstlern Ihrer Majestät. Aber er ist einer der Ihren, von daher alles im grünen Bereich.

Anfangs tappen sie im Dunkeln, alle, bis auf J.K. Coe, den psychopatischen Neuankömmling mit den Kopfhörern aus dem vorherigen Band. Zum einen ist er davon überzeugt, dass es einen Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen gibt, sie ergo von ein und demselben Team verübt worden sind, zum anderen erkennt er, dass sich die Vorgehensweise an ein altes Dossier des Geheimdienstes anlehnt, das Anweisungen zur Destabilisierung unterentwickelter Staaten gibt. Aber wer hat ein Interesse daran, es ausgerechnet jetzt zum Einsatz zu bringen und warum?

Das Original der „London Rules“ ist 2018 erschienen, also zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum. Und wie immer verkneift es sich Mick Herron nicht, den Zustand der Nation höchst ironisch und mit Seitenhieben auf die realen politischen Zustände im Land in diesen fünften Fall der Slow Horses einzuarbeiten. Herrlich, die satirische Beschreibung des tumben Europa skeptischen Abgeordneten, der nach dem Posten des Premiers schielt und seiner ehrgeizigen Ehefrau, die in ihren Kolumnen in einer Boulevardzeitung seinen Konkurrenten in wenig subtiler Art an den Pranger stellt.

Auch wenn ich die Dialoge liebe, die erfrischenden und respektlosen, politisch inkorrekten Aussagen, ist es für mich ein eher schwächerer Band der Reihe. Zu oft wird die Handlung durch endlose Diskussionen und Wiederholungen ausgebremst, was Längen generiert und Kernaussagen verwässert. Dennoch tut dies meiner Liebe für die Lahmen Gäule von Slough House keinen Abbruch, den jede/r einzelne dieser Agenten auf dem Abstellgleis hat mehr Ehre im Leib, als inkompetente Politiker wie der Premier (ein kritischer Blick auf die neugewählte Premierministerin Liz Truss sei gestattet) und die verschlagenen Handlanger vom Geheimdienst, allen voran Claude Whelan, dessen gesamtes Handeln an der ersten London Rule „Rette deinen A...h“ ausgerichtet ist. Und diese Menschen maßen sich an, über Wohl und Wehe der Nation zu entscheiden?

Veröffentlicht am 04.12.2024

Alles wird gut

Das Tagebuch im Waschsalon der lächelnden Träume
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„Jeder braucht seinen eigenen Ozean, in dem er sich ausweinen kann. In Yeonnam-dong gibt es ein kleines Meer, in dem weiße, schäumende Wellen Tränen und Kummer fortspülen.“ (S. 295)

Buchhandlung, Restaurant, ...

„Jeder braucht seinen eigenen Ozean, in dem er sich ausweinen kann. In Yeonnam-dong gibt es ein kleines Meer, in dem weiße, schäumende Wellen Tränen und Kummer fortspülen.“ (S. 295)

Buchhandlung, Restaurant, Lädchen, Café, Keramikwerkstatt...und nun also ein Waschsalon. Kim Jiyuns Debüt „Das Tagebuch im Waschsalon der lächelnden Träume“ reiht sich nahtlos in die Reihe der Romane aus dem asiatischen Raum ein, in denen Menschen in ihrem Alltag nicht nur unverhoffte Hilfe an unspektakulären Orten bekommen, sondern durch kleine, unverhoffte Wunder auch zu persönlichem Wachstum angeregt werden.

Jiyun nimmt uns mit nach Seoul in den Stadtteil Yeonnam-dong. Dort befindet sich der Binggul-Binggul-Waschsalon, ein unspektakulärer Ort mit einem heimeligen Duft von Baumwolle und Bernstein, der seine Magie aus dem hellgrünen Tagebuch bezieht, das dort auf dem Tisch liegt. Woher kommt es, wer hat es dort deponiert oder wurde es einfach nur vergessen? Niemand weiß es.

Die unterschiedlichsten Menschen des Viertels nehmen es in die Hand, blättern durch und lesen die Einträge. Und manch eine/r nutzt es auch, um sich Kummer von der Seele zu schreiben. Banale Zeilen wechseln sich mit Einträgen von Menschen ab, die existenzielle Probleme haben, mit ihrem Leben hadern und sich in persönlichen Krisensituationen befinden. Einsamkeit, Geldprobleme, beruflicher Stillstand, familiäre Krisen, all das treibt die Kunden des Waschsalons um, bringt sie an den Rand der Verzweiflung, lässt sie nicht nur auf tröstende Worte von Unbekannten hoffen, die ihre Zeilen kommentieren, sondern dann und wann durch ihr Eingreifen auch kleine Alltagswunder und somit positive Veränderungen bewirken können.

Eine Familie, die sich ihre Wohnung nicht mehr leisten kann. Ein Straßenmusiker, der von einer Musikerkarriere träumt. Eine Drehbuchschreiberin, die endlich den großen Wurf landen möchte. All diese Einzelschicksale verbinden sich im Lauf des Romans zu einer runden Geschichte, zusammengehalten von dem älteren Herrn Jang, einem Apotheker im Ruhestand, der durch seine hilfsbereite Art zum Dreh- und Angelpunkt dieser Gemeinschaft wird, obwohl er eigene Probleme mit seinen geldgierigen Sohn hat.

Wer einen schönen, leichten Feel good-Roman sucht, der das Gefühl von Gemeinschaft, Zusammenhalt und Mitmenschlichkeit in diesen rauen Zeiten stimmig transportiert (inklusive der gemeinsamen Verfolgung eines Betrügers), ist mit „Das Tagebuch im Waschsalon der lächelnden Träume“ bestens bedient und sollte hier zugreifen.

Veröffentlicht am 25.11.2024

Sympathische Protagonisten und spannende Handlung

Hildur – Der Schatten des Nordlichts
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Seit einiger Zeit halte ich wieder Ausschau nach Kriminalromanen aus Europas Norden, die möglichst Teil einer Reihe sind. Warum Reihen? Natürlich sollte der Kriminalfall im Zentrum stehen, aber ich erfahre ...

Seit einiger Zeit halte ich wieder Ausschau nach Kriminalromanen aus Europas Norden, die möglichst Teil einer Reihe sind. Warum Reihen? Natürlich sollte der Kriminalfall im Zentrum stehen, aber ich erfahre gerne mehr über die Protagonisten, warum sie wie handeln, Details zu ihrer Biografie, aber auch zu den kulturellen Eigenheiten der Gesellschaft, in der sie ihren Beruf ausüben.

All das bietet die mittlerweile dreibändige Hildur-Reihe der gebürtigen Finnin Satu Rämö, die mit ihrer Familie in Ísafjörður, einer Kleinstadt im Nordwesten Islands lebt, also genau in der Gegend, für die die Polizistin Hildur Rúnarsdóttir mit ihrem finnischen Praktikanten Jakob verantwortlich ist. Die beiden sind keine unbeschriebenen Blätter, ihre Biografie nimmt deshalb auch fast genau so viel Raum ein wie die Krimihandlung. Deutlich wird das vor allem an den Originaltiteln: Hildur (Bd. 1), Rósa & Björk (Bd. 2) und Jakob (Bd. 3), was zeigt, dass in jedem der Bände eine Person ganz besonders ausgeleuchtet wird. Aber diese personalisierten Titel sind auch ein Hinweis auf die Übermittlung zusätzlicher Informationen, die zum einen Verbindungen zwischen den Einzelbänden schaffen, zum anderen uns die Protagonisten näher bringen. Für mich funktioniert dieses Konzept gut, auch wenn ab und zu die eigentliche Krimihandlung dadurch in den Hintergrund gedrängt wird.

Noch kurz zum Inhalt: Der Tote im Netz der Lachszucht ist erst der Anfang. Immer wieder tauchen Opfer auf, bei denen deren Zurschaustellung und/oder die Mordmethode Verbindungen zu der isländischen Sage von den 13 Weihnachtsgesellen aufweist. Gleichzeitig verschwinden auf den Pferdehöfen der Umgebung temporär immer wieder trächtige Stuten.

Es gibt also für Hildur einiges zu tun, zumal sie aktuell auf Jakob verzichten muss. Er ist zu einem Gerichtstermin nach Finnland gereist, damit die Torpedierungen des Sorgerechts durch seine geschiedene Frau endlich ein Ende haben. Aber es kommt ganz anders, denn es dauert nicht lange, bis er des Mordes verdächtigt wird. Hildur lässt alles stehen und liegen und macht sich auf den Weg, um Jakobs Unschuld zu beweisen.

Ein spannender, vielschichtiger Kriminalroman mit sympathischen Protagonisten und wunderschönen Landschaftsbeschreibungen, hervorragend von Gabriele Schrey-Vasara übersetzt, den ich ohne Einschränkung all denjenigen empfehlen kann, die auch an dem Privatleben der Ermittler Interesse haben.

Nachbemerkung: Ursprünglich war die Hildur-Reihe als Trilogie geplant, aber nach deren Erfolg wird sie glücklicherweise fortgesetzt. Band 4, Originaltitel „Rakel“ wird bei Heyne im August 2025 unter dem Titel „Hildur – Die Toten am Meer“ erscheinen.