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Veröffentlicht am 03.11.2018

Nichts währt ewig

Mittagsstunde
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„Mittagsstunde“ ist ein Heimatroman. Wer allerdings idyllischen Kitsch à la Förster-im-Silberwald erwartet, wird enttäuscht sein. Ihr geht es eher darum zu zeigen, was das dörfliche Leben ausmacht und ...

„Mittagsstunde“ ist ein Heimatroman. Wer allerdings idyllischen Kitsch à la Förster-im-Silberwald erwartet, wird enttäuscht sein. Ihr geht es eher darum zu zeigen, was das dörfliche Leben ausmacht und wie es sich im Lauf der Jahre verändert hat.

Brinkebüll, in kleines Dorf in Nordfriesland. Ingwer Feddersen ist dort geboren, aufgewachsen und weggegangen, hat studiert, lebt jetzt in einer Dreier-WG in Kiel und kommt an den Wochenenden zurück, um seine mittlerweile tütteligen Großeltern zu versorgen. Mit seinen Augen sehen wir auf die Veränderungen, den Wandel, der auch vor Brinkebüll nicht Halt gemacht hat. Er ist ein Wanderer zwischen zwei Welten, der sich in keiner der beiden richtig heimisch fühlt. Da ist einerseits das großstädtische Leben, in dem jeder für sich ist, andererseits aber auch der dörfliche Kokon, in dem jeder von jedem alles weiß. Wer Frau und Kinder schlägt oder nicht ganz richtig im Kopf ist. Wo man die Eigenheiten des anderen kennt und toleriert. Ein Ort der Sicherheit, Beständigkeit.

Aber nichts währt ewig, es ist die große Flurbereinigung in den sechziger Jahren, die die Moderne einläutet. Äcker werden begradigt, neu verteilt, zusammengelegt, um die Bewirtschaftung zu optimieren. Ein Schlag mit der Axt, der alte Strukturen aufbricht, Vertrautes verschwinden lässt, das Leben im Geestdorf nachhaltig verändert.

Ein Roman über Verwurzelung, über Kindheit und Erwachsenwerden, über Weggehen und Heimkommen. Nie sentimental, aber immer mit einem melancholischen Blick auf das, was verloren ist. Um mit Joni Mitchell zu sprechen: „Du weißt nicht, was du hattest, bis es verschwunden ist…sie haben das Paradies gepflastert und einen Parkplatz daraus gemacht“ (übersetzte Textzeile aus: Big yellow taxi).

Veröffentlicht am 25.10.2018

Die Cevennen müssen brennen

Brennende Cevennen
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„Urlaubskrimis“ gibt es wie Sand am Meer, speziell Frankreich hat es offenbar nicht nur den Autoren sondern auch den Lesern angetan. Besonders seit den Erfolgen von Jean-Luc Bannalecs Bretagne-Krimis wird ...

„Urlaubskrimis“ gibt es wie Sand am Meer, speziell Frankreich hat es offenbar nicht nur den Autoren sondern auch den Lesern angetan. Besonders seit den Erfolgen von Jean-Luc Bannalecs Bretagne-Krimis wird der Buchmarkt regelrecht mit Krimis überschwemmt, deren Handlungsorte bei unseren westlichen Nachbarn verortet sind. Ein weißer Fleck auf der Landkarte war bis vor Kurzem das Département Ardèche, aber mittlerweile ist auch diese Lücke durch Anne Chaplet aka Cora Stephan geschlossen, die sich für ihre neue Krimireihe mit der ehemaligen Anwältin Tori Godon das Vivarais am Fuße der Cevennen ausgesucht hat.

Eine faszinierende, geschichtsträchtige Gegend, in der Chaplet seit vielen Jahren lebt. Geprägt von den Hugenotten und den Kamisardenkriegen, ehemals das Zentrum der Seidenspinnerei. Eine Landschaft mit Höhlen, der Garrigue und undurchdringlichen Wäldern, Schaf- und Ziegenherden, kleinen Dörfern, in denen die Zeit stehengeblieben scheint. Wie in Belleville.

Doch manchmal kann die ländliche Idylle auch trügerisch sein, so auch in Chaplets „Brennende Cevennen“, dem zweitem Band um und mit Tori Godon, in dem eine Reihe von mysteriösen Wald- und Weidebränden Keile zwischen die Alteingesessenen und die zugezogenen Aussteiger, „Expats“ wie Chaplet sie verständnisvoll nennt, treibt. Es gilt den Schuldigen zu finden, ehe es weitere Todesopfer gibt und noch mehr Menschen zu Schaden kommen. Müssen die Cevennen tatsächlich brennen, damit die Zugezogenen verschwinden? Das Zusammenleben schien doch relativ konfliktfrei zu funktionieren? Aber dann wird auch Tori mittels eines einen anonymen Drohbriefs direkt angegangen. Sie, die sich über das französische Erbe ihres Mannes mit dem Dorf und seinen Bewohnern identifiziert. Gemeinsam mit Nico, einem Freund und ehemaligen Drogenfahnder, versucht sie Licht ins Dunkel zu bringen und Schaden von ihrer neuen Heimat abzuwenden.

Anne Chaplet liebt ihre zweite Heimat, hat viel Sympathie für die knorrigen Bewohner, die in weiten Bereichen so unzugänglich wie die Landschaft sind. Die Krimihandlung ist zwar in weiten Teilen so lala, ziemlich beliebig und kann mich nicht recht überzeugen. Was aber bereits in Band 1 „“Tiefe Schluchten“ mein Interesse geweckt hat, sind die Informationen zur Historie, die sie gekonnt in die Handlung einarbeitet und die dazu animieren, sich in die Geschichte dieser Region zu vertiefen. Im Idealfall natürlich vor Ort!

Veröffentlicht am 25.10.2018

Über das Leben in Kriegszeiten

Manhattan Beach
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Nach „Der größere Teil der Welt“, dem 2011 unter anderem mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten genialen Roman der Amerikanerin Jennifer Egan, überrascht die Autorin nun mit „Manhattan Beach“, einem historischen ...

Nach „Der größere Teil der Welt“, dem 2011 unter anderem mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten genialen Roman der Amerikanerin Jennifer Egan, überrascht die Autorin nun mit „Manhattan Beach“, einem historischen Roman, für den sie laut einem Interview seit 2004 Recherchen über das Leben in New Yorks während des Zweiten Weltkriegs betrieben hat.

Die Geschichte beginnt in 1934 in Brooklyn, als die elfjährige Anna gemeinsam mit ihrem Vater Eddie dem Mobster Dexter Styles einen Besuch in dessen Haus in Manhattan Beach abstattet. Eddie hat während der Wirtschaftskrise seine Stelle als Börsenmakler verloren, arbeitet mittlerweile für einen zwielichtigen Typen und sucht einen neuen, besserbezahlten Job, um die Versorgung von Annas schwerbehinderter Schwester sicherzustellen. Siebzig Seiten später sind wir bereits im Jahr 1942. Es ist Krieg, Eddie ist spurlos verschwunden und Anna hat die Rolle der Ernährerin für Mutter und Schwester übernommen. Auch sie leistet ihren Beitrag zum Krieg, indem sie auf der Werft in Brooklyn arbeitet, wünscht sich aber nichts sehnlicher, als Marinetaucherin zu werden, ein in der damaligen Zeit unvorstellbarer Berufswunsch. Trotz aller Widerstände gibt sie sich nicht geschlagen und verfolgt ihren großen Traum so lange, bis ihrem Einsatz unter Wasser nichts mehr im Wege steht. Und genauso beharrlich sucht sie nach ihrem Vater, über dessen Verbleib sie sich Informationen von Dexter Styles erhofft.

Es sind unglaublich viele Details aus den verschiedensten Bereichen, die Egan in ihren Roman einflicht. Zum einen geht es natürlich um die Emanzipationsbestrebungen einer Frau, die sich ihren Platz in einem männlich geprägten Berufsfeld erkämpfen will, es geht um das Leben und Sterben der Männer im Krieg und nicht zuletzt um das Leben der Einwanderer sowie um das organisierte Verbrechen der New Yorker Unterwelt. Und Egan beschreibt diese unterschiedlichen Themen nicht nur spannend sondern auch sehr interessant.

Anna, Eddie und Dexter - drei wechselnde Perspektiven, jeweils in der dritten Person sehr anschaulich erzählt, nehmen den Leser mit auf eine atmosphärische Reise in das Leben in Kriegszeiten im „Big Apple“.

Veröffentlicht am 25.10.2018

Die Maden in der Zuckermelone

Der Outsider
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Ein elfjähriger Junge wird geschändet und ermordet aufgefunden, und alle Zeugenaussagen deuten auf Terry Maitland, den allseits beliebten Trainer des Jugend-Baseball Teams als Täter hin, der schließlich ...

Ein elfjähriger Junge wird geschändet und ermordet aufgefunden, und alle Zeugenaussagen deuten auf Terry Maitland, den allseits beliebten Trainer des Jugend-Baseball Teams als Täter hin, der schließlich vor den Augen des vollbesetzten Stadions verhaftet und abgeführt wird. Nicht nur der zuständige Detective sowie der Staatsanwalt sind sich ihrer Sache völlig sicher, auch die Einwohner von Flint City wollen Maitland hängen sehen. Die Indizien sind eindeutig, oder etwa doch nicht? Denn im Laufe der Untersuchung stellt sich heraus, dass es unumstößliche Beweise dafür gibt, dass der Verhaftete zum Tatzeitpunkt an einer Veranstaltung für Englisch-Lehrer teilgenommen hat. Erst als Holly Gibney, King-Lesern bekannt aus der Mercedes-Trilogie und bekennende Cineastin, den entscheidenden Hinweis gibt, stellen die Verantwortlichen fest, dass es offenbar doch Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die sich nicht so einfach erklären lassen. Aber für Terry Maitland und die Familie des Opfers kommt diese Einsicht leider zu spät.

Diesmal also nicht Derry, Maine sondern Flint City in Oklahoma, Mittlerer Westen (65,3 % für Trump, 28,9 % für Clinton), später nahe Austin, Texas, beides traditionell konservative Staaten. Ich gehe davon aus, dass sich Stephen King etwas dabei gedacht hat, als er die Kleinstadt Flint als Handlungsort für seinen neuen Roman „Der Outsider“ auserkoren hat. In Ansätzen mag er hier eine Bestandsaufnahme des heutigen Amerika unter Trump gemacht haben, aber die Belege dafür sind mir dann doch etwas zu mager. „Make America great again“-Mützen, ein paar Trump-Schilder und ein Autoaufkleber „Ich bin für Hillary“ – das war’s dann aber auch schon. Der Hass gegen den pädophilen Mörder, der aus den Einwohnern von Flint einen Lynchmob macht, ist nicht typisch amerikanisch. Das könnte in der Tat überall passieren. Und auch die Verbreitung „offizieller“ Informationen/Nachrichten, ganz gleich ob Fake oder nicht, ist mittlerweile durch die Konzentration im Pressebereich und die schnelle Verbreitung via Social Media weltweit gesichert. Am ehesten geht hier für mich noch die Zuckermelone voller Maden als Anspielung auf das heutige Amerika durch: außen hui und innen pfui.

„Der Outsider“ kommt in typischer King-Manier daher. Allerdings gilt es gerade zu Beginn eine längere Durststrecke (ca. 150 Seiten) zu überwinden, in der die diversen Zeugenaussagen protokolliert werden. Erst danach kommen die bekannten Zutaten zum Einsatz und der Krimi wechselt das Gewand in Richtung Horrorthriller, wobei die Schlusssequenz meiner Meinung nach etwas zu versöhnlich ausfällt. Aber vielleicht wird Stephen King langsam auch altersmilde…

Veröffentlicht am 23.10.2018

Ein gefälliger Schmöker für dunkle Herbsttage

Die Suche
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Scarborough, North Yorkshire, an der englischen Ostküste. Auf der einen Seite die Nordsee, auf der anderen Seite die Hochmoore des North York Moors Nationalparks. Mädchen verschwinden, spurlos, und als ...

Scarborough, North Yorkshire, an der englischen Ostküste. Auf der einen Seite die Nordsee, auf der anderen Seite die Hochmoore des North York Moors Nationalparks. Mädchen verschwinden, spurlos, und als nach einem Jahr vergeblicher Suche endlich eine Leiche auftaucht, macht schnell die Rede vom Hochmoor-Killer die Runde. Von außen betrachtet sind die betroffenen Familien intakt, schaut man aber genauer hin erkennt man deren Dysfunktionalität.

Aber Scarborough ist auch die Heimat von Kate Linville, DS bei Scotland Yard, die momentan vor Ort ist, um ihr total verwüstetes Elternhaus für den geplanten Verkauf auf Vordermann bringen zu lassen. Da sich auch die Tochter ihrer Bed & Breakfast Vermieter unter den Verschwundenen befindet, bitten diese um ihre Hilfe, obwohl für den Fall eigentlich DCI Caleb Hale von der hiesigen Polizei zuständig ist. Link-Lesern sind die beiden bereits aus dem 2015 erschienenen Kriminalroman „Die Betrogene“ bekannt, an den die Autorin in „Die Suche“ lose anknüpft. Was diese beiden angeht, ist noch alles beim Alten: Linville, die talentierte Ermittlerin, ist noch immer das graue Mäuschen ohne Selbstbewusstsein auf der Suche nach Akzeptanz und einer Beziehung, Hale ist ein Abhängiger und ist sich dessen auch bewusst, kämpft jeden Tag mit seiner Alkoholsucht. Mir war das etwas zu leblos und holzschnittartig, ich hätte mir etwas mehr Tiefgang gewünscht.

Auf 656 Seiten breitet Charlotte Link diesen Fall aus, wobei der Story eine Straffung sicherlich gut getan hätte. Die erste Hälfte erschöpft sich in endlosen Wiederholungen, es sind keinerlei Fortschritte im Handlungsverlauf zu erkennen. Alles ist klein klein, jedes Detail wird bis zum Äußersten ausgereizt, weshalb die Lektüre in diesem Stadium äußerst ermüdend für den Leser ist. In der zweiten Hälfte nimmt die Geschichte dann aber glücklicherweise Fahrt auf, entwickelt Spannung und weckt das fast erloschene Interesse des Lesers.

Was man Link zugutehalten muss, sie verliert nie den Überblick und schafft es, die verschiedenen Perspektiven – Linville, Hale, Opfer, Familien und Entführer – schlüssig weiterzuentwickeln, das große Ganze im Auge zu behalten und schlussendlich zu einem befriedigenden Ende zu bringen.

Fazit: Ein gefälliger Schmöker für dunkle Herbsttage, der Durchhaltevermögen erfordert und keine großen Ansprüche an den Leser stellt.

Bei der Bewertung habe ich zwischen drei und vier Sternen geschwankt und mich letztlich für vier entschieden, da die Autorin das geliefert hat, was man von ihr erwartet.