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Veröffentlicht am 23.10.2018

Vom Hauptstadtzoo ins Zentrum der russischen Macht

Guten Morgen, Genosse Elefant
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Der zwölfjährige Juri Zipit wohnt im Jahr 1954 mit seinem Vater, der als Tierarzt arbeitet, in einer Personalwohnung des Hauptstadtzoos in Moskau. Mit sechs Jahren hatte er einen schweren Unfall. Seither ...

Der zwölfjährige Juri Zipit wohnt im Jahr 1954 mit seinem Vater, der als Tierarzt arbeitet, in einer Personalwohnung des Hauptstadtzoos in Moskau. Mit sechs Jahren hatte er einen schweren Unfall. Seither vergisst er häufiger Dinge und hat gelegentlich Anfälle. Eines Abends wird sein Vater vom Geheimdienst abgeholt, um einen Patienten zu behandeln. Juri begleitet ihn als Assistent. Die Überraschung ist groß, als der Patient kein Tier ist, sondern der Stählerne höchstpersönlich, der überzeugt ist, dass alle Humanmediziner Verschwörer sind. Er ist von Juris liebem Gesicht und scheinbar einfachen Charakter so angetan, dass er ihn auf der Stelle zu seinem neuen Vorkoster ernennt. So erlebt Juri hautnah, was im Zentrum der russischen Macht vor sich geht.

Juri ist ein ganz besonderer Charakter, der sich dem Leser zu Beginn des Buches selbst vorstellt. Er lebt mit seinem Vater im Zoo und hat sich damit abgefunden, dass er seit seinem Unfall sechs Jahre zuvor oft Wörter oder Erinnerungen vergisst und an Epilepsie leidet. Denn gleichzeitig ist er sehr wissbegierig und kennt sich mit vielen Dingen aus, von denen seine Klassenkameraden keine Ahnung haben. Außerdem hat er ein liebes, stets lächelndes Gesicht, das dazu führt, dass ihm Fremde ständig vertrauliche Dinge erzählen, die er gar nicht hören will. Seine Mutter war Ärztin und einfach verschwunden, als er fünf Jahre alt war. Auch sein Vater lebt in ständiger Angst, eines Tages abgeholt zu werden und hat Juri eingeschärft, im Ernstfall so wenig wie möglich zu sagen.

Als die Geheimpolizei Juri und seinen Vater eines abends tatsächlich mitnimmt, passiert das aus ganz anderen Gründen als erwartet. Sie werden zum kranken Stählernen geführt, der von Juris Vater begutachtet werden soll. Dessen Diagnose gefällt ihm nicht, doch Juri will er als Vorkoster behalten. So gerät Juri völlig unvorbereitet in ein Schlangennest, in dem alle einander hintergehen und ihre eigene Agenda verfolgen. Von seiner Arglosigkeit wollen verschiedene Personen profitieren und versuchen ihn für ihre persönlichen Zwecke einzuspannen.

Juri sieht und erlebt vieles, dass er nicht ganz versteht. Zu Beginn realisiert er nicht einmal, dass er tatsächlich für Stalin arbeitet. Von seinem neuen Umfeld als einfältig abgestempelt erlebt er als stummer Zuhörer manch streng geheime Szene mit. Seine erschreckenden Schilderungen machten mich als Leser betroffen und zeigen die Willkürlichkeit, mit der in totalitären Systemen Entscheidungen über Leben und Tod getroffen werden.

Das Leben als Vorkoster ist ein Tanz auf Messers Schneide, denn viele sind schon an Gift gestorben. Er schwebt in ständiger Gefahr und ist auf sich allein gestellt. Seine Erlebnisse als Vorkoster enthielten für mich jedoch zu viele wiederkehrende Beschreibungen von Saufgelagen und Schimpftiraden. Auf der anderen Seite gibt es viele skurrile Szenen, zum Beispiel bei der Vorführung amerikanischer Filme, die mich trotz der ernsten Gesamtsituation zum Schmunzeln brachten.

Bei „Guten Morgen, Genosse Elefant“ handelt es sich um eine fiktive Geschichte, welche vieles ganz bewusst überspitzt und es mit den historischen Fakten nicht immer so genau nimmt. Trotzdem vermittelt sie einen Eindruck davon, wie es im innersten politischen Kreis Russlands in der Zeit vor Stalins Tod zugegangen sein könnte, wo niemand dem anderen traut und niemand sich in Sicherheit wägen kann. Juris Geschichte ist tragisch, sein Optimismus und seine kindliche Gutgläubigkeit rührend. Ich empfehle diese ungewöhnliche, dramatische Geschichte mit vielen satirischen Elementen sehr gerne weiter!

Veröffentlicht am 31.08.2018

Der unerwartete Weg der Rachel Childs

Der Abgrund in dir
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Rachel Childs ist eine aufstrebende Reporterin mit einem tollen Partner und einer schönen Wohnung. Doch eine Sache lässt sie nicht los: Sie will herausfinden, wer ihr Vater ist. Ihre verstorbene Mutter ...

Rachel Childs ist eine aufstrebende Reporterin mit einem tollen Partner und einer schönen Wohnung. Doch eine Sache lässt sie nicht los: Sie will herausfinden, wer ihr Vater ist. Ihre verstorbene Mutter hat ihr jedoch kaum Informationen hinterlassen, sodass der angeheuerte Privatdetektiv Brian Delacroix die Suche von Beginn an als eher aussichtslos beschreibt. Schließlich erhält sie die große Chance für ihre Reporter-Karriere. Doch ein Moment ändert alles und Rachels bisheriges Leben zerbricht. Ein Mann baut sie schließlich Stück für Stück wieder auf. Doch was weiß sie wirklich über ihn?

Zu Beginn des Buches lernt man Rachel als beruflich erfolgreiche Frau kennen, welche die Suche nach ihrem Vater nicht loslässt. Ihre promovierte Mutter hat einen berühmten Beziehungsratgeber geschrieben und konnte trotzdem ihr ganzes Leben lang keine stabile Partnerschaft aufbauen. Bis zu ihrem Tod hat sie Rachel immer wieder versprochen, das Geheimnis um ihren Vater zu lüften, tat das aber nicht bis zu ihrem Tod bei einem Verkehrsunfall. Jetzt will Rachel endlich Antworten, weshalb sie sich an einen Privatdetektiv wendet.

Die Geschichte nimmt sich viel Zeit, die Jugend von Rachel, ihre Suche nach ihrem Vater und die Arbeit an ihrer Karriere zu beschreiben. Der Autor schreibt kurzweilig und als Leser versteht man immer besser, wie Rachel tickt. Gleichzeitig fragte ich mich, wohin die Geschichte sich entwickeln wird. Der ruhige Erzählton machte mich argwöhnisch – wann kommt die angekündigte Verschwörung wohl ins Rollen? Doch bis dahin soll noch einige Zeit vergehen.

Bald kommt es dennoch zu einem ersten Bruch: Rachels fast perfektes Leben fällt wie ein Kartenhaus zusammen. Wie es dazu kommen konnte wird durch die ausführliche Vorgeschichte nachvollziehbar gemacht, der Moment hat mich trotzdem ein wenig überraschend. Wie kann es nun für sie weitergehen? Als sie Monate später einen alten Bekannten trifft, schöpft sie neue Hoffnung, doch den Weg zurück ins normale Leben findet sie nicht. Sie arrangiert sich in ihrem kleinen Schneckenhaus und schirmt sich von der Außenwelt ab.

Den Moment des Twists fand ich schließlich äußerst gelungen. Als Leser weiß man zuerst nicht, ob nun wirklich etwas Großes passiert oder es nur eine geschickt platzierte Verwirrung ist. Doch im Nu ist man schon mittendrin und plötzlich ist das Buch wie ausgetauscht: Actionreich, temporeich und spannend. Wie auch Rachel weiß der Leser kaum, wie ihm geschieht. Man fetzt durch die Seiten auf der Suche nach Antworten, und endlich ergibt auch der Prolog Sinn. Doch die Antworten, die man erhält, werfen weitere Fragen auf.

Wem kann man noch vertrauen? Nach dem ziemlich langen Vorlauf bekam ich endlich die Story, auf die ich gewartet habe. Dramatische Szenen und unerwartete Wendungen ließen mich bis zum Schluss neugierig weiterlesen. Wer bereit ist, ruhig zu starten und die Entwicklung der Protagonistin über einige Jahre zu begleiten, um sie besser kennenzulernen, der wird schließlich mit gelungenen Wendungen und einer actionreichen Verschwörungsgeschichte belohnt!

Veröffentlicht am 13.07.2018

Eine Sonderermittlung für Dupin

Bretonische Geheimnisse
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Kommissar Dupin reist in den Forêt de Brocéliande, denn er schuldet seinem Freund und Pariser Kollegen Jean Odinot noch einen Gefallen. Doch er ist nicht allein unterwegs. Die Fahrt wurde von Nolwenn kurzerhand ...

Kommissar Dupin reist in den Forêt de Brocéliande, denn er schuldet seinem Freund und Pariser Kollegen Jean Odinot noch einen Gefallen. Doch er ist nicht allein unterwegs. Die Fahrt wurde von Nolwenn kurzerhand zum Betriebsausflug erklärt, und so fahren die beiden gemeinsam mit den Inspektoren Riwal und Kadeg gen Tréhorenteuc. Dupin muss nur kurz seinen Termin mit Fabien Cadiou wahrnehmen, einem der weltweit führenden Artus-Forscher. Danach können sie gemeinsam die mythischen Orte erkunden, die mit zahlreichen keltisch-bretonischen Legenden und insbesondere der Artussage verknüpft sind. Doch als Dupin bei Cadiou eintrifft, liegt der erschossen in seiner Wohnküche. Im Nu findet sich Dupin als Sonderermittler in einem neuen Fall wieder.

Schon der letzte Fall hat Dupin urlaubsbedingt ein gutes Stück von Concarneau weggeführt. Auch diesmal verlässt er die heimischen Gefilde, allerdings gemeinsam mit seinem Team. Und im Gegensatz zu seinen Nachforschungen an der Côte de Granit Rose muss er sich nach dem Totenfund nicht mit Zuständigkeiten auseinandersetzen. Denn sein Pariser Kollege macht ihn im Handumdrehen und gegen seinen Willen zum Sonderermittler, während der ortsansässige Kommissar sich zufrieden verabschiedet, um den Geburtstag seiner Schwägerin zu feiern.

Dupin hat seine Kollegen praktischerweise schon vor Ort, und so stürzen sie sich gemeinsam in die Ermittlungen. Während er noch die Erkenntnis sacken lässt, dass es einen Mörder zu finden gilt, wird ihm ein zweiter Toter gemeldet: Einer der Forscherkollegen Cadious, die für eine Artus-Konferenz angereist sind, liegt erstochen im Wald. Und eigentlich sollte Dupin Cadiou auf den Zahn fühlen, ob bei dem Tod von dessen im Frühsommer verstorbenen Kollegen, welcher der Bruder des Innenministers war, keine Fremdeinwirkung im Spiel war. Hat er es etwa mit drei Morden zu tun? Was steckt dahinter? Etwa die Suche um den Heiligen Gral? Die fünf ebenfalls zur Konferenz angereisten Wissenschaftler wollen nichts ungewöhnliches bemerkt haben.

Dupins neuer Fall weist schnell eine gewisse Komplexität auf, bei der es den Überblick zu wahren gilt. Unter der Oberfläche brodelt so einiges, doch alle Artus-Forscher erweisen sich als höchst verschlossen. Auch aus der Frau des ersten Opfers und des örtlichen Erzählers, der das zweite Opfer gefunden hat, ist kaum etwas herauszubekommen. Gleichzeitig steht Dupin unter Zeitdruck, denn er will schnellstmöglich nach Hause zurück. Die unfreiwillige Ermittlung bietet auch einige Szenen, die mich zum Schmunzeln bringen konnten, zum Beispiel hat er kein Clairefontaine für seine Notizen dabei und muss mit den freien Stellen in der Bedienungsanleitung seines Citroën vorlieb nehmen.

Die Situation vor Ort spitzt sich immer weiter zu, denn irgendjemand scheint noch immer eine Rechnung offen zu haben. Dupin befragt systematisch die Kollegen und Bekannten der Opfer und lässt sich auch mal von einem Geistesblitz leiten. Immer wieder gibt es neue Hinweise und unerwartete Zwischenfälle, die mich neugierig weiterlesen ließen. Vor der Kulisse der geheimnisvollen Artus-Orte kommt es zu spannenden Szenen und einem spektakulären Showdown. Die Motivation hinter den Taten fand ich jedoch nicht so plausibel. Trotzdem konnte „Bretonische Geheimnisse“ mich mit neuen Abenteuern für die liebgewonnen Charaktere und dramatischen Wendungen sehr gut unterhalten.

Veröffentlicht am 13.07.2018

Neue Herausforderungen, erstarkende Feine und alte Bekanntschaften

Throne of Glass – Die Sturmbezwingerin
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Aelin Galathynius ist zurück in ihrer Heimat Terrasen. Doch kurz nach ihrer Ankunft erhalten sie und ihr Hof Nachrichten, die sie zum zügigen Weiterziehen veranlassen. Die Gruppe teilt sich auf, um Verbündete ...

Aelin Galathynius ist zurück in ihrer Heimat Terrasen. Doch kurz nach ihrer Ankunft erhalten sie und ihr Hof Nachrichten, die sie zum zügigen Weiterziehen veranlassen. Die Gruppe teilt sich auf, um Verbündete zu kontaktieren und machtvolle Orte aufzusuchen. Währenddessen erstarkt ihr Gegner in Morath zunehmend, und dieser bleibt nicht die einzige Gefahr. Wird Aelin sich behaupten können?

Nach über anderthalb Jahren des Wartens war meine Vorfreude auf den fünften Teil der Throne of Glass-Reihe groß. Der Abschluss des letzten Bandes brachte so einige Veränderungen mit sich und ich war gespannt, wie diese sich auf die Geschichte auswirken werden. Im Prolog wird der Leser mitgenommen in die Vergangenheit zu dem Moment, in dem Elena kurz davor ist, sich Erawan zu stellen. Ein kleiner Vorgeschmack auf neue Erkenntnisse, die auf den Leser warten. Nach einem kurzen Zwischenstopp bei Elide, die seit Wochen allein unterwegs ist, begegnet der Leser endlich Aelin wieder, die in Terrasen angekommen ist.

Überraschender verlässt Aelin Terrasen nach einer wichtigen Zusammenkunft schon bald wider. Neue Ziele warten auf sie und ihre Verbündeten und die Gruppe teilt sich notgedrungen auf. Im Folgenden springt die Geschichte zwischen den einzelnen Erzählsträngen wie denen rund um Aelin, Rowan, Elide und Manon hin und her und nimmt den Leser mit zu ganz verschiedenen Orten. So einiges geht vor sich und die Geschichte wird zunehmend komplexer. Allerdings interessierten mich einige Stränge mehr als andere, sodass ich mir trotz insgesamt hohem Tempo hier und da eine knackigere Erzählweise gewünscht hätte.

Neben Aelin haben mir in diesem Buch insbesondere Lysandra und Elide sehr gut gefallen. Lysandra konnte ich schon im vierten Band etwas besser kennen lernen und mit ihren Fähigkeiten ist sie für Aelin eine wertvolle Verbündete. Sie wird immer stärker und konnte bei so mancher Gelegenheit zeigen, was in ihr steckt. Elide muss auf ihrem Weg ihren Durchhaltewillen unter Beweis stellen und ich erfuhr, dass man sie trotz ihres Handicaps nicht unterschätzen sollte.

Wie schon bei den Vorgängern greift der Band einige Ereignisse der Prequel E-Books auf. Hier wurden mehr Grundsteine für die weitere Geschichte gelegt, als ich es damals beim Lesen vermutet hätte. Auf der Hälfte des Buches kommt es schließlich zu einem spektakulären Kampf, mit dem ein erstes Spannungshoch erreicht wird. Danach brechen die Charaktere zu neuen Ufern auf. Dabei kommt auch die Liebe nicht zu kurz. Ihr dürft euch auf mehrere neue Paare freuen, die zumindest ich nicht habe kommen sehen.

In gewohnter Manier gibt es zum Ende hin wieder so manche große Überraschung und auf den letzten Seiten warten besonders dramatische Entwicklungen, die weitreichende Konsequenzen haben. Diesmal ist die Wartezeit zum Glück nicht lang: Der sechste und vorletzte Band erscheint schon im September. Auch wenn das Buch für meinen Geschmack einige Kürzungen vertragen hätte macht diese Fantasy-Reihe mir nach wie vor großen Spaß. Eine würdige Fortsetzung, die Lust aufs Weiterlesen macht!

Veröffentlicht am 27.06.2018

Auf zu neuen Ufern?

Hier ist es schön
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Irma und Sam nehmen an einem besonderen Wettbewerb teil: Sie wollen dazu auserwählt werden, die Fähre zu besteigen, die sie in eine neue Welt bringen soll. Die Erde ist nicht mehr das, was sie einmal war. ...

Irma und Sam nehmen an einem besonderen Wettbewerb teil: Sie wollen dazu auserwählt werden, die Fähre zu besteigen, die sie in eine neue Welt bringen soll. Die Erde ist nicht mehr das, was sie einmal war. Dennoch ist für Irmas Eltern ist unverständlich, warum ihr Tochter alles endgültig hinter sich lassen will und sich dazu in der Arena in große Gefahr begibt. Über Sam hingegen ist so gut wie nichts bekannt. Man erzählt sich, dass er an einem der letzten Sommertage angespült wurde. Außerhalb der Arena ist ihm nichts vertraut. Bis er eines Tages seinem Impuls folgt und beschließt, die Welt zu erkunden, mit Irma an seiner Seite.

Als ich vor einigen Monaten im Radio einen Bericht über das „Mars One“ Projekt und dessen Rekrutierung von Kolonisten hörte, fragte ich mich vor allem, was so viele Menschen dazu bewegt hat, sich für diese Mission ohne Rückfahrtschein zu bewerben. Eine ähnliche Frage hat sich auch die Autorin gestellt. In ihrem Roman will die Organisation „Carpe Diem“ einen Mann und eine Frau auswählen, die sie als Hoffnungsträger in eine weit entfernte Welt schickt.

Die Protagonistin Irma lernt man zu Beginn durch Briefe kennen, die an sie geschickt werden. Aus diesen erfährt man, dass sie sich in einer Arena befindet, in welcher der Auswahlprozess für die Mission stattfindet. Das Ganze wird im Fernsehen ausgestrahlt und fesselt die ganze Nation – nur ihre Familie kann kaum zuschauen, als klar wird, dass tödliche Unfälle mit zum Programm gehören. Die Briefe ihrer Eltern und Freunde klingen verzweifelt und zunehmend resigniert, während die Fanpost immer euphorischer wird. Als ich Irma und Sam schließlich begegnete, hatte ich das Gefühl, sie schon lange zu kennen – so wie der Freund eines Freundes, von dem man schon lange gehört hat. Es sind zehn Jahre vergangen, seit Irma ihre Familie verlassen hat. Der Abflug der Fähre steht kurz bevor, da will Sam plötzlich die Welt sehen. Er öffnet die Tür zur Welt und spaziert einfach hinaus, und Irma folgt ihm.

Die Erde ist in einem schlechten Zustand, das ist nach wenigen Schritten klar, die Sam und Irma in der „echten“ Welt tun. Warum, erfährt man nicht, wie so vieles in diesem Roman. Doch es fahren kaum Autos mehr, die Lebensmittel sind knapp, der Himmel fast durchgängig grau. Trotzdem hatte Irma Eltern, sie sie lieben, tolle Freunde und Tom, der offensichtlich für sie schwärmt. Was reicht ihr daran nicht? Diese Frage stellt sich ihr Umfeld und auch der Leser, der in den eingestreuten Rückblicken erfährt, wie Irma erstmals von Carpe Diem gehört und sich schließlich beworben hat.

Sam hingegen ist ein Rätsel. Er will unbedingt zur letzten Insel, die Irma nur für einen Mythos hält. Unbeholfen ist er unterwegs, weiß über die Welt fast nichts. Trotzdem zieht dieses ungleiche Duo weiter. Die Geschichte hat einen bruchstückhaften Charakter, setzt einzelne Szenen aneinander mit rauen Übergängen. Es kommt zu Begegnungen mit Menschen, die Irma einst Briefe schrieben. Während Irma in einer Blase gelebt hat, hat das Leben bei ihnen Spuren hinterlassen. Sie haben Wege gefunden, um mit ihrem Verlust klarzukommen, denn Irma lebt schon seit ihrer Abreise in die Arena gefühlt in einer anderen Welt. Auch über Sams Vergangenheit erfährt man schließlich ein wenig mehr und erfährt Dinge, die das Geschehen in neuem Licht erscheinen lassen.

In der Geschichte schwingt viel Gesellschaftskritik mit – an Reality-Shows und deren überspitzter Inszenierung, der Sensationslust der gaffenden Menge und dem Streben nach mehr, egal, was es kostet. Gleichzeitig wirft das Geschehen immer wieder neue Fragen auf und überlässt vieles der eigenen Interpretation, explizite Botschaften sucht man vergeblich. Ein Buch zwischen Verzweiflung und Hoffnung, Pioniergeist und Größenwahn, Loslassen und Festhalten.