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Veröffentlicht am 23.10.2018

Einblicke ins geheime Leben der Zufallsstifter

Als der Zufall sich verliebte
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Guy arbeitet als Zufallsstifter, eine Tätigkeit, die in erster Linie geheim ist und bei der man dazu gewissermaßen als Agent arbeitet. Seit seinem Ausbildungsbeginn vor drei Jahren hat er rund 250 Aufträge ...

Guy arbeitet als Zufallsstifter, eine Tätigkeit, die in erster Linie geheim ist und bei der man dazu gewissermaßen als Agent arbeitet. Seit seinem Ausbildungsbeginn vor drei Jahren hat er rund 250 Aufträge ausgeführt: Er hat zum Beispiel Paare zusammengebracht und Künstler inspiriert, wobei auch manchmal Schritte wie ein Jobverlust nötig sind. Eric und Emily, die gemeinsam mit ihm ausgebildet wurden, sind seine einzigen Freunde, mit denen er sich regelmäßig austauscht. Emily wäre gern mehr als eine Freundin für ihn. Doch Guy kann seine verlorene Liebe nicht vergessen. Sein neuer, mysteriöser Auftrag stellt ihn schließlich vor eine folgenschwere Entscheidung.

Das Cover ist mit seinen herbstlichen Farben ein echter Hingucker und zeigt einige Schmetterlinge. Der Schmetterlingseffekt beschreibt ein Phänomen, bei dem nicht vorhersehbar ist, wie sich kleine Aktionen langfristig auf das große Ganze auswirken. Außerdem ist es eine Anspielung auf die Abschlussprüfung des Protagonisten, über die der Leser später mehr erfährt. Damit passt der Schmetterling gut zur Grundidee des Buches, die beim Lesen der Buchbeschreibung meine Neugier sofort wecken könnte. Überall sind ganz im Geheimen sogenannte Zufallsstifter aktiv, die entscheidende Wendungen minutiös planen und durch viele kleine Manipulationen so geschickt umsetzen, dass niemand auf die Idee kommt, jemand hätte hier seine Finger im Spiel gehabt.

Im ersten Kapitel erhält der Leser gleich eine Kostprobe dieser Tätigkeit. Nach intensiver Vorbereitung sorgt der Zufallsstifter Guy dafür, dass eine Kellnerin und ein Student, der regelmäßig das Café besucht, den Abend am Strand gemeinsam verbringen und es dort endlich zwischen ihnen funkt. Der Plan funktioniert jedoch nur, nachdem Guy der Kellnerin vorher einen schrecklichen Tag beschert hat. Der Leser merkt dabei schnell, dass die Zufallsstiftung auch seine Schattenseiten hat. Auch Rückschläge oder Enttäuschungen auszulösen, die auf einen größeren Plan einzahlen, gehört dazu.

Guys Freunde Emily und Eric sind ebenfalls Zufallsstifter. Sie haben vor drei Jahren gemeinsam die Ausbildung beim General durchlaufen. An diese Zeit erinnert sich Guy oft zurück und lässt den Leser an den Lektionen teilhaben. Diese zu Lesen ist oft amüsant, bringt aber auch ins nachdenken. Da geht es um Vorhersagen beim Billard spielen und Wetten, bei denen alle Bewohner eines Hauses gleichzeitig ihre Wäsche aufhängen sollen, aber auch um die Frage, wie Glück berechnet wird und welche Fehler beim Treffen einer Wahl gemacht werden.

Die Geschichte wird in ruhigem Tempo erzählt, der Autor baut vieles auf, dessen Verbindungen erst später überraschend offenbar werden. Mir haben die vielen kreativen Ideen rund um die Tätigkeit als Zufallsstifter sehr gut gefallen. In dieser Hinsicht ist auch der Buchtitel etwas irreführend, denn im Zentrum steht die Frage, was Guy aus seinem Leben als Zufallsstifter machen möchte. Liebe spielt zwar eine Rolle, insbesondere die verlorene Liebe von Guy, doch ich würde das Buch nicht als Liebesgeschichte im engeren Sinne bezeichnen.

Guy gewinnt als Zufallsstifter zunehmend an Routine, erinnert sich aber immer wieder an seine Vergangenheit als eingebildeter Freund. Zwar bietet sein neues Dasein einige Vorteile, doch er hat dabei Kassandra verloren, der seine Liebe nach wie vor gilt. Lange erfährt der Leser nicht mehr über sie, zu schmerzhaft scheint die Erinnerung für Guy zu sein. Dieser will sich deshalb nicht auf etwas neues einlassen, ganz zum Leidwesen von Emily. Auch in seinem neuesten Auftrag wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Zum Ende hin wird es spannend, denn die Charaktere müssen wichtige Entscheidungen treffen und nach dramatischen und ungewissen Momenten findet das Buch zu einem Abschluss, der mir richtig gut gefallen hat.

In „Als der Zufall sich verliebte“ begleitet der Leser Guy, der im Geheimen komplexe Pläne umsetzt und damit Zufälle stiftet. Doch seine Vergangenheit und vor allem seine verlorene Liebe kann er nicht ganz loslassen. Seine Tätigkeit bietet viele unterhaltsame Momente. Gleichzeitig wird auch thematisiert, inwiefern man in den Verlauf der Ereignisse eingreifen darf, wenn es einem höheren Zweck dient und die grundsätzliche Frage gestellt, was eigentlich Glück bedeutet. Der Autor hat seine kreative Grundidee gelungen umgesetzt und lässt nach und nach alle Puzzlestücke an ihren Platz fallen. Ich spreche eine klare Leseempfehlung aus!

Veröffentlicht am 23.10.2018

Temporeich und spannend

Das Gold der Krähen
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Kaz Brekker und seine Mannschaft, die eine geradezu unglaubliche Mission erfüllen konnten, sind zurück in Ketterdam. Doch ihre Belohnung blieb aus. Stattdessen wurde die Person entführt, die Kaz am meisten ...

Kaz Brekker und seine Mannschaft, die eine geradezu unglaubliche Mission erfüllen konnten, sind zurück in Ketterdam. Doch ihre Belohnung blieb aus. Stattdessen wurde die Person entführt, die Kaz am meisten am Herzen liegt. Nun schmieden die Gefährten einen Plan für eine erfolgreiche Befreiung. Kaz ist sich zudem sicher, dass es doch noch eine Chance auf ihre Belohnung gibt, wenn sie alle ihre besonderen Fähigkeiten nutzen und einige Steine ins Rollen bringen. Ketterdam ist jedoch gefährlicher als je zuvor, denn neben den bekannten Feinden streifen unheimliche Wesen durch die Stadt, die Jagd auf alle Grischa machen…

Endlich ist mit „Das Gold der Krähen“ der heiß ersehnte Abschluss der Dilogie erschienen. Der erste Band, „Das Lied der Krähen“, konnte mich vor einem Jahr absolut begeistern. Nach einem offenen Ende war die Neugier groß, wie es für Kaz und seine Mannschaft weitergeht. Den ersten Band sollte man unbedingt gelesen haben, denn die Geschichte geht nahtlos weiter. Sie wirft den Leser mitten hinein ins Geschehen und die Vorbereitungen auf die Befreiung der gefangenen Inej. Hierzu hat Kaz einen neuen, komplexen Plan erarbeitet, bei dem die besonderen Talente der Mitstreiter wieder gefragt sind.

Schon nach wenigen Seiten war ich wieder ganz drin in der spannenden, temporeichen Handlung. Waghalsige Aktionen und überraschende Wendungen sind an der Tagesordnung und es machte Spaß, die sechs Krähen in Aktion zu erleben. Mit dem verschlagenen Krämer Van Eck, dem Betrüger Pekka Rollins und den Grischa jagenden Wesen gibt es gleich drei mächtige Gegner, die es zu bekämpfen und überlisten gilt. Dabei läuft bei weitem nicht alles nach Plan, denn auch die Gegenseite versucht, die nächsten Schritte vorauszusehen und diese zu vereiteln.

Die Kapitel sind wieder abwechselnd aus den Perspektiven von Kaz, Inej, Nina, Matthias, Jesper und Wylan geschrieben. Die sechs Charaktere sind mir inzwischen richtig ans Herz gewachsen. Man erfährt noch mehr über ihre Hintergrundgeschichten und erlebt mit, wie sie an den neuen Herausforderungen wachsen. Beispielsweise wird Wylan durch seine erfolgreichen Einsätze immer selbstbewusster und kann sein Handicap dadurch besser akzeptieren. Und bei Nina funktionieren ihre Kräfte nicht mehr so wie einst. Dafür entdeckt sie eine neue, erstaunliche Macht.

Die Geschichte lässt dem Leser nur wenig Zeit zu verschnaufen, bevor die nächste Herausforderung wartet. Die Autorin hat einen Spannungsbogen geschaffen, der hervorragend funktioniert. Rückschläge und Erfolge wechseln sich ab und neben spannenden Kämpfen und hitzigen Wortgefechten gibt es auch emotionale und nachdenkliche Momente. Ich habe jede einzelne Seite des Buches genossen bis hin zu seinem bittersüßen Ende, das ein würdiger Abschluss der Geschichte ist. Für mich ist die Krähen-Dilogie ein absolutes Fantasy-Highlight, das man gelesen haben muss!

Veröffentlicht am 23.10.2018

Eindringliche Geschichte mit beeindruckender Erzählweise, die mich betroffen machte

Die Katze und der General
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Die junge Georgierin Katze lebt in Berlin und arbeitet als Schauspielerin. In ihrem Leben läuft vieles gerade nicht nach Plan: Sie steht kurz vor der Trennung, das Verhältnis zu ihrer Familie ist belastet, ...

Die junge Georgierin Katze lebt in Berlin und arbeitet als Schauspielerin. In ihrem Leben läuft vieles gerade nicht nach Plan: Sie steht kurz vor der Trennung, das Verhältnis zu ihrer Familie ist belastet, sie muss ihre Wohnung räumen und hat noch kein nächstes Engagement in Sicht. Da wird sie von einem Handlanger Alexander Orlows, genannt „Der General“, angesprochen. Der russische Oligarch will sie für ein Video engagieren, in dem sie ein totes Mädchen spielt, dem sie zum Verwechseln ähnlich sieht. Gemeinsam mit dem Journalisten Onno Bender, der seit Jahren die Wahrheit darüber veröffentlichen will, welches Verbrechen Orlow im Tschetschenien-Krieg tatsächlich begangen hat, ist sie bald Teil eines umfassenden Plans rund um Abrechnung, Schuld und Sühne.

Beim Blick aufs Buchcover fällt sofort der abgebildete Zauberwürfel auf. Er spielt im Buch eine zentrale Rolle, denn er gehört Nura, die man im Prolog kennenlernt. Im Jahr 1995 lebt sie mit ihrer Familie in Tschetschenien in einem abgelegenen Tal bei Grosny. Den Zauberwürfel hat sie von der Lehrerin Natalia erhalten, einer zugezogenen Russin, die zu ihrer Vertrauten wird. Diese ist es auch, die Nura in ihrem Wunsch bestärkt, das Tal und im selben Zug das Mittelmaß eines Tages hinter sich zu lassen. Doch dann kommt der Krieg in ihr Dorf.

Lange erfährt man keine Details über Nuras Schicksal. Stattdessen lernt man in der Gegenwart drei zentrale Personen kennen. Der Schauspielerin Katze fehlt eine Orientierung, wie es für sie weitergehen soll. Vieles läuft nicht so, wie sie es gern hätte, doch in was soll sie ihre Energie stecken? Das Angebot des Generals klickt merkwürdig und gefährlich, aber auch verlockend. Er scheint bereit, ihr für ihre Mitarbeit eine große Summe zu zahlen, die ihr eine neue Perspektive gibt. Davon kann sie jedoch erst Onno Bender überzeugen. Der auf Russland spezialisierte Journalist möchte seit Jahren ein Buch über Orlow schreiben, was im Tschetschenien-Krieg tatsächlich vorgefallen ist und warum dieser sich selbst anzeigte und es doch nie zu einem richtigen Prozess kam.

Das Buch nimmt sich Zeit, die drei Protagonisten ausführlich vorzustellen und ihre Vergangenheit zu beleuchten. Man erfährt zum Beispiel, dass der General nie in den Krieg wollte und dass seine Verachtung für Onno nicht nur von dessen Buchambitionen herrührt, sondern viel tiefer greift. Sehr interessant fand ich auch die Einblicke in Katzes Kindheit in Georgien und das Leben von ihr und ihrer Familie als Einwanderer in Berlin. Es machte mir begreiflich, warum sie Orlows Angebot annimmt und Nura für sie bald nicht mehr nur die Person ist, die sie in einem Video verkörpern soll, sondern viel mehr.

Die Sprache der Autorin ist klar und feinfühlig, während sie den Leser allmählich mit der grausamen Wahrheit konfrontiert. Sie nimmt den Leser mit in die Vergangenheit nach Tschetschenien, wo die russische Armee lagert und der Oberst die ausbleibenden Kämpfe nicht aushält, überall Verschwörer sehen will. Ein schreckliches Verbrechen und weitreichende Vertuschungsversuche werden beschrieben, die meinen Wunsch nach Gerechtigkeit immer weiter stärkten. Was genau hat der General nun mit seinem Video an die Personen vor, die mit ihm in die Sache verstrickt sind?

Der Plan des Generals bleibt undurchschaubar, Otto eine Schachfigur auf seinem Feld, Katze eine unberechenbare Variable, die eine Ahnung zu haben scheint. So strebt die Geschichte unaufhaltsam einer Konfrontation mit ungewissen Ausgang entgegen. Auf dem Weg dahin sog ich jedes Wort auf, um die Konsequenzen der über ein Jahrzehnt zurückliegenden Schicksalsnacht zu begreifen. „Die Katze und der General“ ist eine eindringliche, dramatische Geschichte, die mich betroffen machte und deren Erzählweise mich beeindrucken konnte. Ich gebe eine klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 23.10.2018

Spinster Girl sein jetzt, sich für niemanden zu ändern und seine Meinung zu sagen

Spinster Girls – Was ist schon normal?
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Endlich geht Evie aufs College, wo sie einen ganz normalen Neuanfang wagen kann. Sie möchte tolle Freundinnen haben und sich verlieben, ohne dass jemand von ihrer Zwangserkrankung weiß, in deren schlimmster ...

Endlich geht Evie aufs College, wo sie einen ganz normalen Neuanfang wagen kann. Sie möchte tolle Freundinnen haben und sich verlieben, ohne dass jemand von ihrer Zwangserkrankung weiß, in deren schlimmster Phase sie das Haus für acht Wochen nicht verlassen hat. Jetzt ist sie zwar noch in Therapie, hat die Krankheit aber ganz gut im Griff. Ihr erstes Date stellt sich leider als Vollkatastrophe heraus, und der zweite Kandidat scheint noch verrückter zu sein als sie. Evie und ihre neuen Freundinnen Lottie und Amber ernennen sich zu Spinster Girls: Sie sind fest entschlossen, sich für Jungs nicht zu ändern und möchten bei ihren Clubtreffen über feministische Themen sprechen. Jungs bleiben natürlich ebenfalls Thema – und die stellen Evies Leben bald ganz schön auf den Kopf.

In diesem ersten Band der Spinster Girls Trilogie begleitet der Leser Evie bei ihrer ersten Zeit auf dem College. Für sie ist das eine große Sache, denn dort weiß kaum jemand von ihrer Zwangserkrankung. Eine Ausnahme ist ihre ehemals beste Freundin Jane, doch klebt nur noch an ihrem Freund, hat ihren Stil für ihn komplett verändert und für nichts anderes mehr Zeit. Evie ist fest entschlossen, nun ein Leben zu führen, dass so „normal“ ist wie das aller anderen.

Ich fühlte mich Evie schnell nahe, denn sie lässt den Leser intensiv an ihren Gedanken teilhaben. Immer wieder sind es Ausschnitte aus ihrem Genesungstagebuch abgedruckt, in welchem sie ihre Gedanken festhält und Hausaufgaben von ihrer Therapeutin notiert sind, an denen sie arbeiten soll. Außerdem sind ihre unguten Gedanken, die durch die Erkrankung entstehen, hervorgehoben. So wird begreiflich gemacht, zu welchen Handlungen sie durch diese getrieben wird. Dadurch wird greifbar gemacht, was es heißt, mit einer Zwangserkrankung zu leben. Das klingt bedrückend, ist es aber nicht. Evie erzählt unterhaltsam aus ihrem Leben, der Ton ist locker und frech. Es gibt immer wieder ernstere Momente, durch welche die Atmosphäre jedoch nicht kippt. Denn Evie ist eine Kämpferin, die vor ihrer Krankheit nicht mehr so leicht kapitulieren will.

Die beiden weiteren großen Themen des Buchs sind Jungs und Feminismus. Durch die Gründung des Clubs der Spinster Girls werden die Themen gelungen kombiniert. In Lottie und Amber findet Evie zwei tolle neue Freundinnen, mit denen sie über vieles reden kann. Nur über ihre Erkrankung will sie mit ihnen nicht sprechen. Dafür tauschen sie sich intensiv über Jungs aus und erinnern sich gleichzeitig gegenseitig an die Clubregeln, die besagen, dass man sich bei aller Verliebtheit selbst treu bleiben muss. Evies erste Dating-Erfahrungen sind schräg und zeigen, was in ihrem Alter so passieren kann. Bei den Clubtreffen kommen auch feministische Themen nicht zu kurz und geben dem Leser kleine Einblicke in unterschiedliche Aspekte des Feminismus.

„Spinster Girls: Was ist schon normal?“ ist eine kurzweilige Lektüre, die gelungen Einblicke in das Leben von Evie gibt, die an einer Zwangserkrankung leidet, diese aber nicht über ihr Leben bestimmen lassen will. Am College findet sie neue Freundinnen, mit denen sie über ihre ersten Dating-Erfahrungen und feministische Themen reden kann. Der Tonfall ist meist locker, doch nicht alles läuft nach Plan, sodass es auch bedrückende Momente gibt. Ich empfehle das Buch gern an jugendliche Leser weiter!

Veröffentlicht am 21.08.2018

Eine Geschichte voll stiller Liebe

Königskinder
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Max und Tina, seit sechsundzwanzig Jahren ein Paar, bleiben eines Nachts mit ihrem Auto auf einem verschneiten Alpenpass im Greyerzerland stecken, den sie trotz Sperrung befahren haben. Um das Warten auf ...

Max und Tina, seit sechsundzwanzig Jahren ein Paar, bleiben eines Nachts mit ihrem Auto auf einem verschneiten Alpenpass im Greyerzerland stecken, den sie trotz Sperrung befahren haben. Um das Warten auf den Morgen zu verkürzen, beginnt Max, eine Geschichte zu erzählen. Diese nimmt ihren Anfang in einer Melkhütte, die man aus dem Auto heraus beinahe sehen könnte. Max berichtet, dass dort vor über zwei Jahrhunderten der Hirte Jakob lebte. Seine Liebe zu Marie, einer reichen Bauerstochter, wird von deren Vater missbilligt. Trotzdem kreisen die Gedanken der beiden unbeirrbar umeinander. Sein Weg wird Jakob schließlich bis an den Hof von Ludwig XVI führen.

Zu Beginn des Buches lernt der Leser Max und Tina kennen, die sich mit ihrem roten Toyota Corolla über eine verschneite Passstraße kämpfen. Die beiden zanken sich ständig über Kleinigkeiten, zum Beispiel über die Frage, wann man den Scheibenwischer einstellen sollte. Trotzdem merkt man schnell eine Verbundenheit zwischen ihnen. Ihr Ton bleibt immer wertschätzend, und über die großen Dinge im Leben sind sie sich einig, das wissen sie beide.

Als schließlich klar wird, dass sie die Nacht über eingeschneit im Auto verbringen müssen, beginnt Max mit seiner Geschichte. Jakob und Marie stammen beide aus einem bäuerlichen Umfeld, aus einer gesellschaftlichen Perspektive liegen trotzdem Welten zwischen ihnen. Jakob wohnt als Eremit in einer keinen Melkhütte auf der Alp. Im Sommer kümmert er sich um einige Rinder, ansonsten ist er allein und spricht über Jahre hinweg nur wenig. Marie hingegen ist die Tochter eines wohlhabende Bauern im Tal, der erwartet, das sie eine gute Partie macht. Doch auch ohne viele Worte merkten die beiden bei ihrem Aufeinandertreffen schnell, dass sie ihre Zeit miteinander verbringen wollen.

Die Sprache des Autors ist zart und poetisch. Trotz des Liebe-auf-den-ersten-Blick Szenarios wird es nicht kitschig. Max‘ Erzählung wird von Tina immer wieder durch unterhaltsame, oft sarkastische Kommentare unterbrochen, in denen sie zum Beispiel hinterfragt, ob Max sich gerade an Klischees bedient. Die Geschichte richtet ihren Blick auch auf kleine Details, wodurch die Szenen noch lebendiger wurden.

Jakob und Marie verbindet etwas, dass ohne große Worte auskommt. Doch es werden die gesellschaftlichen Restriktionen jener Zeit deutlich, die ein Zusammensein der beiden verhindern wollen, auch wenn die beiden die Meinung anderer wenig schert und sie still dagegen rebellieren. Jakob findet sich schließlich in Frankreich wieder und erlebt dort als stiller, bescheidener Beobachter bedeutende Momente der Weltgeschichte hautnah mit. Er und Marie machen das beste aus ihrer Situation, stets in Gedanken an den anderen. Kann sich für sie noch alles zum Guten wenden?

Obwohl ich das Buch bei hohen Temperaturen las, fühlte ich mich beim Lesen Max und Tina in ihrem eingeschneiten Auto nah und ließ mich von der Geschichte gefangen nehmen. Mir haben die beiden eng miteinander verwobenen Erzählstränge sehr gut gefallen. Ich empfehle diesen Ausflug in die verschneiten Berge und in die Vergangenheit, diese Geschichte voll stiller Liebe uneingeschränkt weiter!