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Veröffentlicht am 25.10.2018

Leben am Rand der amerikanischen Gesellschaft

Gun Love
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Ein Szenario, das in den Vereinigten Staaten gang und gäbe ist. Vierzehn Jahre leben Mutter und Tochter in ihrem Auto, abgestellt auf dem Parkplatz eines heruntergekommenen Trailerparks in Florida, eine ...

Ein Szenario, das in den Vereinigten Staaten gang und gäbe ist. Vierzehn Jahre leben Mutter und Tochter in ihrem Auto, abgestellt auf dem Parkplatz eines heruntergekommenen Trailerparks in Florida, eine Zwei-Zimmer-Wohnung sozusagen. Pearl, der mittlerweile vierzehnjährigen Tochter, sind die Vordersitze zugeteilt, die Mutter macht es sich nach Feierabend auf der Rückbank bequem. Im Kofferraum lagern die Schätze für schlechte Zeiten, kostbare Porzellanteller und Familienschmuck.

So, jetzt habe ich mich natürlich gefragt, was das für eine Familie ist, vor der Pearls Mutter kurz nach deren Geburt davongelaufen ist. Sie scheinen wohlhabend zu sein, haben ihrer Tochter eine was man so „gute“ Erziehung nennt angedeihen lassen, kümmern sich aber ansonsten wohl nicht weiter um sie. Denn wie lässt es sich sonst erklären, dass die Schwangerschaft sowie die Geburt im Badezimmer nicht bemerkt werden? Einzig der Vater fällt aus dem Rahmen, der auf Kleingetier mit einer Fliegenklatsche einschlägt, was schlussendlich den Anlass für die Flucht der hypersensiblen Tochter aus dem Elternhaus bietet. Aber welche Eltern setzen nicht Himmel und Hölle in Bewegung, wenn ihre Tochter spurlos verschwindet? Sehr seltsam, aber sei’s drum. Jetzt zieht sie also ihr Kind mit Unterstützung der Freunde aus dem Trailerpark groß, redet ihr dieses White Trash-Leben mit romantisierenden Phrasen schön, die doch nur den Zweck haben, den allgegenwärtigen Mangel zu kaschieren.

Waffen sind allgegenwärtig, mal nur eine, dann wieder ein ganzes Arsenal. Sie werden gereinigt, benutzt, um ein missgebildetes Alligatorjunges zu erschießen oder von dem geschäftstüchtigen Priester eingesammelt und über die mexikanische Grenze verschoben. Und sie killen, töten Pearls Mutter und katapultieren diese schlagartig in die reale Welt der Waisen.

„Gun Love“ ist ein Buch, mit dem ich hadere. Keine Frage, die Sprache ist brillant, poetisch (wunderbare Übersetzung von Nicolai von Schweder-Schreiner) verklärt aber letztlich damit nur dieses Leben in einer Parallelwelt, das dem Mädchen Pearl keinerlei Perspektive für die Zukunft bietet. Und das geht mir wirklich nicht nur an die Nieren sondern auch auf die Nerven.

Veröffentlicht am 25.10.2018

Viele glückliche Zufälle und vorhersehbare Story

Die Schwestern vom Ku'damm: Jahre des Aufbaus
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Brigitte Riebes neuer Roman nimmt uns mit in das Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. Drei Schwestern: Rike, die Älteste, die Vernünftige. Silvie, die Mittlere, die Lebenshungrige und begnadete Schwarzhändlerin. ...

Brigitte Riebes neuer Roman nimmt uns mit in das Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. Drei Schwestern: Rike, die Älteste, die Vernünftige. Silvie, die Mittlere, die Lebenshungrige und begnadete Schwarzhändlerin. Und schließlich Florentine, das Nesthäkchen, die künstlerisch Begabte. Der familiäre Hintergrund ist privilegiert, stammen sie doch aus der ehemals wohlhabenden Familie des Berliner Kaufhauskönigs Thalheim. Wobei „ehemals wohlhabend“ so nicht stimmt, da es dem Patriarch der Familie gelungen ist, rechtzeitig eine nicht unbeträchtliche Menge an Barvermögen (Geld, Schmuck, aber auch wertvolle Stoffe für die Prodiktion von Kleidern) zur Seite zu schaffen und somit dem Zugriff der plündernden Besatzungsmächte zu entziehen. Zeitlicher Rahmen sind die Jahre zwischen Mai 1945 und Sommer 1951, in denen Rike alles daran setzt, ihren Traum zu verwirklichen: den Vorkriegsstatus wieder herzustellen und das Kaufhaus Thalheim wieder aufzubauen.

Die Story an sich ist, wie es sich für einen historischen Frauenroman gehört, auf ein Happy End hin konzipiert. Zwar müssen die Protagonistinnen mit den Widrigkeiten kämpfen, die die Nachkriegsjahre bereithalten – Hunger, Kälte, Mangel an Lebensnotwendigem – aber mit dem notwendigen finanziellen Polster in der Hinterhand klappt das schon irgendwie. Und wenn alle Stricke reißen, ist da ja immer noch Onkel Carl, der, anders als der typische Mitläufer Friedrich, nicht in die Partei eingetreten ist, und nun seine Beziehungen spielen lassen kann.

Was ich an den Büchern von Brigitte Riebe schätze, ist die gründliche Recherche, die ihren historischen Romanen zugrunde liegt. Und was das angeht, hat sie auch hier nicht enttäuscht. Unzählige Fakten über das besetzte Berlin sind hier in die Handlung eingearbeitet, oft nur in einem Nebensatz, manchmal aber auch etwas ausführlicher. Eine detaillierte Zeittafel am Ende des Buches rundet dies ab und kann Leserinnen, die mit dieser Periode nicht vertraut sind, zusätzliche Informationen bieten. Das ist allemal fünf Sterne wert!

Gestört haben mich allerdings die vielen glücklichen Zufälle und die daraus resultierende Vorhersehbarkeit der Geschichte, die auf mich im Endeffekt dann doch sehr unrealistisch gewirkt hat (dafür deshalb nur zwei Sterne), weshalb ich mir den Rest der Reihe – konzipiert ist die Geschichte der Schwestern auf drei Bände, in der jeweils eine von ihnen im Mittelpunkt stehen wird – sparen werde.

Veröffentlicht am 10.12.2024

Wenig gelungene Variation

Wir finden Mörder (Wir finden Mörder-Serie 1)
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Richard Osman ist der Autor einer erfolgreichen, vierbändigen Cozy Crime-Reihe, in der vier Bewohner einer Seniorenresidenz auf Verbrecherjagd gehen, um Abwechslung in ihren Alltag zu bringen. Liest sich ...

Richard Osman ist der Autor einer erfolgreichen, vierbändigen Cozy Crime-Reihe, in der vier Bewohner einer Seniorenresidenz auf Verbrecherjagd gehen, um Abwechslung in ihren Alltag zu bringen. Liest sich nett und ist unterhaltsam, keine Frage. Aber dann wird die anfangs liebenswerte Vierergruppe leider permanent erweitert, so dass nicht nur die Anzahl der an den Ermittlungen beteiligten Personen stetig wächst, sondern auch noch zahlreiche, meist uninteressanten Nebenhandlungen in die jeweiligen Fälle eingeflochten werden. Höhepunkt bzw. Tiefpunkt dieser Entwicklung war dann der vierte Band, der mich absolut nicht überzeugen konnte und für ständiges Augenrollen meinerseits beim Lesen verantwortlich war.

Vielleicht hat der Autor ja ähnlich empfunden, und er hat sich deshalb eine Pause vom Donnerstagsmordclub verordnet, um Abstand zu gewinnen und ein neues Projekt in Angriff zu nehmen? Verständlich wäre es, aber leider ist es allzu offensichtlich, dass er das Risiko gescheut hat, etwas Neues zu wagen und deshalb mit „Wir finden Mörder“ zwar das Team und den Ort geändert hat, aber ansonsten auf ausgetretenen Pfaden wandelt, denen er allerdings noch eine gehörige Portion Absurdität verpasst hat.

Kurz die Eckdaten: Drei Personen stehen im Mittelpunkt der Handlung. Amy Wheeler, ihres Zeichens Personenschützerin, Rosie D’Antonio, ihre Klientin und achtzigjährige Autorin sowie Steve, ein pensionierter, verwitweter Kommissar und Amys Schwiegervater, der sich die Zeit mit Pub Quiz-Runden vertreibt, bis er von seiner Schwiegertochter in einer heiklen Angelegenheit um Hilfe gebeten wird. Ab diesem Zeitpunkt ist’s mit der Ruhe vorbei und es beginnt eine Mörderjagd rund um den Globus.

Wer zählt die Orte, nennt die Perspektiven? Von beidem viel zu viel und völlig überzogen. Und wenn die Handlung ins Stocken gerät, kommt dann eine banale, gewollt witzige Bemerkung, so dass ich mich eher als Zuschauerin in einer Comedy-Veranstaltung denn als Leserin gefühlt habe.

Nichtsdestotrotz sehe ich durchaus Potenzial für die Reihe. Der Autor sollte sich auf seine Stärken besinnen, die da sind: sympathische Protagonisten mit glaubhafter Backstory, eine gradlinige, glaubhafte Story und die Beschränkung der Handlungsorte. Und wenn schon Humor, dann aber bitte augenzwinkernd und trocken, wie wir es von den Engländern gewohnt sind. Sonst wird das, zumindest für mich, nix.

Veröffentlicht am 26.08.2024

Schaler Aufguss

Ein mysteriöser Gast
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Molly Gray ist zurück, das Zimmermädchen mit dem besonderen Blick auf das, was sich in ihrem Umfeld ereignet. Mittlerweile dank ihrer Liebe zum Detail zum Chefzimmermädchen im 5-Sterne-Boutique-Hotel Regency ...

Molly Gray ist zurück, das Zimmermädchen mit dem besonderen Blick auf das, was sich in ihrem Umfeld ereignet. Mittlerweile dank ihrer Liebe zum Detail zum Chefzimmermädchen im 5-Sterne-Boutique-Hotel Regency Grand befördert. Und auch in dem zweiten Band der Reihe gilt es, den Mord an einem Hotelgast, dem vielfach preisgekrönten Bestsellerautor J. D. Grimthorpe aufzuklären. Molly fühlt sich in der Pflicht für Lily, ihre Auszubildende und Hauptverdächtige in diesem Mordfall, einzutreten und den Mörder zu entlarven. Nicht zuletzt, weil sie das Mordopfer kannte, denn in ihrer Kindheit hielt sie sich regelmäßig in seinem Anwesen auf, war doch ihre geliebte und mittlerweile verstorbene Granny als Haushaltshilfe des Autors tätig war und musste sie mangels Betreuungsmöglichkeit dorthin mitnehmen.

Konnte Nita Prose in dem Vorgänger „The Maid“ ihre Leserinnen noch mit dieser sympathischen und aus dem üblichen Rahmen fallenden Hauptfigur überraschen, kommt der Nachfolger „Ein mysteriöser Gast“ eher als schaler Aufguss daher. Daran ändern auch die unnötig in die Länge gezogenen und weitestgehend uninteressanten Rückblicke in Mollys Vergangenheit als Kind plus die ausführlichen Beschreibungen der Putzroutinen (ich sage nur Silber auf Hochglanz polieren) leider nichts.

Von Spannung keine Spur, im Gegenteil. Durch unzählige Redundanzen rückt der Kriminalfall zunehmend in den Hintergrund und wird eher zur Nebensache. Und die Auflösung ist eher so lala, denn wer zwischen den Zeilen lesen kann, merkt schon recht früh, wohin der Hase läuft.

Keine Frage, Molly ist, gerade auch durch ihre Naivität, eine liebenswerte Hauptfigur. Aber durch die sich wiederholenden Beschreibungen ihrer fraglos zwanghaften Persönlichkeitsstruktur schadet Prose ihrer Protagonistin, macht sie zu einer Kuriosität. Und das haben andere Autoren weitaus besser und mit mehr Fingerspitzengefühl gelöst, siehe Gil Ribeiro (=Holger Karsten Schmidt) mit seiner Leander Lost Reihe.

2,5 von 5 - aufgerundet

Veröffentlicht am 23.07.2024

Vier heimliche Witwen und ihre „Pakete“

Ein Mann zum Vergraben
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England 2020. Covid und der verordnete Lockdown hat das öffentliche Leben zum Erliegen gebracht. Im Privaten wächst sich die Frustration zu aggressivem Verhalten aus. Kam es schon vor der Pandemie in vielen ...

England 2020. Covid und der verordnete Lockdown hat das öffentliche Leben zum Erliegen gebracht. Im Privaten wächst sich die Frustration zu aggressivem Verhalten aus. Kam es schon vor der Pandemie in vielen Beziehungen zu körperlichen Übergriffen und Misshandlungen, steigen sie während dieser Zeit sprunghaft an. In ihrem Nachwort weist die Autorin, die ehrenamtlich bei einer Hilfsorganisation arbeitet, darauf hin, dass zum einen die Zugriffe auf deren Website während des Lockdowns immens angestiegen sind, zum anderen aber auch die telefonischen Hilferufe um zwei Drittel zugenommen haben. Nicht zu vergessen, die Morde an Frauen haben sich in dieser Zeit in England verdoppelt.

Die Gewalt der Männer eskaliert und gepaart mit der räumlichen Isolation suchen die Frauen Hilfe, oder nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. So auch Sally, seit 23 Jahren mit Jim verheiratet, dem äußeren Anschein nach ein perfektes Paar. Was man allerdings nichts sieht, sind die physischen und psychischen Misshandlungen, die Sally seit vielen Jahren ohne Gegenwehr über sich ergehen lässt. Die Gewalt seitens Jim nimmt im Lockdown zu, Sally fürchtet um ihr Leben und so greift sie sich, als die Situation wieder einmal zu eskalieren droht, die gusseiserne Bratpfanne und schlägt ihm den Schädel ein. Und damit fangen die Probleme an, denn wird ihr jemand glauben, dass sie in Notwehr gehandelt hat? Wohl nicht, weil äußerer Schein und so. Aber was soll sie bloß mit der Leiche anfangen? Das Internet rät im ersten Schritt zu Katzenstreu, Plane, Gaffertape und Bleichmittel, und dann wird man schon weitersehen. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht, was noch zwei weitere Frauen aus der Nachbarschaft plus eine alte Freundin von Sally feststellen müssen.

Und jetzt wird die Story leider ziemlich märchenhaft. Bei ihren Ausflügen in den Heimwerkermarkt trifft Sally nämlich Frauen aus der Nachbarschaft. Man kennt sich zwar vom Sehen, aber erzählt man dem Gegenüber nach ein paar nichtssagenden Sätzen, dass man seinen Mann ins Jenseits geschickt hat? Never ever. Dazu dann noch die absurde Vorstellung, man könne 4 Männerleichen, ohne Aufsehen zu erregen, spurlos verschwinden lassen.

Weibliche Solidarität und Selbstverwirklichung hin oder her, dafür ist das Thema zu wichtig, als dass man es dermaßen unglaubwürdig in einem Roman verarbeiten sollte, der sich nicht zwischen schwarzhumoriger Komik und dem gebührenden Ernst entscheiden kann. Schade!