Düstere Grundstimmung
„Dieses ganze eingefallene, verlassene Zeug. Untergegangene, traurige Scheiße. Kein Mensch auf der Straße. Abriss und Leerstand. […] Die Schulen, die sie schlossen, die Sparkassen und Arztpraxen. Die Kreise, ...
„Dieses ganze eingefallene, verlassene Zeug. Untergegangene, traurige Scheiße. Kein Mensch auf der Straße. Abriss und Leerstand. […] Die Schulen, die sie schlossen, die Sparkassen und Arztpraxen. Die Kreise, die sie zusammenlegten, die Gemeinden und Städte. Die Wege wurden länger, die Entfernungen größer. Für Griechenland war Geld da gewesen und für unnötige Umgehungsstraßen. Schnellstraßen, damit niemand mehr durch die traurigen Orte fahren musste.“
Es ist dieses trostlose Bild Ostdeutschlands, genauer gesagt der Oberlausitz, das in Lukas Rietzschels Buch „Mit der Faust in die Welt schlagen“ vorherrscht. Die beiden Brüder Philipp und Tobias wachsen in Neschwitz auf, einem kleinen Dorf, das nach der Wende nichts mehr zu bieten hat. Das Schamottewerk hat dicht gemacht, selbst die Kantine wird zur Ruine. Wer kann, geht. Zurück bleibt, wer es nicht geschafft hat.
Bald bröckelt es auch in der Familie der Geschwister. Der Vater geht fremd, verlässt Frau und Kinder. Viel los ist nicht im Dorf, und so bildet sich rasch eine Clique, mit der Philipp unterwegs ist. Nach und nach rutscht die Gruppe ins rechte Milieu ab, wobei es meist bei markigen Worten bleibt. Lukas Rietzschel gelingt es hier, das abzubilden, was gesellschaftlich in Deutschland wahrzunehmen ist: Unzufriedenheit (auch im Westen!), die rechtsradikale Stereotype aufgreift, verbunden mit Politikverdrossenheit. „Es braucht mal wieder einen richtigen Krieg“, sagt Tobias, der jüngere der beiden Brüder. Er schwadroniert von Untermenschen und unfähigen Politikern gleichermaßen. Einer, der sich zurückgesetzt fühlt. Auch von seinem Bruder.
Mit Beginn seiner Ausbildung zieht Philipp daheim aus, für Tobias ist das ein Verrat, die Beziehung der beiden wird auf eine Probe gestellt. Zudem zieht sich Philipp aus der Clique zurück, als Tobias dazukommt. Er macht sein eigenes Ding. Einen anderen Freundeskreis allerdings, so scheint es, kann Philipp sich nicht aufbauen.
So ist der Debutroman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ nicht nur ein Buch über den aufkommenden Rechtsextremismus im Osten, sondern zugleich ein Buch über zwei Brüder, die sich immer mehr voneinander entfremden. Gemeinsam haben sie, dass sie ihren Weg selber finden müssen und wenig Halt in Familie und Peer Group finden.
„Mit der Faust in die Welt schlagen“ gibt vielleicht nicht die Antworten auf die Frage, weshalb Rechtsextremismus entsteht und gar gesellschaftsfähig wird, es bildet aber gekonnt die Stimmung ab, die notwendig ist, um Nährboden für Unzufriedene zu sein. Lukas Rietzschel bedient sich dabei der Sprache der kurzen, abgehackten Sätze, oft verbunden mit Wortauslassungen und lässt so eine durchgehend düstere Stimmung. Der Ort Neschwitz mit seinem Schlösschen kann einem Leid tun: Rietzschel schafft es in seinem Roman, daraus einen Un-Ort zu machen, überzeugend.