Es gibt eine Folge der TV-Serie "Black Mirror", in der eine utopische (oder gar schon dystopische) Welt präsentiert wird, in der man jederzeit und für alles Likes oder Dislikes vergeben und bekommen kann - und diese dann den Wert und Status eines Menschen in allen Lebenslagen bestimmen. Das ist alles natürlich sehr überspitzt dargestellt, aber wer weiß ob wir wirklich noch so weit entfernt davon sind... Schon heute leben nicht mehr nur Kinofilme/Musik/Bücher, Hotels und Restaurants von Internet-Bewertungen, das hat sich auf unglaublich viele Geschäftszweige ausgebreitet. Auch seine Handwerker und Ärzte sucht man sich danach aus, wie andere Leute sie bewerten, und bei Amazon bestelle ich eigentlich keinen Artikel der weniger als 3 Sterne hat - und selbst 3 sind schon sehr wenig.
Ich freue mich auch selbst, wenn meine Buch-Rezensionen ein Like erhalten; oder meine Fotos bei Facebook Reaktionen bekommen. Und klar poste ich da eher ein Foto von meinen Kindern, wenn sie mal lieb und fröhlich miteinander spielen als wenn sie gerade einen Wutanfall haben oder sich gegenseitig an die Gurgel gehen. Ich selektiere also, und teile lieber die schönen Momente mit meinen Freunden und nicht die schlechten. Doch würde ich auch soweit gehen, und ein Leben vorgaukeln, dass ich gar nicht führe?
Das macht nämlich Emma, die sich seit 2 Jahren fern der Heimat in London verkriecht und sowohl ihre Familie als auch die ihr unbekannten Instagram-Follower mit einem supertollen aktiven Leben an der Seite von Troy beeindruckt. Am Anfang hielt ich sie deshalb für etwas oberflächlich, dachte dass sie nur auf "Likes" aus ist. Aber dem ist nicht so. Für sie ist Instagram einfach nur der einzige Kontakt zur Außenwelt, der ihr geblieben ist in ihrem Einsiedlerleben, das sie liebevoll "cocooning" nennt, ich nenne es Agoraphobie. Und die beginnt sie erst mit dem Auftauchen des neuen Nachbarn Nathan langsam, und im Grunde gezwungenermaßen, zu überwinden.
Am Ende des Buches erklärt Emma ihre Lügenwelt auf Instagram folgendermaßen "Ich wollte einen Ort in meinem Leben, an dem alles freundlich und hell ist und (...) einen Ort, an dem ich zuversichtlich sein konnte."
Mir gefiel an diesem Buch vor allem, dass es mir die Situation von Emma absolut glaubhaft vermittelt hat, die einzelnen Szenen wo sie sich doch mal raustraut aus ihren 4 Wänden haben sehr gut verdeutlicht, was und wie sie sich dabei fühlt. Nathan hat mit vielen kleinen Gesten immer und immer wieder versucht, Kontakt zu ihr aufzubauen. Dass er trotz ihrer harten Schale nicht locker ließ fand ich toll. Auch dass zwar immer wieder auf einen Vorfall in ihrer Vergangenheit hingewiesen wird, aber jedes Mal erfahren wir ein kleines Stückchen mehr davon bis es schließlich ganz aufgeklärt wird. Ganz oft ist es nämlich eher so, dass es Unmengen von Andeutungen gibt, die sich alle nur im Kreis drehen, und der Leser wird kein bißchen schlauer sondern nur noch genervter.
Bis zu den letzten paar Seiten war es für mich ein klares 5-Sterne-Buch. Dann kam ganz zum Schluss ein bißchen zu viel Kitsch hinzu. Und da störte mich gar nicht mal so sehr, was passiert ist, sondern die kitschigen Metaphern im Schreibstil. "Sein Blick zog sie so in sein Innerstes, dass es das Außen nicht mehr gab." usw. Nur bei der Beschreibung der Melodie hat die bildhafte Sprache gut gepasst! Ich habe dann auch bis zum Ende meiner Rezension mit mir gerungen, wie viele Sterne ich denn nun vergebe. Aber ich bleibe doch bei den 5 Sternen, da das was mich dann störte nur einen so winzig kleinen Teil am ganzen Buch ausmachte.