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Venatrix

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Veröffentlicht am 30.10.2018

Eine beeindruckende Biografie

Überleben
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Walter Fantl lebt mit seinen Eltern und der Schwester in Bischofstetten, einem kleinen Ort im niederösterreichischem Mostviertel. Die Fantls betreiben einen von drei Gemischtwarenläden. Dass sie Juden ...

Walter Fantl lebt mit seinen Eltern und der Schwester in Bischofstetten, einem kleinen Ort im niederösterreichischem Mostviertel. Die Fantls betreiben einen von drei Gemischtwarenläden. Dass sie Juden sind, wissen alle im Dorf, doch keiner stört sich daran – vorerst. Mit der Machtübernahme Hitlers und dem Anschluss an Deutschland beginnt die Leidensgeschichte der Fantls. Walter ist gerade einmal 14 Jahre alt. Wie so viele Juden erkennen sie die Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig. Die Ausgrenzung der Fantls, die Arisierung des Geschäftes, die Umsiedlung nach Wien und die verzweifelten Versuche des Vaters die nötigen Papiere und das Geld für die Schiffspassagen zu bekommen, werden von Walter Fantl eindringlich und detailliert geschildert.

Die Fantls werden zuerst 1942 gemeinsam nach Theresienstadt und 1944 dann nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Noch weiß niemand, dass Walter der einzige Überlebende seiner Familie sein wird.

"Dann bin ich zu einem Kapo hin und habe gefragt: Was ist mit den anderen? Wo ist mein Vater?
Und der schaute mich an und zeigt auf einen der Schornsteine und sagt: Siehst du den Rauch? Das sind die anderen, das ist dein Vater".

Was an dieser Biografie so fasziniert ist, dass es Walter, auch in den vielen Stunden der Schinderei und Demütigungen gelingt, einige wenige glückliche Momente mit Leidensgenossen zu erleben. Das Symbol seiner Hoffnung, den Wahnsinn zu überleben, ist sein Ledergürtel. Der ist das einzige, was ihm noch geblieben ist. Kleidung, Schuhe oder Wertsachen wurden ihm von Mithäftlingen gestohlen oder gegen Nahrungsmittel eingetauscht. Doch an den Gürtel klammert er sich mit all seiner Kraft.

Das Buch endet nicht – wie so viele – mit der Befreiung aus dem KZ sondern bietet den Lesern ein weiteres authentisches Kapitel:
"Nach dem Krieg und wir sind frei". Es beschreibt den Weg aus dem KZ zurück, verschweigt aber nicht, dass Walter und seiner Freunde im polnischen „Niemandsland“ herummarodieren und verlassene Häuser plündern. Das finde ich sehr mutig, denn bislang habe ich darüber nichts gelesen. Walter kommt nach Wien zurück, fühlt sich verloren, sucht nach Familie und Freunden und kehrt freiwillig nach Theresienstadt, dem scheinbar einzigen Fixpunkt, zurück. Seine Freunde wandern aus, der eine nach Palästina, der andere nach Amerika. Doch wirklich willkommen sind die Überlebenden nirgends.
Nach vielen Kämpfen mit der Bürokratie erhält er das elterliche Wohnhaus zurück, hat es aber niemals mehr betreten.

Meine Meinung:

Für mich als Wienerin, die im zweiten Bezirk, der Leopoldstadt, aufgewachsen ist, sind die Adressen an denen Walter mit seiner Familie gewohnt hat, alle geläufig. Von der Großen Mohrengasse über die Schreygasse bis zum Sammellager in der Kleinen Sperlgasse 2a.

Historiker Gerhard Zeilinger mit Walter Fantls Biografie ein bewegendes und bemerkenswertes Zeitdokument gelungen, das als Ergänzung im Geschichtsunterricht gelesen werden sollte. Neben dem einfühlsamen Text, der ohne Schnörkel die Dinge beim Namen nennt, bilden die perfekt platzierten Fotos eine eindrucksvolle Ergänzung. Wie haben die Fotos gerettet werden können? Das ehemalige (christliche) Kindermädchen hat die Kassette mit Fotos, Dokumenten und Erinnerungsstücken vor der Vernichtung bewahrt und für Walter aufgehoben.

Fazit:

Ein Buch, das unbedingt gelesen werden sollte. Gerne gebe ich 5 Sterne.

Veröffentlicht am 27.10.2018

Eine gut recherchierte Biografie

Queen Victoria
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Autorin Julia Baird liefert eine gut strukturierte Biografie von Queen Victoria (1819-1901).
In der Einleitung schreibt sie über die Schwierigkeiten, geschönte und zensurierte Quellen zu beurteilen. Besonders ...

Autorin Julia Baird liefert eine gut strukturierte Biografie von Queen Victoria (1819-1901).
In der Einleitung schreibt sie über die Schwierigkeiten, geschönte und zensurierte Quellen zu beurteilen. Besonders Tochter Beatrice hat zahlreiche Briefe und Dokumente vernichtet, die einen zu persönlichen Eindruck der Königin hinterlassen hätten können.

Mit hat vor allem fasziniert, wie sich Victoria gegen ihre Mutter und deren Liebhaber (?) John Conroy durchsetzen musste und ein ziemliches Faible für Lord Melbourne hatte. Interessant, dass sich die Herrscherin über ein riesiges Weltreich nach ihrer Heirat mit Prinz Albert von Sachsen-Gotha sich ihm als besonders konservativ entpuppt: sie unterwirft sich ihrem Gemahl als Frau und Mutter, allerdings nicht als Regentin. Das wird erst später offenbar, dass sie sich immer mehr von ihm beeinflussen lässt. Ziemlich unmöglich finde ich, dass Albert seine Frau als „liebes Kleines“ anspricht. Für mich klingt das geringschätzend. Allerdings scheint er Victoria sehr geliebt zu haben und auf außereheliche Affären verzichtet zu haben. Deswegen haben ihn die Untertanen beinahe verachtet, weil für die Mächtigen damals unüblich.
Die Zeit nach Alberts frühen Tod ist für Victoria recht schwierig. Interessant, dass niemand auf die Idee gekommen ist, die Königin möge abermals heiraten. Das habe ich noch nirgends gelesen.

Einen breiten Raum nehmen auch die beiden Männer in ihrem späteren Leben ein: John Brown und Abdul Karim. Vor allem letzterer gilt als Hochstapler und hat die Sehnsucht der Königin nach Zuneigung schamlos ausgenützt.

An den Ratgebern der Queen übt die Autorin leise Kritik, weil sie ihr nur ein recht einseitiges Bild ihrer Länder vermittelt haben. Mit ein bisschen mehr Durchblick hätte sich die Irland-Frage, die das Vereinigte Königreich bis heute beschäftigt, lösen lassen.

Meine Meinung:

Eine gut gelungene Biografie, die einen Einblick in das Leben dieser Herrscherin bietet, die 63 Jahre lang über ein Weltreich geherrscht hat. Sehr gut finde ich, dass die (Selbst)Zweifel von Victoria nicht ausgespart werden. Queen Victoria war eine beeindruckende Persönlichkeit mit vielen Facetten und voller Gegensätze.

Der Schreibstil ist flüssig und wird durch eine Vielzahl von Zitaten sowie Illustrationen ergänzt.
Das Cover ziert das Porträt der jungen Königin, gemalt 1843 vom deutschen Maler Franz Xaver Winterhalter.

Für historisch Interessierte gibt es im Anhang eine ausführliche Bibliografie.

Fazit:

Gerne gebe ich für diese gut recherchierte Biografie 5 Sterne.

Veröffentlicht am 27.10.2018

BUrgenland kulinarisch

Sautanz
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Dieses Kochbuch entführt uns in das Burgenland, wo der „Sautanz“ eine lange Tradition hat. Die bäuerliche Feldarbeit ist erledigt und die kalten Temperaturen garantieren eine längere Haltbarkeit der Lebensmittel.
Spitzenkoch ...

Dieses Kochbuch entführt uns in das Burgenland, wo der „Sautanz“ eine lange Tradition hat. Die bäuerliche Feldarbeit ist erledigt und die kalten Temperaturen garantieren eine längere Haltbarkeit der Lebensmittel.
Spitzenkoch und Autor Max Stiegl nimmt uns auf einen Sautanz in den Winzerort Purbach der Gegenwart mit, wo eine begrenzte Haltbarkeit des Fleisches ob der Kühltruhen keine Rolle mehr spielt. Hier dominiert die Freude, nachhaltige Lebensmittel zu verarbeiten.
Meist unter Mithilfe der Nachbarschaft wird das Schwein geschlachtet, da es ziemlich aufwändig ist, alle Teile der Sau zu verwerten. Und, kein Teil wird verschwendet!
Dass heikle Waschen der Därme wird den kundigen Händen der Frau Rüssel überlassen, die diese Kunst wie keine Zweite beherrscht.
Wer kennt noch geschmorte Schweinsbackerl? Viele der aufgezeichneten Rezepte sind heutzutage schon als rare Delikatesse zu bezeichnen. Selbst wenn das Fleisch den heutigen Ernährungsgewohnheit, in denen alles fettlos sein soll nicht entspricht, schmeckt ein Schweinsbraten, aus einem langsam gemästeten und freilaufenden Mangalitza-Schwein, einfach himmlisch. Fett ist und bleibt ein Geschmacksträger.
Die vielfältigen Zubereitungsarten der einzelnen Schweineteile werden durch wunderschöne Fotos großartig in Szene gesetzt. Hier läuft einem sprichwörtlich das Wasser im Mund zusammen.

Fazit:

Ein Kochbuch für Traditionsbewusste, dem ich gerne 5 Hauben gebe. Auch als Geschenk eine gute Wahl.

Veröffentlicht am 27.10.2018

AUf Spurensuche einer vertriebenen Welt

Jüdisches Burgenland
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Das Autoren-Duo Christof Habres und Elisabeth Reis hat sich auf Spurensuche in das jüdische Burgenland bzw. in das was das Nazi-Regime von einer prosperierenden Gesellschaft übriggelassen hat, begeben. ...

Das Autoren-Duo Christof Habres und Elisabeth Reis hat sich auf Spurensuche in das jüdische Burgenland bzw. in das was das Nazi-Regime von einer prosperierenden Gesellschaft übriggelassen hat, begeben.

Es ist nicht verwunderlich, dass kaum etwas davon zu sehen ist. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind die wenigsten Vertriebenen in ihre Dörfer und Städte zurückgekehrt, denn diejenigen, die ihre Enteignung betrieben haben, sind nach wie vor in politischen Funktionen.

Jüdische Einrichtungen wie Synagogen sind zerstört und scheinbar hat niemand großes Interesse die wenigen vorhandenen Baudenkmäler zu restaurieren.
Jüdische Friedhöfe, soweit sie nicht zerstört worden sind, sind häufig weder in Stadtplänen oder Tourismusführern erwähnt. Es ist oft nur der Initiative Einzelner zu verdanken, dass diese Friedhöfe nicht ganz dem Vergessen anheimfallen.

Eine Ausnahme ist der Kreuzstadl von Rechnitz, der durch die Initiative RE.F.U.G.I.U.S zu einem Mahnmal an das Massaker an 180 Juden und gleichzeitig ein Symbol der überregionalen Gedenkkultur geworden ist. (Näheres sieh auch www.refugius.at)

Fazit:

Ein etwas anderer Reiseführer durch das Burgenland. Gerne gebe ich dafür 5 Sterne.

Veröffentlicht am 24.10.2018

Ein Kunst-Krimi rund um Egon Schieles Werke

Alles ist lebend tot
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Alles ist lebend tot/Natalie Mesensky/5 Sterne

Dieser etwas sperrige Titel ist ein Zitat von Egon Schiele, der nicht nur 1918 (also vor 100 Jahren) an der Spanischen Grippe starb, sondern ein damals umstrittener ...

Alles ist lebend tot/Natalie Mesensky/5 Sterne

Dieser etwas sperrige Titel ist ein Zitat von Egon Schiele, der nicht nur 1918 (also vor 100 Jahren) an der Spanischen Grippe starb, sondern ein damals umstrittener Sohn der Kleinstadt Tull war, in der dieser Krimi spielt.

Barbara Aubert hat ihre Softwarefirma verkauft und erfüllt sich mit dem Verkaufserlös einen langgehegten Wunsch: Sie investiert das Geld in eine Villa und Gärtnerei in Tulln. Doch die kleinstädtische Idylle bekommt bald ihre Risse als bei ihren Nachbarn eingebrochen wird und der Kunstexperte Prof. Hickel einem Raubmord zum Opfer fällt. Gestohlen wird ein Bild von Egon Schiele.

Die verschworenen Tullner tratschen über Barbara und ihre restaurierte Villa, die vor 1938 in Besitz der Familie Stadler war. Ein Restitutionsfall?
Auch ihre Geschäftspartnerin Leonie verfügt sofort über Informationen aus der Stadt. Nebenbei ist sie über Barbaras Anwesenheit in Tulln und im Geschäft nicht sehr glücklich.
Als dann weitere Morde geschehen, die einen möglichen Zusammenhang mit dem örtlichen Museum zu haben scheinen, wird Barbara hellhörig. Was hat die ermordete Mitarbeiterin des Finanzamtes mit Leonie zu schaffen?

Was hat es mit Prof. Urban auf sich, der in seinem Salon eigentlich nur Männer und die Finanzbeamtin bewirtet? Plötzlich wird auch Barbara in diesen erlauchten Kreis aufgenommen.

Meine Meinung:

Natalie Mesensky hat um den Tullner Maler Egon Schiel einen atmosphärisch dichten Krimi gewoben. Nichts wird dem Zufall überlassen, nichts ist so wie es scheint. Mehrmals werden die Leser in die Irre geführt.

Wir begegnen einigen Figuren aus den beiden anderen Krimis („Im Namen der Venus“ bzw. „Der Teufel im Glas“). Da sind zuerst einmal Freundin und Archäologin Ines (mit dem Vater im Innenministerium) und Oberst Paul Kandler zu nennen. Paul wird mit den Ermittlungen betraut, nachdem die erste Tote die Frau des örtlichen Polizeichefs ist und der naturgemäß ebenfalls verdächtig ist.

Sehr elegant ist die Lebensgeschichte von Egon Schiele in den Krimi eingeflossen, der im Bahnhofsgebäude von Tulln zur Welt gekommen ist.

Das farbenfrohe Cover zeigt einen Ausschnitt aus Schieles Gemälde „Fuchsienzweige“ oder „Sonnenbaum“.

Fazit:

Mir hat dieser Krimi sehr gut gefallen, zeigt er doch deutlich Gier und menschliche Abgründe auf. Gerne gebe ich 5 Sterne.