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Veröffentlicht am 01.11.2018

Erwachsen werden

Keine Ahnung, ob das Liebe ist
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Julia Engelmann spricht mir wieder einmal aus der Seele – woher weiß man, ob es Liebe ist? „Immer wenn Du bei mir bist, hör ich auf Dich zu vermissen.“ Doch Liebe ist oft zeitlich begrenzt. Und danach, ...

Julia Engelmann spricht mir wieder einmal aus der Seele – woher weiß man, ob es Liebe ist? „Immer wenn Du bei mir bist, hör ich auf Dich zu vermissen.“ Doch Liebe ist oft zeitlich begrenzt. Und danach, wenn es vorbei ist? So ziemlich jeder hatte schon einmal Liebeskummer. Aber wie verarbeitet man den am Besten? Aussitzen, verdrängen, ins nächste Abenteuer stürzen? „Ich bin gern allein, aber ungern einsam.“ Lässt man ihn sich anmerken oder spielt man nach außen die Coole? Und vor allem, ist man irgendwann wieder bereit, sich auf eine neue Liebe einzulassen? „Geliebt werden ist einfach, aber Lieben ist ein Kunststück.“

Diesen und mehr Fragen geht sie in diesem (Hör-)Buch auf den Grund. Ihre Gedichte handeln auch vom endgültigen Erwachsenwerden, dem Abschied von der Jugend. Den habe ich schon länger hinter mir. Und ich weiß, ein neuer Lebensabschnitt ist immer schwer, um so wichtiger sind Freunde, Gleichgesinnte. „Weil von allem was vergeht, auch ein kleines bisschen bleibt.“ Man braucht „Strukturen im Chaos“.

Ich habe schon beim letzten Hörbuch von ihrer Stimme geschwärmt und tu es wieder! Julia Engelmann ist eine wunderbare Interpretin ihrer eigenen Texte, man fühlt sich ihr so nah, möchte sie manchmal in den Arm nehmen, weil man Angst hat, dass sie sich in ihrer Trauer und ihrem Schmerz verliert. Und wie so vielen Anderen, geht auch mir „Löwenherz“ besonders nah. Wessen Verlust betrauert sie da?
Besonders berührend finde ich, dass sie sich, nachdem sie sich im letzten (Hör-)Buch an ihren Bruder gewandt hatte, dieses Mal bei ihrer Mutter und ihrem Vater bedankt. Man nimmt als Kind so vieles als selbstverständlich und begreift erst später, was Eltern eigentlich alles für ihre Kinder tun. Sie geben uns unsere Heimat, geben uns Flügel und sind unser Sicherheitsnetz.

Julia Engelmann schreibt über Verlust, (Selbst-)Liebe, Verzeihen, Erinnerung, Hoffnung, Dankbarkeit. Über alles, was das Leben ausmacht. Ihre Worte haben mich wieder sehr berührt.

Weitere Lieblingszitate:
„Ich lass zu wenig los und viel zu viel zu.“
„Wahre Stärke liegt am Ende in Verletzlichkeit.“
„Scherben bringen jedem Glück, solange man nicht drauf tritt.“
„Bevor ich dich enttäusche, täusch ich lieber etwas vor.“

Veröffentlicht am 31.10.2018

Wissen macht Spaß

Ketchup, Kult und Kino-Küsse
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Badet ihr eigentlich allein oder zu zweit? Mein Mann und ich baden (schon aus Gründen der Wasserersparnis) fast immer zusammen und lauschen dabei gern einem Hörbuch oder lesen ein Wannenbuch. (Diese sind ...

Badet ihr eigentlich allein oder zu zweit? Mein Mann und ich baden (schon aus Gründen der Wasserersparnis) fast immer zusammen und lauschen dabei gern einem Hörbuch oder lesen ein Wannenbuch. (Diese sind natürlich wasserfest und in 15 Minuten gelesen.)

Dirk M. Schumacher, der Autor von „Buddhas baden besser“, hat jetzt ein neues Wannenbuch geschrieben: „Ketchup, Kult und Kino-Küsse“ kann man super zu zweit lesen und hat noch eine Menge Spaß dabei. Die 33 kniffeligen und kuriosen Fragen drehen sich um Film-Wissen, welches man (hoffentlich) im Laufe seines Lebens gesammelt hat. Wir haben uns auf jeden Fall köstlich darüber amüsiert, was wir alles nicht oder - mit Überzeugung - falsch wissen. Und da man sich die Antworten nicht alle merken kann, macht es auch noch ein zweites oder drittes Mal Spaß. Wir sagen: Bitte mehr davon!

Das perfekte Buch für Kinofanatiker, Besserwisser und Bade-Pärchen.

Veröffentlicht am 29.10.2018

Die Hexe

Die Engelmacherin von St. Pauli
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Bilshausen im Harz, irgendwann zwischen 1882 und 1888: Elisabeth ist Mitte 20 und Hebamme. Allerdings nicht aus Berufung, sondern weil sie viel Geld verdienen und ein besseres Leben will. Ihr ist es egal, ...

Bilshausen im Harz, irgendwann zwischen 1882 und 1888: Elisabeth ist Mitte 20 und Hebamme. Allerdings nicht aus Berufung, sondern weil sie viel Geld verdienen und ein besseres Leben will. Ihr ist es egal, wenn mal ein Kind oder die Mutter unter der Geburt sterben. „Ihr Motto war einfach: Nie etwas zugeben, immer alles abstreiten und möglichst einen anderen Schuldigen nennen. Wenn alles nichts half auch ruhig Gott.“ (S. 10)
Leider durchkreuzt ihre eigene Schwangerschaft ihre Pläne, die Abtreibung hat nicht funktioniert, sie bekommt eine uneheliche Tochter. Aber wer weiß, für was die später mal gut ist, denkt sie sich.

Um 1900 lebt Elisabeth in St. Pauli, ist mit dem Kesselflicker Heinrich Wiese verheiratet und zwingt ihre Tochter Paula zur Prostitution. Doch Paula kann fliehen und Elisabeth muss sich nach einer neuen Verdienstmöglichkeit umsehen. Sie vermittelt Kinder lediger Frauen an Pflegefamilien oder neue Eltern. Als einige der Mütter ihre Kinder wiederhaben wollen, sind diese verschwunden. Gerüchte kommen auf und Elisabeth verstrickt sich in Widersprüche – hat sie die Kinder wirklich im umgebauten Küchenofen verbrannt?

„Die Engelmacherin von St. Pauli“ von Kathrin Hanke ist aus der „True Crime“ Reihe des Gmeiner Verlages und der zweite historische Kriminalfall, den die Autorin umfassend recherchiert hat. Zwar wurden viele Akten im 2. WK zerstört, doch trotzdem schafft sie es auf der Basis des noch existierenden Materials, „die Hexe“ und ihre Verbrechen für den Lesers wieder aufleben zu lassen.
Elisabeth wird aus der Sicht verschiedener Beteiligter geschildert. Sie alle erleben sie als kaltherzig, jähzornig, herrisch, brutal und geldgierig. Eine Frau, die ihrem Umfeld Angst macht. Selbst ihr eigener Mann traut ihr nicht, vermutet, dass sie ihn vergiften will um an sein Sparbuch zu kommen.

Ich hatte beim Lesen immer wieder Gänsehaut. Es war erschreckend, was Elisabeth ihrer Tochter und den anderen Frauen angetan hat. Noch während des Gerichtsverfahrens versucht sie, die Schuld auf abzuwälzen – zum Glück erfolglos. Und obwohl es ein reiner Indizienprozess war, wird Elisabeth Wiese am Ende zum Tod durch das Fallbeil verurteilt. Die Beweismittel und vor allem die Widersprüche, in die sie sich immer mehr verstrickt, waren erdrückend.

Kathrin Hanke hat es wieder geschafft mich mit einem Buch zu fesseln, dessen Ausgang vorher bekannt ist. Neben den Protagonisten und ihren zum Teil sehr unwirtlichen Lebensumständen, schildert sie auch Hamburg zur damaligen Zeit sehr anschaulich. Die zwischen den einzelnen Kapiteln angedruckten Prozessaussagen von Zeugen, Reportern etc. machen das Buch besonders eindringlich.

Veröffentlicht am 23.10.2018

Die Stunde Null

Die Schwestern vom Ku'damm: Jahre des Aufbaus
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„Ihre einstige Welt lag begraben unter Tonnen von Schutt – und mit ihr so ziemlich alles, woran sie jemals geglaubt hatte.“ (S. 27)
Berlin, Mai 1945. Rike, ihre Schwestern Silvie und Florentine sowie ihre ...

„Ihre einstige Welt lag begraben unter Tonnen von Schutt – und mit ihr so ziemlich alles, woran sie jemals geglaubt hatte.“ (S. 27)
Berlin, Mai 1945. Rike, ihre Schwestern Silvie und Florentine sowie ihre Stiefmutter Claire sitzen im Keller der elterlichen Villa und haben Angst vor dem, was jetzt kommt. Vor allem vor den Russen. Von ihrem Vater Friedrich haben sie seit Tagen nichts gehört, ihr Bruder Oskar, Silvies Zwilling, wird seit Stalingrad vermisst. Ob das Kaufhaus der Familie am Ku’damm noch steht, wissen sie nicht.
Kurz darauf werden sie aus der Villa vertrieben, das Kaufhaus ist eine Ruine. Rike träumt von einer Wiedereröffnung, aber zuerst muss die Stadt wieder aufgebaut werden. Wie so viele andere Frauen arbeiten sie als Trümmerfrauen. Als Rike dabei auf Miriam Sternberg, die begabte Tochter der ehemaligen (jüdischen) Chefin der Maßschneiderei stößt, scheint ihr Traum vom neuen Kaufhaus Thalheim wieder näher zu rücken ...

Ich finde immer wieder faszinierend wie es Brigitte Riebe schafft, mit wenigen Sätzen Situationen und Personen zu beschreiben, ihre Träume, Ziele und Ängste.
Rike ist eine Macherin und Powerfrau. Sie fühlt sich für die Familie verantwortlich und steckt selbst zurück, wenn es dem großen Ganzen dient. Mit Mitte 20 zählt sie schon als alte Jungfer und hat den Traum von einer eigenen Familie fast aufgegeben. Außerdem hatte sie vor dem Krieg ein BWL-Studium angefangen – ob sie es je beenden kann? Dazu kommt noch das Geheimnis um das Erbe ihres Großvaters, dass sie unbedingt vor ihrem Vater geheim halten soll.
Ihre jüngere Schwester Silvie ist da ganz anders. Sie möchte jetzt vor allem endlich leben und verliebt sich regelmäßig neu. Sie macht bald Kariere – wenn auch in einer völlig anderen Richtung als geplant - und hilft damit der Familie auf ihre ganz eigene Weise. „Wenn wir nicht an eine Zukunft glauben, werden wir auch keine haben.“ (S. 88)
Meine Lieblingsnebenprotagonistin ist die Jüdin Miriam. Ich habe durch sie zum ersten Mal davon erfahren, dass einige Juden als „U-Boot“ (getarnt und gleichzeitig in aller Öffentlichkeit) den Krieg mitten unter den Augen der Nazis überlebt haben. Trotzdem allem will sie jetzt keine Sonderstellung: „Nie wieder im Leben eine Sonderbehandlung! Ich bin ein stinknormales Berliner Mädchen, nicht anders als Du. Wir sind genau so wie ihr – nur eben jüdisch.“ (S. 71) Sie hat von ihrer Mutter Schneidern gelernt und träumt vom Besuch einer Modeschule mit einem richtigen Abschluss.

Sehr anschaulich schildert Brigitte Riebe die entbehrungsreiche Nachkriegszeit, die politischen und persönlichen Entwicklungen, das Bangen bei der Währungsunion und die Luftbrücke, welche das Überleben der „Westberliner“ nach der Abriegelung durch die sowjetischen Besatzer sicherte. Mehr als eine Szene hat mir echte Gänsehautmomente beschert, vor allem das Ende ...

Brigitte Riebe schafft es wie kaum eine andere Autorin, die jüngere deutsche Geschichte extrem fesselnd und mitreißend zu erzählen. „Die Schwestern vom Ku’damm“ ist wieder eines der Bücher, das man kaum aus der Hand legen mag und sich dann am Ende ärgert, es viel zu schnell ausgelesen zu haben. Aber zum Glück ist es der Auftakt einer Trilogie und wir werden schon im nächsten Sommer erfahren, wie es weitergeht.

Veröffentlicht am 17.10.2018

Die Knaststicker

Stick oder stirb!
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„Oh wie cool, Seifferheld ermittelt wieder!“ habe ich sofort gedacht, als ich die Ankündigung für „Stick oder Stirb“ gesehen habe. Vor einiger Zeit hatte die Autorin Tatjana Kruse auf Facebook gefragt, ...

„Oh wie cool, Seifferheld ermittelt wieder!“ habe ich sofort gedacht, als ich die Ankündigung für „Stick oder Stirb“ gesehen habe. Vor einiger Zeit hatte die Autorin Tatjana Kruse auf Facebook gefragt, was wir Leser uns denn für einen neuen Seifferheld-Fall alles wünschen würden. Wir stimmten u.a. für „mehr Onis“ und „mehr Männerkochguppe“. Diese Wünsche wurden erhört .
Ach ja. Onis ist Seifferhelds treuer Hovawart-Rüde, der todesmutig mit in den Transporter springt, als sein Herrchen entführt wird, und die VHS-Männerkochgruppe hat schon so einige Abenteuer zusammen erlebt. Aber erst mal zum Anfang.

Siggi Seifferheld ist ein pensionierter Ex-Kommissar, der seine Leidenschaft fürs Sticken vor Jahren offengelegt und nun sogar eine wöchentliche Radiosendung hat. Außerdem gibt er im Knast von Schwäbisch Hall einmal wöchentlich Stickunterricht für harte Knastbrüder – mit stumpfen Nadeln natürlich. „Seifferheld, du bist einer von den Guten.“ (S. 49) Als der russische Mafia-Boss Pjotr seine Flucht plant, gerät Siggi leider zwischen die Fronten und wird kurzerhand mitgenommen. Die Polizei ermittelt zwar, doch seine Familie und Freunde mischen gehörig mit ...

Tatjana Kruse gelingt es meisterhaft, dass man schon mit der ersten Szene wieder in der Seifferheldschen Kosmos eintaucht. Siggi ist frisch verheiratet und seine Gattin Mac, ehemals Journalistin, hat einen Welpenkindergarten für „Problemmischungen“ eröffnet, der den Haushalt gehörig durcheinander bringt und Onis in die Verzweiflung treibt. „Möglich, dass ihre Mütter sie liebten, aber für ihn waren sie nicht nur charakterlich, sondern auch optisch-ästhetisch Ausgeburten der Hölle.“ (S. 15)
Nicht-Putze Olga kommt immer noch täglich zum Nicht-Putzen und geizt nicht mit unsinnigen Tipps. Siggis Schwager, Pfarrer Helmerich, kämpft weiter gegen seine Flatulenzen und versteckt sich regelmäßig vor seiner Frau Irmgard (genannt „die Generalin“) bei ihm. Auch mit Mac rauscht Irmgard regelmäßig zusammen, schließlich ist sie es nicht gewohnt, dass sich eine andere Frau um Siggi sorgt – die Revierkämpfe und Sticheleien der beiden waren genial.
Nach Siggis Entführung schaltet sich natürlich seine Tochter Susanne via Skype live aus Peking ein und Nichte Karina inkl. Familie reist extra aus Stuttgart an und reißt die Leitung der Suchgruppen an sich: „Für so ein kleines Persönchen klang ihre Stimme enorm zackig. ... Wäre in diesem Moment das Rote Meer vor ihr gelegen, es hätte sich geteilt.“ (S. 127)

„Stick oder Stirb“ sollte man nur in der Öffentlichkeit lesen, wenn man gern Aufmerksamkeit erregt – denn man kommt aus dem Lachen kaum mehr raus. Eine Pointe jagt die nächste, die Protagonisten sind alle herrlich skurril und quasi nebenher wird ein spannender Fall extrem einfallsreich gelöst. Natürlich geht dabei so einiges schief, aber letztendlich kommt es ja auf das Ergebnis an. Bitte mehr davon! 5 Sterne und meine unbedingte Kauf-/Leseempfehlung.