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Veröffentlicht am 23.11.2018

Zurück in ihre Vergangenheit

Trügerischer Sommer
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nämlich aus Berlin in ein kleines Dorf in Niedersachsen, kehrt die Malerin Barbara, nachdem sie die Nachricht erhalten hat, dass ihr Vater im Sterben liegt. Ihr Vater, mit dem sie seit Jahren kaum Kontakt ...

nämlich aus Berlin in ein kleines Dorf in Niedersachsen, kehrt die Malerin Barbara, nachdem sie die Nachricht erhalten hat, dass ihr Vater im Sterben liegt. Ihr Vater, mit dem sie seit Jahren kaum Kontakt hatte. Mit dabei: ihr Sohn Tore. Beide sind selbst gerade dabei, sich umzuorientieren, nachdem Barbaras Lebensgefährte und Tores Vater Holger ihnen den Rücken gekehrt hat - eigentlich ja nur Barbara, aber seine neue, viel jüngere Freundin beschäftigt ihn so, dass er kaum Zeit für seinen Sohn findet.

Natürlich soll dies nur ein Aufenthalt für kurze, für sehr kurze Zeit sein, denn nichts will Barbara weniger, als in den engen Mief des Dorfes zurückzukehren. Doch immerhin erwartet sie dort eine Freundin, nämlich Karen, der sie seit ihrer Kindheit verbunden ist und die ihr auch eine große Stütze ist.

Mit der Rückkehr verbunden ist ein Wiedersehen mit Bruder Kristian, einem Tierarzt, mit dem der Kontakt aus vielerlei Gründen auch kaum noch vorhanden ist. Aber warum hat Kristian den Vater noch nicht im Krankenhaus besucht? Und was hat es mit seiner Arbeit auf sich? Er hat nämlich nicht, wie es auf dem Land ja durchaus sinnvoll wäre, eine eigene Praxis, sondern arbeitet als Angestellter beim lokalen Großunternehmer Lüken, der seine Nase in alle, aber wirklich alle Geschicke des Dorfes steckt.

Die Geschichte wird sowohl aus Barbaras als auch aus Tores Sicht geschildert und nach und nach wird deutlich, dass auch Barbara ihrem Sohn so einiges über die Familie vorenthalten hat und dass es wahre Abgründe sind, denen sie und damit auch ihr Sohn sich stellen müssen. Tore geht mit der Unerschrockenheit eines Teenagers daran, die Sache von hinten aufzurollen. Und droht dabei unter die Räder zu geraten, denn die Verbindungen und Seilschaften umfassen weit mehr als seine eigene Famlie...

Mechthild Lanfermann knüpft mit ihrem Spannungsroman und erstem Stand-Alone in der Hinsicht an ihre Krimireihe mit Protagonistin Emma Vonderwehr an, dass auch hier das Darstellen von Mißständen sowohl familiärer als auch gesellschaftlicher Art ein großes Anliegen ist. Wer Spannung liebt und dabei nicht auf sinnvolle, auf anspruchsvolle Weise transportierte Gesellschaftskritik verzichten möchte, der sollte bei diesem Buch zugreifen.

Ein eindrucksvoller Roman, wenn ich im direkten Vergleich auch die Emma-Vonderwehr-Reihe bevorzuge. Zu fern war mir hier oft das Handeln der Protagonistin, auch einige Entwicklungen konnte ich nicht so ganz nachvollziehen. Doch das ist Kritik auf sehr hohem Niveau und mag andere Leser, die dieses Buch anders wahrnehmen und die Autorin möglicherweise noch nicht kennen, gar nicht betreffen. Auf jeden Fall ist es fesselnd geschrieben und wer in seiner Lektüre gern Spannung mit Anspruch verbindet, ist hier definitiv an der richtigen Adresse!

Veröffentlicht am 12.11.2018

Der Tollund-Mann als Verbindungsperson

Das Versprechen, dich zu finden
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Sehnsucht nach einer Mumie, nämlich nach dem sogenannten Tollund-Mann, der allerdings schon lange verstorben ist. Er ist ein Exponat im Silkeborg-Museum in Dänemark, und zwar ein ziemlich Bekanntes. Jedenfalls ...

Sehnsucht nach einer Mumie, nämlich nach dem sogenannten Tollund-Mann, der allerdings schon lange verstorben ist. Er ist ein Exponat im Silkeborg-Museum in Dänemark, und zwar ein ziemlich Bekanntes. Jedenfalls so bekannt, dass Tina in East Anglia schon in den 1960ern von ihm hörte, als Schulmädchen. Mit ihrer Freundin Bella hatte sie sich bereits damals vorgenommen, diesem Mann einen Besuch abzustatten, wozu es leider nie kam. Denn nun lebt Bella nicht mehr.

Durch einen Brief einen dänischen Forscher, mit dem sie ihm quasi auf ein von ihm in Jugendzeiten erhaltenes Schreiben antwortet, trifft sie auf Anders, dem gegenwärtigen Kurator des Museums, woraus ein intensiver Briefwechsel resultiert. Die englische Bäuerin Tina, verheiratet mit erwachsenen Kindern, auch Enkel gibt es bereits und der Wissenschaftler Anders, verwitwet und Vater von ebenfalls erwachsenen Kindern, haben sich nämlich eine Menge zu sagen.

Es entsteht eine unerwartete Nähe, in der sie sich die Entwicklungen in ihren jeweiligen Leben - und bei beiden ist ein Menge los - mitteilen und aufeinander eingehen.

Unverhofft kommt oft: Wer hätte gedacht, dass eine Mumie als Verbindungsperson fungieren kann, denn über ihn haben die beiden sich ja kennengelernt - wenn auch auf Entfernung. Tina und Anders finden sich im dritten Lebensabschnitt: zunächst als Zufallsbekanntschaften, dann als Brieffreunde, die sich gewissermaßen als Seelenverwandte finden.

Autorin Anne Youngson hat mit "Das Versprechen, dich zu finden" einen ruhigen, aber alles andere als ereignislosen Roman geschrieben, den ich gerne gelesen habe. Ein ungewöhnliches Buch, an das ich sicher lange denken werde!

Veröffentlicht am 02.11.2018

Der Lenz ist da

Lenz (Ein Kommissar-Eschenbach-Krimi 6)
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Zumindest im Bewusstsein seines ehemaligen Kollegen Kommissar Eschenbach - aber jetzt, wo er dringend gebraucht wird, ist er nicht aufzufinden. Es geht nämlich um einen mysteriösenTodesall, bei ...

Zumindest im Bewusstsein seines ehemaligen Kollegen Kommissar Eschenbach - aber jetzt, wo er dringend gebraucht wird, ist er nicht aufzufinden. Es geht nämlich um einen mysteriösenTodesall, bei dem alle Indizien auf Lenz, den ehemaligen Archivar der Kantonspolizei und Eschenbachs engen Freund hindeuten. Dieser bekommt alle Hände voll zu tun und das gerade jetzt, wo er ganz andere Probleme hat: nach der Rückkehr von einem längeren Aufenthalt in den Vereinigten Staaten hat man ihm eine jüngere Kollegin an die Seite gestellt - und das, obwohl er doch eigentlich der alleinige Chef seiner kleinen, aber feinen Truppe ist. Und mehr noch: er hat das ungute Gefühl, man versuche ihn auszuhebeln: warum nur?

In einem zweiten Erzählstrang erfährt der Leser, was Eschenbach nicht weiß: Lenz war auf dem Weg nach Deutschland zu einer alten Bekannten, um einen überaus geheimnisvollen Auftrag zu erfüllen.

Wie hängt das alles zusammen und was hat der große weltpolitische Kontext, auf den der Fokus auch irgendwann gerichtet wird, damit zu tun? Mit den Ereignissen in Syrien in den letzten Jahren beispielsweise.

Ein großer Bogen ist es, den der Schweizer Michael Theurillat hier schlägt, doch ist ihm dieser durchaus gelungen. Alle Zusammenhänge lösen sich auf die überraschenste Weise auf und das in einem Kriminalroman, der eher langsamen, nachdenklichen Art, was sich sowohl auf den Schreibstil als auch auf die Entwicklung der Geschehnisse bezieht. Für diese Lektüre sollte man definitiv Geduld sowie Gründlichkeit mitbringen, denn obwohl der Band eher kurz ist, erfordert er einen bedächtigen und vor allem umsichtigen Lesestil, man sollte jeden kleinsten Aspekt, jeden Hinweis beachten und im Zuge der weiteren Vorgänge berücksichtigen.

Ich bin sehr angetan von meiner erstmaligen Lektüre eines Theurillat-Krimis, der sicher nicht der Letzte dieses Autors sein wird, den ich zur Hand nehme. Obwohl die Eschenbach-Krimis eine Reihe bilden, hatte ich überhaupt keine Probleme mit dem Einstieg. Eine Empfehlung für Krimifreunde, die Literarisches und Tiefgründiges lieben!


Veröffentlicht am 31.10.2018

Die Geburtsstunde Westberlins

Die Schwestern vom Ku'damm: Jahre des Aufbaus
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Also das Ende des zweiten Weltkriegs und die Wochen und Jahre danach bildet den zeitlichen und räumlichen Rahmen für diesen Roman um die Familie Thalheim, mit dem Autorin Brigitte Riebe eine Trilogie ...

Also das Ende des zweiten Weltkriegs und die Wochen und Jahre danach bildet den zeitlichen und räumlichen Rahmen für diesen Roman um die Familie Thalheim, mit dem Autorin Brigitte Riebe eine Trilogie beginnen lässt. Drei Schwestern - Rike, Silvie und Florentine - sind die Protagonistinnen: jeder der drei ist ein Band gewidmet.

Diesmal steht Rike, die älteste der drei Thalheim-Schwestern im Mittelpunkt, eine umsichtige und pragmatische Person, die versucht, ihre durchaus vorhandene Emotionalität im Verborgenen auszuleben, was nicht immer gelingt. Nachdem sich die Männer der Familie - Vater und Bruder - zunächst nicht aus dem Krieg zurückmelden, sieht Rike sich gezwungen, das Zepter in die Hand zu nehmen und erste Schritte zu tätigen, um das ehemals große Modekaufhaus, das zu großen Teilen in Besitz der Familie Thalheim wieder, zumindest in kleinerem Format wieder auferstehen zu lassen. Auch nach der Rückkehr ihres Vaters aus der Gefangenschaft bleibt sie am Ball.

Doch auch die Entwicklungen, in diesen ersten Jahren also hauptsächlich die Sorgen und Nöte weiterer Protagonisten, der beiden Schwestern, der Stiefmutter sowie anderer Familienmitglieder und Freunde kommen nicht zu kurz und wir dürfen mit Familie Thalbach den allmählichen Wiederaufbau Westberlins, aber auch die entgültige Spaltung Deutschlands in Ost und West erleben.

Brigitte Riebe ist promovierte Historikerin und hat ein Händchen dafür, spannende und interessante, oft vergessene reale Alltagsereignisse der von ihr jeweils geschilderten Zeitspanne in den Handlungsverlauf einzubauen: Eine "Spezialität", die ich ganz besonders genieße.

Also ein richtiggehender Lesegenuss, bei dem mir einzig die etwas zu zahlreichen Zufälle, die immer wieder vor allem Rikes Schicksal bestimmten und ihm eine neue Wendung gaben, des Guten zu viel waren.

Insgesamt jedoch ein Roman, der in mir ein warmes, wohliges Gefühl interlässt, weil es so viele meiner (Lese-)Bedürfnisse befriedigt hat: eindringliche Charaktere, literarischer und historischer Anspruch, gute Unterhaltung, ein angenehmer, nicht zu gefällige Stil, der etwas erfrischend Freches an sich hat - ein gelungener Start in die Trilogie , der mir den Einstieg in den nasskalten Herbst versüßt hat. Schon jetzt bin ich mehr als gespannt auf Band 2 und 3 - also auf die lebenshungrige, spontane Silvie und die verträumte, künstlerisch begabte Florentine, zumal die Autorin in Band 1 zum Ende hin mit nicht nur einem Cliffhanger aufwartet.

Veröffentlicht am 27.10.2018

Ein Buch, das weh tut

Mein Ein und Alles
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Und zwar richtiggehend körperlich, denn die junge Turte Alveston, Ich-Erzählerin und maßgebliche Protagonistin dieses Romans, erleidet im Laufe der Handlung so einige Blessuren sowohl physischer als auch ...

Und zwar richtiggehend körperlich, denn die junge Turte Alveston, Ich-Erzählerin und maßgebliche Protagonistin dieses Romans, erleidet im Laufe der Handlung so einige Blessuren sowohl physischer als auch psychischer Art. Diese werden ihr von ihrem Vater Martin zugefügt, der besessen ist - von ihr, von sich selbst, vor allem aber von Waffen. Mit denen er Turtle, die eigentlich Julia heißt, bereits seit frühester Kindheit konfrontiert, ebenso wie mit Sex, Schlägen und auch mit bleibenden Verletzungen - seelischen sowieso, aber auch körperlichen.

Dies alles wird dem Leser eher beiläufig mitgeteilt; es gehört zu Turtles Alltag, in den er nach und nach eintaucht. Es ist ein Leben, das man nicht einmal seinem ärgsten Feind wünscht, geschweige denn einem Teenager wie Turtle. Die bis zu einem gewissen Punkt abhängig ist von ihrem Daddy wie sie ihn nennt, ja ihn sogar liebt, wie sie beteuert. Doch als sie zwei Jungs in ihrem Alter kennenlernt und der eine, Jacob und sie sich näherkommen, ist ihr schon klar, dass ihr Leben kein normales bzw. für ihre Altersgenossen übliches ist.

Ihr Vater lässt sie für längere, nicht genau festgelegte Zeit allein, in der sie sich ihm teilweise innerlich entzieht, dann aber doch wieder auf seine Rückkehr hofft. Als diese irgendwann stattfindet, kommt es zu einer Katastrophe. Nein: Diese war eigentlich immer schon da, doch nun gibt es eine Explosion.

Ein erschütterndes Buch, das mir stellenweise zu viel war. Zu schonungslos, zu brutal, zu offen - ja, einfach zu extrem in allem. Etwas weniger wäre aus meiner Sicht mehr gewesen, so ist dieser so erschütternde Roman stellenweise zu einer Actionstory geraten, wenn auch keiner ohne Anspruch. Dennoch, der Blick in das Innere der Protagonisten, vor allem in das von Turtle, reichte nicht sehr tief und wurde alsbald von der nächsten wilden Aktion abgelöst. Ein Roman, der mehr dauerhaft in mir bewegt und bewirkt hätte, wäre er etwas weniger wahnwitzig unterwegs gewesen.