"Verstand und Gefühl", "Sinn und Sinnlichkeit" - ich denke jeder hat zumindest schon unter einem Namen etwas über diese Geschichte von Jane Austen gehört. So auch ich, selbst wenn ich nichts genaueres darüber wusste, als dass es um zwei unterschiedliche Schwestern geht und - wie eigentlich immer bei Jane Austen - um die Liebe. Die Handlung ist dabei die folgende:
Elinor und Marianne sind Schwestern, aber sie ähneln sich kaum. Während Elinor nämlich zurückhaltend ist und sich auf Selbstbeherrschung versteht, lässt Marianne ihren Gefühlen - oft ohne Rücksicht auf andere - freien Lauf. Doch eines haben beide gemeinsam, nämlich dass sie sich verlieben und bald das Chaos um die beiden ausbricht.
Ich war ja sehr neugierig auf diesen Roman, vor allem, da die Bücher von Jane Austen, die ich bisher gelesen habe, mich alle überzeugen konnten. Hier muss ich sagen war ich nicht ganz so mitgerissen von der Handlung, ich habe nicht so mitgefiebert wie bei "Stolz und Vorurteil" und konnte nicht so viel lachen wie bei "Emma". Meiner Meinung nach braucht die Handlung eine Weile, bis sie spannender wird. Vor allem am Anfang, als noch nichts darauf hindeutet, dass etwas Schlimmes passiert, war mir das Buch stellenweise zu langatmig. Später wird es aber auf jeden Fall interessanter. Nicht nur, dass sich vieles als komplizierter darstellt, als man auf den ersten Blick dachte, es kommt zuletzt auch zu Auflösungen und natürlich zu einem Happy Ends, wobei mich die ein oder andere Entwicklung sogar ein bisschen überraschen konnte.
Der Schreibstil ist so, wie man es von Jane Austen gewohnt ist: schön beschreibend und ironisch, sodass sich das Buch gut lesen lässt, auch wenn ich auf jeden Fall länger für die Seiten brauche als bei anderen Büchern. Ich liebe es, wie ich durch den Stil in eine andere Zeit gezogen werde, es aber nicht sofort hochgestochen klingt. Und ich mag die Dialoge, die so viel aussagen. Man merkt zum Beispiel sofort die Standes- und Persönlichkeitsunterschiede zwischen den Charakteren, wenn sie reden. In "Verstand und Gefühl" macht Jane Austen allerdings einen Unterschied im Vergleich zu ihren anderen Romanen und zwar schreibt sie fast kühl und distanziert von Geldsorgen und schlechten Charaktereigenschaften. In keinem anderen ihrer Werke wird so viel von Geld gesprochen, wird so viel verglichen und darüber nachgedacht wie hier. genauso die Abgründe in der Persönlichkeit der Menschen. In keinem anderen ihrer Bücher handelt eine Person aus so schlechten Motiven heraus und vereinigt so viele schlechte Eigenschaften in sich. Besonders, dass so viele über Einkommen und dessen Konsequenzen gesprochen wird, fand ich sehr interessant, denn es besagt viel über die Zeit.
Mein Hauptproblem mit dem Buch lag glaube ich an der Erzählperspektive. Der Roman wird aus der Sicht von Elinor und Marianne erzählt, was zwar durchaus Sinn macht, aber manchmal war es ein wenig verwirrend zu verstehen, wessen Gedanken man jetzt eigentlich verfolgt.
Mit den Protagonistinnen an sich hatte ich aber keine Probleme, fand beide sehr sympathisch. Elinor ist die Besonnene. Sie denkt rational, ist oft die Stimme der Vernunft in ihrer Familie, weiß, ihre Gefühle zu verbergen. Was nicht bedeutet, dass sie keine Gefühle hat, dadurch, dass man viele ihrer Gedanken erfährt, weiß man, wie sehr sie unter mancher Situation leidet. Marianne hingegen ist leidenschaftlich und sensibel. Sie handelt vor allem so, wie sie es für richtig hält und wie sie es möchte, lässt dabei auch mal die Konventionen zurück. Mir waren beide sehr sympathisch, ich kann gar nicht sagen, wen ich lieber mag, denn sie haben beide einen interessanter Charakter und es war spannend mit anzusehen, was Elinor und Marianne erleben und wie sie sich entwickeln.
Die Nebencharaktere waren, wie für die Autorin typisch, spitz gezeichnet. Die selbstsüchtige Schwägerin, die langweilige Mrs. Middleton mit ihrem im Gegensatz zu ihr viel zu geselligen Mann, die kauzigen Palmers oder die einfältigen Miss Steele. Nur muss ich sagen, dass ich all die Personen zwar interessant fand, aber keine so herausragend wie in den anderen Austen-Romanen, was wirklich schade ist.
Der Roman war auf jeden Fall wieder lesenswert, auch wenn er meiner Meinung nach hinter den anderen Werken Jane Austens etwas zurückbleibt.