1. Besuch auf Gut Greifenau
1913 – Kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges. Nachdem der alte Patriarch von Gut Greifenau gestorben ist, muss sein Sohn Adolphis von Auwitz-Aarhayn die Führung des Anwesens wohl oder übel übernehmen, ...
1913 – Kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges. Nachdem der alte Patriarch von Gut Greifenau gestorben ist, muss sein Sohn Adolphis von Auwitz-Aarhayn die Führung des Anwesens wohl oder übel übernehmen, wobei ihm sein ältester Sohn Konstantin, der viele Innovationen zur Modernisierung des Gutes im Kopf hat, eine große Hilfe ist. Als Konstantin sich allerdings nicht standesgemäß in die örtliche Dorflehrerin Rebecca Kurscheidt verliebt, muss er dies geheim halten, denn sonst würde der Haussegen schief hängen, denn seine Liebe zu einer nicht Adligen und dazu noch Sozialdemokratin würde nicht geduldet. Konstantins jüngere Schwester Katharina hat ebenfalls eigene Vorstellungen von ihrem Liebesglück und fährt ihrer Mutter Feodora gehörig in die Parade, die ihre Tochter mit einem Neffen des deutschen Kaisers verheiraten will und keine Absage duldet. Katharina jedoch hat ihr Herz an einen reichen Fabrikantensohn Julius verloren und hält ihre Liebe wie ihr Bruder ebenfalls geheim. Auch beim Hauspersonal ist so einiges los, und langsam zeichnet sich über den Gutsbewohnern das Unglück ab, das über alle hereinzubrechen droht – nicht nur der Krieg…
Hanna Caspian hat mit ihrem historischen Roman „Gut Greifenau – Abendglanz“ den ersten Teil ihrer Trilogie vorgelegt, der den Leser von der ersten Seite an bezaubert und in den Bann schlägt. Der Schreibstil ist flüssig, bildgewaltig und sehr fesselnd, gleichzeitig auch der damaligen Zeit angepasst und transportiert den Leser während der Lektüre schnell ins 20. Jahrhundert, um sich auf dem gräflichen Gut in Hinterpommern unsichtbar unter die Familienmitglieder und die Bediensteten zu mischen und sie neben einem intensiven Kennenlernen bei ihrem Treiben zu beobachten und ihre Gefühle, Gedanken und Träume zu erfahren. Die Autorin gibt einen guten Einblick in die damalige Gesellschaft und die Standesunterschiede. Sie lässt den Leser zum einen teilhaben am Leben der Adligen, aber auch am Leben der Bediensteten und das der Dorfbewohner. Die Zwänge der Gesellschaft und die politische Situation, denen alle unterworfen sind, ob arm ob reich, werden gut herausgehoben. Durch die wechselnden Erzählperspektiven bekommt der Leser einen guten Rundumblick und versucht, die Geheimnisse der verschiedenen Protagonisten zu ergründen, ob in der gräflichen Familie oder im Dienstbotentrakt. Gleichzeitig wird dadurch auch die Spannung immer wieder gesteigert, und durch geschickt eingefügte Wendungen kann die Autorin den Leser immer wieder überraschen. Die Landschaftsbeschreibungen sind farbenfroh und lassen bei der Lektüre davon träumen, direkt auf dem großzügigen Landsitz zu flanieren.
Die liebevolle Ausstattung des Buches mit einem ausführlichen Personenregister und Karten muss ebenfalls erwähnt werden. Mit ihnen findet der Leser sich schnell gut zurecht mit den vielen auftretenden Protagonisten und auf dem Gut.
Die Charaktere sind wunderbar ausgearbeitet und lebendig inszeniert worden. Sie besitzen individuelle Eigenschaften, wirken facettenreich und sehr authentisch für die damalige Zeit. Der Leser kann sich gedanklich unter sie mischen und mit ihnen leiden und hoffen, aber auch vor Verärgerung oder Verwunderung den Kopf schütteln. Konstantin ist ein sympathischer junger Mann mit eigenen Vorstellungen. Die Ideen für das Gut sprudeln ihm regelrecht aus dem Kopf, er ist für seine Zeit sehr modern denkender Zeitgenosse, der sich nichts Neuem verschließt und eine offene Sichtweise auf die Dinge hat. Er kennt keinen Standesdünkel, jedoch macht gerade dieser ihm sehr zu schaffen. Katharina hat ihren eigenen Kopf, will sich ihr Leben nicht diktieren lassen. Sie macht sich wie ihr Bruder keine Gedanken darüber, wem sie ihr Herz schenkt. Gräfin Feodora ist eine kalte und egoistische Frau, die am Standesdünkel festhält und ihren eigenen Kindern ein Korsett aufzwingt. Sie ist rücksichtslos und hartherzig, was oftmals grausam wirkt, wobei sie nur die Ansichten vertritt, die ihr selbst anerzogen wurden. Rebecca ist eine tolle Frau, die aus der normalen Bevölkerung stammt und mit eigenen politischen Ansichten aufwartet. Sie setzt sich über damalige Konventionen hinweg, allein für ihren Mut und ihre Stärke muss man sie einfach lieben. Auch Albert, der Kutcher, ist ein Sympathieträger, den ein Geheimnis umgibt. Auch die weiteren Guts- und Dorfbewohner unterhalten mit ihren eigenen kleinen Geschichten und machen die Handlung zu einem Lesegenuss.
Schon mit dem ersten Band „Gut Greifenau – Abendglanz“ macht Hanna Caspian den Leser süchtig und lässt ihn ungeduldig auf die Fortsetzung warten. Lange war es nicht so unterhaltsam, Teil einer fiktiven historischen Familie mit gut recherchiertem Hintergrund zu lesen und ihren Intrigen, Streitereien, Liebschaften und kleinen Geheimnissen auf die Schliche zu kommen. Bitte ganz schnell mehr davon!! Absolute Leseempfehlung für ein Jahreshighlight!