Profilbild von Wordworld_Sophia

Wordworld_Sophia

Lesejury Star
offline

Wordworld_Sophia ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Wordworld_Sophia über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.01.2019

Herzerwärmend, dramatisch, witzig und sehr berührend!

Cinder & Ella
0

Das Cover ist einfach wunderschön. Mit dem kräftigen türkisfarbenen Hintergrund sticht es sofort ins Auge und das farblich wunderbar dazu passende Hauptmotiv in Apricot ist einfach wundervoll. Die filigranen ...

Das Cover ist einfach wunderschön. Mit dem kräftigen türkisfarbenen Hintergrund sticht es sofort ins Auge und das farblich wunderbar dazu passende Hauptmotiv in Apricot ist einfach wundervoll. Die filigranen Blumen und der weiße Titel harmonieren super und ergeben somit einen gleichzeitig schlichten und doch verspielten Gesamteindruck. Die Geschichte kann abgeschlossen gelesen werden, besteht aber im Original aus zwei Bänden.

Erster Satz: "Das Problem mit Märchen ist, dass die meisten mit einem tragischen Schicksalsschlag beginnen."

Ja das ist in der Tat das Problem vieler Märchen. Auch dieses wunderschöne Neuzeitmärchen beginnt in einem kurzen Prolog mit einem heftigen Schicksalsschlag, der Ellas Leben für immer verändern wird: während sie an ihrem 18. Geburtstag mit ihrer Mutter auf dem Weg zu einem Ferienresort ist und mit ihrem Internetfreund Cinder chattet, kommt ein Transporter von der Fahrbahn ab und beendet ihr Leben. Zwar überlebt sie nach etlichen Operationen, künstlichem Koma und acht Monaten im Krankenhaus knapp, doch mit ihrer Mutter hat sie den letzten Menschen ihrer Familie verloren, der ihr etwas bedeutet hat. Nach einem missglückten Selbstmordversuch und mit ihrer neuen Behinderung und den vielen Narben ist sie nun gezwungen zu ihrem Vater zu ziehen, der sie als Kind verlassen hat und nun mit seiner neuen Familie in Los Angeles lebt. Zickige Stiefschwestern, Mobbing in der Schule, Trauer um ihre Mutter und stressige Sitzungen mit ihrer Psychotherapeutin - sie sehnt sich einfach nach ein bisschen Normalität und wünscht sich ihr altes Leben zurück. Da ist es ein glücklicher Zufall, dass ihr Chatfreund Cinder auch in LA lebt. Nach einem Jahr Funkstille meldet sie sich wieder bei ihm und sehr schnell beginnt es wieder zu knistern zwischen ihnen. Doch haben die beiden eine Chance: Brian Oliver, der neue Star am Hollywoodhimmel, und die verkrüppelte und entstellte Ella?


"EllaTheRealHero: Mein Leben steht gerade Kopf un dich brauche wirklich dringend was Vertrautes. Etwas Normales.
Cinder458: Normal kriege ich hin.
EllaTheRealHero: Klar bekommst du das hin, du Rockstar. Du würdest normal nicht mal erkennen, wenn es dir in dein absurd gutaussehendes Gesicht springen würde.
Cinder458: Du hast mein Gesicht doch noch nie gesehen. Woher willst du wissen, dass es gut aussieht?
EllaTheRealHero: Weil ein hässlicher Mensch niemals ein so großes Ego haben könnte wie du."


Wir steigen nach dem Prolog mit Ellas Ankunft in ihrem neuen Zuhause in die Geschichte ein. Schnell wird klar, dass die Parallelen zum Märchen "Aschenputtel" sich auch durch ihre neue Stieffamilie ziehen: ihre beiden Stiefschwestern Juliette und Anastasia sehen sie als Eindringling in ihre perfekte Familie und auch ihre Stiefmutter Jennifer begrüßt sie sehr unterkühlt. Ellas furchtbare, ausweglose Situation ist mir sehr schnell ans Herz gegangen. Das arme Mädchen hat keinerlei Hoffnungen und Träume mehr für ihr Leben, hat alle Bezugspersonen verloren, kann sich nicht mehr auf ihren Körper verlassen und lebt nun bei Fremden, die sie verabscheuen. Kelly Oram versteht es wirklich meisterhaft, uns in den Kopf von Ella hineinblicken und jeden Stich und jede Gemeinheit selbst spüren zu lassen. Die Autorin überrollt den Leser geradezu mit Schmerz und Tränen und ist dabei an vielen Stellen gefährlich nahe an der Grenze zur typischen New-Adult-Genre-Übertreibung. Doch neben Schmerz und Leid werden auch Vertrauen, Freundschaft, Liebe und Familie sehr groß geschrieben und es ist wundervoll zuzusehen, wie Ella langsam wieder Vertrauen in ihr Umfeld entwickelt und mit ihrer Situation besser umgehen kann.


"Witzig, reich, heiß, selbstbewusst, Buchliebhaber. Eindeutig nicht mein Typ. Nope. Ganz und gar nicht."


Dadurch dass sich Cinder alias Brian und Ella erst gegen Ende des Buches wirklich treffen, haben wir ganz viel Zeit, uns wirklich in die Protagonisten hinein zu fühlen und die zarte Beziehung zwischen den beiden kann sehr zaghaft und authentisch entwickelt werden. Durch viele Chats und Telefongespräche zwischen Cinder und Ella können wir die zwei erstmal in Ruhe beobachten, bevor die Außenwelt dazwischenfunkt. Gut hat mir hier also gefallen, dass vor allem die Charaktere im Vordergrund stehen und ihr Leiden, ihre Geschichte, ihr Leben nicht nur Kulisse für eine rasante Lovestory ist sondern sich eben diese Liebe eher dezent um ihre Probleme windet und zwischen all den Problemen ein wenig Platz findet, um aufblühen zu können. Mit dem Hin und Her, den Missverständnissen, der altbekannten "Du bist viel zu gut für mich"-Thematik ist die Geschichte natürlich etwas vorhersehbar, aber das sind ja alle Romane dieses Genres… Nichtsdestotrotz habe ich hier eine Echtheit und Tiefgründigkeit wahrgenommen, die mir bei vielen anderen Büchern davor gefehlt hat.


"Ella, wo auch immer du bist - falls du gerade zuhörst: Ich liebe dich. Du bist meine ganze Welt. Du hast immer gesagt, dass du Cinder für einen Feigling hältst, weil er getan hat, was die Leute von ihm erwartet haben, statt seinem Herzen zu folgen. Tja, ich bin kein Feigling. Dieser Prinz Cinder wählt seine Ellamara. Ich wähle dich, Ella. Wir sind Cinder und Ella, Madam. Und wir haben uns ein Happy End verdient!"


Mit Ella Rodriguez bekommen wir eine sehr starke Protagonistin vorgesetzt, die durch viel Durchhaltevermögen, Willenskraft, ihren Humor und aufkeimende Freundschaften langsam aus ihrem Loch hervorkämpft, in das sie nach dem Unfall gefallen ist. Ihre Liebe zu Büchern, vor allem zum Fantasy-Roman "Der Druidenprinz", ist für mich natürlich sehr gut nachzuempfinden gewesen und als Bloggerin und Filmfanatikerin, die sehr gerne angeregte Diskussionen über fiktive Personen führt, hatte sie für mich viel Identifikationspotential. Trotz abwechselnder Erzählung aus der Ich-Perspektive steht Ella eindeutig im Vordergrund. Doch auch Brian wird hier deutlicher gezeichnet als ich das erwartet hätte. Ella und Brian in Kombination ergeben auf jeden Fall ganz viel Lesespaß in witzigen Diskussionen. Neben wirklich liebenswerten Nebencharakteren wie die bunte Vivian mit ihren beiden kostümwütigen Dads, der treue Freund Rob, der Ella bei obwohl sie einen anderen liebt oder das Organisationstalent Scotty haben wir natürlich auch ein paar sehr hassenswerte Charaktere wie zum Beispiel die hübsche wie dumme Kaylee Summers mit ihre Intrigen oder Ellas Stiefschwester Anastasia, die keine Gelegenheit auslässt, Ella zu demütigen. Alles in allem also ein sehr farbenfrohes und ausgewogenes Bild.


"Wenn die Genetik jemals die Menschheit im Stich gelassen hatte, dann im Fall von Kaylee Summers. Sie war wie die Schokohasen, die zu Ostern verkauft wurden - von außen sah sie lecker aus, innen war sie völlig hohl und zu viel von ihr auf einmal führte garantiert zu Übelkeit."


Das herzergreifende Leiden der Protagonistin sorgt jedoch keineswegs für eine trübe Stimmung.
Kelly Oram schafft es durch flotte Dialoge und mit viel Witz und Gefühl den Spagat zwischen zuckersüßem Märchen-Flair und Bitterkeit der Realität zu verbinden, sodass die Geschichte locker und leicht daherkommt. Neben den Themen wie Mobbing, Depressionen, Verlust und Trauer kommen auch die Schattenseiten vom glänzenden Hollywood, die verbindende Wirkung von Büchern und die Wichtigkeit von menschlichen Beziehungen und Unterstützung zur Geltung. Die Parallelen zum Märchen sind da aber bleiben dezent im Hintergrund, sodass sie die Geschichte nett unterstützen aber nicht kitschig stören.


Fazit:


Eine wundervolle Märchenadaption mit einer starken Protagonistin, die es vortrefflich versteht zu leiden und zuckersüßer Märchen-Flair und die Bitterkeit der Realität zu einem unterhaltsamen Ergebnis verbindet.
Herzerwärmend, dramatisch, witzig und sehr berührend!

Veröffentlicht am 25.01.2019

Herzerwärmend, dramatisch, witzig und sehr berührend!

Cinder & Ella
0

Das Cover ist einfach wunderschön. Mit dem kräftigen türkisfarbenen Hintergrund sticht es sofort ins Auge und das farblich wunderbar dazu passende Hauptmotiv in Apricot ist einfach wundervoll. Die filigranen ...

Das Cover ist einfach wunderschön. Mit dem kräftigen türkisfarbenen Hintergrund sticht es sofort ins Auge und das farblich wunderbar dazu passende Hauptmotiv in Apricot ist einfach wundervoll. Die filigranen Blumen und der weiße Titel harmonieren super und ergeben somit einen gleichzeitig schlichten und doch verspielten Gesamteindruck. Die Geschichte kann abgeschlossen gelesen werden, besteht aber im Original aus zwei Bänden.

Erster Satz: "Das Problem mit Märchen ist, dass die meisten mit einem tragischen Schicksalsschlag beginnen."

Ja das ist in der Tat das Problem vieler Märchen. Auch dieses wunderschöne Neuzeitmärchen beginnt in einem kurzen Prolog mit einem heftigen Schicksalsschlag, der Ellas Leben für immer verändern wird: während sie an ihrem 18. Geburtstag mit ihrer Mutter auf dem Weg zu einem Ferienresort ist und mit ihrem Internetfreund Cinder chattet, kommt ein Transporter von der Fahrbahn ab und beendet ihr Leben. Zwar überlebt sie nach etlichen Operationen, künstlichem Koma und acht Monaten im Krankenhaus knapp, doch mit ihrer Mutter hat sie den letzten Menschen ihrer Familie verloren, der ihr etwas bedeutet hat. Nach einem missglückten Selbstmordversuch und mit ihrer neuen Behinderung und den vielen Narben ist sie nun gezwungen zu ihrem Vater zu ziehen, der sie als Kind verlassen hat und nun mit seiner neuen Familie in Los Angeles lebt. Zickige Stiefschwestern, Mobbing in der Schule, Trauer um ihre Mutter und stressige Sitzungen mit ihrer Psychotherapeutin - sie sehnt sich einfach nach ein bisschen Normalität und wünscht sich ihr altes Leben zurück. Da ist es ein glücklicher Zufall, dass ihr Chatfreund Cinder auch in LA lebt. Nach einem Jahr Funkstille meldet sie sich wieder bei ihm und sehr schnell beginnt es wieder zu knistern zwischen ihnen. Doch haben die beiden eine Chance: Brian Oliver, der neue Star am Hollywoodhimmel, und die verkrüppelte und entstellte Ella?


"EllaTheRealHero: Mein Leben steht gerade Kopf un dich brauche wirklich dringend was Vertrautes. Etwas Normales.
Cinder458: Normal kriege ich hin.
EllaTheRealHero: Klar bekommst du das hin, du Rockstar. Du würdest normal nicht mal erkennen, wenn es dir in dein absurd gutaussehendes Gesicht springen würde.
Cinder458: Du hast mein Gesicht doch noch nie gesehen. Woher willst du wissen, dass es gut aussieht?
EllaTheRealHero: Weil ein hässlicher Mensch niemals ein so großes Ego haben könnte wie du."


Wir steigen nach dem Prolog mit Ellas Ankunft in ihrem neuen Zuhause in die Geschichte ein. Schnell wird klar, dass die Parallelen zum Märchen "Aschenputtel" sich auch durch ihre neue Stieffamilie ziehen: ihre beiden Stiefschwestern Juliette und Anastasia sehen sie als Eindringling in ihre perfekte Familie und auch ihre Stiefmutter Jennifer begrüßt sie sehr unterkühlt. Ellas furchtbare, ausweglose Situation ist mir sehr schnell ans Herz gegangen. Das arme Mädchen hat keinerlei Hoffnungen und Träume mehr für ihr Leben, hat alle Bezugspersonen verloren, kann sich nicht mehr auf ihren Körper verlassen und lebt nun bei Fremden, die sie verabscheuen. Kelly Oram versteht es wirklich meisterhaft, uns in den Kopf von Ella hineinblicken und jeden Stich und jede Gemeinheit selbst spüren zu lassen. Die Autorin überrollt den Leser geradezu mit Schmerz und Tränen und ist dabei an vielen Stellen gefährlich nahe an der Grenze zur typischen New-Adult-Genre-Übertreibung. Doch neben Schmerz und Leid werden auch Vertrauen, Freundschaft, Liebe und Familie sehr groß geschrieben und es ist wundervoll zuzusehen, wie Ella langsam wieder Vertrauen in ihr Umfeld entwickelt und mit ihrer Situation besser umgehen kann.


"Witzig, reich, heiß, selbstbewusst, Buchliebhaber. Eindeutig nicht mein Typ. Nope. Ganz und gar nicht."


Dadurch dass sich Cinder alias Brian und Ella erst gegen Ende des Buches wirklich treffen, haben wir ganz viel Zeit, uns wirklich in die Protagonisten hinein zu fühlen und die zarte Beziehung zwischen den beiden kann sehr zaghaft und authentisch entwickelt werden. Durch viele Chats und Telefongespräche zwischen Cinder und Ella können wir die zwei erstmal in Ruhe beobachten, bevor die Außenwelt dazwischenfunkt. Gut hat mir hier also gefallen, dass vor allem die Charaktere im Vordergrund stehen und ihr Leiden, ihre Geschichte, ihr Leben nicht nur Kulisse für eine rasante Lovestory ist sondern sich eben diese Liebe eher dezent um ihre Probleme windet und zwischen all den Problemen ein wenig Platz findet, um aufblühen zu können. Mit dem Hin und Her, den Missverständnissen, der altbekannten "Du bist viel zu gut für mich"-Thematik ist die Geschichte natürlich etwas vorhersehbar, aber das sind ja alle Romane dieses Genres… Nichtsdestotrotz habe ich hier eine Echtheit und Tiefgründigkeit wahrgenommen, die mir bei vielen anderen Büchern davor gefehlt hat.


"Ella, wo auch immer du bist - falls du gerade zuhörst: Ich liebe dich. Du bist meine ganze Welt. Du hast immer gesagt, dass du Cinder für einen Feigling hältst, weil er getan hat, was die Leute von ihm erwartet haben, statt seinem Herzen zu folgen. Tja, ich bin kein Feigling. Dieser Prinz Cinder wählt seine Ellamara. Ich wähle dich, Ella. Wir sind Cinder und Ella, Madam. Und wir haben uns ein Happy End verdient!"


Mit Ella Rodriguez bekommen wir eine sehr starke Protagonistin vorgesetzt, die durch viel Durchhaltevermögen, Willenskraft, ihren Humor und aufkeimende Freundschaften langsam aus ihrem Loch hervorkämpft, in das sie nach dem Unfall gefallen ist. Ihre Liebe zu Büchern, vor allem zum Fantasy-Roman "Der Druidenprinz", ist für mich natürlich sehr gut nachzuempfinden gewesen und als Bloggerin und Filmfanatikerin, die sehr gerne angeregte Diskussionen über fiktive Personen führt, hatte sie für mich viel Identifikationspotential. Trotz abwechselnder Erzählung aus der Ich-Perspektive steht Ella eindeutig im Vordergrund. Doch auch Brian wird hier deutlicher gezeichnet als ich das erwartet hätte. Ella und Brian in Kombination ergeben auf jeden Fall ganz viel Lesespaß in witzigen Diskussionen. Neben wirklich liebenswerten Nebencharakteren wie die bunte Vivian mit ihren beiden kostümwütigen Dads, der treue Freund Rob, der Ella bei obwohl sie einen anderen liebt oder das Organisationstalent Scotty haben wir natürlich auch ein paar sehr hassenswerte Charaktere wie zum Beispiel die hübsche wie dumme Kaylee Summers mit ihre Intrigen oder Ellas Stiefschwester Anastasia, die keine Gelegenheit auslässt, Ella zu demütigen. Alles in allem also ein sehr farbenfrohes und ausgewogenes Bild.


"Wenn die Genetik jemals die Menschheit im Stich gelassen hatte, dann im Fall von Kaylee Summers. Sie war wie die Schokohasen, die zu Ostern verkauft wurden - von außen sah sie lecker aus, innen war sie völlig hohl und zu viel von ihr auf einmal führte garantiert zu Übelkeit."


Das herzergreifende Leiden der Protagonistin sorgt jedoch keineswegs für eine trübe Stimmung.
Kelly Oram schafft es durch flotte Dialoge und mit viel Witz und Gefühl den Spagat zwischen zuckersüßem Märchen-Flair und Bitterkeit der Realität zu verbinden, sodass die Geschichte locker und leicht daherkommt. Neben den Themen wie Mobbing, Depressionen, Verlust und Trauer kommen auch die Schattenseiten vom glänzenden Hollywood, die verbindende Wirkung von Büchern und die Wichtigkeit von menschlichen Beziehungen und Unterstützung zur Geltung. Die Parallelen zum Märchen sind da aber bleiben dezent im Hintergrund, sodass sie die Geschichte nett unterstützen aber nicht kitschig stören.


Fazit:


Eine wundervolle Märchenadaption mit einer starken Protagonistin, die es vortrefflich versteht zu leiden und zuckersüßer Märchen-Flair und die Bitterkeit der Realität zu einem unterhaltsamen Ergebnis verbindet.
Herzerwärmend, dramatisch, witzig und sehr berührend!

Veröffentlicht am 15.11.2018

Eine wundervoll absurde Geschichte!

Wie Eulen in der Nacht
0

Allgemeines:

Titel: Wie Eulen in der Nacht
Autor: Maggie Stiefvater
Verlag: Knaur (2. November 2018)
Genre: Fantasy
ASIN: B07BWD1545
ISBN-10: 3426522829
ISBN-13: 978-3426522820
Seitenzahl: 304 Seiten
Originaltitel: ...

Allgemeines:

Titel: Wie Eulen in der Nacht
Autor: Maggie Stiefvater
Verlag: Knaur (2. November 2018)
Genre: Fantasy
ASIN: B07BWD1545
ISBN-10: 3426522829
ISBN-13: 978-3426522820
Seitenzahl: 304 Seiten
Originaltitel: All the Crooked Saints
Preis: 12,99€ (Kindle-Edition)
14,99€ (Broschiert)
Link: Hier klicken!



Inhalt:
Jeder träumt von einem Wunder, aber nicht jeder ist bereit dafür.
Wem nur noch ein Wunder helfen kann, der findet stets seinen Weg in die Wüste Colorados und zur außergewöhnlichen Familie Soria. Doch die Wunder der Sorias sind unberechenbar und wer sie aus eigener Kraft nicht vollenden kann, zahlt einen hohen Preis.
Auch Daniel Soria bewirkt diese Wunder mit der Ernsthaftigkeit und Hingabe, die es braucht. Doch dann bricht er die wichtigste Regel seiner Familie: Er mischt sich in ein Wunder ein. Dadurch entfesselt er eine Magie, die seinen Tod bedeuten könnte.

Bewertung:
In ihrer Danksagung schreibt Maggie Stiefvater, dass Wunder und Geschichten manchmal dasselbe sind. Da würde ich ihr uneingeschränkt zustimmen und auch hier haben wir es mit einer Geschichte zu tun, die mit ihrer düsteren und doch so hoffnungsvollen Atmosphäre, dem feinen, ironischen Humor und der tiefen Wahrheit, die unter ganz viel Unglaublichem vergraben liegt, definitiv einem Wunder nahe kommt. Nachdem ich die "Ravenboys-Reihe" und "Nach dem Sommer" der Autorin schon gelesen und geliebt habe, hatte ich natürlich recht hohe Erwartungen an die Geschichte (auch wenn ich wirklich versucht habe, es neutral anzugehen), welche jedoch rückblickend auf jeden Fall erfüllt wurden auch wenn ich die Kritikpunkte meiner Vorrezensenten durchaus nachvollziehen kann!

"Jedes Soria Wunder hatte dasselbe Ziel: den Geist zu heilen. Das hatte sich Daniel Soria n der vergangenen Nacht immer wieder vorgehalten. Seine Lage war keine Strafe, sagte er sich. Diese Lage war ein Wunder. Aber sie fühlet sich nicht wie ein Wunder an."


Das Cover ist -wie eigentlich alle Stiefvater-Romane- ein wirklicher Blickfall und einfach besonders! Als ich das englische Originalcover zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mich sofort in es verliebt so wie Pete in die Wüste. Und als ich die dann deutsche Ausgabe entdeckt und gesehen habe, dass sich dieses kaum vom Original unterscheidet, war ich wirklich glücklich und wusste: das muss ich im Regal stehen haben! Mit der kräftigen türkis-blauen Hintergrundfarbe und dem komplementären Orange der Sonne sticht die Komposition schon durch ihre Farben ins Auge. Zusammen mit den verschnörkelten Rosenranken und der weißen Eule wird dann die inhaltliche Passung gewährleistet. Der weiße, prominente Titel passt ebenfalls gut, auch wenn mir der englische Titel "All the Crooked Saints" viel besser gefällt. Ich kann aber durchaus verstehen, warum der Verlag den Titel nicht direkt übersetzt hat, das würde auf Deutsch eher komisch als mystisch klingen. Mit den rosenbedruckten Leselaschen, dem grell-orangenen Buchschnitt und den Rosenranken an jedem Kapitelbeginn wird die wunderbare Gestaltung noch abgerundet!
Erster Satz: "Nach Einbruch der Dunkelheit ist ein Wunder sehr weit zu hören."
Mit diesem Satz steigen wir eine dunkle Wüstennacht im Jahr 1962 ein, in der die Luft vor Wunder und Radiowellen nur so knistert und Eulen aufgeregt herumflattern. Wir lernen die drei Soria-Cousins Beatriz, Daniel und Joaquin kennen, die Radiowellen ihres Piratensenders von einem alten Lastwagen aus in die einsame Wüste schicken, in der Pete Wyatt und Tony DiRisio gerade auf das Örtchen Bicho Raro zuhalten - Tony weil er dringend ein Wunder braucht und Pete weil ihm eben jenen Lastwagen versprochen wurde. Klingt skurril? Dann wartet ab was passiert als einer er beiden Neuankömmlingen durch sein erstes Wunder zum Riese wird, ein Mädchen beschließt, in die Wüste zu laufen und der Heilige von Bicho Raro, aus Liebe seine eigene Dunkelheit über sich bringt. Denn die Sorias bieten zwar schon seit Jahrhunderten verlorenen Seelen an, ein Wunder an ihnen zu vollziehen und ihre Dunkelheit für sie sichtbar zu machen, doch den zweiten Teil des Wunders - die Bewältigung ihrer Dunkelheit - müssen sie ganz alleine hinbekommen. Und wer sich diesem uralten Gesetz widersetzt und sich in ein fremdes Wunder einmischt, der bringt selbst eine Dunkelheit über sich. Und wenn die Sorias eines wissen dann dass mit Wundern und der Dunkelheit genauso wenig zu spaßen ist wie mit Antonia Sorias tollwütigen Hunden...


"Trägst du die Dunkelheit in dir?" "Ja", antwortete Tony. "Und willst du davon befreit werden?" (…) "Ja." Draußen begannen Eulen mit den Flügeln zu schlagen und zu schreien. Virginia-Uhus riefen. Kreischeulen schrillten. Die Schleiereulen gaben ihr metallisch klingendes Fauchen von sich. Streifenkäuzchen miauten. Brillenkäuze bellten hohl. Sperlingskäuze piepsten. Die Elfenkäuze lachten nervös. Der misstönende Lärm schwoll an, und die Luft wurde immer noch wundersamer. Daniel schlug die Augen auf. Die Dunkelheit begann hervorzutreten."


Erstmal muss ich gestehen, dass mich das Buch anfangs gar nicht so fesseln konnte. Die Geschichte plätscherte dahin, die Stimmung der 60er Jahre in Amerika wurde zwar gut transportiert, durch die vielen unterschiedliche Charaktere und die skurrilen Handlungssprünge ist es aber erstmal schwierig in die Handlung einzusteigen. Dass Maggie Stiefvater wieder bei jedem Kapitel zu der Sicht eines anderen Hauptcharakters springt, der seine Gedanken, Gefühle, Taten und Erlebnisse als personaler Er-Erzähler wiedergeben kann macht das natürlich auch nicht einfacher. Nach 3 Kapiteln war ich jedoch in der Geschichte angekommen und der Lesespaß konnte losgehen als ich den roten Faden gefunden hatte: eine eigenartige Mischung aus klassischem Urban Fantasy mit Spiritualität, Märchen, Roadnovel, Bewältigungsgeschichte und einer guten Prise Verrücktheit. Alles umrahmt von ihrem unverwechselbaren Stiefvater-Stil und fertig ist die unkonventionelle, magische und einzigartige Geschichte. Auch wenn der Roman nicht gerade viele Szenen aufweist, in denen wirklich Schlag auf Schlag viel passiert, bleibt durchgängig eine brodelnde Grundspannung erhalten. Leise, pfiffige Details, das unglaublich magische Setting und nicht zuletzt der tolle Schreibstil sorgen für eine wundervolle Atmosphäre, die einen nicht mehr loslässt. Teilweise ist die Geschichte wirklich sehr skurril und abgedreht, aber genau das macht sie eben aus, sodass mir das Buch bald mehr wie eine Ansammlung kunstvoll miteinander verwobener Einzelgeschichten erschien und ich aufs Neue von Stiefvaters Ideenreichtum verzaubert war.


"Wunder wie etwas zu behandeln, dass der Logik gehorchte, führte dazu, dass man sie nicht mehr so unheimlich fand, und das machte sie nicht nur noch gefährlicher, sondern auch weniger heilig und daher weniger bedeutsam. Diese Überzeugung ist recht verbreitet, aber sie tut sowohl der Wissenschaft als auch der Religion keinen Gefallen. Indem wir Dinge, die wir fürchten und nicht verstehen der Religion zuweisen, und die Dinge, die wir verstehen und kontrollieren können der Wissenschaft, berauben wir die Wissenschaft ihres künstlerischen Ausdrucks und die Religion ihrer Wandlungsfähigkeit."


Der geringe Umfang und die niedrige Handlungsdichte wird neben aberwitzige Drehungen und Wendungen vor allem durch den wundervollen Schreibstil der Autorin wettgemacht. Wie schon erwähnt trägt der leicht verrückte Stil Maggie Stiefvaters zur Entwicklung der Anziehungskraft des bildgewaltigen Epos´ einen großen Teil bei. Mit bildgewaltigen, beschreibenden Worten (für die sie auch oft Klammern und Spiegelstriche verwendet) lässt sie die Charaktere und das Setting für einen kurzen Moment wahr werden und schenkt uns einige Stunden voller Fantasie, Magie, Liebe, Freundschaft und düsteren Geheimnissen. Dabei verwendet sie hier besonders viele Metaphern und schöne Sinnbildern über Dunkelheit, Einsamkeit und Ängste, womit sie wunderschöne Botschaften und Anspielungen mit einem Augenzwinkern rüberzubringen schafft. In ganz eigener Handschrift schreibt sie mal erklärend, mal kurz angebunden, mal emotional, mal kalt, mal melancholisch, mal locker, mal traurig, mal glücklich, mal wütend, mal resigniert - ein kunterbuntes Durcheinander das vor allem eines ist: magisch!


"Es war sehr still. Niemand hätte sie gesehen, wenn die Wüste nicht gewesen wäre. Doch als die Wüste Pete Wyatt ein Liebeslied singen hörte, merkte sie auf. Als sie Pete singen hörte, ließ sie also Wind um die beiden aufwirbeln, bis die Brise wie safte Streicher klang. Sie hörte Pete singen und ließ die Luft um jeden Stein und jede Pflanze kühler werden, bis all das seine Stimme harmonisch begleitete. Sie hörte Pete singen und trieb die Heuschrecken Colorados dazu an, leise Bläser zu imitieren, und sie ließ den Boden unter Bicho Raro sanft erbeben, sodass Sand und Staub den Takt schlugen, im Rhythmus des unvollständigen Herzens in Pete Wyatts Brust."


Zu der eher düsteren Atmosphäre passt das tolle Setting des Wüstenörtchen Bicho Raro perfekt. Die kleine Ansammlung an Häusern mitten in der erbarmungslosen Wüste Colorados schreit förmlich: "Wunderlich" und mit vielen kleinen Details wird dieser sonderbare Ort lebendig. Eine Wüste, die sich verliebt, ein Kampfhahn, der endlich Frieden mit sich selbst schließt, schwarze Rosen, die sich einfach nicht züchten lassen wollen und eine Scheune, die beim 100sten Stupsen des Windes in sich zusammen gefallen ist, Radiowellen, die sich aus versehen nach Skandinavien verirren - auf solche Ideen kommt wirklich nur Maggie Stiefvater und auch nur sie bekommt es hin, die nachdenklich-melancholisch-gefärbte Atmosphäre gekonnt an den richtigen Stellen durch ihren trockenen Humor aufzulockern und mich so das ein oder andere Mal zum Grinsen zu bringen.


"Pete war auf der Stelle verliebt. Dieser befremdlichen kalten Wüste ist es gleich, ob man in ihr lebt oder stirbt, aber er verliebte sich trotzdem in sie. Er hatte nicht geahnt, dass irgendein Ort so rau und so unmittelbar sein konnte, so dicht an der Oberfläche. Sein schwaches Herz spürte die Gefahr sehr wohl, konnte jedoch nicht widerstehen. Er verliebte sich so heftig, dass selbst diese Wüste es bemerkte. (…) Und die Wüste, so wenig mitfühlend oder gar sentimental, war gerührt, und zum ersten Mal seit langer Zeit erwiderte sie eines Menschen Liebe."


Der letzte Puzzlestein sind dann die Charaktere. Diese sind hier sehr tiefgründig und mit viel Potential angelegt, werden durch den geringen Umfang der Geschichte und der aberwitzigen Zahl an verschiedenen Protagonisten zum Teil leider nur grob gestreift. Durch die total durchgedrehten Eingangsworte zu jedem Charakter, in dem wir seinen sehnlichsten Wunsch und seine tiefste Angst erfahren (unten zwei Beispiele dazu, wirklich zum totlachen). Neben der schrägen Familie Soria und all ihren Entfernten Verwandtschaftsgraden muss man sich auch die Namen und Wunder der etlichen Pilger merken, die in Bicho Raro festsitzen und auf ihr zweites Wunder warten. Da wären zum einen das entfremdete Paar Antonia und Francisco Soria, die eine immer wütend, der andere immer in seinem Gewächshaus, der immer arbeitende Michael Soria, die immer ängstliche Judith Soria und ihr Macho-Mann Eduardo Soria, Daniel und Beatriz Cousin Joaquin Soria, der mittels Funkpiraterie eine Karriere als Radio-DJ "Diablo Diablo" starten will, Daniel Soria, der heiligste Soria, der die Wunder durchführen darf und natürlich Beatriz Soria höchstselbst, die scheinbar keine Gefühle hat, gerne Gefühle von oben betrachtet, erst Angst hat wenn diese begründet und berechtigt ist und sich mit ihrem Vater nur über eine erfundene Geheimsprache unterhält.
Dazu kommt der junge Pete, der nicht als Pilger nach Bicho Raro gekommen ist, sondern vor seiner gescheiterten Karriere beim Militär und seinem Loch im Herzen flieht und sich hier einen Lastwagen durch Arbeit verdienen will.
Und natürlich die Pilger, die alle ihre Lektion zu lernen haben: Die durch eine Riesenschlange aneinandergefesselten Zwillinge, die sich zusammen schließen müssen um getrennt sein zu können, der Radio-Riese Tony, der verstehen muss, dass es gar nicht so schlimm ist, die eigene Größe dazu zu nutzten, die Stimme eines anderen hochzuhalten, damit sie ein wenig lauter zu hören ist, die weinenden Marisita, deren ewige Regenwolken verhindern, dass die Monarchfalter auf ihrem Hochzeitskleid davonfliegen muss lernen, sich selbst zu verzeihen... Wir bekommen hier viele verschiedene Arten von Lebenskrisen und Bewältigungsstrategien auf fantastische Art und Weise vorgesetzt und können als Essenz mitnehmen: jede Dunkelheit kann bekämpft werden und je schneller man sich dieser bewusst wird, desto effektiver kann man sie loswerden!


"Das wollte Judith: zwei Goldzähne, wo sie niemand sehen würde, aber sie immer wüsste, dass sie da wären. Und dies fürchtete sie: vor Arztterminen, gleich welcher Art, Formulare ausfüllen zu müssen. (…) Das wollte Eduardo: dass Sänger mitten im Lied innehielten, weil sie lachen musste.
Und dies fürchtete er: dass sich Katzen auf sein Gesicht legen und ihn im Schlaf ersticken."


Insgesamt also eine bunte Mischung, die seltsamer nicht sein könnte, mir aber das Herz erweicht hat, ohne das ich es bemerkt habe. Maggie Stiefvater setzt Gefühlsbeschreibungen nur ganz dezent und gezielt ein - ganz im Gegensatz zu manch anderen Romanautorinnen wie zum Beispiel Colleen Hoover, deren Gefühlswucht fast erdrückt. Manchen mag das zu spärlich sein, doch ich finde die zarten Andeutungen und leisen Annäherungen sind viel berührender als brodelnde Leidenschaft.
Und so nimmt diese wundervolle Geschichte voller Kreativität, Dunkelheit, Wahrheit, Liebe, Heilige und Wunder ihren Lauf und gipfelt am Ende in einem epischen Finale!


"Eine Wolke von Emotionen ballte sich um das Radio in Eduardos Pick-Up: Entsetzen, Wut, Freude, Stolz und schließlich, als Eulen die Pilger zu umkreisen begannen, Sorge. Ungewirkte Wunder hingen dick in der Luft und machten die Vögel ganz verrückt. Sie kreischten und sausten durch die Luft, dass die Federn stoben. Die Pilger steckten voller zweiter Wunder und die Sorias voller erster."



Fazit:

Die Kraft des Übernatürlichen, eines Wunders wird genauso eindrücklich geschildert wie die Kraft der Liebe, des Muts und der Freundschaft, sodass diese Geschichte trotz ihrer skurrilen Handlung doch so nah an der Wirklichkeit ist, dass sie mich tief berühren und mir einiges mitgeben konnte.
Mit der düsteren und doch so hoffnungsvollen Atmosphäre, dem feinen, ironischen Humor und der tiefen Wahrheit, die unter ganz viel Unglaublichem vergraben liegt, kommt der Roman definitiv selbst einem kleinen Wunder nahe!

Veröffentlicht am 15.11.2018

Eine wundervoll absurde Geschichte!

Wie Eulen in der Nacht
0

In ihrer Danksagung schreibt Maggie Stiefvater, dass Wunder und Geschichten manchmal dasselbe sind. Da würde ich ihr uneingeschränkt zustimmen und auch hier haben wir es mit einer Geschichte zu tun, die ...

In ihrer Danksagung schreibt Maggie Stiefvater, dass Wunder und Geschichten manchmal dasselbe sind. Da würde ich ihr uneingeschränkt zustimmen und auch hier haben wir es mit einer Geschichte zu tun, die mit ihrer düsteren und doch so hoffnungsvollen Atmosphäre, dem feinen, ironischen Humor und der tiefen Wahrheit, die unter ganz viel Unglaublichem vergraben liegt, definitiv einem Wunder nahe kommt. Nachdem ich die "Ravenboys-Reihe" und "Nach dem Sommer" der Autorin schon gelesen und geliebt habe, hatte ich natürlich recht hohe Erwartungen an die Geschichte (auch wenn ich wirklich versucht habe, es neutral anzugehen), welche jedoch rückblickend auf jeden Fall erfüllt wurden auch wenn ich die Kritikpunkte meiner Vorrezensenten durchaus nachvollziehen kann!


"Jedes Soria Wunder hatte dasselbe Ziel: den Geist zu heilen. Das hatte sich Daniel Soria n der vergangenen Nacht immer wieder vorgehalten. Seine Lage war keine Strafe, sagte er sich. Diese Lage war ein Wunder. Aber sie fühlte sich nicht wie ein Wunder an."


Das Cover ist -wie eigentlich alle Stiefvater-Romane- ein wirklicher Blickfall und einfach besonders! Als ich das englische Originalcover zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mich sofort in es verliebt so wie Pete in die Wüste. Und als ich die dann deutsche Ausgabe entdeckt und gesehen habe, dass sich dieses kaum vom Original unterscheidet, war ich wirklich glücklich und wusste: das muss ich im Regal stehen haben! Mit der kräftigen türkis-blauen Hintergrundfarbe und dem komplementären Orange der Sonne sticht die Komposition schon durch ihre Farben ins Auge. Zusammen mit den verschnörkelten Rosenranken und der weißen Eule wird dann die inhaltliche Passung gewährleistet. Der weiße, prominente Titel passt ebenfalls gut, auch wenn mir der englische Titel "All the Crooked Saints" viel besser gefällt. Ich kann aber durchaus verstehen, warum der Verlag den Titel nicht direkt übersetzt hat, das würde auf Deutsch eher komisch als mystisch klingen. Mit den rosenbedruckten Leselaschen, dem grell-orangenen Buchschnitt und den Rosenranken an jedem Kapitelbeginn wird die wunderbare Gestaltung noch abgerundet!

Erster Satz: "Nach Einbruch der Dunkelheit ist ein Wunder sehr weit zu hören."

Mit diesem Satz steigen wir eine dunkle Wüstennacht im Jahr 1962 ein, in der die Luft vor Wunder und Radiowellen nur so knistert und Eulen aufgeregt herumflattern. Wir lernen die drei Soria-Cousins Beatriz, Daniel und Joaquin kennen, die Radiowellen ihres Piratensenders von einem alten Lastwagen aus in die einsame Wüste schicken, in der Pete Wyatt und Tony DiRisio gerade auf das Örtchen Bicho Raro zuhalten - Tony weil er dringend ein Wunder braucht und Pete weil ihm eben jenen Lastwagen versprochen wurde. Klingt skurril? Dann wartet ab was passiert als einer er beiden Neuankömmlingen durch sein erstes Wunder zum Riese wird, ein Mädchen beschließt, in die Wüste zu laufen und der Heilige von Bicho Raro, aus Liebe seine eigene Dunkelheit über sich bringt. Denn die Sorias bieten zwar schon seit Jahrhunderten verlorenen Seelen an, ein Wunder an ihnen zu vollziehen und ihre Dunkelheit für sie sichtbar zu machen, doch den zweiten Teil des Wunders - die Bewältigung ihrer Dunkelheit - müssen sie ganz alleine hinbekommen. Und wer sich diesem uralten Gesetz widersetzt und sich in ein fremdes Wunder einmischt, der bringt selbst eine Dunkelheit über sich. Und wenn die Sorias eines wissen dann dass mit Wundern und der Dunkelheit genauso wenig zu spaßen ist wie mit Antonia Sorias tollwütigen Hunden...


"Trägst du die Dunkelheit in dir?" "Ja", antwortete Tony. "Und willst du davon befreit werden?" (…) "Ja." Draußen begannen Eulen mit den Flügeln zu schlagen und zu schreien. Virginia-Uhus riefen. Kreischeulen schrillten. Die Schleiereulen gaben ihr metallisch klingendes Fauchen von sich. Streifenkäuzchen miauten. Brillenkäuze bellten hohl. Sperlingskäuze piepsten. Die Elfenkäuze lachten nervös. Der misstönende Lärm schwoll an, und die Luft wurde immer noch wundersamer. Daniel schlug die Augen auf. Die Dunkelheit begann hervorzutreten."


Erstmal muss ich gestehen, dass mich das Buch anfangs gar nicht so fesseln konnte. Die Geschichte plätscherte dahin, die Stimmung der 60er Jahre in Amerika wurde zwar gut transportiert, durch die vielen unterschiedliche Charaktere und die skurrilen Handlungssprünge ist es aber erstmal schwierig in die Handlung einzusteigen. Dass Maggie Stiefvater wieder bei jedem Kapitel zu der Sicht eines anderen Hauptcharakters springt, der seine Gedanken, Gefühle, Taten und Erlebnisse als personaler Er-Erzähler wiedergeben kann macht das natürlich auch nicht einfacher. Nach 3 Kapiteln war ich jedoch in der Geschichte angekommen und der Lesespaß konnte losgehen als ich den roten Faden gefunden hatte: eine eigenartige Mischung aus klassischem Urban Fantasy mit Spiritualität, Märchen, Roadnovel, Bewältigungsgeschichte und einer guten Prise Verrücktheit. Alles umrahmt von ihrem unverwechselbaren Stiefvater-Stil und fertig ist die unkonventionelle, magische und einzigartige Geschichte. Auch wenn der Roman nicht gerade viele Szenen aufweist, in denen wirklich Schlag auf Schlag viel passiert, bleibt durchgängig eine brodelnde Grundspannung erhalten. Leise, pfiffige Details, das unglaublich magische Setting und nicht zuletzt der tolle Schreibstil sorgen für eine wundervolle Atmosphäre, die einen nicht mehr loslässt. Teilweise ist die Geschichte wirklich sehr skurril und abgedreht, aber genau das macht sie eben aus, sodass mir das Buch bald mehr wie eine Ansammlung kunstvoll miteinander verwobener Einzelgeschichten erschien und ich aufs Neue von Stiefvaters Ideenreichtum verzaubert war.


"Wunder wie etwas zu behandeln, dass der Logik gehorchte, führte dazu, dass man sie nicht mehr so unheimlich fand, und das machte sie nicht nur noch gefährlicher, sondern auch weniger heilig und daher weniger bedeutsam. Diese Überzeugung ist recht verbreitet, aber sie tut sowohl der Wissenschaft als auch der Religion keinen Gefallen. Indem wir Dinge, die wir fürchten und nicht verstehen der Religion zuweisen, und die Dinge, die wir verstehen und kontrollieren können der Wissenschaft, berauben wir die Wissenschaft ihres künstlerischen Ausdrucks und die Religion ihrer Wandlungsfähigkeit."


Der geringe Umfang und die niedrige Handlungsdichte wird neben aberwitzige Drehungen und Wendungen vor allem durch den wundervollen Schreibstil der Autorin wettgemacht. Wie schon erwähnt trägt der leicht verrückte Stil Maggie Stiefvaters zur Entwicklung der Anziehungskraft des bildgewaltigen Epos´ einen großen Teil bei. Mit bildgewaltigen, beschreibenden Worten (für die sie auch oft Klammern und Spiegelstriche verwendet) lässt sie die Charaktere und das Setting für einen kurzen Moment wahr werden und schenkt uns einige Stunden voller Fantasie, Magie, Liebe, Freundschaft und düsteren Geheimnissen. Dabei verwendet sie hier besonders viele Metaphern und schöne Sinnbildern über Dunkelheit, Einsamkeit und Ängste, womit sie wunderschöne Botschaften und Anspielungen mit einem Augenzwinkern rüberzubringen schafft. In ganz eigener Handschrift schreibt sie mal erklärend, mal kurz angebunden, mal emotional, mal kalt, mal melancholisch, mal locker, mal traurig, mal glücklich, mal wütend, mal resigniert - ein kunterbuntes Durcheinander das vor allem eines ist: magisch!


"Es war sehr still. Niemand hätte sie gesehen, wenn die Wüste nicht gewesen wäre. Doch als die Wüste Pete Wyatt ein Liebeslied singen hörte, merkte sie auf. Als sie Pete singen hörte, ließ sie also Wind um die beiden aufwirbeln, bis die Brise wie safte Streicher klang. Sie hörte Pete singen und ließ die Luft um jeden Stein und jede Pflanze kühler werden, bis all das seine Stimme harmonisch begleitete. Sie hörte Pete singen und trieb die Heuschrecken Colorados dazu an, leise Bläser zu imitieren, und sie ließ den Boden unter Bicho Raro sanft erbeben, sodass Sand und Staub den Takt schlugen, im Rhythmus des unvollständigen Herzens in Pete Wyatts Brust."


Zu der eher düsteren Atmosphäre passt das tolle Setting des Wüstenörtchen Bicho Raro perfekt. Die kleine Ansammlung an Häusern mitten in der erbarmungslosen Wüste Colorados schreit förmlich: "Wunderlich" und mit vielen kleinen Details wird dieser sonderbare Ort lebendig. Eine Wüste, die sich verliebt, ein Kampfhahn, der endlich Frieden mit sich selbst schließt, schwarze Rosen, die sich einfach nicht züchten lassen wollen und eine Scheune, die beim 100sten Stupsen des Windes in sich zusammen gefallen ist, Radiowellen, die sich aus versehen nach Skandinavien verirren - auf solche Ideen kommt wirklich nur Maggie Stiefvater und auch nur sie bekommt es hin, die nachdenklich-melancholisch-gefärbte Atmosphäre gekonnt an den richtigen Stellen durch ihren trockenen Humor aufzulockern und mich so das ein oder andere Mal zum Grinsen zu bringen.


"Pete war auf der Stelle verliebt. Dieser befremdlichen kalten Wüste ist es gleich, ob man in ihr lebt oder stirbt, aber er verliebte sich trotzdem in sie. Er hatte nicht geahnt, dass irgendein Ort so rau und so unmittelbar sein konnte, so dicht an der Oberfläche. Sein schwaches Herz spürte die Gefahr sehr wohl, konnte jedoch nicht widerstehen. Er verliebte sich so heftig, dass selbst diese Wüste es bemerkte. (…) Und die Wüste, so wenig mitfühlend oder gar sentimental, war gerührt, und zum ersten Mal seit langer Zeit erwiderte sie eines Menschen Liebe."


Der letzte Puzzlestein sind dann die Charaktere. Diese sind hier sehr tiefgründig und mit viel Potential angelegt, werden durch den geringen Umfang der Geschichte und der aberwitzigen Zahl an verschiedenen Protagonisten zum Teil leider nur grob gestreift. Durch die total durchgedrehten Eingangsworte zu jedem Charakter, in dem wir seinen sehnlichsten Wunsch und seine tiefste Angst erfahren (unten zwei Beispiele dazu, wirklich zum totlachen). Neben der schrägen Familie Soria und all ihren Entfernten Verwandtschaftsgraden muss man sich auch die Namen und Wunder der etlichen Pilger merken, die in Bicho Raro festsitzen und auf ihr zweites Wunder warten. Da wären zum einen das entfremdete Paar Antonia und Francisco Soria, die eine immer wütend, der andere immer in seinem Gewächshaus, der immer arbeitende Michael Soria, die immer ängstliche Judith Soria und ihr Macho-Mann Eduardo Soria, Daniel und Beatriz Cousin Joaquin Soria, der mittels Funkpiraterie eine Karriere als Radio-DJ "Diablo Diablo" starten will, Daniel Soria, der heiligste Soria, der die Wunder durchführen darf und natürlich Beatriz Soria höchstselbst, die scheinbar keine Gefühle hat, gerne Gefühle von oben betrachtet, erst Angst hat wenn diese begründet und berechtigt ist und sich mit ihrem Vater nur über eine erfundene Geheimsprache unterhält.
Dazu kommt der junge Pete, der nicht als Pilger nach Bicho Raro gekommen ist, sondern vor seiner gescheiterten Karriere beim Militär und seinem Loch im Herzen flieht und sich hier einen Lastwagen durch Arbeit verdienen will.
Und natürlich die Pilger, die alle ihre Lektion zu lernen haben: Die durch eine Riesenschlange aneinandergefesselten Zwillinge, die sich zusammen schließen müssen um getrennt sein zu können, der Radio-Riese Tony, der verstehen muss, dass es gar nicht so schlimm ist, die eigene Größe dazu zu nutzten, die Stimme eines anderen hochzuhalten, damit sie ein wenig lauter zu hören ist, die weinenden Marisita, deren ewige Regenwolken verhindern, dass die Monarchfalter auf ihrem Hochzeitskleid davonfliegen muss lernen, sich selbst zu verzeihen... Wir bekommen hier viele verschiedene Arten von Lebenskrisen und Bewältigungsstrategien auf fantastische Art und Weise vorgesetzt und können als Essenz mitnehmen: jede Dunkelheit kann bekämpft werden und je schneller man sich dieser bewusst wird, desto effektiver kann man sie loswerden!


"Das wollte Judith: zwei Goldzähne, wo sie niemand sehen würde, aber sie immer wüsste, dass sie da wären. Und dies fürchtete sie: vor Arztterminen, gleich welcher Art, Formulare ausfüllen zu müssen. (…) Das wollte Eduardo: dass Sänger mitten im Lied innehielten, weil sie lachen musste.
Und dies fürchtete er: dass sich Katzen auf sein Gesicht legen und ihn im Schlaf ersticken."


Insgesamt also eine bunte Mischung, die seltsamer nicht sein könnte, mir aber das Herz erweicht hat, ohne das ich es bemerkt habe. Maggie Stiefvater setzt Gefühlsbeschreibungen nur ganz dezent und gezielt ein - ganz im Gegensatz zu manch anderen Romanautorinnen wie zum Beispiel Colleen Hoover, deren Gefühlswucht fast erdrückt. Manchen mag das zu spärlich sein, doch ich finde die zarten Andeutungen und leisen Annäherungen sind viel berührender als brodelnde Leidenschaft.
Und so nimmt diese wundervolle Geschichte voller Kreativität, Dunkelheit, Wahrheit, Liebe, Heilige und Wunder ihren Lauf und gipfelt am Ende in einem epischen Finale!


"Eine Wolke von Emotionen ballte sich um das Radio in Eduardos Pick-Up: Entsetzen, Wut, Freude, Stolz und schließlich, als Eulen die Pilger zu umkreisen begannen, Sorge. Ungewirkte Wunder hingen dick in der Luft und machten die Vögel ganz verrückt. Sie kreischten und sausten durch die Luft, dass die Federn stoben. Die Pilger steckten voller zweiter Wunder und die Sorias voller erster."



Fazit:


Die Kraft des Übernatürlichen, eines Wunders wird genauso eindrücklich geschildert wie die Kraft der Liebe, des Muts und der Freundschaft, sodass diese Geschichte trotz ihrer skurrilen Handlung doch so nah an der Wirklichkeit ist, dass sie mich tief berühren und mir einiges mitgeben konnte.
Mit der düsteren und doch so hoffnungsvollen Atmosphäre, dem feinen, ironischen Humor und der tiefen Wahrheit, die unter ganz viel Unglaublichem vergraben liegt, kommt der Roman definitiv selbst einem kleinen Wunder nahe!

Veröffentlicht am 15.11.2018

Eine wundervoll absurde Geschichte!

Wie Eulen in der Nacht
1

In ihrer Danksagung schreibt Maggie Stiefvater, dass Wunder und Geschichten manchmal dasselbe sind. Da würde ich ihr uneingeschränkt zustimmen und auch hier haben wir es mit einer Geschichte zu tun, die ...

In ihrer Danksagung schreibt Maggie Stiefvater, dass Wunder und Geschichten manchmal dasselbe sind. Da würde ich ihr uneingeschränkt zustimmen und auch hier haben wir es mit einer Geschichte zu tun, die mit ihrer düsteren und doch so hoffnungsvollen Atmosphäre, dem feinen, ironischen Humor und der tiefen Wahrheit, die unter ganz viel Unglaublichem vergraben liegt, definitiv einem Wunder nahe kommt. Nachdem ich die "Ravenboys-Reihe" und "Nach dem Sommer" der Autorin schon gelesen und geliebt habe, hatte ich natürlich recht hohe Erwartungen an die Geschichte (auch wenn ich wirklich versucht habe, es neutral anzugehen), welche jedoch rückblickend auf jeden Fall erfüllt wurden auch wenn ich die Kritikpunkte meiner Vorrezensenten durchaus nachvollziehen kann!


"Jedes Soria Wunder hatte dasselbe Ziel: den Geist zu heilen. Das hatte sich Daniel Soria n der vergangenen Nacht immer wieder vorgehalten. Seine Lage war keine Strafe, sagte er sich. Diese Lage war ein Wunder. Aber sie fühlte sich nicht wie ein Wunder an."


Das Cover ist -wie eigentlich alle Stiefvater-Romane- ein wirklicher Blickfall und einfach besonders! Als ich das englische Originalcover zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mich sofort in es verliebt so wie Pete in die Wüste. Und als ich die dann deutsche Ausgabe entdeckt und gesehen habe, dass sich dieses kaum vom Original unterscheidet, war ich wirklich glücklich und wusste: das muss ich im Regal stehen haben! Mit der kräftigen türkis-blauen Hintergrundfarbe und dem komplementären Orange der Sonne sticht die Komposition schon durch ihre Farben ins Auge. Zusammen mit den verschnörkelten Rosenranken und der weißen Eule wird dann die inhaltliche Passung gewährleistet. Der weiße, prominente Titel passt ebenfalls gut, auch wenn mir der englische Titel "All the Crooked Saints" viel besser gefällt. Ich kann aber durchaus verstehen, warum der Verlag den Titel nicht direkt übersetzt hat, das würde auf Deutsch eher komisch als mystisch klingen. Mit den rosenbedruckten Leselaschen, dem grell-orangenen Buchschnitt und den Rosenranken an jedem Kapitelbeginn wird die wunderbare Gestaltung noch abgerundet!

Erster Satz: "Nach Einbruch der Dunkelheit ist ein Wunder sehr weit zu hören."

Mit diesem Satz steigen wir eine dunkle Wüstennacht im Jahr 1962 ein, in der die Luft vor Wunder und Radiowellen nur so knistert und Eulen aufgeregt herumflattern. Wir lernen die drei Soria-Cousins Beatriz, Daniel und Joaquin kennen, die Radiowellen ihres Piratensenders von einem alten Lastwagen aus in die einsame Wüste schicken, in der Pete Wyatt und Tony DiRisio gerade auf das Örtchen Bicho Raro zuhalten - Tony weil er dringend ein Wunder braucht und Pete weil ihm eben jenen Lastwagen versprochen wurde. Klingt skurril? Dann wartet ab was passiert als einer er beiden Neuankömmlingen durch sein erstes Wunder zum Riese wird, ein Mädchen beschließt, in die Wüste zu laufen und der Heilige von Bicho Raro, aus Liebe seine eigene Dunkelheit über sich bringt. Denn die Sorias bieten zwar schon seit Jahrhunderten verlorenen Seelen an, ein Wunder an ihnen zu vollziehen und ihre Dunkelheit für sie sichtbar zu machen, doch den zweiten Teil des Wunders - die Bewältigung ihrer Dunkelheit - müssen sie ganz alleine hinbekommen. Und wer sich diesem uralten Gesetz widersetzt und sich in ein fremdes Wunder einmischt, der bringt selbst eine Dunkelheit über sich. Und wenn die Sorias eines wissen dann dass mit Wundern und der Dunkelheit genauso wenig zu spaßen ist wie mit Antonia Sorias tollwütigen Hunden...


"Trägst du die Dunkelheit in dir?" "Ja", antwortete Tony. "Und willst du davon befreit werden?" (…) "Ja." Draußen begannen Eulen mit den Flügeln zu schlagen und zu schreien. Virginia-Uhus riefen. Kreischeulen schrillten. Die Schleiereulen gaben ihr metallisch klingendes Fauchen von sich. Streifenkäuzchen miauten. Brillenkäuze bellten hohl. Sperlingskäuze piepsten. Die Elfenkäuze lachten nervös. Der misstönende Lärm schwoll an, und die Luft wurde immer noch wundersamer. Daniel schlug die Augen auf. Die Dunkelheit begann hervorzutreten."


Erstmal muss ich gestehen, dass mich das Buch anfangs gar nicht so fesseln konnte. Die Geschichte plätscherte dahin, die Stimmung der 60er Jahre in Amerika wurde zwar gut transportiert, durch die vielen unterschiedliche Charaktere und die skurrilen Handlungssprünge ist es aber erstmal schwierig in die Handlung einzusteigen. Dass Maggie Stiefvater wieder bei jedem Kapitel zu der Sicht eines anderen Hauptcharakters springt, der seine Gedanken, Gefühle, Taten und Erlebnisse als personaler Er-Erzähler wiedergeben kann macht das natürlich auch nicht einfacher. Nach 3 Kapiteln war ich jedoch in der Geschichte angekommen und der Lesespaß konnte losgehen als ich den roten Faden gefunden hatte: eine eigenartige Mischung aus klassischem Urban Fantasy mit Spiritualität, Märchen, Roadnovel, Bewältigungsgeschichte und einer guten Prise Verrücktheit. Alles umrahmt von ihrem unverwechselbaren Stiefvater-Stil und fertig ist die unkonventionelle, magische und einzigartige Geschichte. Auch wenn der Roman nicht gerade viele Szenen aufweist, in denen wirklich Schlag auf Schlag viel passiert, bleibt durchgängig eine brodelnde Grundspannung erhalten. Leise, pfiffige Details, das unglaublich magische Setting und nicht zuletzt der tolle Schreibstil sorgen für eine wundervolle Atmosphäre, die einen nicht mehr loslässt. Teilweise ist die Geschichte wirklich sehr skurril und abgedreht, aber genau das macht sie eben aus, sodass mir das Buch bald mehr wie eine Ansammlung kunstvoll miteinander verwobener Einzelgeschichten erschien und ich aufs Neue von Stiefvaters Ideenreichtum verzaubert war.


"Wunder wie etwas zu behandeln, dass der Logik gehorchte, führte dazu, dass man sie nicht mehr so unheimlich fand, und das machte sie nicht nur noch gefährlicher, sondern auch weniger heilig und daher weniger bedeutsam. Diese Überzeugung ist recht verbreitet, aber sie tut sowohl der Wissenschaft als auch der Religion keinen Gefallen. Indem wir Dinge, die wir fürchten und nicht verstehen der Religion zuweisen, und die Dinge, die wir verstehen und kontrollieren können der Wissenschaft, berauben wir die Wissenschaft ihres künstlerischen Ausdrucks und die Religion ihrer Wandlungsfähigkeit."


Der geringe Umfang und die niedrige Handlungsdichte wird neben aberwitzige Drehungen und Wendungen vor allem durch den wundervollen Schreibstil der Autorin wettgemacht. Wie schon erwähnt trägt der leicht verrückte Stil Maggie Stiefvaters zur Entwicklung der Anziehungskraft des bildgewaltigen Epos´ einen großen Teil bei. Mit bildgewaltigen, beschreibenden Worten (für die sie auch oft Klammern und Spiegelstriche verwendet) lässt sie die Charaktere und das Setting für einen kurzen Moment wahr werden und schenkt uns einige Stunden voller Fantasie, Magie, Liebe, Freundschaft und düsteren Geheimnissen. Dabei verwendet sie hier besonders viele Metaphern und schöne Sinnbildern über Dunkelheit, Einsamkeit und Ängste, womit sie wunderschöne Botschaften und Anspielungen mit einem Augenzwinkern rüberzubringen schafft. In ganz eigener Handschrift schreibt sie mal erklärend, mal kurz angebunden, mal emotional, mal kalt, mal melancholisch, mal locker, mal traurig, mal glücklich, mal wütend, mal resigniert - ein kunterbuntes Durcheinander das vor allem eines ist: magisch!


"Es war sehr still. Niemand hätte sie gesehen, wenn die Wüste nicht gewesen wäre. Doch als die Wüste Pete Wyatt ein Liebeslied singen hörte, merkte sie auf. Als sie Pete singen hörte, ließ sie also Wind um die beiden aufwirbeln, bis die Brise wie safte Streicher klang. Sie hörte Pete singen und ließ die Luft um jeden Stein und jede Pflanze kühler werden, bis all das seine Stimme harmonisch begleitete. Sie hörte Pete singen und trieb die Heuschrecken Colorados dazu an, leise Bläser zu imitieren, und sie ließ den Boden unter Bicho Raro sanft erbeben, sodass Sand und Staub den Takt schlugen, im Rhythmus des unvollständigen Herzens in Pete Wyatts Brust."


Zu der eher düsteren Atmosphäre passt das tolle Setting des Wüstenörtchen Bicho Raro perfekt. Die kleine Ansammlung an Häusern mitten in der erbarmungslosen Wüste Colorados schreit förmlich: "Wunderlich" und mit vielen kleinen Details wird dieser sonderbare Ort lebendig. Eine Wüste, die sich verliebt, ein Kampfhahn, der endlich Frieden mit sich selbst schließt, schwarze Rosen, die sich einfach nicht züchten lassen wollen und eine Scheune, die beim 100sten Stupsen des Windes in sich zusammen gefallen ist, Radiowellen, die sich aus versehen nach Skandinavien verirren - auf solche Ideen kommt wirklich nur Maggie Stiefvater und auch nur sie bekommt es hin, die nachdenklich-melancholisch-gefärbte Atmosphäre gekonnt an den richtigen Stellen durch ihren trockenen Humor aufzulockern und mich so das ein oder andere Mal zum Grinsen zu bringen.


"Pete war auf der Stelle verliebt. Dieser befremdlichen kalten Wüste ist es gleich, ob man in ihr lebt oder stirbt, aber er verliebte sich trotzdem in sie. Er hatte nicht geahnt, dass irgendein Ort so rau und so unmittelbar sein konnte, so dicht an der Oberfläche. Sein schwaches Herz spürte die Gefahr sehr wohl, konnte jedoch nicht widerstehen. Er verliebte sich so heftig, dass selbst diese Wüste es bemerkte. (…) Und die Wüste, so wenig mitfühlend oder gar sentimental, war gerührt, und zum ersten Mal seit langer Zeit erwiderte sie eines Menschen Liebe."


Der letzte Puzzlestein sind dann die Charaktere. Diese sind hier sehr tiefgründig und mit viel Potential angelegt, werden durch den geringen Umfang der Geschichte und der aberwitzigen Zahl an verschiedenen Protagonisten zum Teil leider nur grob gestreift. Durch die total durchgedrehten Eingangsworte zu jedem Charakter, in dem wir seinen sehnlichsten Wunsch und seine tiefste Angst erfahren (unten zwei Beispiele dazu, wirklich zum totlachen). Neben der schrägen Familie Soria und all ihren Entfernten Verwandtschaftsgraden muss man sich auch die Namen und Wunder der etlichen Pilger merken, die in Bicho Raro festsitzen und auf ihr zweites Wunder warten. Da wären zum einen das entfremdete Paar Antonia und Francisco Soria, die eine immer wütend, der andere immer in seinem Gewächshaus, der immer arbeitende Michael Soria, die immer ängstliche Judith Soria und ihr Macho-Mann Eduardo Soria, Daniel und Beatriz Cousin Joaquin Soria, der mittels Funkpiraterie eine Karriere als Radio-DJ "Diablo Diablo" starten will, Daniel Soria, der heiligste Soria, der die Wunder durchführen darf und natürlich Beatriz Soria höchstselbst, die scheinbar keine Gefühle hat, gerne Gefühle von oben betrachtet, erst Angst hat wenn diese begründet und berechtigt ist und sich mit ihrem Vater nur über eine erfundene Geheimsprache unterhält.
Dazu kommt der junge Pete, der nicht als Pilger nach Bicho Raro gekommen ist, sondern vor seiner gescheiterten Karriere beim Militär und seinem Loch im Herzen flieht und sich hier einen Lastwagen durch Arbeit verdienen will.
Und natürlich die Pilger, die alle ihre Lektion zu lernen haben: Die durch eine Riesenschlange aneinandergefesselten Zwillinge, die sich zusammen schließen müssen um getrennt sein zu können, der Radio-Riese Tony, der verstehen muss, dass es gar nicht so schlimm ist, die eigene Größe dazu zu nutzten, die Stimme eines anderen hochzuhalten, damit sie ein wenig lauter zu hören ist, die weinenden Marisita, deren ewige Regenwolken verhindern, dass die Monarchfalter auf ihrem Hochzeitskleid davonfliegen muss lernen, sich selbst zu verzeihen... Wir bekommen hier viele verschiedene Arten von Lebenskrisen und Bewältigungsstrategien auf fantastische Art und Weise vorgesetzt und können als Essenz mitnehmen: jede Dunkelheit kann bekämpft werden und je schneller man sich dieser bewusst wird, desto effektiver kann man sie loswerden!


"Das wollte Judith: zwei Goldzähne, wo sie niemand sehen würde, aber sie immer wüsste, dass sie da wären. Und dies fürchtete sie: vor Arztterminen, gleich welcher Art, Formulare ausfüllen zu müssen. (…) Das wollte Eduardo: dass Sänger mitten im Lied innehielten, weil sie lachen musste.
Und dies fürchtete er: dass sich Katzen auf sein Gesicht legen und ihn im Schlaf ersticken."


Insgesamt also eine bunte Mischung, die seltsamer nicht sein könnte, mir aber das Herz erweicht hat, ohne das ich es bemerkt habe. Maggie Stiefvater setzt Gefühlsbeschreibungen nur ganz dezent und gezielt ein - ganz im Gegensatz zu manch anderen Romanautorinnen wie zum Beispiel Colleen Hoover, deren Gefühlswucht fast erdrückt. Manchen mag das zu spärlich sein, doch ich finde die zarten Andeutungen und leisen Annäherungen sind viel berührender als brodelnde Leidenschaft.
Und so nimmt diese wundervolle Geschichte voller Kreativität, Dunkelheit, Wahrheit, Liebe, Heilige und Wunder ihren Lauf und gipfelt am Ende in einem epischen Finale!


"Eine Wolke von Emotionen ballte sich um das Radio in Eduardos Pick-Up: Entsetzen, Wut, Freude, Stolz und schließlich, als Eulen die Pilger zu umkreisen begannen, Sorge. Ungewirkte Wunder hingen dick in der Luft und machten die Vögel ganz verrückt. Sie kreischten und sausten durch die Luft, dass die Federn stoben. Die Pilger steckten voller zweiter Wunder und die Sorias voller erster."



Fazit:


Die Kraft des Übernatürlichen, eines Wunders wird genauso eindrücklich geschildert wie die Kraft der Liebe, des Muts und der Freundschaft, sodass diese Geschichte trotz ihrer skurrilen Handlung doch so nah an der Wirklichkeit ist, dass sie mich tief berühren und mir einiges mitgeben konnte.
Mit der düsteren und doch so hoffnungsvollen Atmosphäre, dem feinen, ironischen Humor und der tiefen Wahrheit, die unter ganz viel Unglaublichem vergraben liegt, kommt der Roman definitiv selbst einem kleinen Wunder nahe!