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Veröffentlicht am 15.09.2016

Im Herbst des Lebens...

Mord im Herbst
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"Mord im Herbst" ist im Ablauf der Zeitlinie der Handlung der vorletzte (etwas kürzere) Band der Wallander-Krimis (Band 11). Er wurde in Mankells Heimatland Schweden allerdings erst 2013, nach dem letzten ...

"Mord im Herbst" ist im Ablauf der Zeitlinie der Handlung der vorletzte (etwas kürzere) Band der Wallander-Krimis (Band 11). Er wurde in Mankells Heimatland Schweden allerdings erst 2013, nach dem letzten Band der Reihe, veröffentlicht - jedoch bereits 2004 in den Niederlanden. Mankell war gebeten worden, ein Buch zu schreiben, das jeder gratis erhalten sollte, der im "Monat des spannenden Buchs" einen Kriminalroman kaufen würde.

Die Ermittlungen des Protagonisten Kurt Wallander finden statt im Herbst 2002. Wallander fühlt sich alt, insgeheim lustlos, er ist sein dreißig Jahren Polizist. Bei der privaten Besichtigung eines möglichen Wohnhauses durch ihn außerhalb von Ystad findet er eine skelettierte Hand, die zu zwei Toten führt, die laut Gerichtsmedizin ermordet wurden und seit 50-70 Jahren tot sind. Entsprechend sind auch die möglichen Zeugen meist tot oder sehr betagt. Wallander muss sich hier also beruflich mit der Vergänglichkeit auseinander setzen, zusätzlich zu dem, was ihn privat bewegt: den Veränderungen in seiner Arbeitswelt und der schwedischen Gesellschaft, der Tatsache, dass seine Tochter erwachsen und eine Kollegin ist, dem Vermissen seines toten Vaters.

Dabei besticht er unbeirrt durch seine großen Stärken, Beobachtungsgabe, Intuition und Beharrlichkeit, durch die er den Fall letztendlich zur Aufklärung bringt - auch wenn es dann zu einer ganz speziellen Art von Gerechtigkeit kommt.

Mankell schafft es, eine Atmosphäre voller Desillusion und Lustlosigkeit aufzubauen im Angesicht von Alter und Tod, ohne mich als Leser desillusioniert zu haben, es gelingt ihm meiner Ansicht nach durch seine besondere Atmosphäre und durch das, was Wallanders "Trick" ist: Durchhalten und einfach weitermachen. Das ist unspektakulär, macht ihn aber sehr glaubwürdig und sympathisch. Vielleicht erklärt es auch, warum ich beim Erscheinen der ersten Wallander-Bücher damit einfach (noch) wenig anfangen konnte... ich gelobe "Wieder-Aufarbeitung".

Zwei Punkte bleiben bei mir offen: laut Wallander wäre ein Mord in Schweden nach so langer Zeit verjährt - dem wäre bei uns zwar nicht so, aber ich hätte doch Zweifel, ob dem Täter nicht mindestens Affekt, wenn nicht gar erweiterte Notwehr/Nothilfe zuzubilligen wäre. Und die Gerichtsmedizinerin sprach von zweifachem Mord (S. 59) - ein nicht natürlicher Tod wäre eine andere Kategorie.

Insgesamt ein solider Krimi ohne Höhen und Tiefen, passend für Zwischendurch - vermutlich hätte vor der "richtigen" Veröffentlichung eine kurze Überarbeitung nicht geschadet.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Kurzweiliger durchschnittlicher Krimi mit einigem Humor, aber leider vielen sprachlichen Schnitzern

Tief steht die Sonne
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Anscheinend gibt es im Sauerland einen kauzigen Menschenschlag, der die klassische Rollenverteilung in Familien bevorzugt, Arbeitslosigkeit und Faulheit gleichsetzt, katholische Wertvorstellungen hochhält ...

Anscheinend gibt es im Sauerland einen kauzigen Menschenschlag, der die klassische Rollenverteilung in Familien bevorzugt, Arbeitslosigkeit und Faulheit gleichsetzt, katholische Wertvorstellungen hochhält und mit der Verbreitung von Klatsch Abweichungen schneller ahndet, als die Betroffenen diese realisieren können. In diesem Milieu lebt und arbeitet Kommissarin Inka Luhmann, Protagonistin der Reihe, die sich als „Regional-Krimi“ versteht – wobei die Hauptfigur evangelisch ist und aus Dortmund kommt, da sie nach Brilon „eingeheiratet“ hat. Ihr Mann ist ein Ex-Kollege und in Elternzeit für die beiden gemeinsamen Kinder – somit eine Abweichung sowohl vom beschriebenen Weltbild als auch vom genreüblichen Schema, der Ermittler müsse irgendwie „beschädigt“ sein – mindestens geschieden, unglücklich oder ähnliches. Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um den bereits dritten über die Ermittlerin – ich kannte die Vorgänger nicht und konnte mich mühelos hineinfinden.
Wie häufig in Krimis, spielt die Handlung auf verschiedenen Ebenen, eine davon hier als zeitlicher Rücksprung.
Knutschende Teenies finden auf einem Campingplatz ein Mordopfer. Aus einem Gefängnis wird ein verurteilter Bankräuber nach 8 Jahren entlassen – der zweite Täter konnte mit der Beute unerkannt entkommen, Inka Luhmann war damals an der Ermittlung beteiligt. Jetzt muss sie trotz Camping-Phobie wegen der Leiche auf dem Campingplatz ermitteln und steht mit ihrem Team dort vor einigen Herausforderungen: „Die wollten mich erst auf einen Schnaps einladen, mir dann den Wohnwagen zeigen und den Grill anwerfen, bevor sie zum Punkt gekommen sind. Wenn das alle machen, sind wir bis Weihnachten nicht hier durch“ (S. 73).
Das Buch ist flott und leicht geschrieben mit etlichen Prisen Humor – wenn man davon absieht, dass mir besonders zu Beginn viel zu häufige Unsauberkeiten im Umgang mit Sprache negativ auffielen (fett gestellt durch die Rezensentin):
S. 13: „Abgesehen von Supermarktpreisen, die normalverdienenden Selbstversorgern die Tränen in die Augen trieb“ statt „trieben“….
S. 20 „Er hatte Banküberfälle…immer als eine [statt eines] der am wenigsten riskanten Kapitalverbrechen eingeschätzt.“
S. 53 „Immerhin schmückten die Fenster bereits Girlanden“ nein, Fenster werden nicht als Schmuck für Girlanden eingesetzt: Immerhin schmückten Girlanden bereits die Fenster….
S. 53 „ Als Einheimischer, ehemaliger Schüler, Vater in Elternzeit, Erziehungsberechtigter einer Tochter an der Schule und Tom, seinem sechsjährigen Sohn unter den ‚I-Dötzchen‘, erfüllte er sogar gleich alle Helferkriterien auf einmal.“ -> als Erziehungsberechtigter einer Tochter an der Schule und eines sechsjährigen Sohnes, Tom, unter den ‚I-Dötzchen‘…
Ein vernünftiges Lektorat hätte hier gut getan, diese Fehler verärgern mich. Später war ich dank des angenehmen Schreibstils zum Glück ausreichend „drin“ in der Handlung und habe automatisch etwas weniger auf derartige Fehler geachtet (sie setzten sich leider trotzdem fort).
Insgesamt ein ganz normaler Krimi, kein besonderes Highlight, auch kein Fehlgriff, aber leichte und angenehme „Nebenbei“-Lektüre. 3 Punkte, da ich nicht das Bedürfnis verspüre, die anderen Bände zu kaufen – sie aber lesen würde, wenn sie irgendwo herumlägen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Erkennbar gute Absichten, etwas viel Polemik

Die Psychofalle
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In Kurzform:
Kürzer wäre besser gewesen. Leicht lesbarer Überblick - mit (für mich zu) viel Polemik trotz etlicher guter Ansätze.
Mittellang:
Jörg Blech wechselt zwischen Polemik, fast selbstreflexiven ...

In Kurzform:
Kürzer wäre besser gewesen. Leicht lesbarer Überblick - mit (für mich zu) viel Polemik trotz etlicher guter Ansätze.
Mittellang:
Jörg Blech wechselt zwischen Polemik, fast selbstreflexiven Beweisen, teils einer Deutung von Quellen für seine Bedürfnisse – und erkennbar guten Absichten gegen Überdiagnostizierung bzw. schlechte Behandlung. Teilweise (besonders in der zweiten Hälfte) gelingt es ihm, letzteres sogar richtig gut umzusetzen.
Mit Beispielen:
S. 11, die erste Seite nach dem Inhaltsverzeichnis „…bereits 5 Prozent aller Menschen in Deutschland schlucken Tabletten gegen Antidepressionen“.
Sowohl Internet-Suchmaschine als auch Fußnoten-Quelle belegen, dass laut OECD-Studie 2010 in Deutschland je 1000 Menschen 50 Tagesdosen Antidepressiva verbraucht wurden.
50 von 1000 = 5 % denke ich – aber:
„Tagesdosis“ ist eine rechnerische Größe in der Arzneimittelforschung – wieviel der einzelne nimmt, deutlich mehr oder weniger, ist damit nicht geklärt. Theoretisch könnten ja auch 10% nur die halbe übliche Dosis nehmen – oder 2,5% die doppelte. Im Schnitt passt’s?!
S. 22 „[Einer der wenigen deutschsprachigen Experten im Gremium für die Klassifizierung als seelische Krankheit]…leerte…viele Schachteln „Lord Extra“ an seinem Schreibtisch.“ – dieser Satz ist doch reine Polemik. Ob jemand raucht, wäre vielleicht interessant, wenn es um die Tabaklobby, Lungenkrebs oder ähnliches ginge, was soll das hier an Erkenntnissen bringen?
Immerhin folgende Erkenntnisse: Schwere Krankheiten gibt es über die Jahre nicht häufiger, leichte Beschwerden werden gerne von den Ärzten finanziell ausgebeutet. Patienten mit schweren Beschwerden warten zu lange, andere wollen mit leichten Beschwerden einfach ernst genommen werden. Dafür wäre weniger mehr gewesen.
Das Buch ist dabei gut lesbar, als „Zwischendurch“-Buch in Episoden geeignet.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Achtung Sadist! Sehr spannend, ungewöhnliches „Ermittler“-Duo, unnötige Schwächen bei der Umsetzung

Post Mortem - Tränen aus Blut
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Zur Handlung möchte ich wie immer bei Krimis und Thrillern möglichst wenig verraten, nur das, was für einige Leser die Kaufentscheidung beeinflusst:
es gibt einige sehr harte Szenen mit willkürlicher ...

Zur Handlung möchte ich wie immer bei Krimis und Thrillern möglichst wenig verraten, nur das, was für einige Leser die Kaufentscheidung beeinflusst:
es gibt einige sehr harte Szenen mit willkürlicher sadistischer Folter im Buch, dabei sind als Opfer sowohl Frauen als auch – sehr heftig – Kinder betroffen. Es gibt Verluste im Tierreich, wenn auch eher als „Kollateralschaden“. Es gibt eine berufstätige alleinerziehende Mutter als Ermittlerin, deren Teenie-Tochter unter der Woche im Internat ist wegen der beruflichen Einbindung der Mutter (das störte einige Leserinnen, ich erwähne das nur deshalb). Für mich persönlich hätte gelangt, wenn die Lektüre „nur“ den Tod des Kindes vermittelt hätte; die Details hätte es nicht gebraucht, um darzustellen, mit was für teuflischen Gegenspielern es das ungleiche Ermittler-Team hier zu tun hat.

Mark Roderick, so das Pseudonym des deutschen Autors, kann definitiv spannend schreiben. Ich hatte das Buch in drei Abenden durch und wäre noch schneller gewesen, wenn ich nicht gelegentlich schlafen müsste…Die Kaufentscheidung wurde bei mir durch die Idee eines recht ungewöhnlichen „Ermittler“-Duos bewirkt: Das Verschwinden einer Familie, das Auftauchen einer Leiche wollen eine Interpol-Agentin und ein Profi-Killer aufklären, dieser Ansatz wurde auch glaubhaft umgesetzt. Dabei verhält sich der Profi-Killer eher wie ein Polizist, er sichert, durchsucht, befragt… - die Parallelen zur Vorbereitung eines Profikiller-Einsatzes und im Polizei-Einsatz sind eigentlich so offensichtlich (einmal die Intentionen ganz außen vor gelassen), dass es eigentlich verwundert, dass das noch kein anderer Autor aufgenommen hatte. Für mich ist diese Grundsituation wirklich das, was den Roman für mich trägt.

Allerdings gibt es für mich auch einige Mängel, erst mit dem zweiten Band wurde ich richtig „warm“ mit Autor und Geschichte (ich habe den zweiten Band nach dem ersten gelesen, ihn bewusst gekauft angesichts meiner Einwände - aber vorher rezensiert, weil ich ihn einfach um einiges besser, schlüssiger finde):
Einige Handlungsstränge wirken im Band 1 nicht stimmig oder werden nicht aufgelöst. So war ich nicht die einzige, der die Entwicklung des privaten Liebesglücks von Emilia etwas zu schnell, zu „süß“ war – ohne dass hier in Band 1 ein Cliffhanger aufgebaut würde, mit Band 2 wird klar, wozu es das gebraucht hat (also wollte wohl der Autor „schnell dahin“). Auch die Sache mit Ludwig Botts Fingern wird erst im zweiten Band aufgelöst (nicht, dass man das wirklich in Band 1 bräuchte – aber es wird halt deutlich hier erwähnt).
Da der Film „Pretty Woman“ recht bekannt ist, nehme ich den als Beispiel dafür, dass auch ziemlich oft NICHT aufgepasst wurde von einer Szene zur nächsten: so ist einer der bekannteren Anschlussfehler, die Szene mit Julia Roberts und Richard Gere auf einer Picknickdecke, sie zieht ihm die Schuhe aus. In der nächsten Szene liest er ihr etwas vor – und hat die Schuhe wieder an…. (soll wohl Filmminute 88 sein lt. Internetrecherche). Ungefähr in dieser Art sind mehrere Stellen im Buch: keine wirklich groben Fehler, eher Dinge, die man recht leicht hätte korrigiert haben können, spätestens im Lektoriat. So nimmt Avram das Smartphone von Emilia an sich und wirft es aus dem Fenster seines Autos. Später im Hotel hat sie es und schaut darauf Unterlagen durch, die vorher drauf waren (o.k., da gibt es so Backup-Tools via Cloud, über die man sich Unterlagen sichern kann und sie könnte ganz schnell ein neues gekauft haben – das ist auch alles nur in der Theorie so schön einfach und jemand mit Verstand speichert wohl keine Ermittlungsunterlagen in der Cloud…). Zum Beispiel hätte stattdessen Avram einfach das Phon in den Fußraum werfen und losfahren können und später findet man es im abgestellten Auto.
Diesmal also ein etwas schrägeres Fazit: Band 2 unbedingt kaufen. Und dann nach Wunsch eventuell Band 1 danach lesen. Das fände ich weniger „sperrig“ im Lesegenuss.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Verstörend! Der ganz eigene Stil ist leicht lesbar, das Thema ist harter Tobak

Liebesgeschichte
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Die Rückseite des Schutzumschlages vermerkt „Liebesgeschichte – eine irritierende, beunruhigende Versuchsanordnung über Entfremdung und Begehren“. Thomas Jonigk arbeitet auch als Theaterregisseur und –dramaturg, ...

Die Rückseite des Schutzumschlages vermerkt „Liebesgeschichte – eine irritierende, beunruhigende Versuchsanordnung über Entfremdung und Begehren“. Thomas Jonigk arbeitet auch als Theaterregisseur und –dramaturg, und wenn ich an die generelle Tendenz seiner Branche denke, viele Stücke zu inszenieren in dem Bestreben, das Publikum zu schockieren, so passt das hier zusammen.

Der Arzt Alexander Wertheimer ist der Ich-Erzähler dieser Geschichte. Nein, kein sympathischer Held, niemand, mit dem sich auch nur im Ansatz jemand zu identifizieren versuchen sollte. „Vom Terror, nicht geliebt zu werden“ steht noch auf der Rückseite: Wertheimer ist ein Besessener, er scheint zu Stalking zu neigen, wirkt grenzwertig zwangsneurotisch. Er verwechselt Wissen mit Überheblichkeit, glaubt, durch die Lektüre von kulturell relevanter Lektüre kultiviert zu sein.

Trotzdem liest sich „Liebesgeschichte“ leicht und ist stilistisch nicht unangenehm, zeigt eher sprachliche Kompetenz des Autors. Problematisch wird es beim Inhalt, den zu beschreiben fast unmöglich ist, ohne automatisch zu viel zu verraten, bereits der Klappentext geht eigentlich zu weit. Daher so viel: Wertheimer erkennt an sich „dieses Gefräßige, das keinen Raum für zwei lässt, weil ich mir alles einverleibe, das ich zu lieben glaube.“ (S. 54f) Sein Einverleiben ist nicht zart, verstörend sind seine Phantasien wie seine Handlungen. Gegenüber den Gefühlen und Bedürfnissen seiner Mitmenschen – speziell Frauen – ist er blind und taub, leider nicht stumm, was er sagt, klingt wie eine Gebrauchsanweisung, so in den Gedanken über seine Nachbarin: „…dazu kommen z.B. Gewebeschwächen im Bereich der Brust und der Oberarme, Pigmentstörungen (Dekolleté), starke Hornhautbildung (beide großen Zehen sowie Fersen), Zahnfleischrückgang (beim Gähnen sichtbar) sowie Andeutungen von Krampfadern in der linken Wade.“ (S. 73). Na danke! Bisweilen wirkt Jonigk hiermit komisch, der Klappentext spricht von „subversiv“. In Sätzen wie „ich sehe, wie Vergeblichkeit aus mir herausquillt“ (S. 15) hingegen wird er doch sehr vorhersehbar.
Alles in allem ist mir dieser Roman zu sehr (wenn auch technisch gut) konstruiert, zu kalkuliert. Sein Antiheld bietet so wenig Identifikationspotential wie das weitere Personal des Romans. Das Thema ist wichtig, die Darstellung verstört – das „passt“, aber lässt mich darüber hinaus unbewegt. Eine Rezension, die ich aus Ratlosigkeit konsultierte, zog den Vergleich zu Nabokovs „Lolita“. Vielleicht Lolita auf der Bühne mit nackten Schauspielern, Statisten aus dem Obdachlosen-/Flüchtlingsheim und irgendwie rennt dabei jemand herum und sagt.
WEITER.

zu Stilmitteln:
Jonigk nutzt wiederholt ganz eigene stilistische Mittel ein, jedoch nicht in ähnlicher Persistenz wie der aktuelle Walser:
„Ihr seid doch über jedes Detail informiert, ihr Staatsoberhäupter und Familienväter, ihr Frauenhasser, Mädchenhändler und Kinderschänder, ihr Zyniker und Rechtsverdreher, meine hochverehrten Richter und Mörder: Ihr alle heuchelt Korrektheit/Gesetzestreue/Betroffenheit, aber ich weiß, DASS KEIN EINZIGER VON EUCH FREI VON SCHULD IST.
WEITER.“
(S. 94).
• Mehrfach erscheinen Aufzählungen, die die „Wahrer des Rechts und der Gesellschaft“ in einem Atemzug nennen mit denen, die diese verletzen.
• Häufig stehen „Begriffe zu Auswahl“, getrennt mit Schrägstrich – Jonigks Hauptperson ringt um den korrekten Wortgebrauch, er redet / denkt (ja, das steckt an) wie im Rausch, mag sich vielleicht auch nicht festlegen (lassen).
• Einige Sätze oder Satzteile oder Worte sind komplett in Großbuchstaben, was für mich die Assoziation von „Schreien“ in SMS-Darstellung hervorruft.
• Jonigk arbeitet auch damit, Handlung mit dem Zeilenvorschub darzustellen – die Lesefolge wirkt dadurch gepresst, stockend, ausweichend.
• „WEITER“ leitet mehrfach einen Gedankensprung im „stream of consciousness“ des Ich-Erzählers ein.
Was einzig noch fehlt im obigen Beispiel, kann man darstellen anhand von
„…ein bewegungsunfähiger Querschnittsgelähmter (Anm.: Pleonasmus? Überprüfen!).“ (S. 68) – häufige Nutzung von Klammern, oft in einer Art, als rezensiere der Arzt sich selbst, um vielleicht beim nächsten Sprechen oder Denken sich korrekter ausdrücken zu können. Dabei ist ihm Sprache wichtig wie auch Literatur oder generell Wissen.