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Veröffentlicht am 30.12.2018

Eine Jüdin verrät Juden

Stella
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Dieses Buch zeigt einen fürchterlichen Aspekt aus der Zeit des Nationalsozialismus auf, der mir bislang noch gar nicht bekannt war.
Die Stella aus dem Buchtitel, aus deren Leben im Jahr 1942 in Berlin ...

Dieses Buch zeigt einen fürchterlichen Aspekt aus der Zeit des Nationalsozialismus auf, der mir bislang noch gar nicht bekannt war.
Die Stella aus dem Buchtitel, aus deren Leben im Jahr 1942 in Berlin der Autor erzählt, hat es wirklich gegeben. Stella Goldschlag war eine Jüdin, der man ihre Herkunft äußerlich aufgrund ihres blonden Haars nicht ansah. Nach ihrer Verhaftung und Folter arbeitete sie mit der Gestapo zusammen, um ihre Eltern vor der Deportation zu bewahren. Sie verriet untergetauchte Juden. Diese wahre Geschichte verknüpft der Autor mit dem fiktiven Element, dass ein junger Schweizer – Friedrich - nach Berlin reist, um der Wahrheit über Deutschland auf den Grund zu gehen, ob nämlich etwas dran ist an dem Gerücht, dass Juden aus dem Scheunenviertel in Möbelwagen deportiert werden. Er verliebt sich in Stella. Erst nach und nach erkennt er ihren Hintergrund.
Im Fortgang der Geschichte werden lehrreiche Protokollabschriften des sowjetischen Militärtribunals eingeführt, das den Prozess gegen Stella wegen der Mitwirkung an zahlreichen Tötungen führte. Außerdem werden immer wieder interessante Ereignisse aus der Weltgeschichte aufgezählt, die sich in der Zeit von Stellas Wirken zugetragen haben.
Es ist ein unbedingt lesenswertes Buch, das zum Nachdenken anregt. Gelungen ist dargestellt, wie Stella bis zum Schluss rätselhaft bleibt und wie Friedrich von seinen Zweifeln zwischen Stellas Tun und seiner Liebe zu ihr hin- und hergerissen ist.

Veröffentlicht am 21.12.2018

Traurige Familiensaga rund um eine jüdische Familie

Jahre aus Seide
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Die Autorin verarbeitet in diesem zum Teil fiktiven, zum Teil auf wahren Begebenheiten beruhenden Roman die Geschichte der jüdischen Familie Meyer aus Krefeld. In diesem ersten Band, dem noch zwei Fortsetzungen ...

Die Autorin verarbeitet in diesem zum Teil fiktiven, zum Teil auf wahren Begebenheiten beruhenden Roman die Geschichte der jüdischen Familie Meyer aus Krefeld. In diesem ersten Band, dem noch zwei Fortsetzungen folgen werden, wird auf die Jahre 1926 bis zur Reichspogromnacht im November 1938 eingegangen. Die dem bürgerlichen Mittelstand zugehörigen Meyers sehen sich zunehmenden Einschränkungen und Repressalien in ihrem alltäglichen Leben ausgesetzt und denken verstärkt über eine Auswanderung nach, lassen allerdings viel kostbare Zeit verstreichen, weil sie Deutschland, das ihre Heimat ist, und ihr Hab und Gut eigentlich nicht verlassen wollen. Zum einstweiligen tragischen Höhepunkt in ihrem Leben kommt es im November 1938, als sich die beiden Töchter bei ehemaligen Angestellten verbergen können, die Eltern aber unauffindbar bleiben.

Der Roman ist sehr lehrreich, bringt er uns doch das düsterste Kapitel der deutschen Geschichte, den Nationalsozialismus, nahe. Anders als in entsprechenden ähnlichen Büchern zu diesem Thema setzt die Geschichte schon einige Jahre vor der Machtergreifung Hitlers in den 20er Jahren ein, wodurch ich einige neue Aspekte kennengelernt habe. Die Geschichte lässt einen sehr betroffen zurück, eben weil es in ihr um eine real existierende Familie geht. Sprachlich lässt sich ihr gut folgen, was daran liegt, dass aus der Perspektive der jungen Tochter Ruth erzählt wird. Sie ist sehr wissbegierig, die politische Situation und die Geschichte der Juden zu verstehen. Die Erläuterungen, die sie von den Erwachsenen erhält, helfen auch dem Leser, die Hintergründe zu begreifen. Die Autorin hat gut recherchiert und fasst den Anlass des Romans und den Gang ihrer Recherchen in einem gelungenen Nachwort zusammen. Zahlreiche Rechtschreibfehler gilt es in weiteren Auflagen noch zu bereinigen.

Auf jeden Fall ein lesenswertes Buch und ein wichtiger Beitrag, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten. Ganz sicher werde ich die Fortsetzungen lesen.

Veröffentlicht am 21.11.2018

Eine wunderschöne Zeitreise

Wie man die Zeit anhält
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Von Progerie hat vielleicht der eine oder andere schon einmal gehört, also der Erscheinung, dass Kinder wie im Zeitraffer altern. Der Protagonist in diesem Buch leidet unter der gegenteiligen Erscheinung ...

Von Progerie hat vielleicht der eine oder andere schon einmal gehört, also der Erscheinung, dass Kinder wie im Zeitraffer altern. Der Protagonist in diesem Buch leidet unter der gegenteiligen Erscheinung „Anagerie“, bei der der Alterungsprozess stark verlangsamt ist. Tom Hazard ist über 400 Jahre alt, sieht aber wie ein Vierzigjähriger aus. Er hat eine Lebenserwartung von noch etwa 600 Jahren. Das ist selten, es gibt aber noch ähnlich Betroffene.
In unserer Gesellschaft, in der Anti-Aging-Produkte und Schönheitschirurgie eine so große Bedeutung haben, mag das wie ein Traum klingen. Tom empfindet seinen Zustand aber als große Belastung und leidet extrem. Hinzu kommt eine Gefahr von wissenschaftlichen Einrichtungen, die um die Existenz der Betroffenen wissen und ihrer als Versuchskaninchen für Experimente habhaft werden wollen. Außerdem bereitet es Tom großen Schmerz, die Menschen, die er liebt, so lange vor ihm alt werden und sterben zu sehen. Vermeintliche Hilfe bietet ihm die Gesellschaft der Albatrosse, ein Zusammenschluss gleichermaßen Betroffener. Deren oberste Regeln sind, sich niemals zu verlieben und sich alle acht Jahre an einem anderen Ort eine neue Identität zuzulegen.
Ich will nicht zu viel von der Handlung preisgeben. Nur so viel: Tom, im gegenwärtigen Leben Geschichtslehrer in London, einem Ort, der schmerzliche Erinnerungen in ihm weckt, hält einzig die Hoffnung am Leben, seine geliebte Tochter wieder zu finden, die ebenso ist wie er. Die Geschichte wechselt zwischen Toms gegenwärtigem Leben und seinem Leben in den vergangenen Jahrhunderten. Dabei sinniert er über sein Leben und die Leute, die er über die Jahrhunderte getroffen hat – Captain Cook, Shakespeare, Scott, Zelda Fitzgerald. Das ist wirklich faszinierend zu lesen ebenso wie die Thriller- und Liebesgeschichten-Elemente. Der Hauptfokus der Geschichte liegt aber in Toms etwas melancholischer Sicht auf das Leben – welchen Sinn hat es, hunderte von Jahren zu leben, wenn man dies allein tun muss; was bedeutet es zu leben; was macht das Leben lebenswert; wie kann man das Leben annehmen, ohne sich Sorgen über eine unbekannte Zukunft zu machen? Alles Aspekte, die den Leser zum Nachdenken anregen.
Ich habe diese ungewöhnliche Zeitreise wirklich genossen.

Veröffentlicht am 08.11.2018

Wunderbarer Briefroman

Das Versprechen, dich zu finden
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Es handelt sich um einen sehr schönen Briefroman, in dem die beiden Protagonisten Tina und Anders sich wechselseitig Briefe bzw. Emails schreiben.
Zwischen Tina, einer Landwirtsfrau aus East Anglia, und ...

Es handelt sich um einen sehr schönen Briefroman, in dem die beiden Protagonisten Tina und Anders sich wechselseitig Briefe bzw. Emails schreiben.
Zwischen Tina, einer Landwirtsfrau aus East Anglia, und Anders, dem Kurator des Silkeborg-Museums in Dänemark, entwickelt sich über das Medium des Briefes eine tiefe Freundschaft, als Tina einem Professor Glob einen Brief zusendet, der 50 Jahre vorher sein Buch über die Entdeckung des aus der Eisenzeit stammenden und als Moorleiche bestens konservierten und jetzt in eben jenem Museum befindlichen Tollund-Mannes Tina und ihren Schulfreundinnen gewidmet hat. Tina und ihre beste, inzwischen verstorbene Freundin planten immer, das Museum zu besuchen, taten es aber nie, was Tina nun per Brief zu erklären versucht. Es stellt sich heraus, dass der Professor seit langem tot ist. An seiner Stelle beantwortet Anders die Post, womit ein reger Briefwechsel beginnt. Zunächst sind die Briefe formell gehalten und handeln vom Tollund-Mann und gemeinsamen archäologischen Interessen. Allmählich aber werden die Briefe immer vertrauter und tauschen sich Tina und Anders über ihre Gefühle, ihr Leben und ihre Familien aus, oftmals vom anderen Rat erbetend. Es ist faszinierend zu lesen, wie sich zwei Menschen, die sich nie getroffen haben, ihre intimen Gedanken anvertrauen und sich als eine Art Seelenverwandte entpuppen. Der Briefwechsel umfasst etwas mehr als ein Jahr, in dem im Leben der beiden Schreiber nicht viel passiert. Dann aber überrollt ein Ereignis die beiden, und ihre Welt ist nicht mehr wie vorher.

Veröffentlicht am 27.10.2018

Der Mensch und die Natur

Eines Tages in der Provence
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Diese beschauliche Geschichte spielt nur wenige Wochen im März in einem französischen Dorf, wo die über 100 Jahre alte Platane auf dem Marktplatz auf Anordnung der Gemeindeverwaltung gefällt werden soll. ...

Diese beschauliche Geschichte spielt nur wenige Wochen im März in einem französischen Dorf, wo die über 100 Jahre alte Platane auf dem Marktplatz auf Anordnung der Gemeindeverwaltung gefällt werden soll. Die Dorfbewohner gründen rund um den pfiffigen Schuljungen Clément eine Initiative, um das zu verhindern. Die Dorfbewohner und der Baum sind es dann auch, die im Mittelpunkt stehen: zwei betagte Schwestern, die junge Frau Fanny, die Wirtin Suzanne, der herumvagabundierende Manu, der entscheidungsunfreudige Raphael, der sich strikt an Regeln haltende Gemeindearbeiter Francois, und eben die Platane. Sie ist die älteste Dorfbewohnerin, sie weiß um die Geheimnisse der Menschen, ohne sie jemals zu verraten, war Zeugin von tragischen und freudigen Ereignissen, wurde schon von so vielen Kindern beklettert. Dieser Baum ist mehr als eine Pflanze, er ist ein Wesen, das Herz des Dorfes.
Das eigentlich Faszinierende an dem Buch ist, dass sich der Leser quasi hineinversetzt fühlt auf diesen Marktplatz und teilnimmt an den Sorgen der Bewohner und eben des Baumes. Ein ungewöhnlicher, aber interessanter Clou ist auch, dass der betroffene Baum als Ich-Erzähler eingebunden ist und wir so seine Sichtweise und seine Gefühlswelt kennenlernen. Alles wird sehr warmherzig erzählt.