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Veröffentlicht am 23.11.2018

Gute Ideen gehen in Extremen und Widersprüchen unter

Der Ruf der toten Mädchen
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Dr. Alex Ripley, die Protagonistin der Thriller-Reihe, deren Auftakt Der Ruf der toten Mädchen von M. Sean Coleman darstellt, geht angeblichen Wundern und mysteriösen Erscheinungen nach, findet rationale ...

Dr. Alex Ripley, die Protagonistin der Thriller-Reihe, deren Auftakt Der Ruf der toten Mädchen von M. Sean Coleman darstellt, geht angeblichen Wundern und mysteriösen Erscheinungen nach, findet rationale Erklärungen dafür und entlarvt Schwindler. Das hat ihr den Spitznamen „Wunderdetektivin“ eingebracht und ist der Grund, warum ihre Freundin, die Kriminaltechnikerin Emma Drysdale, sie um Hilfe bittet: Innerhalb von vier Monaten haben sich in der kleinen streng religiösen Gemeinde Kirkdale zwei Mädchen in einem See ertränkt. Beide haben vor ihrem Selbstmord einen Engel erwähnt. Alex mietet sich im örtlichen Gasthof ein, um den Fragen nachzugehen, wie zwei junge Mädchen so kurz nacheinander einen so furchtbaren Tod wählen konnten und was es mit dem Kirkdale-Engel auf sich hat. Dabei stößt sie immer wieder auf den Widerstand der Bewohner Kirkdales, die alles andere als begeistert davon sind, dass eine Fremde in ihrer Vergangenheit herumstochert, in der sich bereits ein ähnliches Ereignis zugetragen hat…

Das Cover gibt einen Vorgeschmack auf die neblig-trübe Stimmung Ende Oktober im Wald um Kirkdale, in dem sich die schrecklichen Todesfälle ereignen. Geheimnisvoll ragt eine Engelsgestalt aus dem Nebel auf und wie Alex Ripley fragt man sich, ob es tatsächlich ein Engel sein kann. Der Thriller setzt ebenso geheimnisvoll und spannungsgeladen ein. Jedes der ersten Kapitel wird aus Sicht einer anderen Figur erzählt. Besonders spannend sind dabei die Gedanken der beiden Mädchen kurz vor ihrem Tod. Sie haben die Wahrheit bereits erkannt, doch sie nehmen sie mit in ihr kühles nasses Grab und enthalten sie auch dem Leser zunächst vor. Dann taucht Alex Ripley auf und mit der Spannung ist es vorbei. Stattdessen wird die Biographie einer Protagonistin ausgebreitet, die viel zu perfekt ist, um für den Leser greifbar zu sein. Den totalen Gegensatz zu der aufgeklärten und erfolgreichen Wissenschaftlerin stellen die Bewohner Kirkdales dar, die durchweg als kaltherzige und verbohrte religiöse Fanatiker beschrieben werden, die noch nicht im modernen Leben angekommen sind. Zumindest werden sie von den anderen Figuren immer wieder als solche abgestempelt, für ihre eigene Perspektive ist in den folgenden Kapiteln, die fast ausschließlich aus Alex‘ Sicht erzählt werden, kein Platz.

In diesen Extremen geht die gute Idee der Geschichte leider unter. Alles wird immer ein bisschen zu sehr übertrieben, um glaubwürdig zu sein: Das Verhalten der Dorfbewohner, Alex‘ unorthodoxe Ermittlungsmethoden, die mit wissenschaftlichem Arbeiten herzlich wenig zu tun haben, die Treffen der kirchlichen Mädchengruppe, die Wirkung selbstgebrannten Alkohols und letztlich auch die Auflösung. Die Figuren bleiben unnahbar und bieten kaum Identifikationsmöglichkeiten. Auch die Handlung rutscht allzu oft ins Klischeehafte ab und wirkt an vielen Stellen sehr konstruiert. Dazu tragen auch die vielen kleinen Widersprüche bei, die wie kleine Stolpersteine im Text verteilt sind und den Lesefluss stören und den Schreibstil insgesamt ein bisschen holprig wirken lassen. Der größte inhaltliche Widerspruch ist allerdings Alex Ripleys persönliche Geistererscheinung, die nicht nur völlig irrelevant für den Fortgang der Handlung ist, sondern auch so gar nicht zu der perfekten rationalen Wissenschaftlerin und ihrer immer wieder betonten „gesunden Skepsis“ passt.

Nachdem mich das gelungene Cover, die interessante Idee und die mitreißenden ersten Kapitel begeistert haben, hat mich der Rest des Thrillers mit seinen vielen Übertreibungen, Unglaubwürdigkeiten und Widersprüchen nur noch enttäuscht. Der Ruf der toten Mädchen ist eher ein Buch für Leute, die eine Geschichte über eine starke und unabhängige weibliche Heldin lesen wollen, als für jemanden, der Spannung und Nervenkitzel sucht. Einen zweiten Teil der Alex-Ripley-Reihe würde ich nur lesen wollen, wenn sie selbst nicht mehr darin mitspielt.

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