„...Welche Eltern sind wichtiger: die, die ein Kind zur Welt gebracht haben, oder die, die es großgezogen haben?...“
Jan ist 50 Jahre alt, als er am Grab seines Vaters steht. Auch die Enkelsöhne trauern um den Verstorbenen. Jan selbst hat seine eigenen Großeltern nie kennengelernt.
Zwei Wochen später ist Jan mit seiner Tante Hania unterwegs. Sie versucht, ihm vorsichtig etwas mitzuteilen. Jan ist nicht das Kind seiner Eltern. Er wurde aus einem Waisenhaus adoptiert.
Die Autorin erzählt in mehreren Episoden eine bewegende Lebensgeschichte, die mit Ende des zweiten Weltkrieges begann.
Der Schriftstil ist abwechslungsreich und passt sich der komplexen Thematik an. Dabei agiert Jan als Ich-Erzähler. Das macht die Geschichte besonders authentisch.
Jan wächst als Sohn eines evangelischen Pastors in Gliwice auf. Mit einige Ausschnitten seiner Kindheit beginnt die Lebensbeschreibung. In denen wird unterschwellig deutlich, dass Jan adoptiert wurde. Die Hinweise sind aber so geschickt kaschiert, dass er sie noch nicht begreift. Gleichzeitig wird klar, wie sehr Jan in seiner Familie geliebt wird. Besonders bewegend ist die kurze Episode, wo Jan mit seiner Mutter auf die Rückkehr des Vaters aus dem Sanatorium wartet. Sie geht unter die Haut. Es sollte ein paar Jahre dauern, bis Jan zufällig mitbekommt, dass das Sanatorium eine Gefängnis war. Dadurch ergibt sich auch ein Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in Oberschlesien zur Ära unter Stalin.
In den Szenen über Jans Jugend sind weitere Schicksale eingeflochten. Dabei zieht sich das Thema Adoption wie ein roter Faden durch die Geschichte. So erfährt Jan,dass Basia Burkowska, eine Bekannte, eigentlich das Kind einer deutschen Mutter war.
Jan wird wie sein Vater Pastor. Für Außenstehende gibt es keinerlei Zweifel an einen familiären Wurzeln. Seine zukünftige Frau Ania wurde ebenfalls adoptiert. Deutlich wird, dass die Kinder, die von ihrer Adoption wussten, sehr unterschiedlich damit umgegangen sind. In einem Gespräch mit Basia sagt Jan über Ania:
„...Sie hat dasselbe erlebt wie du: In dem Moment, wo sie in Gott ihren wahren Vater gefunden hat, verschwand das Gefühl von Einsamkeit in ihrem Herzen...“
Jan kannte das Gefühl der Einsamkeit so nicht. Er war geliebt.
Und nun mit 50 Jahren erfährt Jan, dass ihn seine deutsche Mutter im Waisenhaus zurück ließ, weil die Flucht mit den drei älteren Söhnen schon kompliziert war. Sie hat später in der DDR gelebt.
Im Gespräch mit Tante Hania arbeitet Jan die Vergangenheit auf. Dabei geht es vor allem um die Frage, warum seine Eltern und alle, die davon wussten, geschwiegen haben. Hania nennt gute Argumente dafür. Hier ist eines davon:
„...Die Situation von adoptierten Kindern war in der Zeit nicht leicht. Sie mussten sich oft anhören, dass sie dumm seien, nur weil sie adoptiert waren. Und wenn es deutsche Kinder waren, hatten sie nichts zu lachen. Ihnen wurde das Leben besonders schwer gemacht...“
Jan bekommt Kontakt zu seinen Geschwistern. Die Mutter hatte sich bemüht, den Jungen in die DDR zu holen, nicht nur wegen der ablehnenden Haltung der Adoptiveltern aber darauf verzichtet.
Der Briefwechsel existiert nicht mehr. Nun lernt Jan seine Geschwister kennen.
Souverän geht Jan mit der neuen Situation um. Er sieht das Positive und weiß zu schätzen, was seine Adoptiveltern für ihn getan haben. Sein Leben vergleicht er mit der Mosesgeschichte, die ihm Tante Hania häufig erzählt hat. Er ist sich gewiss, dass alles nach Gottes Plan verlief.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es hat mich tief berührt. Zum Abschluss möchte ich einen Satz von Tante Hania zitieren, mit dessen Aussage wir Nachgeborenen häufig konfrontiert wurden:
„...Unsere Generation hat über vieles nicht gesprochen, vielleicht wegen all dem, was wir im Krieg erlebt haben...“