„Robert, geb. am 17. April 1947“
„Robert, geb. am 17. April 1947“ S. 212
Intensiv.
“Alles, was ich habe, trage ich bei mir.
Oder: Alles Meinige trage ich bei mir.
Getragen habe ich alles, was ich hatte. Das Meinige war es nicht.“ S. ...
„Robert, geb. am 17. April 1947“ S. 212
Intensiv.
“Alles, was ich habe, trage ich bei mir.
Oder: Alles Meinige trage ich bei mir.
Getragen habe ich alles, was ich hatte. Das Meinige war es nicht.“ S. 7
Das ist keine sprachliche Spinnerei – der 17jährige aus der deutschstämmigen Minderheit der Siebenbürger Sachsen in Rumänien hat die Ankündigung bekommen, von den Russen ins Lager abgeholt zu werden. Es ist Januar 1945, Herrmannstadt. Nachbarn und Familie hlefen aus, mit der warmen Hose, dem Mantel.
Naiv.
„Ich wollte weg aus dem Fingerhut der kleinen Stadt“ S. 7
Unberührt von den diffusen Ängsten der anderen, wünscht sich der Ich-Erzähler das Entkommen aus der Enge. Er will weg von den konkreten Ängsten des bisherigen Lebens „Ich trage stilles Gepäck. Ich habe mich so tief und so lang ins Schweigen gepackt, ich kann mich in Worten nie auspacken. Ich packe mich nur anders ein, wenn ich rede.“ S. 9
Das Buch wurde geschrieben, nachdem sich Herta Müller, selbst in Rumänien geborene Deutsche, zu vielen Gesprächen getroffen hatte mit Oskar Pastior, angelehnt an dessen Lagerjahre. https://de.wikipedia.org/wiki/Oskar_Pastior
Auch die Mutter der Autorin war in einem Lager gewesen. 2009 - das Erscheinungsjahr dieses Buches und das Jahr, in dem Müller den Nobelpreis für Literatur erhielt.
Hunger. Heimweh. Wiederholung.
„Ich esse seit meiner Heimkehr aus dem Lager, seit sechzig Jahren, gegen das Vergessen.“ S. 25
Krankhungrig, giftschön, Hungerecho
Beim Apell sucht er im Himmel nach einem „Haken“, für seine Knochen, nachdem das Fleisch vom Körper verschwunden ist.
„Oft gab es keine Wolke, nur einerlei Blau wie offenes Wasser.
Oft gab es nur eine geschlossene Wolkendecke, einerlei Grau.
Oft liefen die Wolken, und kein Haken hielt still.
Oft brannte der Regen in den Augen und klebte mir die Kleider an die Haut.
Oft zerbiss mir der Frost die Eingeweide.“ S. 27
Die Mittel der Autorin wirken wie dumpfe Trommelschläge, die dem Leser die Eindrücke unter die Kopfhaut schieben. Es gibt viele eigene Wortschöpfungen, erfunden, um in Worte zu fassen, wofür der „normal lebende“ keinen Begriff hat. Die Wiederholungen für die ewigen Wiederholungen des Lagerlebens, der ewige Hunger mit allem und mit allen. Es geht nicht um irgendwelche Folter im Lager, es gibt sogar anrührende Fälle von Menschlichkeit. Da gibt die alte Frau aus der Region Suppe, ein Taschentuch – der eigene Sohn wurde vom Nachbarn denuziert, sitzt in einem anderen Lager. Der Ich-Erzähler gibt das Taschentuch nie weg, es wird ihm zum Pfand, wie der Satz, den die Großmutter gesagt hatte „ICH WEISS DU KOMMST WIEDER.“ S. 14
Fortlaufend finden Rückblenden und Vorausblicke des lange namenlosen Ich-Erzählers statt, ich weiß, er wird nach fünf Jahren nach Hause kommen, ich erfahre, was vorher war. Die fünf Jahre werden chronologisch erzählt, die Einschübe ins Vorher und Nachher weisen auf, was bleibt, was nie gehen wird, wie wenig sich etwas ändert.
Ich kam im Anfang nicht voran im Buch, weil es wirklich SEHR intensiv wirkte; ich musste Pausen einlegen.
Der Schreibstil war für mich genau SO richtig – einige empfinden ihn als maniriert. Ich empfehle das Antesten mit einer Leseprobe.
Von den dieses Jahr gelesenen Büchern beeindruckt mich dieses von 2009 bislang am meisten. Einzig um die Seite 200 herum wurde es mir ein wenig zu viel mit den Wiederholungen der Beschreibungen des Schaufelns, Zement, Kohle, Schlacke, die verschiedenen Arten – ja, das war sicher endlos, monoton, aber irgendwann auch für die Lektüre. Das ändert aber nichts am Allgemeineindruck.
Harter Tobak. Ein grandioses Buch.