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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.04.2019

Atemlos spannender, sehr unterhaltsamer Pageturner!

Die Party
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Zehn ehemalige Jugendfreunde erhalten eine mysteriöse Einladung zu einer Halloween-Party: Brandon lädt sie in seinen abgeschiedenen Luxus-Bungalow ein, will sich an ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Zehn ehemalige Jugendfreunde erhalten eine mysteriöse Einladung zu einer Halloween-Party: Brandon lädt sie in seinen abgeschiedenen Luxus-Bungalow ein, will sich an alte Zeiten erinnern und die 80er- Jahre wieder aufleben lassen. Einige Personen zögern, doch schlussendlich erscheinen sie alle aus den verschiedensten Gründen. Doch bereits in den ersten Minuten ereignet sich ein tragischer Unfall: Der Gastgeber wird von einem herabstürzenden Kronleuchter getötet. Alte Freundschaften und Feindschaften lodern wieder auf, als etwas Schreckliches klar wird: Ein Mörder geht um…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Heyne
Seitenzahl: 368
Erzählweise: Figuraler Erzähler, hauptsächlich Präteritum, selten Präsens
Perspektive: aus vielen verschiedenen weiblichen und männlichen Perspektiven
Kapitellänge: angenehm kurz, sorgt für Tempo
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt oder getötet.

Warum dieses Buch?

Den letzten Thriller des Autors, „Murder Park“, habe ich geliebt! Ich fand ihn wahnsinnig spannend, atmosphärisch und unheimlich. (Ich kann euch dieses Buch übrigens nur wärmstens ans Herz legen!) Aus diesem Grunde habe ich schon lange auf das neueste Werk des Autors gewartet – als es dann endlich erschienen ist, musste ich es natürlich lesen.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Es hat nur wenige Kapitel gedauert, dann war ich bereits vollkommen in die Geschichte eingetaucht. Bereits auf den ersten Seiten überschlagen sich die Ereignisse – das Buch hat sofort einen Sog auf mich ausgeübt, dem ich mich nur schwer entziehen konnte.

„Es ist der 31. Oktober 2018.
Ein schöner Herbstnachmittag.
Und Brandon hat noch gut eine Stunde zu leben.“ Seite 11

Schreibstil (♥)

Der Schreibstil kann zwar nicht als poetisch beschrieben werden, aber er ist perfekt geeignet für einen Horrorroman / Thriller wie diesen. Denn: Jonas Winner schreibt einfach, flüssig, sehr angenehm und temporeich, so dass es beim Lesen niemals langweilig wird. Dabei sind die Beschreibungen sehr anschaulich, sodass alles im Kopf sofort Gestalt annimmt; jedoch verliert sich der Autor niemals in unnötigen Details. Auch dieses Mal gelingt es ihm wieder, eine unheimliche Grundspannung zu erzeugen, aber auch dann zu glänzen, wenn es darum geht, ruhigere Momente oder die Gefühls- und Gedankenwelt der Figuren zu schildern. Dabei verändert sich die Sprache (besonders die kursiv gedruckten Gedanken) stets so, dass sie zur jeweiligen Person passt, wodurch die einzelnen Kapitel sehr authentisch wirken.

Ein großes Lob gibt es auch für die unheimlich lebendigen, realistischen, temporeichen Dialoge, die wirklich sehr gut gelungen sind und sehr viel zur nervenzerreißenden Atmosphäre beitragen!

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+)

Erneut ist es dem Autor gelungen, eine wendungsreiche und sehr spannende Geschichte zu konstruieren, die absolut unvorhersehbar ist. Das Setting und die Handlung selbst erinnern (wie viele Rezensentinnen vor mir schon angemerkt haben) an einen Horrorfilm aus den 80er-Jahren. Jedoch ist der Thriller viel tiefgründiger und weniger trashig als jene Filme. Menschen, die in den 80er Jahren aufgewachsen sind oder diese in ihrer Jugend oder in ihren frühen Erwachsenenjahren bewusst miterlebt haben, werden durch dieses Buch eingeladen, in Erinnerungen zu schwelgen und sich an eine Zeit zu erinnern, in der Berühmtheiten wie Madonna und Michael Jackson gerade ganz groß wurden und in der Filme wie „Der weiße Hai“ und „E. T.“ die Massen begeisterten. Immer wieder fließen nostalgische Erinnerungen, aufschlussreiche Rückblenden und alte Songtexte in die Geschichte ein und lassen so die 80er wieder auferstehen.

Thematisch stehen alte Freund- und Feindschaften im Mittelpunkt, auch die Figuren schwelgen in Erinnerungen und denken zurück an ihre Jugend. Aber auch die jugendlichen Hoffnungen und kühnen Träume, die im Laufe der Jahre an der Realität zerschellt sind, und die Spuren, die das Leben in all den Jahren bereits hinterlassen hat, werden gelungen und teilweise sogar tiefgründig thematisiert. Der Autor verwöhnt seine Leser
innen mit vielen überraschenden und völlig unerwarteten Wendungen, das Miträtseln und Verdächtigen macht hierbei großen Spaß! Die Kapitel sind so geschickt geschrieben, dass man ständig auf falsche Fährten gelockt wird, Theorien aufstellt und diese bald schon wieder verwerfen muss. Man beginnt irgendwann, jeder und jedem zu misstrauen – und schon fühlt man sich, als wäre man selbst dort.

Ich weiß, dass der Autor immer versucht, seinen Leser_innen kreative, überraschende und abgedrehte Auflösungen zu bieten. Und das fand ich in „Murder Park“ unglaublich gelungen! Die Auflösung hier war mir dann jedoch etwas zu konstruiert, abgedreht und an den Haaren herbeigezogen, manche Schlussfolgerungen der Figuren fand ich auch sehr unrealistisch und unlogisch (auf so etwas würde ein normaler Mensch doch nicht kommen!). Das tat dem Lesespaß allerdings nicht wirklich einen Abbruch!

„'Damals, als 1986 seine Halloweenparty hier stattgefunden hat. Das weiß ich doch noch! Wir glaubten, alles Mögliche erreichen zu können. Man macht sich große Hoffnungen – und dann, beim nächsten Mal, wenn man drüber nachdenkt, ist die Zeit abgelaufen und man hat nichts erreicht.'“ Seite 218

Protagonistin und Figuren (+)

Was die Figuren betrifft, so bietet uns der Autor hier einen bunten Mix, verschiedenste Charaktere sind dabei. Manche davon waren mir sofort sympathisch, andere habe ich vom ersten Moment an gehasst. Am Beginn war es für mich nicht immer leicht, die verschiedenen Personen, ihre Berufe und Kostüme auseinanderzuhalten – doch auch hier wurde vorgesorgt: Am Ende des Buches gibt es ein sehr praktisches Personenverzeichnis, dass mir sehr weitergeholfen hat. Irgendwann braucht man das aber auch gar nicht mehr. Nicht alle Figuren sind gleich gut ausgearbeitet, aber bei allen hat sich der Autor erkennbar bemüht, sie möglichst dreidimensional zu zeichnen. Großteils ist das auch gelungen – in einem für dieses Genre angemessenen Maß, das mich zufrieden gestellt hat.

Etwas gestört hat mich das teilweise nicht nachvollziehbare bis dumme Verhalten einiger Figuren. Wie auch in den Horrorfilmen, auf die immer wieder angespielt wird, möchte man die Figuren immer wieder mal anschreien und sie schütteln. Beispielsweise ist es einfach nur lebensmüde, sich in Zweiergruppen aufzuteilen, wenn man weiß, dass ein Mörder umgeht! Möglicherweise war aber auch das eine Hommage an die trashigen Gruselfilme.

Spannung & Atmosphäre (♥)

Die größte Stärke des Buches ist auch dieses Mal wieder die atemlose Spannung, die sich durch die ganze Geschichte zieht. Das Buch glänzt mit unerwarteten Wendungen und gelungenen Cliffhangern, die einen (auch durch die oft sehr kurzen Kapitel) nur so durch die Geschichte fliegen lassen. Erneut gibt es herrlich unheimliche Momente – man hält die Luft an, bekommt Gänsehaut und traut sich fast nicht, weiterzulesen. Dabei scheut sich der Autor erneut überhaupt nicht, ins Detail zu gehen, wenn jemand sehr unschön stirbt. Aus diesem Grund ist dieses Buch sensiblen Seelen und empfindlichen Mägen nur mit Vorsicht zu empfehlen. Den kurzen Spannungseinbruch im mittleren Teil der Geschichte verzeihe ich.

Dadurch, dass man irgendwann selbst paranoid wird, jede Geste und jeden Blick hinterfragt und niemandem mehr vertraut, entsteht eine dichte, angespannte Atmosphäre, die durch das Setting – ein großes, unübersichtliches Haus voller Gefahren, keine Möglichkeit, Hilfe zu holen, das gegenseitige Verdächtigen – nur noch verstärkt wird. Das Ganze erinnert natürlich ein bisschen an „Murder Park“ – das hat mich aber überhaupt nicht gestört. Im Gegenteil, ich finde es toll, dass der Autor seine Stärken kennt und wieder einmal zeigt, was er kann. Meiner Meinung ist Jonas Winner momentan einer der Besten, wenn es darum geht, atemlose Spannung und eine unheimliche Atmosphäre zu erzeugen.

Feministischer Blickwinkel (+/-)

Es gibt wieder sehr viele verschiedenen Frauen- und Männerfiguren im Buch. Viele weibliche Personen sind sehr erfolgreich, intelligent und haben tolle Jobs. Dennoch gibt es auch eine Person, die ziemlich ekelhaft (und meiner Meinung nach auch gefährlich) ist, weil sie Frauen objektiviert und auf ihren Körper reduziert. Jedoch wird diese Person sehr negativ dargestellt, sie wird beim Lesen sogar zum Hassobjekt. Auch wenige Fälle von frauenfeindlicher Sprache („80er Schla++++“, „Fo+++“) lassen sich finden. Hier handelt es sich um lebensgefährliche Situationen, in denen die Nerven blank liegen – deshalb, und auch weil Frauen generell als starke, intelligente und vielschichtige Personen dargestellt werden, kann ich das aber verzeihen.

Mein Fazit

Auch wenn mich Jonas Winner mit „Die Party“ nicht ganz so begeistern konnte wie mit „Murder Park“, hat er mich doch mit diesem sehr soliden Thriller, der als Hommage an die Horrorfilme der 80er-Jahre betrachtet werden kann, wieder wunderbar unterhalten. Der Schreibstil ist angenehm und perfekt für einen Thriller geeignet, auch die verschiedenen Charaktere sind sehr gut gelungen. Thematisch und auch was die Figuren betrifft, geht der Autor angemessen (immerhin gibt es viele verschiedene Perspektiven!) in die Tiefe. Alte Freund- und Feindschaften und jugendliche Hoffnungen und kühne Träume, die mittlerweile an der Realität zerschellt sind, stehen hierbei im Mittelpunkt. Jene, die die 80er-Jahre damals bewusst miterlebt haben, werden durch dieses Buch zum Schwelgen in Erinnerungen eingeladen. Lediglich die Auflösung war mir zu konstruiert und abgedreht und wirkte etwas an den Haaren herbeigezogen. Zahlreiche unerwartete Wendungen, eine unheimliche, von gegenseitigem Misstrauen geprägte Atmosphäre und die unvorhersehbare Geschichte sorgen für atemlose Spannung und machen dieses Buch zu einem absoluten Pageturner! Deshalb: Absolute Leseempfehlung für Thriller- und Horrorfans!

Ich werde mit Sicherheit auch die „Zelle“ noch lesen und freue mich schon jetzt auf den nächsten Thriller des Autors, der meiner Meinung momentan einer der besten ist, wenn es darum geht, atemlose Spannung und eine unheimliche Atmosphäre zu erzeugen!

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Umsetzung: 4 Sterne
Worldbuilding: 5 Sterne ♥
Einstieg: 4 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Figuren: 4,5 Sterne
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Spannung: 5 Sterne ♥
Ende / Auflösung: 2 Sterne
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: + / -

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir vier zufriedene Lilien!

Veröffentlicht am 08.04.2019

Herzerwärmende Liebeserklärung an alle Mütter dieser Welt - mit wunderschönen Illustrationen

Mama
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Inhalt

„Mama“ ist eine Liebeserklärung an alle Mütter dieser Welt. Frauen von verschiedenen Kontinenten, aus verschiedenen Kulturen und sogar aus verschiedenen Epochen werden in diesem Buch gefeiert.

Übersicht

Einzelband ...

Inhalt

„Mama“ ist eine Liebeserklärung an alle Mütter dieser Welt. Frauen von verschiedenen Kontinenten, aus verschiedenen Kulturen und sogar aus verschiedenen Epochen werden in diesem Buch gefeiert.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: arsEdition
Seitenzahl: 64
Erzählweise: keine durchgehende Erzählperspektive, meistens Ich-Erzähler (aus der Sicht der Mütter)
Tiere im Buch: +/- Es werden im Buch keine Tiere verletzt, jedoch trägt eine Frau Pelz und einen toten Fuchs um den Hals. Hier handelt es jedoch um eine Inuit, die ohne diesen Pelz wahrscheinlich nicht überleben könnte.

Warum dieses Buch?

Dieses Mal wurde mein Wunsch, das Buch zu lesen, durch das Cover ausgelöst. Die Zeichnung fand ich so wundervoll, dass ich das Buch unbedingt lesen wollte.

Meine Meinung

Aufbau & Inhalt (+)

Diese Liebeserklärung an alle Mütter dieser Welt (für mich ist es nicht wirklich ein Kinderbuch!) enthält keine durchgehende Erzählung, sondern einzelne bedeutende und unvergessliche Momente zwischen Mütter und ihren Kindern. Im Mittelpunkt stehen Neugeborene, Babys und Kleinkinder. Gedanken, kleine Wahrheiten, Gedichte und Gefühlsausdrücke, die viele Mütter (und vermutlich auch Väter!) sicher sehr gut nachvollziehen können, ziehen sich durch die Sammlung. Dabei finden auch alltägliche oder anstrengende Situationen ihren Weg ins Buch – diese werden stets mit einer Prise Humor geschildert. „Mama“ eignet sich daher wunderbar als Geschenk (zum Beispiel für den kommenden Muttertag!) für alle Frauen, die vor kurzem Mutter geworden sind, aber auch für jene, die in Erinnerungen schwelgen und sich an die Zeit erinnern wollen, als ihre Kinder noch Babys waren. Da ich selbst keine Kinder habe, konnte mich das Buch nicht so berühren wie gehofft. Mütter wird das Buch jedoch sicher nicht kalt lassen.

Schreibstil (+)

Auch der Schreibstil ist nicht einheitlich. Meist ist er aber sehr einfach gehalten – und dabei dennoch kraftvoll und intensiv. Die Sätze sind oft Liebeserklärungen an die neuen, kleinen Erdenbürger*innen, manchmal humorvoll, manchmal schnörkellos, manchmal poetisch – immer jedoch herzerwärmend und berührend.

„Auf Wiedersehen, junger Vater.
Du bist vor der Erntezeit geflohen.
Wir waren zwei.
Du hast das Feld geräumt.

Nun sind wir wieder zwei.
Am Horizont ein Silberstreif.
In meinem Arm die Zukunft.
Sie schläft.“ Seite 37

Illustrationen (♥)

Den Namen Quentin Gréban werde ich mir definitiv merken! Er hat für dieses Buch einmalige, wunderschöne Illustrationen kreiert, die mich absolut verzaubert haben. Farbenfrohe, zarte, detaillierte Bilder, die über die ganze Seite gehen, wechseln sich dabei mit kleinen, feinen Bleistiftskizzen ab. Die großen Bilder sind Porträtzeichnungen oder zeigen Mütter und ihre Babys in alltäglichen Situationen. Jede einzelne Illustration ist mit viel Herzblut gezeichnet worden, der Respekt und die Liebe für die Mütter, die der Autor hat, sind bei jedem Bild zu spüren. Die Frauen wirken wunderschön, auch wenn ihre Kinder sie vielleicht gerade in den Wahnsinn treiben. Die Nähe zwischen Mutter und Kind wird dabei ganz wundervoll eingefangen.,

Geschlechterrollen & Diversität (♥)

Obwohl auch Männer sich heutzutage selbstverständlich um ihren Nachwuchs kümmern, ist dieses Buch nur den Müttern gewidmet - was okay ist. Ganz unterschiedliche Frauentypen werden dabei präsentiert: Sie haben helle oder dunkle Haut, tragen Kopftuch oder kurze Kleider, stammen aus den verschiedensten Ländern und leben ganz unterschiedliche Leben. Viele lassen sich dabei von ihren Kindern nicht bremsen – und eine Frau arbeitet sogar als Soldatin. Was sie alle gemeinsam haben, ist die bedingungslose Liebe zu ihren Kindern. Auch einengende Rollenbilder, Geschlechterstereotypen und jene ungebetenen Ratschläge, die jede/r an Mütter heranzutragen scheint, werden thematisiert. Der Blick in die Zukunft der kleinen Mädchen ist dabei hoffnungsvoll, was mir ebenfalls sehr gut gefallen hat.

Mein Fazit

„Mama“ von Hélène Delforge ist eine herzerwärmende, berührende Liebeserklärung an alle Mütter dieser Welt. Manchmal einfach und schnörkellos, manchmal humorvoll und oft poetisch werden unvergessliche Momentaufnahmen im Leben einer Mutter in Gedichten und gefühlvollen kleinen Texten festgehalten. Mich selbst (als kinderlose Frau) hat das Buch nicht immer berühren können - Mütter werden jedoch vieles sehr gut nachvollziehen können und sich verstanden und abgeholt fühlen. Das Buch feiert die Nähe zwischen Mamas und ihren Babys und lädt sie zum Schwelgen in Erinnerungen ein. Genau deshalb ist das Buch perfekt als Geschenk für frischgebackene und auch erfahrene Mütter geeignet! Für Kinder würde ich es eher nicht empfehlen (auch wenn es offiziell ein Kinderbuch ist) – sie werden die Bedeutung der Texte vermutlich noch nicht wirklich verstehen. Ein großer Pluspunkt sind zudem die Diversität und die verschiedenen Frauen, die im Buch dargestellt werden. Die Illustrationen jedoch waren mein absolutes Highlight, sie sind wunderschön und mit viel Herzblut gezeichnet worden – in jedem Bild ist der Respekt und die Liebe, die Quentin Gréban Müttern entgegenbringt, spürbar.

Daher: Uneingeschränkte Leseempfehlung für alle Mütter!


Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt: 4 Sterne
Ausführung: 4 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Illustrationen: 5 Sterne ♥
Diversität: ♥
Rollenbilder: ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch erhält von mir vier zufriedene Lilien!

Veröffentlicht am 06.03.2019

Gelungener feministischer Ratgeber, der Mädchen ermuntert, ganz sie selbst zu sein

How to be a girl
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Inhalt

Schlank muss man als junge Frau sein, wunderschön, glatte Haut, glänzendes Haar und hohe Wangenknochen haben. Oder? Die gesellschaftlichen Erwartungen, die in der heutigen Zeit von allen Seiten ...

Inhalt

Schlank muss man als junge Frau sein, wunderschön, glatte Haut, glänzendes Haar und hohe Wangenknochen haben. Oder? Die gesellschaftlichen Erwartungen, die in der heutigen Zeit von allen Seiten auf Mädchen und junge Frauen einprasseln und die unerreichbaren Schönheitsideale, die Modemagazine und Werbespots propagieren, sind erdrückend und drängen Jugendliche dazu, sich Ziele zu stecken, die sie niemals erreichen können. Julia Korbik hat mit ihren neuen Buch einen modernen Kompass geschaffen, der mit populären Mythen aufräumt und Mädchen ermuntert, sich zu trauen, sie selbst zu sein und ihren eigenen Weg zu gehen. Denn das ist auch im Jahre 2019 für Mädchen leider nicht so einfach, wie es sein sollte.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Genre: Sachbuch für 13-16-Jährige
Verlag: Gabriel in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Seitenzahl: 160
Tiere im Buch: Es kommen keine Tiere im Buch vor.

Warum dieses Buch?

Als angehende Lehrerin, Frau und Feministin liegt mir das Thema Gleichberechtigung sehr am Herzen, da ich mir eine tolerantere, freiere und glücklichere Zukunft für die folgenden Generationen wünsche. Immer noch haben Frauen mit vielen Nachteilen zu kämpfen, immer noch haben wir (leider!) den Feminismus bitter nötig (wer mir an dieser Stelle widersprechen möchte, sollte sich zuerst intensiv mit dem Thema auseinandersetzen, denn auch ich war früher anderer Meinung). Ich hatte große Hoffnungen, dass dieses Buch bei jungen Mädchen Bewusstsein schafft für veraltete Rollenbilder und die schädlichen, einengenden Erwartungen, mit denen Frauen auch im 21. Jahrhundert immer noch konfrontiert sind.

Meine Meinung

Aufbau & Einstieg (+)

Der Aufbau ist übersichtlich. Das Buch ist in fünf größere Kapitel unterteilt, die verschiedene Unteraspekte des jeweiligen Themas behandeln. Einem kurzen Vorwort, das die Motivation hinter diesem Buch erklärt, folgen abwechslungsreiche Kapitel, die neben viel Fließtext unter anderem auch Listen, Exkurse, Kurzbiographien von starken Frauen und Männern, die sich für Gleichberechtigung einsetzen, und Begriffserklärungen enthalten. So wird es niemals langweilig und der Fließtext wird in gut verdauliche Häppchen unterteilt. Am Ende gibt es noch ein Verzeichnis mit weiterführender Literatur – Interessierte bekommen hier also Buchtipps, wenn sie sich näher mit dem Thema beschäftigen möchten. Nicht optimal fand ich, dass die Checklisten oft den Fließtext unterbrochen haben und ich dadurch oft aus dem Lesefluss gerissen wurde. Die interessanten Einschübe hätte man am Ende oder Anfang eines Unterkapitels platzieren sollen.

Schreibstil (+/-)

„Hinter dem Mythos Girl Hate steckt ein gesellschaftliches Problem: Er trägt dazu bei, dass Mädchen sich selbst und andere Mädchen klein halten und sich untereinander bekämpfen. Und er verhindert, dass sie ihre Energie in andere Dinge stecken. Die Eroberung der Welt, zum Beispiel.“ Seite 28

Der Schreibstil hat mir gut gefallen. Er ist einfach, macht Mädchen Mut und nimmt ihre Sorgen ernst. In einem freundschaftlichen Ton und nie von oben herab behandelt die Autorin wichtige Themen. Immer wieder spricht sie hierbei ihre Leser_innen direkt an, was mir auch sehr gut gefallen hat. Hin und wieder wird der Ton leider doch zu belehrend – es besteht die Gefahr, dass Jugendliche dadurch abgeschreckt werden bzw. das Buch weglegen, um dagegen zu rebellieren. Teilweise hätte ich mir auch gewünscht, dass die Autorin schneller auf den Punkt kommt und bei manchen Aspekten mehr in die Tiefe geht (die Ratschläge bleiben manchmal doch sehr oberflächlich und allgemein).

Inhalt (+)

„Bilder sind vor allem dann gefährlich, wenn sie auf bereits ausgeprägte Schwächen treffen – und diese Schwächen sind bei Mädchen und Frauen reichlich vorhanden, schließlich wird ihnen ständig eingeredet, sie seien unzulänglich. Sie lernen geradezu, ihren Körper auf Makel und Fehler hin zu untersuchen: Wir schauen unseren Körper an, um zu sehen, was damit nicht stimmt.“ Seite 44

Eine Sache vorweg: Ich habe mir vor dem Schreiben dieser Rezension andere Bewertungen durchgelesen und war teilweise schockiert, was darin stand. Man bräuchte so ein Buch doch nicht, wir hätten ja schon vollständige Gleichberechtigung erreicht – und überhaupt, in einem Buch für Jugendliche Feminismus anzusprechen – das geht gar nicht! Das kann ich absolut nicht verstehen! Gerade im Jugendalter werden Rollenvorstellungen verinnerlicht und die eigene Persönlichkeit und das eigene Wertesystem werden ausgebildet. Wenn man Menschen in diesem Alter nicht für das Thema sensibilisieren soll – wann denn dann? Ich sehe das daher vollkommen anders: Die Jugendlichen von heute sind die Gesellschaft von morgen, darum müssen wir bei ihnen ansetzen, wenn wir die Zukunft verändern wollen. Zudem hat bis zum heutigen Tag noch kein einziges Land der Welt vollkommene Gleichstellung erreicht – das ist Fakt! Wer sich eingehend mit diesem Thema beschäftigt, dem wird das auch schnell klar.

In fünf Kapiteln enttarnt Julia Korbik Sexismus und widerlegt verbreitete Mythen (wie die Behauptung, dass der unheimliche Fremde die größte Gefahr für uns Frauen darstellt), schafft Bewusstsein für schädliche gesellschaftliche Erwartungen, denen wir uns oft unbewusst beugen, erklärt die wichtigsten feministischen Begriffe und schreibt mutig und sehr informativ gegen Intoleranz, Misogynie und Gewalt gegen Frauen an. Auch wenn die konkreten Tipps der Autorin nicht immer als innovativ und bahnbrechend eingestuft werden können und auch wenn sie bei ihrem nächsten Werk vielleicht noch mehr darauf achten sollte, dass es wirklich durchgehend Spaß macht, dieses zu lesen (hier könnte noch ein wenig mehr auf die Zielgruppe eingegangen werden), so wurde hier doch ein sehr wichtiges Buch geschaffen, das Individualität, Selbstbestimmung und (weibliche) Freiheit feiert.

„Ein Unbekannter stürzt hervor, eventuell hat er sogar eine Waffe. Er überfällt die Frau, vergewaltigt sie und lässt sie danach hilflos im Gras liegen. Die Wahrheit ist aber: Eine Vergewaltigung kann jederzeit passieren und von Menschen verübt werden, die du kennst, mit denen du bekannt, befreundet, verwandt oder in einer Beziehung bist. Gewalt gegen Mädchen und Frauen, ob sexualisiert oder nicht, wird zu einem hohen Prozentsatz von Männern aus dem Bekannten- und Familienkreis begangen.“ Seite 111

Obwohl dieses Buch gut gelungen ist, ist es nicht perfekt: Der Spaß bleibt bei manchen trockeneren Kapiteln (wie zum Beispiel jenen über Geschichte) meiner Meinung nach hin und wieder etwas auf der Strecke und das Werk ähnelt zu stark einem Lehrbuch, dennoch thematisiert Julia Korbik viele Themen, die die Altersgruppe bewegen. Es geht um unerreichbare Schönheitsideale, die Wichtigkeit des Genderns (Sprache schafft Bewusstsein!), um Offenheit und Toleranz gegenüber Minderheiten, um die Schädlichkeit von Geschlechterstereotypen (starre Geschlechterbilder sind übrigens ein Risikofaktor für Gewalt gegen Frauen), beeindruckende Persönlichkeiten, die nicht dem traditionellen Rollenbild entsprechen und die die Welt mit ihren Leistungen verändert haben, um das Umgehen mit starken Gefühlen wie Wut, um die negativen Konsequenzen von starren Männlichkeitsvorstellungen (höhere Selbstmordrate!) und um Body shaming. Auch sexistische Werbung und frauenfeindliche Konzepte wie „Stutenbissigkeit“, Victim blaming und Slut shaming werden thematisiert und kritisiert. Selbstbestimmung und Einverständnis sind ebenfalls wichtige Themen. Dabei werden immer wieder seriöse Quellen zitiert, die das Gesagte untermauern.

Wer übrigens behauptet, dass die Grenzen zwischen einvernehmlicher Intimität und Zwang gerne mal verschwimmen und dass das alles sehr verwirrend sei, dem empfehle ich, bei Youtube „Tea Consent“ oder (auf Deutsch) „Beiderseitiges Einverständnis – Tee“ einzugeben und das Video auf sich wirken zu lassen. Das sollte alle Unklarheiten beseitigen. „How to be a girl“ ist ein wichtiges Buch, das Mädchen ermutigt, ganz sie selbst zu sein, Bewusstsein für einengende, schädliche gesellschaftliche Erwartungen schafft und sie ermuntert, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Solange sich Menschen über Bücher wie dieses aufregen und behaupten, dass wir sie ja gar nicht nötig hätten und dass „feministische Ideologie“ nichts in einem Jugendbuch zu suchen hätte, solange können wir uns sicher sein, dass wir diese Literatur bitter nötig haben.

„Oft wird so getan, als könnte der männliche Teil der Bevölkerung gar nicht wissen, was angemessenes Verhalten gegenüber Mädchen und Frauen ist, weil das Empfinden von Belästigung rein subjektiv sei. […] Aber: Untersuchungen zeigen, dass es sehr wohl so etwas wie einen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, was angemessenes Verhalten ist. Menschen, die diesen Konsens ignorieren, tun das meistens bewusst.“ Seite 109

Gestaltung & Illustrationen (+/-)

Nicht ganz so gut finde ich, dass die Gestaltung doch etwas klischeehaft rosa / pink ist – aber wenn so das Zielpublikum erreicht werden kann – bitte! Prinzipiell gefällt mir das Design, die verschnörkelten Überschriften und comicartigen Illustrationen sind gelungen, lösen bei mir aber auch keine Begeisterungsstürme aus. Etwas mehr Bilder und mehr Abwechslung hätten dem Buch wahrscheinlich gut getan.

Geschlechterrollen & Vielfältigkeit (♥)

Da es sich hier um ein feministisches Buch handelt, das Mädchen ermutigt, sie selbst zu sein und sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren, gibt es in dieser Kategorie natürlich ein Herz!

Mein Fazit

„How to be a girl“ ist ein wichtiges Buch, das bei den Jugendlichen von heute (der Gesellschaft von morgen!) ansetzt und diese für Sexismus, veraltete gesellschaftliche Erwartungen und schädliche Geschlechterstereotypen sensibilisiert. Julia Korbik schreibt mutig und informativ gegen Misogynie, Slut shaming und Gewalt gegen Frauen an, widerlegt verbreitete Mythen, ermuntert Mädchen, sie selbst zu sein und sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren, und kämpft mit ihrem Buch für mehr Toleranz, Selbstbestimmung, Freiheit und eine glücklichere, gleichberechtigte Zukunft. Lediglich auf die Zielgruppe hätte die Autorin etwas mehr eingehen (teilweise wirken die Ausführungen zu trocken oder belehrend) und bei ihren Ratschlägen in manchen Kapiteln mehr in die Tiefe gehen können. Ansonsten handelt es sich hier aber um ein rundum gelungenes Buch, das ich euch und euren Töchtern, Nichten, Cousinen und Schwestern nur ans Herz legen kann.

Empfehlung: Besonders als Geschenk für Mädchen sehr zu empfehlen!

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt: 5 Sterne ♥
Struktur: 4 Sterne
Ausführung: 4 Sterne
Schreibstil: 3,5 Sterne
Illustrationen: 3 Sterne
Tiefe: 3,5 Sterne
Rollenbilder: ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch erhält von mir vier zufriedene Lilien!

Veröffentlicht am 03.02.2019

Aufwühlendes, beklemmendes Buch, das unheimlich wütend macht

Du wolltest es doch
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+ Achtung: Die Rezension enthält Spoiler! +


Inhalt

Eigentlich ist Emmas Leben ziemlich perfekt. Sie ist eines der beliebtesten Mädchen der Schule, wird um ihre Schönheit beneidet und hat viele Freunde. ...

+ Achtung: Die Rezension enthält Spoiler! +


Inhalt

Eigentlich ist Emmas Leben ziemlich perfekt. Sie ist eines der beliebtesten Mädchen der Schule, wird um ihre Schönheit beneidet und hat viele Freunde. Die meisten Mädchen wollen sein wie sie und die Jungen reißen sich um ihre Aufmerksamkeit. Emma genießt ihr Leben, nichts scheint ihr etwas anhaben zu können. Doch alles ändert sich, als sie auf einer Party Drogen nimmt und vom Trainer der Footballmannschaft vergewaltigt wird, der einfach nicht aufhört, als Emma ihn darum bittet. Doch der Abend wird noch viel schlimmer: Emma wird ohnmächtig und wird daraufhin von einer Gruppe Schulkollegen missbraucht. Die verabscheuungswürdige Tat wird gefilmt und fotografiert und landet auf Facebook. Schließlich ist es eine aufmerksame Lehrerin, die die Seite sieht und sich mit der Polizei in Verbindung setzt. Emma beschließt Anzeige zu erstatten. Eine Entscheidung, durch die sie in ein tiefes Loch fällt. Die ganze Stadt scheint sich gegen sie verschworen zu haben, stellt sich auf die Seite der Vergewaltiger und behauptet, Emma wäre eine Lügnerin. Ihr eher promiskuitives Liebesleben scheint der Beweis zu sein: Eigentlich wollte sie es doch…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Carlsen
Seitenzahl: 368
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens (selten auch Präteritum)
Perspektive: weiblicher Sicht geschrieben
Kapitellänge: mittel bis lang
Tiere im Buch: + Es werden keine Tiere verletzt oder getötet. Aber: Weil auch in diesem Roman eine Katze alleine gehalten wird, hier wieder meine Anmerkung: Katzen sind alleine niemals glücklich (sind sind EinzelJÄGER, keine EinzelGÄNGER), sondern sehr einsam und unglücklich. Sie können verschiedene Verhaltensstörungen entwickeln und depressiv und/oder aggressiv werden. Wer seine Katze liebt, schenkt ihr deshalb mindestens einen Gefährten.

Warum dieses Buch?

Als ich dieses Buch entdeckt habe, war mir sofort klar, dass ich es unbedingt lesen musste. Als angehende Lehrerin, Frau und Feministin liegt mir dieses Thema und die gesellschaftlichen Strukturen, die damit in Verbindung stehen, am Herzen. Da es sich hier um ein Jugendbuch handelt, war ich natürlich sehr gespannt, wie die Autorin das Thema in ihrem Buch verarbeitet.

Meine Meinung

Hier gleich eine Warnung: Diese Rezension ist sehr, sehr lang geworden. Aber es gibt meiner Meinung nach zu diesem wichtigen Thema, das mir sehr am Herzen liegt, sehr viel zu sagen.

Einstieg (+/-)

Der Einstieg ist mir nicht ganz so einfach gelungen. Das lag an zwei Dingen: Zum einen passiert am Beginn lange Zeit nichts wirklich Spannendes (hier wird der Alltag der Hauptfigur geschildert), zum anderen fand ich Emma am Anfang sehr unsympathisch und wurde einfach nicht mit ihr warm. Dies hat sich aber im Laufe des Buches zum Glück geändert.

Schreibstil (+)

Feinfühlig und in einem einfachen, angenehm lesbaren Schreibstil, der für die Zielgruppe sehr gut geeignet ist, erzählt die Louise O’Neill Emmas Geschichte. Emmas bedrückende Gefühls- und Gedankenwelt wird intensiv und authentisch geschildert, immer wieder gibt es sehr bildhafte Beschreibungen und Einschübe und Fragen in Klammern, die oft jene Gedanken beinhalten, die die Heldin eigentlich nicht wahrhaben oder zulassen möchte.

„Dylan kniet auf dem Mädchen (‚auf mir, mir, aber das kann nicht ich sein, das bin nicht ich‘), legt die Hände auf das (auf mein … nein, ihr) Gesicht, als wollte er es verdecken. Sie hat kein Gesicht.
Sie ist nur ein Körper, eine lebensgroße Spielpuppe.
Sie ist ein Es. Ein Ding (‚ich, ich, ich, ich, ich‘).“ E-Book, Position 1605

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (♥)

Louise O’Neill Beitrag zur aktuellen MeToo Debatte hat mehrere Preise erhalten und in Irland sogar Platz 1 der Bestsellerlisten erreicht. Das zeigt, dass die Bevölkerung sich mit diesem Thema auseinandersetzt und dafür zunehmend sensibilisiert wird. Die Geschichte ist in zwei Teile geteilt: Der erste davon beschäftigt sich mit Emmas Leben vor und kurz nach der Vergewaltigung, in der zweiten Hälfte springen wir ein Jahr in die Zukunft, wo wir als LeserInnen auf eine vollkommen veränderte Emma treffen. Louise O'Neill beschreibt die Welt nicht, wie sie sein sollte, sondern wie sie leider immer noch ist. Die Autorin versucht mit diesem Buch aufzurütteln, was ihr meiner Meinung nach ausgezeichnet gelingt.

Ich habe dieses Buch schon vor Wochen beendet, habe die Rezension aber vor mir hergeschoben, weil ich einfach nicht wusste, wie ich beginnen sollte, da mich dieses Buch so aufgewühlt hat. Womit ich nämlich nicht gerechnet habe, war die unbändige Wut, die in mir hochgekocht ist und eigentlich während der gesamten Lektüre in meinem Bauch gebrodelt hat. Was mich so wütend gemacht hat:

Der Umgang des Umfelds mit Emmas Trauma: Das beginnt schon einmal mit ihrem Bruder, der das Video online sieht und Emma erst einmal mitteilen muss, wie sehr er sich für sie schämt. Jeder Blinde hätte auf den ersten Blick erkannt, dass Emma bewusstlos war und missbraucht wurde! Auch die Eltern fand ich furchtbar. Der Vater ist enttäuscht, dass die Tochter offensichtlich vorher schon keine Jungfrau mehr war, und die Mutter, eine typische Hausfrau der alten Generation, die den einzigen Wert einer Frau in ihrem Aussehen und in ihren Hausfrauenqualitäten sieht, geht ebenfalls absolut falsch und unsensibel mit der Situation um. Sie kämpft nicht wie eine Löwin für ihre Tochter, sondern schämt sich und fragt sich ständig: „Was sollen denn die Leute denken?“

Am schlimmsten fand ich aber, dass sie „zur Feier des Tages“ Pfannkuchen für ihre Tochter macht, als diese sich entschließt, zu schweigen, die Anzeige zurückzuziehen und die Stadt nicht weiter gegen sich aufzubringen. Sie ist erleichtert, dass sie nun endlich alles totschweigen kann und so tun, als wäre es niemals geschehen. Die Eltern sind stolz auf ihre Tochter – darauf, dass sie sich selbst verrät.

Durch den Bruder (der sich weiterentwickelt), Connor und die engagierte Lehrerin, die vorbildlich handelt gibt es immerhin kleine Hoffnungsschimmer. Wäre Emmas Umfeld ein anderes, unterstützenderes, liebevolleres, das an ihrer Seite kämpft, dann wäre die Geschichte vermutlich anders ausgegangen und Emma würde ihr Trauma auch leichter verarbeiten können.

Auch viele andere strukturelle Probleme, die mit sexualisierter Gewalt zusammenhängen, werden von der Autorin tiefgründig und kritisch behandelt. Daher möchte ich dieses Buch gerade jenen Menschen ans Herz legen, die immer noch glauben, dass wir Feminismus und Debatten wie #MeToo eigentlich gar nicht mehr brauchen. Schaut euch die Frauenfiguren in Videospielen an (meine Hassfigur ist hier „Quiet“ aus Metal Gear Solid V), schaut euch Filme und Werbung an. Fakt ist, wir haben immer noch massive Probleme mit Gleichberechtigung, Sexismus und Rollenstereotypen. Am schlimmsten finde ich jedoch, dass Victim blaming (dt. das Opfer beschuldigen) und Rape culture (dt. Vergewaltigungskultur) immer noch so stark in der Gesellschaft verankert sind. Wenn jemand vergewaltigt wird, wird oft nicht in erster Linie versucht, das Opfer zu unterstützen und den Täter zur Verantwortung zu ziehen. Viel öfter werden zuerst einmal Fragen gestellt: Hatte das Opfer nicht einen kurzen Rock an? Hatte es nicht diesen großen Ausschnitt? Hat sie Alkohol getrunken, den Kerl hereingebeten oder sich von ihm einladen lassen? Und dann kommt die verquere, traurige Schlussfolgerung: Ganz klar, sie war selbst schuld! Das muss endlich aufhören! Niemand ist selbst schuld, wenn ihm Gewalt widerfährt!

Frustrierend finde ich auch die Zeitungsartikel, die die Wirklichkeit verzerren und uns Frauen das Bild vermitteln, dass die größte Gefahr vom unbekannten Fremden ausgeht, der uns nachts in einer dunklen Gasse auflauert. Die Wahrheit sieht leider anders aus: Die größte Teil der Vergewaltigungen passiert im Familien-, Verwandten- und Freundeskreis – falls euch also jemals jemand so etwas Schlimmes antun sollte, wird es mit größter Wahrscheinlichkeit jemand sein, den ihr kennt und dem ihr vertraut. Nur wenige Taten werden angezeigt, weil es so selten zur Verurteilung kommt (laut Buch in Irland 1%). Viel zu oft steht Aussage gegen Aussage. Übrigens machen „erfundene“ Vergewaltigungen nur einen ganz kleinen Prozentsatz aus (die Dunkelziffer jener Fälle, die aus falschen Schuldgefühlen nicht angezeigt werden, ist hierbei weit höher), also bitte denkt daran, wenn ihr das nächste Mal einen Zeitungsartikel kommentiert, und dem Opfer vorwerft, dass es ja nur Aufmerksamkeit will.

Sehr anschaulich beschrieben hat die Autorin auch die unerklärlichen Schuldgefühle, die Opfer häufig haben. Emma fühlt sich schuldig, sie hat das Gefühl, sie hat das Leben ihrer Familie, der Täter, ihrer Freunde, der ganzen Stadt zerstört. Man möchte beim Lesen Emma umarmen und viele der sich furchtbar dumm verhaltenden anderen Figuren anschreien. Zwei große Probleme, die eng mit sexualisierter Gewalt zusammenhängen, sind zum einen schädliche Rollenstereotypen (diese halten die Ungleichheit aufrecht) und Sexismus und zum anderen das intensive Slut shaming, das immer noch betrieben wird, oft auch von Frauen. Ein Mann, der ein aufregendes Liebesleben hat, ist ein Held, eine Frau hingegen eine Schla+++. Diese Doppelmoral und diese Versuche, Frauen kleinzuhalten und zu kontrollieren, müssen endlich aufhören. Wir haben das Jahr 2019 und es gibt keine Schla+++, Hu+++ und Bit+++ - nur Frauen, die ihr Liebesleben so gestalten, wie es ihnen gefällt. Und das ist ihr gutes Recht – Männer machen das schließlich schon immer! Darum: Wenn jemand in eurem Umfeld Slut shaming betreibt, sprecht es an, auch wenn es nicht immer leicht ist. Denn: Bewusstsein dafür zu schaffen, wie schädlich unser misogynes Verhalten ist, ist der erste Schritt in Richtung Veränderung. Und mein persönlicher Tipp: Menschen, die den „Wert“ einer Frau heutzutage immer noch an der Zahl ihrer Sexualpartner bemessen, einfach konsequent aus dem Freundeskreis aussortieren.

Auch dieses Konzept des Vaters, der die „Verehrer mit dem Knüppel“ abwehren muss oder der seiner Tochter sagt, dass sie erst mit 30 einen Freund haben dürfe, ist nicht mehr zeitgemäß. Warum darf der Sohn seine eigenen Erfahrungen machen, das Mädchen aber muss von Jungen ferngehalten werden? Kleiner Tipp an dieser Stelle: Aufklärung ist das Zauberwort, sie führt im Gegensatz zu zahlreichen Verboten wirklich zu weniger Teenagerschwangerschaften. Und meine Botschaft an junge Mädchen: Lasst euch nicht zu etwas drängen, was jemand anders will, sondern tut Dinge nur, wenn IHR sie wollt.

Louise O’Neill entscheidet sich in ihrem Buch für ein ungewöhnliches, ernüchterndes, frustrierendes, schmerzhaftes Ende, das aber leider glaubwürdig ist. Dieses Ende und der schädliche Umgang praktisch aller Menschen in Emmas Umfeld mit ihrem Trauma führen jedoch dazu, dass ich mir nicht sicher bin, ob dieses Buch für Jugendliche geeignet ist. Das Opfer leidet, die Bösen kommen mit ihren Taten davon und es gibt keine positiven Vorbilder und Strategien, die sich betroffene Mädchen abschauen können. Viel eher denke ich, dass sich beim Lesen ein Gefühl der Hilflosigkeit einstellen wird, das Gefühl, nichts gegen so eine Tat tun zu können. Daher: Für Erwachsene ist dieses aufrüttelnde, eindringliche Buch sicher perfekt geeignet, für Schüler*innen / Jugendliche nur, wenn das Buch im Unterricht behandelt und intensiv nachbearbeitet wird.

Protagonistin und Figuren (+/-)

Die Autorin hat hier etwas sehr Mutiges gewagt: Sie wählt eine Hauptfigur, die am Beginn sehr oberflächlich, arrogant und egoistisch ist, zu der man keine Sympathien aufbauen kann. Doch gerade anhand dieser schwierigen Heldin wollte Louise O’Neill zeigen, dass niemand, auch Emma, eine Vergewaltigung verdient hat und wie eine solche Tat das Leben auch einer selbstbewussten, beliebten jungen Frau zerstören kann. Die Emma, die wir im zweiten, noch viel bedrückenderen Teil der Geschichte kennenlernen, ist eine veränderte, zerstörte Emma, die unter Depressionen leidet, das Haus nicht mehr verlässt und mehrmals versucht, sich das Leben zu nehmen. Die Beiläufigkeit und Nüchternheit, mit der Emma ihre Selbstmordgedanken erwähnt, schockiert. Dieses Thema behandelt die Autorin sehr glaubwürdig, aber auch deswegen könnte das Buch für Jugendliche sehr schwer zu verdauen sein.

Die anderen Figuren sind gut ausgearbeitet, auch wenn bei manchen (z. B. beim Vater) noch Luft nach oben ist und auch wenn manche nur eine kleine Rolle in der Geschichte erhalten. Macht euch beim Lesen jedoch dafür bereit, auf ein außergewöhnlich unsympathisches Figurenensemble zu treffen, das eure Geduld auf eine harte Probe stellen wird.

„(Gleichzeitig wünschte ich mir, ich könnte davontreiben. Ich wünschte, ich könnte mich in so viele kleine Stücke zerschneiden, dass nichts mehr von mir übrig bleibt.)“ E-Book, Position 3127

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Nicht ganz so gut gefallen hat mir, dass die Autorin zum einen wichtige Schlüsselszenen / lange Zeitabschnitte übersprungen hat (das Verhör der Polizei etc.), während der ich Emma gerne begleitet hätte. Das hätte auch die Bindung zu ihr noch verstärkt. Zum anderen fand ich das Buch teilweise, in jenen Abschnitten, in denen nichts Nennenswertes passiert (z. B. am Anfang) oder in denen sich die Handlung im Kreis dreht, etwas langatmig. Wenn man an solchen Stellen gekürzt hätte, wäre das Buch noch knackiger, intensiver und besser geworden. Trotzdem wollte ich immer unbedingt wissen, wie es weitergeht, eine Grundspannung war also vorhanden. Louise O’Neill gelingt es, eine sehr beklemmende Atmosphäre zu kreieren, die für viel Wut, Mitgefühl und Frust sorgt.

Feministischer Blickwinkel (♥)

Viele weibliche und männliche Figuren sind im Buch sehr stereotyp (was Geschlechterrollen betrifft) dargestellt. Da die Autorin dies jedoch macht, um damit aktuelle gesellschaftliche Probleme zu kritisieren und dafür Bewusstsein zu schaffen, ist das natürlich positiv. Überhaupt hat die Autorin für ihren Mut, ihr ehrliches, kritisches Nachwort und die gelungene Verarbeitung der schwierigen (und doch so wichtigen) Themen nur eines verdient: ganz viel Lob und Anerkennung!

Mein Fazit

„Du wolltest es doch“ ist ein aufwühlender, beklemmender Jugendroman, der vielen Menschen die Augen öffnen wird und der sehr wütend macht. In einem angenehmen, einfachen und doch sehr intensiven Schreibstil erzählt die Autorin Emmas Geschichte und thematisiert dabei authentisch, feinfühlig und tiefgründig Themen wie Vergewaltigung, Sexismus, Slut shaming, Victim Blaming und Genderstereotypen. Für ihren Mut, eine zu Beginn eher unsympathische Figur zur Protagonistin ihres Buches zu machen und für ihre gelungene Kritik schädlicher gesellschaftlicher Strukturen, die Frauen immer noch benachteiligen, hat die Autorin vor allem eines verdient: viel Lob und Anerkennung. Aufgrund der beklemmenden Atmosphäre, des schädlichen Verhaltens fast aller im Buch vorkommenden Figuren und aufgrund des zwar realistischen, aber sehr frustrierenden, ernüchternden Endes, das zu Gefühlen der Hilflosigkeit führen kann, würde ich das Buch Jugendlichen allerdings nur empfehlen, wenn es im Anschluss in der Schule / zu Hause intensiv nachbesprochen wird.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Worldbuilding: 5 Sterne ♥
Einstieg: 3 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonistin: 5 Sterne ♥
(Neben)Figuren: 3 Sterne
Atmosphäre: 4 Sterne
Spannung: 3,5 Sterne
Ende: 5 Sterne ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Geschlechterrollen: ♥
Regt zum Nachdenken an!

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses gelungene Buch bekommt von mir 4 Lilien!

Veröffentlicht am 09.12.2018

Lesenswerter Klassiker, der auch heute seine Wirkung nicht verfehlt

Rubinroter Dschungel
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Molly Bolt wächst in den 50er-Jahren in den Südstaaten auf. Sie ist ein Adoptivkind, die Beziehung zur konservativen Mutter, die eine perfekte Hausfrau aus Molly machen ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Molly Bolt wächst in den 50er-Jahren in den Südstaaten auf. Sie ist ein Adoptivkind, die Beziehung zur konservativen Mutter, die eine perfekte Hausfrau aus Molly machen möchte, ist schwierig, und auch sonst scheint das selbstbewusste, intelligente und willensstarke Mädchen nicht in ihr Umfeld zu passen. Gesellschaftliche Erwartungen sind Molly schon im Kindesalter egal, ohne Scham und sehr neugierig experimentiert sie mit ihrer Sexualität und findet früh heraus, dass sie lesbisch ist. Molly will Regisseurin werden und hat große Pläne, und als sie endlich ein Stipendium für eine Filmhochschule in New York erhält, scheinen sie endlich in greifbare Nähe zu rücken…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Ullstein Taschenbuch Verlag
Seitenzahl: 304
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: aus weiblicher Perspektive (Molly Bolt)
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: + Eine der Figuren arbeitet zwar im Metzgerladen und es wird einmal Lammeintopf verzehrt, jedoch werden in der Geschichte selbst keine Tiere verletzt oder getötet. Weil auch in diesem Roman eine Katze alleine gehalten wird, hier wieder meine Anmerkung: Katzen sind alleine niemals glücklich (sind sind EinzelJÄGER, keine EinzelGÄNGER), sondern sehr einsam und unglücklich. Sie können verschiedene Verhaltensstörungen entwickeln und depressiv und/oder aggressiv werden. Wer seine Katze liebt, schenkt ihr deshalb mindestens einen Gefährten.

Warum dieses Buch?

Das Cover des Romans fand ich zunächst eher nichtssagend, als ich dann jedoch herausfand, dass es sich bei „Rubinroter Dschungel“ um die Neuveröffentlichung eines Klassikers der feministischen Literatur handelt, der erstmals 1973 erschienen ist, war meine Neugier geweckt. Als Feministin bin ich an dieser Art von Literatur natürlich immer interessiert, besonders spannend fand ich es natürlich, herauszufinden, wie feministische Literatur in den 70er-Jahren geschrieben wurde und wie aktuell sie heute noch ist!

Meine Meinung

Einstieg (+)

Der Einstieg gelang mir ohne Probleme, Mollys charmant direkte, selbstbewusste Erzählstimme hat mich sofort meinen Weg in die Geschichte finden lassen.

„‘Du kannst kein Arzt sein. Nur Jungens können Ärzte werden. Leroy muß der Arzt sein.‘
‚Du hast sie ja nicht mehr alle, Spiegelglass, Leroy ist dümmer als ich. Ich muß unbedingt der Arzt sein, da ich die Gescheitere bin, und ob man ein Mädchen ist, spielt dabei keine Rolle.‘“ E-Book, Position 443

Schreibstil (+)

Auch der Schreibstil der Autorin konnte mich überzeugen, er zeigt sich am Beginn des Buches noch kindlicher und wird dann gemeinsam mit Molly langsam erwachsen. Die Sprache ist flüssig und angenehm, anschaulich, emotional, dabei oft entwaffnend direkt und ungeniert, die Dialoge sind lebendig und wirken echt. Ich war sehr überrascht davon, wie sehr bei Mollys sexuellen Experimenten ins Detail gegangen wird, wie „schamlos“ und unbefangen ihre Beziehungen und ihre Denkweise geschildert werden – vor allem, wenn man bedenkt, dass dieses Buch in den 70er-Jahren im prüden Amerika erstmals erschienen ist. Immer wieder kommt es zu kuriosen Situationen, die ihre eigene Art von Humor entfalten und mich mehrmals zum Schmunzeln oder Lachen gebracht haben.

„‘Du muss doch wenigstens ‚etwas‘ von dem tun, was alle machen. Sonst mögen die Leute dich nicht.‘
‚Ist mir egal, ob sie mich mögen oder nicht. Jeder ist blöd, das ist es, was ich denke. Mir ist wichtig, daß ich mich mag, das ist mir wirklich wichtig.‘“ E-Book, Position 528

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (♥)

Rita Mae Browns Entwicklungsroman, der sich hauptsächlich mit dem Erwachsenwerden und der Emanzipation der Protagonistin, mit den Themen Selbstbestimmung und sexuelle Freiheit beschäftigt, ist von der Biografie der Autorin stark beeinflusst. Molly wächst in der Unterschicht auf, an einem Ort und zu einer Zeit, in der die gesellschaftlichen Erwartungen und die Forderung nach traditionellen Rollenbildern erdrückend waren. Wie revolutionär dieses Buch damals gewesen sein muss, kann man sich aus heutiger Sicht vermutlich kaum vorstellen. Nicht nur bricht die Protagonistin radikal mit Genderstereotypen, sondern sie ist noch dazu eine „Lesbierin“, eine, die „andersrum“ ist. Damals wurde ein solches Verhalten noch als krankhaft angesehen, als therapierbar. Die junge Molly, die trotz ihrer konservativen Erziehung beeindruckend moderne Einstellungen entwickelt, muss schnell lernen, dass die Chancen für Frauen und Homosexuelle im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ ganz und gar nicht unbegrenzt sind. Im Gegenteil, sie muss sich mit Sexisten, Konservativen und Homophoben herumschlagen, erleidet immer wieder harte Rückschläge (obwohl sie intelligent, talentiert und ehrgeizig ist) – und hört dennoch nie auf, für ihre Träume zu kämpfen.

Die Autorin erzählt eine authentische Geschichte, die uns die vielen (unerwarteten) Wendungen vor Augen führt, die ein Menschenleben oftmals nimmt. Die Autorin kritisiert die Gesellschaft, behandelt viele wichtige Themen wie Rassismus, Sexismus und Homophobie mit der nötigen Tiefe und zeigt auf, wie uns unsere Herkunft prägt und unsere Chancen und Möglichkeiten bestimmt. Auch das Ende fand ich gelungen – vor allem, weil es so offen ist, kann es Denkprozesse anstoßen und zum Nachdenken anregen.

Obwohl man merkt, dass die Gesellschaft damals noch viel engstirniger und konservativer war und obwohl man heutzutage mit vielen der beschriebenen, diskriminierenden Verhaltensweisen glücklicherweise nicht mehr durchkommen würde, verfehlt „Rubinroter Dschungel“ auch im Jahre 2018 nicht seine Wirkung, denn: Kein Land der Welt hat bisher absolute Gleichstellung erreicht, immer noch haben wir massive Probleme mit Sexismus, Rassismus und Homophobie in unserer modernen Gesellschaft, und manche der diskriminierenden Aussagen im Buch kann man (leider!) bestimmt auch heute noch genau so hören. „Rubinroter Dschungel“ verdeutlicht uns, dass schon ein großes Stück des Weges hinter uns liegt, erinnert uns aber gleichzeitig auch daran, dass wir noch einiges vor uns haben.

Protagonistin & Figuren (♥)

Molly Bolt ist eine wunderbare Protagonistin mit einem ganz eigenen Charme. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, ist intelligent, wissbegierig, mutig, stark, wild (manchmal vielleicht sogar schon etwas zu wild) und furchtlos, liebt ihre Freiheit und lässt sich von niemandem sagen, wie sie zu sein und was sie zu tun hat. So rennt sie als Kind mit zerrissenen Kleidern auf den Feldern herum, weigert sich, Kleider zu tragen und schwört sich, niemals zu heiraten. Molly ist mit Sicherheit eine starke Frau mit Vorbildwirkung – es ist zweifellos beeindruckend, welche klaren Ziele sie sich setzt und wie zielstrebig sie diese verfolgt. Egal, welche Hindernisse ihr in den Weg geworfen werden: Sie klettert einfach drüber und weigert sich, aufzugeben – auch wenn sie es als Frau, als Arme, als Lesbe viel schwerer als die meisten anderen hat.

Auch die anderen Figuren sind großteils liebevoll gezeichnet (wenn auch nicht immer sympathisch!), auch wenn viele Molly nur sehr kurz auf ihrem Lebensweg begleiten. Besonders beeindruckt und gerührt hat mich Mollys Vater, der als Einziger das Potential seiner Tochter erkennt und fest entschlossen ist, ihr ein besseres Leben zu ermöglichen.

„‘Molly wird aufs College gehen.‘
‚Große Worte.‘
‚Meine Tochter geht aufs College.‘“ E-Book, Position 574

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Ich war ständig neugierig, wie es weitergeht, und bin Molly sehr gerne in der Geschichte gefolgt. Dennoch wäre das Buch meiner Meinung nach noch besser geworden, wenn man ihm Mittelteil noch etwas mehr Spannung beigefügt hätte. Sehr gut gefallen haben mir die glaubwürdigen, ungeschönten Milieubeschreibungen und die Südstaatenatmosphäre in den 50ern, die die Autorin auf den ersten Seiten heraufbeschwört.

„‘Ich begann mich zu fragen, ob Mädchen Mädchen heiraten können, weil ich mir sicher war, daß ich Leota heiraten und für immer in ihre grünen Augen sehen wollte. Aber ich sollte sie nur heiraten, wenn ich nichts mit der Hausarbeit zu tun hätte.‘“ E-Book, Position 631

Geschlechterrollen & Vielfältigkeit (♥)

Dieses Buch ist nicht grundlos zum Klassiker feministischer Literatur geworden, sondern kritisiert Sexismus, Rassismus und Homophobie wirkungsvoll. Die starke Protagonistin beeindruckt und hat Vorbildwirkung. Einen winzigen Kritikpunkt gibt es trotzdem: Mollys leichte Oberflächlichkeit, ihr Bodyshaming, ihre Fixierung auf Äußerlichkeiten und die seltene Verwendung von frauenfeindlicher / homophobe Sprache (die aber teilweise notwendig sind, um das Milieu zu charakterisieren).

Mein Fazit

Rita Mae Browns biographisch beeinflusster Entwicklungsroman ist nicht grundlos zu einem Klassiker feministischer Literatur geworden. „Rubinroter Dschungel“ schildert nicht nur authentisch das Aufwachsen, die Selbstfindung und den hindernisreichen Lebensweg einer jungen, lesbischen Frau, die in den 50er Jahren in Amerika geboren wird, sondern kritisiert gleichzeitig die Gesellschaft wirkungsvoll. Der Schreibstil ist flüssig, emotional und entwaffnend direkt, die Protagonistin zeigt sich intelligent, mutig und stark, und die wichtigen Themen werden von der Autorin mit der nötigen Tiefe behandelt. Lediglich etwas mehr Spannung hätte es im Mittelteil sein dürfen. Sein Alter merkt man dem Buch an den Mietpreisen und an der noch engstirnigeren, konservativeren Gesellschaft an, dennoch verfehlt „Rubinroter Dschungel“ auch im Jahre 2018 nicht seine Wirkung, denn: Kein Land der Welt hat bisher absolute Gleichstellung erreicht und immer noch haben wir massive Probleme mit Sexismus, Rassismus und Homophobie. „Rubinroter Dschungel“ verdeutlicht uns, dass schon ein großer Teil des Weges in eine gleichberechtigte, offene, friedliche Gesellschaft hinter uns liegt, erinnert uns aber gleichzeitig auch daran, dass wir noch ein großes Stück vor uns haben. Deshalb: Bitte (noch) nicht die Beine hochlegen!

Leseempfehlung: Jenen LeserInnen, die sich für das Thema interessieren, sei dieses Buch ans Herz gelegt!

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Worldbuilding: 4 Sterne
Ausführung: 4 Sterne
Einstieg: 5 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonistin: 5 Sterne ♥
(Neben)Figuren: 4-5 Sterne
Atmosphäre: 4 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Ende: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 4-5 Sterne
Geschlechterrollen: ♥
Regt zum Nachdenken an, denn vieles, was kritisiert wird, ist leider heute noch aktuell!

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 4 Lilien!