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Veröffentlicht am 27.04.2019

Eine Lüge? Viele Lügen!

Die Lüge
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Im Roman lernen wir eine ganz normale Familie kennen, deren Leben von einem Moment auf den anderen völlig aus der Bahn geworfen wird. Adam ist Pfarrer. Er liebt seine Familie, Harmonie, gutes Essen und ...

Im Roman lernen wir eine ganz normale Familie kennen, deren Leben von einem Moment auf den anderen völlig aus der Bahn geworfen wird. Adam ist Pfarrer. Er liebt seine Familie, Harmonie, gutes Essen und Italien. Ulrika, seine Frau, ist Anwältin. Sie haben eine Tochter: Stella. Zu Beginn der Handlung feiert sie ihren 19. Geburtstag und trifft sich mit den Eltern in einem Restaurant. Auch wenn dort bei der Reservierung etwas schief gelaufen ist und obwohl sie sich über das Geschenk der Eltern anscheinend nicht so freuen kann wie erwartet, so verläuft der Abend doch insgesamt recht normal und harmonisch. Ungefähr eine Woche später wird Stella unter Mordverdacht verhaftet. Die Eltern sind schockiert, und alles kommt ihnen vor wie ein schlechter Traum. Es stellen sich viele Fragen: Ist der Verdacht gegen Stella berechtigt? Wie gut kennen die Eltern Stella und können sie ihr vertrauen? Wie weit gehen Eltern, um ihr Kind zu schützen?

Das Buch ist in drei große Abschnitte gegliedert. Zuerst kommt Adam zu Wort. Der zweite Teil ist aus Stellas Sicht erzählt, und im Finale erleben wir Ulrika.
Nach und nach erfährt der Leser mehr über die Familie und deren Freundeskreis. In Adams Bericht wird jedoch schnell offensichtlich, dass nicht alles immer so harmonisch war wie anfangs gedacht. Beim Blick in die Vergangenheit wird er oft wehmütig, wenn er an Stella als kleines Mädchen denkt. Im Lauf seiner Erzählung wird klar, dass Stella kein angepasstes Kind war und dass es auch in ihrer Pubertät so manchen Konflikt gab. Man erfährt auch von Stellas bester Freundin Amina, die von Adam und Ulrika fast wie eine zweite Tochter behandelt wurde. Sie ist eher der besonnene Typ, nicht so impulsiv wie Stella, und die Eltern hatten vermutlich die Hoffnung, Amina hätte einen guten Einfluss auf Stella.
Im zweiten Teil, der aus Stellas Sicht erzählt wird, ändert sich der Schreibstil, und man merkt sofort, dass nun ein ganz anderer Charakter zu Wort kommt. Man lernt Stella als junge Frau mit großen Hoffnungen und Träumen kennen, impulsiv und gerechtigkeitsliebend. Was sie vom Alltag in Untersuchungshaft erzählt, ist deprimierend. Nachdem man inzwischen auch einiges über ihre Vorgeschichte weiß, kann man sich nur allzu gut vorstellen, wie sie unter der Situation leidet. Was es mit der Wahrheit über den Mord auf sich hat, da sieht man auch nach Stellungnahme der Angeklagten noch nicht klarer.
Den letzten Abschnitt nimmt Ulrikas Sicht ein. Bei ihr hatte ich bis dahin den Eindruck, sie spiele nur eine Nebenrolle im Roman. Im Gegensatz zu Adam und Stella hatte man sie bis zuletzt kaum kennen gelernt. Das ändert sich nun schlagartig, und schnell wird dem Leser bewusst, wie groß ihre Rolle in der ganzen Geschichte ist und welche Tragweite ihre Handlungen haben. Ich möchte sie fast in die Kategorie „Stilles Wasser“ einordnen, und ihre Rolle hat einen stärkeren Einfluss auf den Verlauf der Geschichte als man anfangs meint.

Ich fand den Roman sehr lesenswert. Er lässt sich schwer in eine Schublade stecken, denn es ist weder eindeutig ein Thriller noch ein Krimi, sondern eher ein Spannungsroman mit psychologischen Betrachtungen und interessanten Charakterstudien. Auf jeden Fall liest sich das Buch weitgehend kurzweilig, wenn ich auch manche Passagen fast etwas zu ausführlich empfand. Es gibt auch ein paar Dinge, die im Lauf der Handlung angerissen wurden, die ich aber bis zuletzt nicht wirklich verstehen konnte,da gab es für mich beispielsweise einige Ungereimtheiten in der Freundschaft zwischen Amina und Stella. Auf jeden Fall ist es ein Roman der Überraschungen und Aha-Effekte, bis zur letzten Seite dramatisch und fesselnd.

Veröffentlicht am 27.02.2019

Von einer Liebe in Kriegszeiten, die nicht sein darf

Das Weingut. In stürmischen Zeiten
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Entdeckt habe ich die Autorin für mich, als ich vor drei Jahren „Blut und Seide“ gelesen habe. Das Buch hat mich mitgerissen und begeistert, und darum warten inzwischen auch die anderen Bücher von Marita ...

Entdeckt habe ich die Autorin für mich, als ich vor drei Jahren „Blut und Seide“ gelesen habe. Das Buch hat mich mitgerissen und begeistert, und darum warten inzwischen auch die anderen Bücher von Marita Spang in meinem Regal darauf, gelesen zu werden. Ja, Marie Lacrosse ist Marita Spang! Als mir das klar wurde, kam auch das Weingut gleich auf meine Wunschliste. Während die unter ihrem Namen Marita Spang veröffentlichen Romane zeitlich eher im Mittelalter und der frühen Neuzeit angesiedelt sind, spielt ihre Dilogie „Das Weingut“, die unter diesem Pseudonym Marie Lacrosse veröffentlicht wurde bzw. wird, in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Im ersten Band „In stürmischen Zeiten“ lernen wir die junge Waise Irene kennen. Schon im Prolog erfährt man einiges über Irenes Geburt und ihre Mutter, wenn man auch vieles noch nicht genauer zuordnen kann. Die Schwestern im Waisenhaus hüllen sich in Schweigen, wenn Irene nach ihrer Herkunft fragt. Als eines Tages der betuchte deutsche Weinhändler Wilhelm Gerban im Heim auftaucht und Irene als Dienstmädchen auf sein Weingut im Elsass holt, scheint das ein Glücksfall für die junge Frau zu sein. Bald lernt sie Franz Gerban, den Sohn des Hauses kennen und verliebt sich in ihn. Diese Liebe beruht auf Gegenseitigkeit, aber das Glück wird bald getrübt, denn Europa befindet sich am Vorabend des Deutsch-Französischen Kriegs. Franz ist ein junger Mann mit hohen Idealen. Er glaubt an die französische Revolution und schließt sich bei Kriegsbeginn der französischen Seite an. Aber nicht nur das Kriegsgeschehen setzt dem jungen Liebespaar zu, sondern Irene und Franz müssen gegen gemeine Intrigen und Lügen ankämpfen, und je mehr man erfährt, umso hoffnungsloser erscheint ihre Liebe. In Franz‘ Abwesenheit macht Wilhelm Gerban Irene das Leben schwer und möchte sie mit Gewalt aus dem Haus und der Familie drängen.
Sehr bewusst wird einem beim Lesen die Kluft zwischen den Gesellschaftsklassen der damaligen Zeit. Durch die Augen von Franz, der einige Zeit als ganz normaler Arbeiter im Weingut seines Onkels tätig ist, sieht man das Leid der Menschen, die für wenig Geld in den Weinbergen schuften und keine wirkliche Perspektive haben. Franz versucht, sich für diese Menschen einzusetzen, aber bei Vater und Onkel beißt er da auf Granit und kann nur zu sehr geringen Verbesserungen der Lebenssituation der Arbeiter beitragen.
Insgesamt wirken die meisten Gerbans nicht sonderlich sympathisch, egal ob man nun Wilhelm oder auch seinen Bruder Gregor samt Ehefrau Ottilie ansieht. Franz‘ jüngere Schwester Mathilde ist eine launische und verwöhnte junge Frau und entpuppt sich im Lauf der Zeit immer mehr als intrigantes Miststück. Pauline, Wilhelms französische Ehefrau und die Mutter von Franz und Mathilde, ist eine liebe aber schwache Frau, die sich immer öfter in ihre eigene Welt zurückzieht und Trost im Laudanum sucht.
Die Charaktere sind allesamt sehr intensiv ausgearbeitet, wobei Wilhelms und Mathildes Gemeinheiten für mich oft nicht nachvollziehbar waren. Irene ist Mathilde vom ersten Moment an ein Dorn im Auge, eigentlich grundlos, wie mir scheint. Zwar neigt Mathilde generell zu Biestigkeiten, aber wieso sie gerade auf Irene derart bösartig herum hackt, hat sich mir nicht immer erschlossen. Wilhelms Verhalten dagegen birgt ein Geheimnis, das man zwar bereits früh ahnen kann, aber definitiv erst ziemlich zum Ende der Geschichte erfährt und wodurch vieles verständlicher wird.
Das Cover des Buches, mit dem schönen alten Gutshaus, den Weinbergen in der Sonne und den Rosen am Wegesrand, vermittelt einen friedlichen, idyllischen Eindruck, aber das täuscht gewaltig. Tatsächlich gibt es im ganzen Roman nur sehr wenige schöne oder gar romantische Momente. In der Handlung dominiert das Kriegsgeschehen. Die Autorin hat hier große Recherchearbeit geleistet und sich bei ihren Schilderungen an die überlieferten Tatsachen gehalten. So ist ihr auch ein sehr authentisches Bild der damaligen Verhältnisse gelungen. Gerade wenn man sich Franz ansieht, das Kind einer französischen Mutter und eines deutschen Vaters, wird der Wahnsinn hinter diesem Krieg offensichtlich. Bei den Schilderungen wusste ich manchmal nicht, wer denn jetzt eigentlich Freund und wer Feind ist. Es war einerseits interessant, etwas über diesen Krieg zu erfahren, denn darüber wusste ich bisher kaum etwas, aber ich muss gestehen, mir war es dann oft zu viel. Häufig musste ich beim Lesen pausieren, weil mir die Grausamkeit und die Hoffnungslosigkeit vieler Szenen und Schicksale so an die Nieren gegangen sind. Da liest man beispielsweise viele Seiten lang nur über die Bergung der Opfer nach der Schlacht.
Es ist ein guter Roman, keine Frage! Die Autorin kann einen mit ihrem erzählerischen Talent mitreißen, aber in diesem Buch hat mir doch ein wenig der Hoffnungsstreifen am Horizont gefehlt, denn die Tendenz der Handlung war weitgehend düster und trostlos.
Das Ende dieses ersten Teils lässt viele Fragen offen, und ich bin darum auch sehr gespannt auf die Fortsetzung. Ich hoffe nur, dass die Tendenz im zweiten Teil etwas positiver ist.

Veröffentlicht am 19.02.2019

Die Schwestern von Mitford Manor

Die Schwestern von Mitford Manor – Unter Verdacht
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Die Autorin Jessica Fellowes ist die Nichte des Romanautors Julian Fellowes, der die Drehbücher zu der Serie „Downton Abbey“ geschrieben hat. Ich kenne und liebe die Serie und bin daher mit sehr hohen ...

Die Autorin Jessica Fellowes ist die Nichte des Romanautors Julian Fellowes, der die Drehbücher zu der Serie „Downton Abbey“ geschrieben hat. Ich kenne und liebe die Serie und bin daher mit sehr hohen Erwartungen an diesen Roman heran gegangen.
Besonders interessant daran fand ich, dass es die Mitford-Schwestern wirklich gegeben hat. Solche Geschichten, die einen dicken Kern Wahrheit beinhalten, mag ich sehr gerne, denn sie laden regelrecht dazu ein, neben dem Lesen ins Stöbern zu verfallen und alle möglichen Quellen und Informationen ergänzend auszugraben. Da kann ich einfach nicht widerstehen.
Gleich wenn man den vorderen Buchdeckel aufklappt, findet man dort eine Abbildung des wundervollen Anwesens, in dem die Mitfords lebten. Mit Hilfe des Fotos kann man sich noch besser in die Situationen hinein versetzen, die auf dem Anwesen der Familie spielen.
Interessant finde ich auch die Umschlaggestaltung, denn ziemlich am Anfang, als Louisa ihren Dienst bei den Mitfords antritt und von deren Tochter Nancy im Anwesen herumgeführt wird, gibt es eine Stelle, wo Nancy Louisa darüber aufklärt, dass Indigoblau die Farbe der Mitfords ist. Ich weiß nicht, ob die Farbgebung des Covers absichtlich so gewählt wurde, vermute es aber, denn der Umschlag ist tief indigoblau, mit goldfarbenem Druck und einem kleinen Bildausschnitt, der eine Dame und eine alte Lokomotive zeigt.

Mit ihrer Erzählung bringt uns die Autorin mitten in die Zwanziger Jahre. Die herrschende Atmosphäre, die Kluft zwischen den Gesellschaftsschichten, das alles kommt sehr gut heraus. In dieser Zeit geschieht ein brutaler Mord an der ehemaligen Krankenschwester Florence Nightingale Shore, nicht zu verwechseln mit der weltberühmten Krankenschwester Florence Nightingale, die zehn Jahre früher und eines natürlichen Todes starb, aber bei dem Mordopfer handelt es sich um deren Patenkind.
Den Mordfall und die Fortschritte seiner Aufklärung zu verfolgen, fand ich sehr spannend, wobei ich sagen muss, dass ich mir hier sehr hart getan habe, überhaupt ein wenig zu spekulieren. Ich hatte bis zuletzt keinen blassen Schimmer, wer der Mörder gewesen sein könnte. Der Mord beruht auf realen Tatsachen, nur wurde, soviel mir bekannt ist, der Mörder nie gefunden. Das hat Jessica Fellowes mit ihrem Roman nun geändert, denn hier wird der Mordfall durchaus zu einem Abschluss gebracht.
Trotz der stimmigen Atmosphäre und des faszinierenden Plots hatte ich bei dem Roman so meine Anfangsprobleme. Bei einigen Charakteren hat mich der sehr starke Schwarz-Weiß-Kontrast gestört. Auch hat sich manch einer der Protagonisten zu mir unverständlichen Handlungen hinreißen lassen. Vor allem habe ich Louisas Aktionen nicht immer einwandfrei nachvollziehen können. Auch ihre Entwicklung fand ich nicht hundertprozentig glaubwürdig. Ebenso Guy, der stark kurzsichtige Bahnpolizist, legt im Roman einen Werdegang hin, der sich gewaschen hat und den ich ihm nicht völlig abnehmen konnte. Aber die Autorin wollte ihrem historischen Krimi wohl durch eine zusätzliche Liebesgeschichte noch mehr Würze verleihen, was ja auch durchaus gelungen ist. Vor allem in den letzten Kapiteln überschlagen sich jedochdie Ereignisse, und manche Entwicklung erschien mir ein wenig weit hergeholt bzw. zusammenhangslos. Hier wurde einiges kurzerhand so zurecht gerückt, dass es am Ende zusammenpasst.
Meiner persönlichen Gegenüberstellung mit Downton Abbey hält der Roman nicht stand. Es ist halt die Crux, dass er sich diesem Vergleich überhaupt stellen muss, weil schon in der Vorschau zum Buch immer wieder auf die verwandtschaftlichen Zusammenhänge hingewiesen wurde, so dass man gar nicht umhin kommt, als immer wieder Vergleiche anzustellen, noch dazu, weil es in beiden Fällen um eine herrschaftliche Familie und ein tolles Anwesen geht.
Mein Fazit fällt trotz aller Kritikpunkte insgesamt gut aus, denn ich habe die Beschreibungen genossen, und der Schreibstil hat mir sehr gefallen. Auch wenn sich nicht alles ganz glaubwürdig entwickelt hat, so ist es der Autorin auf jeden Fall gelungen, mich ausgezeichnet zu unterhalten und mich sehr intensiv in die goldenen Zwanziger mitzunehmen.

Veröffentlicht am 25.01.2019

Auf den Spuren der Großmutter

Das geheime Lächeln
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Nachdem Emilia Lukin in einem Auktionskatalog das Bild einer Frau entdeckt hatte, der sie wie aus dem Gesicht geschnitten ähnelt, ist ihre Neugierde geweckt. Sie weiß, dass es sich bei der Frau um ihre ...

Nachdem Emilia Lukin in einem Auktionskatalog das Bild einer Frau entdeckt hatte, der sie wie aus dem Gesicht geschnitten ähnelt, ist ihre Neugierde geweckt. Sie weiß, dass es sich bei der Frau um ihre Großmutter Sophie handeln muss. Wenig später kann sie das Gemälde erfolgreich ersteigern und begibt sich auf die Suche nach Hinweisen, was damals geschah. Sophie galt als das schwarze Schaf der Familie. Es wurde kaum über sie gesprochen, und Emilia weiß nur, dass Sophie damals ihre Tochter Pauline, Emilias Mutter, im Stich gelassen haben und nach Frankreich verschwunden sein soll. Pauline schweigt, und es ist nicht klar, woran sie sich erinnern kann, was ihre Mutter betrifft. Emilia macht sich Sorgen um sie, denn Pauline hat psychische Probleme und wirkt verwirrt.
Emilia möchte der Sache auf den Grund gehen und reist kurz entschlossen nach La Lumiére, wo ihre Mutter ein Häuschen geerbt hat. Dort hofft sie, mehr über ihre Großmutter und die Ereignisse in den 30er Jahren zu erfahren.
Letztendlich ist es aber auch für Emilia eine Flucht vor den eigenen Problemen.

Der Roman spielt weitgehend in der Gegenwart, aber es sind immer wieder Rückblenden eingestreut, die einem die damaligen Ereignisse nahe bringen. Dieser Aufbau ist in dem Fall ganz nach meinem Geschmack, denn der Handlungsstrang der Gegenwart hat mich bei diesem Roman einfach mehr angesprochen. Ich muss gestehen, dass mir die Charaktere in den Rückblenden zum großen Teil fremd geblieben sind; ich empfand sie stellenweise als etwas abstrakt wobei sie dadurch natürlich sehr gut in die damaligen Künstlerkreise passten, so dass dies für mich ganz in Ordnung war.
Emilia wiederum konnte ich sehr gut verstehen. Auch ihren Aufruhr und ihr Verhalten, wenn sie emotional ab und zu „hochkocht“ und aufbrausend reagiert, vor allem in Konfrontation mit Jean-Pierre, einen alten Freund ihrer Großmutter, den sie in La Lumiére kennenlernt, konnte ich sehr gut nachvollziehen. Mit Jean-Pierre hatte ich auch stellenweise meine liebe Mühe, denn er spricht oft in Rätseln und hält sich bei Informationen bedeckt, die für Emilia sehr wichtig wären. Bei allem Verständnis für sein früheres Schicksal erschließt sich mit sein Verhalten nicht immer.
Die ganze Geschichte ist faszinierend und auch fesselnd dargestellt, und am Ende fügen sich die losen Fäden zu einem sinnvollen Gewebe. Allerdings enden auch einige dieser Fäden im Nichts, was für mich etwas unbefriedigend war, denn ich gehe davon aus, dass dieser Roman für sich allein steht und nicht den Beginn einer Reihe darstellen soll. Insofern hätte ich mir die Klärung einiger strittiger Punkte noch gewünscht.
Sehr gut hat mir der Schreibstil gefallen, denn er ist nachdenklich, oft ein wenig melancholisch und vor allem sehr poetisch, mit wunderschönen Zitaten geschmückt. Alles in allem ist es ein wirklich schöner und interessanter Roman, den ich gerne gelesen habe.

Veröffentlicht am 12.12.2018

Das Haus der Seidenblüten

Das Haus der Seidenblüten
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Die Autorin stammt aus einer Seidenweberfamilie, deren Tradition in Sachen Seide dreihundert Jahre zurück reicht. Darum drehen sich ihre Romane alle in irgend einer Form um diesen kostbaren Stoff und seine ...

Die Autorin stammt aus einer Seidenweberfamilie, deren Tradition in Sachen Seide dreihundert Jahre zurück reicht. Darum drehen sich ihre Romane alle in irgend einer Form um diesen kostbaren Stoff und seine Herstellung. Schon ihr Debütroman „Das Kastanienhaus“ hat mich fasziniert, denn auch da spielte die Seide eine wichtige Rolle, wenn auch in ganz anderem Rahmen, denn dieser Roman spielt im Zweiten Weltkrieg.
Für „Das Haus der Seidenblüten“ ist Liz Trenow viel weiter zurück gegangen, denn die Handlung spielt in den Jahren 1760/1761. Als die Pfarrerstochter Anna Butterfield aus dem beschaulichen Suffolk nach London kommt, erlebt sie dort eine ganz andere Welt. Im Haus ihrer Tante hat sie kaum Freiheiten, so darf sie beispielsweise das Haus nicht ohne Begleitung verlassen. Sie leidet sehr unter den Beschränkungen, denen sie hier unterworfen ist. Ihre Tante ist bestrebt, sie so schnell wie möglich zu verheiraten, selbstverständlich an einen Mann aus ihren Kreisen. Der Standesdünkel ist enorm, so dass kaum ein Gespräch mit jemandem möglich ist, der einer anderen Gesellschaftsklasse angehört. Als Anna dem sympathischen Henri begegnet und sich in den jungen Mann verliebt, ist beiden bewusst, dass diese Liebe nicht sein kann, denn Henri ist ein französischer Einwanderer, wenn auch ein fleißiger und begabter Seidenweber, aber weit unter dem Stand ihrer Familie, zumindest wenn man ihre Tante fragt.
Durch Zufall begegnen sie sich jedoch öfter und erkennen, dass sie in gewisser Weise ein gemeinsames Interesse haben. Anna ist künstlerisch begabt und malt am liebsten Naturmotive, und Henri ist fasziniert von den Mustern, die sie zeichnet. Zu gerne würde er die zarten Blütenranken für sein Meisterstück in Seide weben.
Für ihre Protagonistin hat die Autorin ein historisches Vorbild gewählt, nämlich eine der ersten englischen Textildesignerinnen, Anna Maria Garthwaite. Dass sie das Leben dieser Künstlerin aus dem 18. Jahrhundert fasziniert, ist nur allzu verständlich, und wenn man im Internet einmal nach ihren Mustern sucht, findet man eine Fülle an Designs, die so bezaubernd sind, dass man Liz Trenows Faszination noch besser nachempfinden kann. Beim Betrachten der Muster wird einem erst deutlich, wovon die Autorin in ihrem Roman erzählt. Auch die praktische Umsetzung der Muster auf das Seidengewebe ist sehr detailliert erklärt, und diese Ausführungen fand ich auch recht spannend. Es ist eine bewegte Zeit, in der sich die Handlung abspielt. Die genaue Zeitabfolge der Weber-Aufstände und der sonstigen historischen Ereignisse ist im Anhang wiedergegeben und eine interessante Ergänzung zur fiktiven Geschichte. Der Handlungsstrang um Henri und sein Umfeld ist auch sehr fesselnd dargestellt. Aber dazwischen erlebt man Anna im Haus ihrer Tante, und ihr Aufenthalt in London gestaltet sich eher öde. Sie wird zu Empfängen geschleppt, und ein junger Anwalt macht ihr den Hof. Dass Anna auch Persönlichkeiten wie den Maler Thomas Gainsborough oder den Botaniker Georg Ehret kennenlernt, ist nur ein schwacher Trost, denn das alles zieht sich doch ziemlich in die Länge. In den Kapiteln, die sich um Anna und ihre Erlebnisse in London drehen, ging es mir wie der Protagonistin selbst, ich habe mich gelangweilt. Das Ende ist einerseits schön, aber auch wieder zu phantastisch, und so ganz konnte ich es nicht nachvollziehen, denn nach der Vorgeschichte läuft hier alles viel zu glatt. Das war für mich dann doch ein Wermutstropfen in einem eigentlich sehr schönen Roman.