Zum zehnten Mal ermitteln Carol Jordan und Tony Hill in einem neuen Team gemeinsam mit vielen altbekannten Gesichtern in „Rachgier“ von Val McDermid. Der Thriller kam im September 2018 bei Knaur heraus und umfasst 480 Seiten.
Der Wedding Killer ist unterwegs. Er sucht sich seine Opfer unter einsamen Frauen auf Hochzeiten und verbrennt sie, nachdem er ihr Vertrauen erschlichen hat, samt Auto bis zu Unkenntlichkeit. Dieser komplizierte Fall wird natürlich Carol Jordan, Tony Hill und ihrem Team übertragen, das allerdings an mehreren Fronten zu kämpfen hat, denn nicht alle gönnen dem neu gegründeten ReMIT einen Erfolg.
Um es vorweg zu sagen: Der Thriller gleicht eher einem Krimi, stehen doch die Mordermittlungen im Mittelpunkt. Dieses tut der Spannung jedoch keinen Abbruch, und die Grenzen zwischen diesen beiden Genres sind bekanntermaßen fließend.
Das Buch ist von der ersten Seite an spannend geschrieben, und der Spannungsbogen steigt bis zum Ende stetig an. Auch wenn mich gegen Ende Carols Gedankengänge sehr irritierten und sie fast von mangelnder Professionalität seitens der Ermittlerin zeugen, fand ich den Schluss an sich überraschend und sowohl brillant als auch tragisch. Hier hat McDermid erneut bewiesen, dass sie ihr Handwerk wirklich versteht und die Lesenden überraschen kann.
Der Roman selbst umfasst mehrere Erzählstränge. Neben dem eigentlichen Mordfall haben Carol und Tony sowohl auf beruflicher als auch auf privater Ebene ihre Kämpfe auszutragen, und auch unter ihren Teammitgliedern gibt es einige, die nebenbei mit der Lösung eigener Probleme beschäftigt sind. Dieses hat zur Folge, dass die Erzählung immer wieder vom eigentlichen Kriminalfall abweicht, was aber dem Spannungsaufbau nicht schadet. Genau im Gegenteil: Dadurch bekommt der eigentlich der Unterhaltung dienende Roman neue thematische Impulse, hier z.B. die Kritik am Umgang mit dem Internet, insbes. den Social Media, die Denkanreize bieten. Auch das mehrmalige Rückgreifen auf ältere Fälle behindert das Verstehen nicht.
Die unterschiedlichen Perspektiven, aus denen der Thriller erzählt wird, sind ebenfalls sehr reizvoll. Neben den einzelnen Ermittlungsbeschreibungen erfolgt immer wieder ein Wechsel zur Perspektive des Mörders. Hier erfährt man nach und nach, welche Motive der Täter hat, sodass man sich beim Lesen in dessen Psyche hineinversetzen kann und dem Ermittlungsteam in weiten Phasen an Wissen voraus ist. Sehr interessant und überzeugend fand ich die immer wieder eingeblendeten Gedanken von Tony Hill, es also nachzuvollziehen, wie er an den Fall herangeht.
Die Charaktere sind detailliert und realitätsnah beschrieben, weshalb es leichtfällt, sich mit ihnen zu identifizieren. Selbstzweifel, von denen einige Ermittler/innen immer wieder heimgesucht werden, lassen die fiktiven Figuren menschlich erscheinen. Lediglich die Intrigantin Penny Burgess war mir von Anfang an unsympathisch, was mir die Identifikation erschwerte.
McDermids Sprache ist schnörkellos und flott zu lesen, es fehlt auch nicht an humoristischen Elementen. Dass die Autorin gewandt mit Sprache umgehen kann und gut recherchiert hat, kann man Begriffen wie „kathartische Tat“ und ähnlichem entnehmen.
Insgesamt handelt es sich bei „Rachgier“ um einen spannend und hervorragend geschriebenen Roman, der Leserinnen und Leser von der ersten bis zu letzten Seite in seinen Bann zieht, durch gut Recherche und sprachliches Knowhow glänzt. Ein Buch, das ich allen Thriller- und Krimileser/innen einfach nur ans Herz legen kann.