Gefühle die zum Nachdenken anregen: Was hätte ich getan?
StellaIm Januar 1942 tritt der junge Schweizer Friedrich seine Reise nach Berlin an. Während auf den Straßen Berlins der Nationalsozialismus herrscht und Krieg geführt wird, trifft er in einer Zeichenschule ...
Im Januar 1942 tritt der junge Schweizer Friedrich seine Reise nach Berlin an. Während auf den Straßen Berlins der Nationalsozialismus herrscht und Krieg geführt wird, trifft er in einer Zeichenschule die mysteriöse Kristin. Die Beiden kommen sich schnell näher und werden zu einem Liebespaar. Mit dem Vertrauen zueinander und dem Glauben, dass Kristin eine gewöhnliche Deutsche mit vielen Gelegenheitsjobs und dem Drang nach Verbotenem, streifen sie leichtfüßig durch die Stadt Berlin und lassen die Folgen des Krieges und den Judenhass nicht an sich heran, bis Kristin verschwindet und sich als Jüdin Stella offenbart. Sie muss unter dem Druck der Gestapo eine Entscheidung treffen, die das Schicksal ihrer Familie bestimmt...
Takis Würger strukturiert seinen Roman chronologisch und unterteilt diesen in einzelne Kapitel, die mit Monat und Jahreszahl des Handlungszeitpunktes angeführt werden. Jedes dieser Kapitel beginnt mit einer Vielzahl von politischen, aber auch gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ereignissen, die parallel zu dem Handlungsstrang verlaufen. Das Aufzeigen von zahlreichen „Schlagzeilen“ erinnert an Döblins „Alexanderplatz“ und zeigt zum einen die Vielfalt an Geschehnissen, die sich zu diesem Zeitpunkt ereigneten, stellt aber zum anderen die politischen Begebenheiten des Nationalsozialismus und dem Krieg besonders in der Vordergrund. Verordnungen und Geschehnisse die so unvorstellbar sind, verschwimmen fast in den Banalitäten wie genannte Filmpremieren, stehen aber durch ihre Grausamkeiten hervor. Zwischen jedem Kapitel befinden sich außerdem „Auszüge aus den Feststellungen eines sowjetischen Militärtribunals“ und führen zu einer Entgrenzung zwischen Fiktionalität und Faktionalität.
Würger arbeitet mit drei Hauptfiguren, die in ihrer Charakterisierung viele Gegensätze aufzeigen. Er zeigt uns die Jüdin Stella, wohl die geheimnisvollste Figur im Roman: leidenschaftlich, kühl, emotional, mit mehr Nationalstolz als jeder Andere, naiv? Oder eher verträumt uns voller Hoffnung? Friedrich, der aus der scheinbar sorglosen Familie in der neutralen Schweiz „flieht“ um das wahre Leben zu sehen und sich trotz seiner schwierigen Kindheit, in erster Linie durch seine Mutter verschuldet, auf die Liebe mit Stella einlassen kann und sein ganzes Herzblut hineingibt. Und zu guter Letzt dem Freund Von Appen, der Obersturmbandführer mit der Leidenschaft zum Jazz und ausländischen Essen.
Der Roman „Stella“ ist wahrhaftig ein Werk, dass berührt. Der Leser wird mit dem ersten Wort gefesselt, denn von stumpfen Klischees oder vorhersehbaren Geschehnissen kann hier nicht die Reden sein. Mit ausführlicher, bildlicher Beschreibung führt Würger die Leser durch eine romantisch, komplizierte Beziehung im Schatten der deutschen Geschichte. Die Figuren überzeugen mit ihrer Außergewöhnlichkeit und ihren Gegensätzen zu sich selbst. Die detaillierten Beschreibungen erschrecken, fesseln, bringen Emotionen hervor. Emotionen, die auch nach dem Zuklappen dieses Buches noch präsent sind und zum Nachdenken anregen: Was hätte ich getan?